Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Aus einer Bemerkung des Thomas Nash zu Green's Arcadia scheint zu folgen, dass schon vor 1589 eine dramatische Bearbeitung der Hamletsage erschienen war;*) es ist nicht gewiss, ob sie von Shakspeare herrührte oder nicht; Malone meint das letztere. In diesem Falle darf man wohl annehmen, dass unser Dichter den Stoff zu seinem Drama theils aus der Novelle von Belleforest, theils aus dieser früheren Bearbeitung geschöpft habe, aber nicht aus Saxo Grammaticus; denn der dramatische Bearbeiter hat sich einige Abweichungen von seinem Vorgänger erlaubt, wovon sich ebenfalls Anklänge in unserer Tragödie finden. Die Sage und Belleforest lassen den Höfling sich unter einer auf dem Fussboden ausgebreiteten Decke verstecken, auf der Amleth herumspringt; die englische Bearbeitung hat dafür die Tapete eingeführt; auch lässt diese den Amleth, gerade wie im Shakspeare'schen Drama, ausrufen: 'a rat! a rat!' wovon sich in den übrigen Erzählungen Nichts findet. Bei Belleforest soll die Geruthe schon vor dem Tode ihres Gatten ein strafbares Verhältniss mit Fengo unterhalten haben; Saxo Grammaticus erwähnt eines solchen nicht, aber im Shakspeare'schen Drama findet es sich wieder zwischen Claudius und Gertrud, der Gattin des gemordeten Königs. Es gab auch eine ziemlich unbeholfene Uebersetzung der Erzählung nach Belleforest; es bat sich aber nicht feststellen lassen, ob sie zu Shakspeare's Zeit schon existirt hat oder nicht.

Aus verschiedenen Gründen wird ziemlich allgemein angenommen, dass Shakspeare's erste Bearbeitung der Tragödie ins Jabr 1597 falle. So führt Chalmers sie im Jahr 1598 als etwas Bekanntes an; er muss sie also in dem genannten Jahr schon haben aufführen sehen. Diese erste Bearbeitung war nur für das Globe-Theater, aber nicht zum Drucke bestimmt. Die erste Quartausgabe von 1603 dürfte treu diese erste Bearbeitung wieder geben. Die Quart von 1604 ist die Frucht einer neuen Bearbeitung der Ausgabe von 1603, die späteren Quarts sind wohl blosse Abdrücke, die mit geringer Sorgfalt angefertigt, aber schwerlich vom Dichter geleitet worden sind. Manche halten die erste Quart für ein Plagiat, indem sie vermuthen, der Text sei im Theater zum Zweck einer buchhändlerischen Speculation nachgeschrieben worden. Da aber diese erste Ausgabe, gegen die anderen Drucke gehalten, Abweichungen aufweist, die durch ein noch so sorgloses Nachschreiben nie entstanden wären, so ist es höchst wahrscheinlich, dass dieser erste Druck die erste Bearbeitung der Tragödie, und nicht eine Nach

*) Zur Zeit freilich ist nur noch eine Ausgabe einer solchen Bearbeitung vom Jahr 1608 aufzufinden.

schrift sei. Dessenungeachtet mag doch der Druck der einen wie der anderen Ausgabe ohne Mitwirkung des Dichters zu Stande gebracht worden sein; denn allem Anschein nach war er selbst unbekümmert um die Vervielfältigung seiner Werke, und wenn er auch ein Stück noch einmal überarbeitete, so geschah das, wie es scheint, lediglich für die Aufführung auf der Bühne.

