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im Allgemeinen zeigten sie nicht die Mittheilsamkeit, den guten Willen und die ausdrucksvolle, anschmiegende Lebhaftigkeit, welche die Leute der lateinischen Race charakterisiert. Uebrigens waren doch die Meisten nicht unempfindlich gegen die gute Pflege und in ihren verwunderten Zügen sprach sich ihre Erkenntlichkeit aus. Einer von ihnen, von neunzehn Jahren, der mit etwa 40 seiner Landsleute in dem entferntesten Winkel der Kirche lag, hatte seit drei Tagen keine Nahrung erhalten; er hatte ein Auge verloren, lag in Fieberschauern, konnte nicht mehr sprechen und hatte kaum noch die Kraft, ein wenig Fleischbrühe zu sich zu nehmen; in Folge unserer Pflege wurde er wieder so weit hergestellt, daß man ihn im Laufe von 24 Stunden nach Brescia senden konnte. Er verließ uns nur ungerne, fast in schmerzlicher Bewegung; sein ihm bleibendes schönes blaues Auge sprach mit lebendigem Ausdrucke seine Dankbarkeit aus, und er drückte seine Lippen auf die Hände der barmherzigen Frauen von Castiglione. Ein anderer Gefangener, der im Fieber lag, erregte ganz besonders unsere Aufmerksamkeit; er war nur zwanzig Jahre alt und schon hatte sich sein Haar gebleicht; seine Kameraden und er selbst versicherten, daß dieser Wechsel am Tage der Schlacht eintrat*).

Wie viele junge Leute von 18-20 Jahren, welche aus den entlegenen Theilen Deutschlands oder den östlichen Provinzen des ausgedehnten östreichischen Kaiserreiches kamen, und viele von ihnen mit Gewalt herbeigeschleppt, mußten

*) Diese Thatsache, welche ich in einer Sißung der société d'Ethnographie von Paris erzählte, wurde in der Revue orientale et américaine (Januar 1850) von Herrn R. Cortambert in seinem bemerkenswerthen Artifel „De la chevelure chez les différents peuples" erwähnt,

außer den törperlichen Leiden und dem Grame über die Gefangenschaft noch den Haß erdulden, den die Mailänder gegen ihre Race, ihre Führer und ihren Regenten im Herzen trugen, und fanden erst wieder auf französischem Boden eine freundlichere Behandlung! Ihr armen Mütter in Deutschland, in Oestreich, in Ungarn und in Böhmen! wer sollte nicht an euer Bangen denken, sobald ihr vernahmet, daß eure verwundeten Söhne in diesem feindlichen Lande sich als Gefangene befanden! Allein da die Frauen von Castiglione sahen, daß ich keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten machte, ahmten sie meinem Beispiele nach, indem sie alle diese Leute von so verschiedener Abkunft und ihnen ja alle gleich fremd mit demselben Wohlwollen behandelten. „Tutti fratelli," sagten sie oft mit bewegter Stimme. Ehre diesen mitleidigen Frauen, diesen jungen Mädchen von Castiglione! Nichts hat sie zurückgeschreckt, nichts ihren Eifer geschwächt oder sie entmuthigt; und ihre bescheidene Hingebung war weder durch Beschwerden, noch durch den Widerwillen, noch endlich durch Opfer zu ermüden.

Das Gefühl, welches man über seine eigene Untüchtigkeit bei so außerordentlichen und ernsten Ereignissen fühlt, ist eine unnennbare Qual; es ist in der That ungemein peinlich, nicht immer die Leiden lindern zu können, welche wir vor unsern Augen haben, oder zu denen zu gelangen, welche unsere Hülfe erflehen, indem hier besonders manche Stunde vergieng, bis man dahin gelangte, wohin man wollte, hier aufgehalten von dem Einen, dort befragt von dem Andern, und auf jedem Schritte hingehalten von einer Menge Unglücklicher, die uns entgegenkamen und umringten; und dann, weßhalb sich auch links wenden, während rechts so Viele

waren, die ja sonst ohne freundliches Wort, ohne einen Trost, ohne nur ein Glas Wasser, um ihren heißen Durst zu lindern, sterben würden? Der Gedanke über die Wichtigkeit eines Menschenlebens, der Wunsch, die Martern von so vielen Unglücklichen ein wenig zu lindern, oder ihren Muth neu zu beleben, die angestrengte und unabläßige Thätigkeit, welche man sich in solchen Augenblicken zur Pflicht macht, verleihen eine stets wiederkehrende höhere Energie, welche gleichsam den Drang erzeugt, so vielen Menschen als nur immer möglich Hülfe zu leisten; man wird nicht mehr berührt von diesen tausend Gebilden eines großartigen Trauerspiels, man geht mit Gleichgültigkeit an den auf das Schrecklichste verunstalteten Leichnamen vorüber, man blickt fast kalt, so sehr auch die Feder sich sträubt sie zu beschreiben, auf Scenen, welche noch schrecklicher sind als die hier geschilderten*); allein es kommt öfters vor, daß das Herz plöglich erschüttert und von einer bitteren, unbesiegbaren Trauer befallen wird bei dem Anblicke eines einzelnen Falles, einer isolirten Handlung, einer unerwarteten Einzelheit, welche mehr auf das Gefühl wirkt, unser Mit

