Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

lien gekommen war, um den Verwundeten beizustehen. Ich war so glücklich, die Abreise dieses edeln Philanthropen nach Brescia zu erleichtern; denn während der ersten Hälfte des Juli war die Unordnung und der Zudrang an dem Bahnhofe der Porta Tosa, wohin ich ihn begleitete, so groß, daß man nur mit ungeheurer Schwierigkeit bis zu den Waggons gelangen konnte. Troß seines Alters, seiner Stellung und dem öffentlichen Charakter, den er begleitete (denn er war, wenn ich mich nicht irre, von der französischen Verwaltung mit einer mildthätigen Mission betraut worden), gelang es ihm dennoch nicht, einen Plaß in dem Zuge zu finden, mit dem er abreisen sollte. Dieser kleine Vorfall möge zum Beweise dienen, welche Menschenmenge die Zugänge zu dem Bahnhofe und den Bahnhof selbst umdrängte.

Ein anderer, fast tauber Franzose war ebenfalls 200 Meilen weit hergekommen, um seine Landsleute zu pflegen; als er jedoch in Mailand die östreichischen Verwundeten so sehr verlassen sah, widmete er sich ausschließlich der Sorge für sie und suchte mit allen Kräften ihnen so viel Gutes als möglich zu thun, für all' das Böse, welches ihm 45 Jahre vorher ein östreichischer Offizier zugefügt hatte. Im Jahre 1814 nämlich, als die Armeecorps der heiligen Allianz Frankreich überschwemmten, wurde dieser Offizier bei den Eltern des Franzosen einquartirt, der, noch ganz jung zu jener Zeit, an einer Krankheit darniederlag, welche dem fremden Krieger ein Gegenstand des Eckels war; der Lettere ließ deßhalb, ohne daß man ihn daran hätte hindern können, das Kind zur Thüre und zum Hause hinauswerfen, und dieses wurde in Folge der brutalen Handlungsweise von einer Taubheit befallen, an welcher es sein ganzes Leben lang litt.

[ocr errors]

In einem der Spitäler von Mailand wurde ein Sergeant der Zuaven der Garde mit stolzem und energischem Antlige, dem man ein Bein abgenommen hatte, ohne daß er während der Operation einen einzigen Klageruf laut werden ließ, von einer tiefen Trauer befallen, obgleich sein Zustand sich besserte und die Heilung merkliche Fortschritte machte. Diese täglich zunehmende Trauer war deßhalb unerklärlich. Eine barmherzige Schwester, welche selbst Thränen in seinen Augen bemerkt hatte, seßte ihm mit Fragen so lange zu, bis er ihr endlich eingestand, daß er die einzige Stüße seiner betagten und kränklichen Mutter sei, welcher er, so lange er noch wohlauf gewesen, alle Monate 5 Franken, die er sich von seinem Solde ersparte, zugesen= det hatte; er befinde sich nun in der Unmöglichkeit, sie zu unterstüßen, und sie müsse wohl recht in Geldnöthen sein, da er ihr diese kleine Rente nicht habe schicken können. Die von Mitgefühl gerührte barmherzige Schwester gab ihm hierauf einen Fünffrankenthaler, welcher sogleich nach Frankreich geschickt wurde; als die Gräfin T.***, welche sich für diesen wackern und würdigen Soldaten interessirte, und der man die Ursache seiner Trauer mitgetheilt hatte, ihm eine kleine Summe für sich und seine Mutter geben wollte, weigerte er sich, sie anzunehmen und sagte ihr nach herzlichen Dankesworten: „Behalten Sie dieses Geld für Andere, die es nothwendiger brauchen, als ich, denn was meine Mutter betrifft, so hoffe ich, ihr den nächsten Monat ihre Pension schicken zu können, da ich nun wohl bald arbeiten kann." Eine der angeseheneren Damen Mailands, die einen geschichtlich bekannten Namen trägt, hatte einen ihrer Palläste mit 150 Betten für die Verwundeten zur Verfügung gestellt.

Unter den in diesem prachtvollen Gebäude untergebrachten Soldaten befand sich auch ein Grenadier des 70. Negimentes, der nach überstandener Amputation in Todesgefahr war. Die Dame, welche den Verwundeten zu trösten suchte, lenkte auch das Gespräch auf seine Familie, und der Soldat erzählte ihr endlich, daß er der einzige Sohn von Bauern in dem Gers-Departement sei, daß er keinen andern Kummer habe, als sie im Elende lassen zu müssen, indem er allein sie habe unterstützen können; es wäre ein großer Trost für ihn," sezte er hinzu, „wenn er noch vor seinem Tode seine Mutter umarmen könnte." Die Dame entschloß sich plößlich, ohne ihm etwas davon zu sagen, von Mailand abzureisen, fuhr mit der Eisenbahn nach dem Gers-Departement zu der Familie, deren Adresse sie sich von dem Soldaten hatte geben lassen, nahm dessen Mutter mit sich, nachdem sie dem kränklichen Vater 2000 Fr. zurückgelassen hatte, und brachte nun die arme Bäuerin mit nach Mailand, wo 6 Tage nach jener Unterredung der Grenadier weinend und seine Wohlthäterin segnend seine Mutter umarmte.

