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guße zu waschen, warme Aufschläge anzulegen, und die Verbände öfter zu wechseln. Während dessen hatte sich unser Hülfscorps durch neue Mitglieder rekrutirt: ein alter Marineoffizier und dann zwei englische Touristen kamen aus Neugierde in die Kirche und wurden von uns fast mit Gewalt zurückgehalten; zwei andere Engländer drückten gleich Anfangs den Wunsch aus, uns beistehen zu können und theilten besonders den Oestreichern Cigarren aus. Außerdem leisteten uns noch ein italienischer Abbé, drei oder vier neugierige Neisende, ein Journalist von. Paris, der später die Direktion der Hülfeleistung in einer benachbarten Kirche übernahm, und endlich einige Offiziere der in Castiglione verbleibenden Militär- Abtheilung bei dieser Krankenpflege Beistand. Einer dieser Offiziere wurde jedoch bald nachher in Folge des ergreifenden Eindruckes krank, und unsere andern freiwilligen Krankenwärter zogen sich ebenfalls nach und nach zurück, weil auch sie den Anblick aller dieser Leiden, die sie nur so wenig zu lindern im Stande waren, nicht ertragen konnten; auch der Abbé folgte ihrem Beispiele, allein er kam dann wieder, um uns in zarter Aufmerksamkeit aromatische Kräuter und Flacons mit Salzen unter die Nase zu halten. Ein junger französischer Tourist, dem der Anblick dieser menschlichen Ueberreste die Brust beengte, brach plößlich in Thränen aus; ein Geschäftsmann aus Neuenburg verband während zwei Tagen die Verwundeten, und schrieb für die Sterbenden die letzten Briefe an ihre Familien; man war selbst aus Rücksicht für ihn gezwungen, seinem Eifer Einhalt zu thun, so wie auch die mitleidige Aufregung eines Belgiers zu mäßigen, die einen solchen Grad erreichte, daß man für ihn ein hißiges Fieber fürchtete, ähnlich wie es sich mit

einem Unterlieutenant ereignete, der von Mailand kam, um sein Corps zu erreichen, und neben uns von Fieberschauern überfallen wurde. Einige Soldaten der in der Stadt gelassenen Truppenabtheilung waren ebenfalls zur Hülfeleistung bei ihren Kameraden bereit, allein auch sie waren nicht im Stande, einen Anblick auszuhalten, der ihren moralischen Muth niederbeugte, und so sehr ihre Einbildungskraft erregte. Ein Geniekorporal, der, bei Magenta blessirt, kaum wieder hergestellt zu seinem Bataillone zurückkehrte, und dessen Laufpaß ihm einige Tage Aufenthalt gestattete, be= gleitete uns zu den Verwundeten und leistete uns Hülfe, obgleich er zweimal nach einander ohnmächtig wurde. Der nun in Castiglione sich niederlassende Intendant gestattete endlich, daß die sich besser befindenden Gefangenen, sowie drei östreichische Aerzte, einem jungen korsischen ärztlichen Gehülfen, der mich zu verschiedenen Malen um einen Ausweis über seinen Eifer ersuchte, Beistand leisten durften. Ein deutscher Chirurg, welcher absichtlich auf dem Schlachtfelde geblieben war, um seine verwundeten Landsleute zu verbinden, that dies auch für die der feindlichen Armee; die Militärverwaltung erlaubte ihm nach drei Tagen, aus Erkenntlichkeit für diese Leistungen zu seinen Landsleuten nach Mantua zurückzukehren.

„Lassen Sie mich nicht sterben!" riefen einige dieser Unglücklichen, indem sie noch mit letter Kraftanstrengung meine Hand faßten, aber dann todt zusammensanken, sobald diese schwache Stüße ihnen entzogen ward. Ein junger, etwa 20jähriger Korporal mit fanften und ausdrucksvollen Zügen, Namens Claudius Mazuet, war von einer Kugel in die linke Seite getroffen, sein Zustand war hoffnungslos, und

er sah es selbst ein; nachdem ich ihm zu trinken gegeben hatte, dankte er mir und seßte dann mit Thränen in den Augen hinzu: „Ach! mein Herr, wenn Sie doch an meinen Vater schreiben könnten, damit er meine Mutter tröstet!" Ich schrieb mir die Adresse seiner Eltern auf und wenige Augenblicke nachher hatte er aufgehört zu leben*). Ein alter Sergeant mit mehreren Schnüren am Arme sagte mir mit tiefer Trauer und mit kalter Bitterkeit: „Wenn man mich früher gepflegt hätte, so würde ich am Leben geblieben sein, indessen ich so schon diesen Abend todt sein werde!" Und am Abende war er todt.

"Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben!" schrie mit wilder Entschlossenheit ein Grenadier der Garde, der noch vor drei Tagen kräftig und gesund gewesen, jetzt aber tödtlich verwundet war und fühlend, daß seine letzte Stunde unwiderruflich gekommen sei, gegen diese dunkle Gewißheit sich sträubte; ich sprach mit ihm, er hörte mich an, und dieser nun besänftigte, beruhigte und getröstete Mann war endlich mit der Einfachheit und Treuherzigkeit eines Kindes zum Tode gefaßt. Da unten in der Ecke der Kirche, links in der Vertiefung des Altars lag ein afrikanischer Jäger auf Stroh; drei Kugeln hatten ihn getroffen, eine in der linken Seite, eine andere in der rechten Schulter und die dritte blieb im rechten Beine stecken; es war Sonntag Abends, und er versicherte mich, seit Freitag Morgens nichts genossen

*) Die Eltern, welche rue d'Alger Nro. 3 in Lyon wohnten und deren einziger Sohn dieser als Freiwilliger in die Armee getretene junge Mann war, erhielten keine andere Nachricht von ihrem Sohne, als den Brief von mir; er würde ohne mich wahrscheinlich, wie viele Andere, als „verschwunden“ in die Listen eingetragen worden sein.

zu haben. Er war wirklich eckelerregend anzuschauen, der Koth war auf ihm getrocknet und mit Blutklämpchen untermischt, seine Kleidung zerrissen und sein Hemd zerfeßt; nachdem ich seine Wunden gewaschen, ihm ein wenig Fleischbrühe gegeben, und ihn dann in eine Decke eingewickelt hatte, führte er meine Hand mit einem Ausdrucke unaussprechlicher Dankbarkeit an die Lippen. Am Eingange der Kirche befand sich ein Ungar, der unaufhörlich schrie und auf italienisch mit durchdringender Stimme nach einem Arzte_ver= langte; seine Lenden waren von Kartätschstücken wie mit eisernen Hacken zerrissen, das rothe zuckende Fleisch sah dar= aus hervor, der übrige Theil des Körpers war aufgeschwollen und bleifarben, er wußte nicht, wie er sich niederlegen oder sehen sollte; ich tauchte etliche Flocken Charpie in Wasser und suchte ihm damit eine Art Lagerstätte zu machen, allein der Brand wird ihn unzweifelhaft hinweggerafft haben. Etwas davon entfernt lag ein Zuave, der heiße Thränen weinte, und den man wie ein Kind trösten mußte; die vorhergehenden Strapaßen, der Mangel an Nahrung und Ruhe, die krankhafte Aufregung und die Furcht, ohne Hülfe zu sterben, verursachten selbst bei diesem wackern Soldaten eine nervöse Gefühlsaufregung, die sich durch Klagen und Weinen Luft machte. Das Gefühl, welches bei diesen Verwundeten am Meisten sich geltend machte, wenn sie nicht durch Leiden zu sehr in Anspruch genommen waren, war die Erinnerung an ihre Mutter und die Vorstellung ihres Grames, wenn sie Nachricht von ihrem Schicksale erhalten würde; man fand an dem Halse eines todten jungen Mannes das Bildniß einer älteren Frau, ohne Zweifel seiner Mutter, mit seiner linken Hand schien er es an sein Herz zu drücken.

Hier an der Mauer lagen etwa hundert französische Soldaten und Unteroffiziere in ihre Decken gehüllt in zwei parallelen Reihen, zwischen denen man durchgehen konnte; sie waren Alle verbunden, die Vertheilung der Suppe hatte stattgefunden, sie lagen ruhig und zufrieden da, und folg= ten mir mit den Augen; all' diese Köpfe wendeten sich nach rechts, wenn ich nach rechts gieng, nach links, wenn ich nach links mich wendete. „Man sieht wohl, daß es ein Pariser*) ist," sagten die Einen. „Nein“, antworteten Andere, „er scheint mir aus dem Süden zu sein." „Nicht wahr, mein Herr, Sie sind von Bordeaux?" fragte mich ein dritter, und Jeder wollte, daß ich aus seiner Provinz oder aus seiner Stadt sei. Die Resignation, welche diese einfachen Liniensoldaten an den Tag legten, verdient wirklich der Erwähnung und der Anerkennung. Was war auch jeder Einzelne von ihnen in dieser großartigen Zerrüttung? Sehr wenig. Sie litten oft, ohne sich zu beklagen, und starben in Bescheidenheit, ohne daß man weiter ihrer erwähnte.

Die östreichischen Verwundeten und Gefangenen troßten nur selten den Siegern; dennoch weigerten sich einige gegen die Pflege, der sie mißtrauten, rissen ihre Verbände weg und ließen ihre Wunden verbluten. Ein Croate, dem man eine Kugel auszog, nahm diese und warf sie dem Chirurgen an den Kopf; andere blieben still, finster und gleichgültig;

*) Ich hatte die Genugthuung, im Laufe des letzten Jahres in Paris, und namentlich in der Rivolistraße, amputirte Militärs und Invaliden zu finden, welche, als sie mich erkannten, auf mich zukamen und mir ihre Dankbarkeit zu erkennen gaben für die ihnen in Castiglione gewidmete Pflege. „Wir nannten Sie den weißen Herrn," sagte mir einer von ihnen, „weil Sie ganz in Weiß gekleidet waren; es machte auch nicht übel warm da!"

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