*) Da ich erst nach mehr als 3 Jahren mich entschlossen habe, diese peinlichen Erinnerungen zusammenzustellen, die nicht für die Deffentlichkeit bestimmt waren, so wird man begreifen, daß sie bereits ein wenig verblaßt sind und außerdem noch in Beziehung auf die Schmerzens- und Verzweiflungsscenen, deren Zeuge ich war, nur in abgekürzter Form gegeben wurden. Allein wenn diese Blätter beitragen könnten zur Entwicklung und Neifung der Frage über die den verwundeten Soldaten im Kriege zu leistende Hülfe und über die gleich nach einem Gefechte ihnen zu widmende Pflege, und wenn sie die Aufmerksamkeit der Freunde der Humanität und Philanthropie auf sich ziehen sollten, oder mit einem Worte, wenn die Beschäftigung und das Studium über einen so wichtigen Gegenstand durch Erlangung von Fortschritten einen Zustand bessern könnten, der nie genug, und selbst in den bestorganisirten Armeen, in's Auge gefaßt werden kann, so würde ich im vollsten Maße mein Ziel erreicht glauben.

gefühl lebendiger weckt, und die zartesten Fibern unseres Wesens ergreift.

Für den in das tägliche Feldleben eintretenden Soldaten erwacht die Erinnerung an die Familie und an die Heimath nie mit stärkerer Kraft, als nach großen Strapagen und den Aufregungen, welche er während und nach einer Schlacht wie die von Solferino haben mußte. Dieses Ge= fühl wurde auf das Lebhafteste geschildert in den rührenden Worten eines braven französischen Offiziers, der von Volta aus an seinen in Frankreich gebliebenen Bruder u. A. folgendes schrieb: „Du kannst dir nicht vorstellen, wie er= griffen der Soldat ist, wenn er den Wagenmeister, der mit der Abgabe der Briefschaften an die Armee betraut ist, herankommen sieht; er bringt uns, siehst du wohl, Neuigkeiten aus Frankreich, aus der Heimath, von unseren Eltern, von unseren Freunden! Jeder horcht auf, sieht nach ihm hin, und streckt seine begierigen Hände nach ihm aus. Die glücklichen, das heißt die, welche einen Brief erhalten, öffnen ihn schnell, und scheinen ihn zu verschlingen; die anderen, die gleichsam Enterbten, entfernen sich mit gepreßtem Herzen, und gehen auf die Seite, um an die zu denken, welche

dahcim geblieben sind. Manchmal wird ein Name gerufen, auf den keine Antwort erfolgt. Man schaut sich an, man befragt sich, man wartet. Todt! murmelt eine Stimme, und der Wagenmeister steckt wieder seinen Brief ein, der, ohne erbrochen zu werden, an die zurückgeschickt wird, welche ihn geschrieben haben. Die sind wohl recht fröhlich gewesen und haben sich gesagt: Wie zufrieden wird er sein, wenn er den Brief erhält! Und wenn der Brief nun zurückkommt, so wird der Gram ihr armes Herz brechen."

Die Straßen von Castiglione waren nun ruhiger gewor den, die Todten und die Weitertransportirten hatten Plag gemacht, und wenn auch wieder neue Wagen mit Verwundeten ankamen, so wurde doch nach und nach die Ordnung wieder hergestellt, und die Verpflegung ging ihren regelmäßigeren Gang; denn die Ueberfüllung war nicht die Folge einer schlechten Organisation oder der nicht hinreichenden Voraussicht der Verwaltung, sondern sie kam nur von der ungeheuren und unerwarteten Menge von Verwundeten und der verhältnißmäßig zu geringen Zahl von Aerzten, Dienern und Krankenwärtern. Die Transporte von Castiglione nach Brescia waren jezt mehr geordnet, sie bestanden theils aus Ambulanzwagen, theils aus gewöhnlichen, von Ochsen ge= zogenen Karren, welche langsam, ja sehr langsam unter dieser glühenden Sonne vom Flecke kamen, auf einer so staubigen Straße, daß der Fußgänger fast bis zum Knöchel in diese bewegliche Masse eindrang. Obgleich die sehr unbequemen Fuhrwerke mit Baumzweigen bedeckt worden waren, so drang doch die Gluth des Feuerhimmels fast mit ihrer ganzen Kraft bis zu den mehr oder minder übereinander aufgeschichteten Verwundeten. Man mag sich somit die Qualen dieser langen Fahrt vorstellen! Ein freundliches Kopfnicken, wenn man bei diesen Unglücklichen vorüberkam, schien ihnen wirklich wohl zu thun, und sie erwiederten alsobald und mit dem Ausdrucke der Dankbarkeit diese Begrüßung. In allen Ortschaften längs der Straße nach Brescia saßen die Dorfbewohnerinnen vor ihren Thüren und rupften schweigend Charpie; sobald ein Transport Verwundeter ankam, stiegen sie auf die Wägen, wechselten die Umschläge, wuschen die Wunden aus, und legten wieder in frischem Wasser befeuchtete Char

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