Aber weßhalb haben wir hier so viele schmerzliche und ergreifende Auftritte geschildert und vielleicht so manche peinliche Gefühle geweckt? Weßhalb mit Vorliebe gerade solche erschütternde Gemälde mit einer fast gesuchten Ausführlichkeit vor den Augen der Leser aufgerollt?

Auf diese so natürliche Frage sei es uns erlaubt, mit einer andern Frage zu antworten :

Wäre es nicht möglich, freiwillige Hülfsgesellschaf= ten zu gründen, deren Zweck ist, die Verwundeten in Kriegszeiten zu pflegen oder pflegen zu lassen?!

Da man wohl verzichten muß auf die Wünsche und Hoffnungen der Mitglieder der Gesellschaft der Friedensfreunde oder auf die Traumgebilde des Abbé von Saint Pierre und die Inspirationen des Grafen von Sellon; da die Menschen fortfahren, sich gegenseitig zu tödten, ohne sich zu haffen, und da der größte Nuhm im Kriege darin besteht, so viele Menschen als möglich zu tödten; da man offen erklärt, wie Graf Joseph de Maistre versichert, daß „der Krieg etwas Göttliches sei;“ da man täglich mit einer Beharrlichkeit, die eines besseren Zieles werth wäre, immer schrecklichere Zerstörungsmittel als die bisherigen erfindet, und die Erfinder dieser Mordwerkzeuge von den meisten europäischen Großstaaten, in denen man sich immer mehr rüstet, noch begünstigt werden; weßhalb sollte man nicht die Zeit der momentanen Nuhe und Friedensstille benutzen, um eine Frage von so hoher Wichtigkeit, sowohl vom Standpunkte der Menschlichkeit, als von dem des Christenthums zu entscheiden?

Sobald einmal dieser Gegenstand einem Jeden zum Nachdenken unterbreitet wird, so wird dies nicht ermangeln, ohne Zweifel auch Betrachtungen und Schriften von ge= wandteren und competenteren Personen hervorzurufen; allein sollte nicht alsogleich ein solcher, den verschiedenen Zweigen der großen europäischen Familie zur Beurtheilung übergebener Gedanke schon jezt die Sympathien und die Aufmerksamkeit aller Jener beschäftigen, welche ein Gefühl für die Leiden ihrer Mitmenschen im Herzen tragen?

Die Gesellschaften dieser Art würden, einmal constituirt und permanent eingefeßt, während den Zeiten des Friedens

wohl keine bestimmte Thätigkeit haben *), allein sie wären dann für den Fall eines Krieges vollständig organisirt; sie sollten auf alle Fälle in den Ländern, in denen sie bestehen, auf das Wohlwollen der Landesfürsten zählen können und bei Kriegsfällen von den Monarchen der kriegführenden Mächte die nöthige Erlaubniß erhalten und alle möglichen Erleichterungen finden, um ihre Aufgabe nach Kräften erfüllen zu können. Diese Gesellschaften sollten deßhalb in Bezug auf ihre innere Organisation in jedem Lande als Mitglieder des leitenden oberen Comité's Männer in sich aufnehmen, welche durch ihre achtungswerthen Eigenschaften allgemein geschätzt sind. Die Comité's hätten dann einen Aufruf ergehen zu lassen an alle Personen, welche, von den Gefühlen der wahren Philanthropie durchdrungen, in dem geeigneten Augenblicke ́bereit wären, sich dieser Aufgabe zu widmen, und diese Aufgabe würde bestehen: 1) in Uebereinstimmung mit den Militairverwaltungen, d. H. mit ihrer Unterstützung und im Nothfalle unter ihrer Leitung, die nöthige Hülfe und Pflege auf dem Schlachtfelde selbst während des Gefechtes den Verwundeten angedeihen zu lassen; alsdann 2) diese Pflege der Verwundeten bis zu ihrer vollständigen Wiederherstellung in den Spitälern fortzusetzen. Eine so ganz natürliche Hingebung findet sich weit häufiger, als man glaubt, und manche Personen, wenn sie einmal sicher sind, nüßlich sein zu können, und überzeugt, durch die

*) Diese Gesellschaften könnten übrigens selbst bei epidemischen Krankheiten oder bei Unglücksfällen, wie Ueberschwemmungen und Feuersbrünsten, große Dienste leisten; der philanthropische Zweck, aus dem sie hervorgegangen wären, ließe sie überhaupt bei allen Gelegenheiten wirksam sein, wo ihre Thätigkeit Nutzen bringen könnte.

18

« ZurückWeiter »