1

Der Hamlettragödie hat Shakspeare die oben erzählte Amlethsage zu Grunde gelegt, hat aber den vorgefundenen rohen Stoff durch die geniale Bearbeitung zu einem Kunstwerk ersten Ranges umgeschaffen. Dass ein Dichter, wie Shakspeare, sich nicht ängstlich an einen solchen Stoff hält, versteht sich von selbst und müssen wir ihm Dank wissen; nur ein freies Walten des dichterischen Geistes mit dem Gegebenen konnte ein Werk liefern, das, wie Gervinus sagt,,,jedes andere seiner Dramen übertrifft." Zunächst ist der Stoff in eine spätere, dem Zeitalter des Dichters selbst nähere Zeit verlegt, wo alle Lebenserscheinungen gegen die Zeit der Sage gehoben und verfeinert sind.. Zwar bleibt sich der Dichter hierin nicht ganz treu, sofern er einerseits englische Theaterverhältnisse vorbringt, wie sie zu Shakspeare's eigener Lebenszeit stattgefunden haben, dann aber auch wieder den Dänenkönig vom tributpflichtigen England und von der noch frischen Wunde, die das dänische Schwert ihm beigebracht, sprechen lässt. Indessen ist doch das ganze Colorit des Stückes fast durchweg der Art, dass man immer wieder an das England des 16. Jahrhunderts erinnert wird; denn wenn auch die Scene nach Dänemark verlegt ist, sofern ja die Amlethsage eine dänische ist, stimmt doch Alles, was nur irgend an Zeit- und Volksgebräuche erinnert, mit den damaligen englischen Zuständen überein. Das Stück selbst liefert dem aufmerksamen Leser unzählige Belege hiezu.

Uebersieht man das Ganze unseres Dramas, so möchte man meinen, der Dichter habe die Veranlassung, diesen Stoff zu bearbeiten, aus dem Umstande genommen, dass er seinen Helden hier eine Fluth von melancholischen Herzensergüssen machen lassen konnte, die des Dichters eigener Stimmung entsprachen; denn wenn man Shakspeare's Lebensverhältnisse sich. ins Gedächtniss ruft und den daraus sich ergebenden Gemüthszustand mit dem Hamlet's vergleicht, so wird deutlich werden, dass der Dichter seinen Helden eigentlich aus seiner eigenen Brust reden lässt.

Shakspeare war Theaterdichter, Schauspieler und selbst Actionär des Globe-Theaters in London. Das Theater war aber eine für Alle, die auf Anstand und gute Sitte Anspruch machten, geächtete Anstalt; die öffentliche Meinung war dem Theater

entgegen; es wurde grösstentheils nur von jungen Männern des hohen Adels und ausser diesen vom niedrigsten Volkshaufen besucht; Männer, die auf ihren guten Ruf Etwas hielten, besuchten selten das Theater, anständige Frauen gar nicht; solche, die der Neugierde nicht widerstehen konnten, mit Masken; die Gemeindebehörden der City of London thaten Alles, was sie nur vermochten, den Schauspielern ihren Beruf zu erschweren ; die königlichen Behörden wurden von den städtischen mit Petitionen um Beschränkung und Aufhebung der Theater bestürmt. Bei der strengen englischen Sonntagsheiligung durfte nur in der Woche gespielt werden, und dann auch nur bei Tage, wo die Mehrzahl der Leute, welche einer regelmässigen Beschäftigung nachzugehen hatten, am Besuche verhindert waren. das Drängen des Stadtraths wurde sogar eine Verordnung erlassen, durch welche die Theater ganz aus der City in die Vorstädte gedrängt wurden; da sie lange keine bleibende Stätte fanden, so waren sie auf's Herumziehen angewiesen. Aus diesem Allem lässt sich schon schliessen, dass der Stand der Schauspieler ein verachteter Stand war. Dies drückte Shakspeare im höchsten Grade nieder und er machte seinem Unmuthe in mehreren seiner an den Grafen Southhampton gerichteten Sonette Luft. Z. B. S. 60 in der Bodenstedt'schen Uebersetzung:

Lass mich's gestehn: das Schicksal trennt uns hier,
Ob auch untheilbar unsere Herzen schlagen,

Drum ohne Deine Hülfe, fern von Dir

Will ich den Makel meines Standes tragen.

Nicht überall darf ich mich zu Dir kehren,
Weil meine vielbeweinte Schmach mich hindert,
Noch darfst Du so vor aller Welt mich ehren,
Weil sonst sich Deines Namens Ehre mindert.
Drum thu' es nicht denn wie Du gänzlich mein
In Liebe bist, soll es Dein Ruf auch sein!

[ocr errors]

Aehnliche Stellen liessen sich aus den Sonetten noch mehrere herausheben. Shakspeare war offenbar missmuthig und verstimmt, ganz dazu aufgelegt, einen Charakter zu schildern, der, wenn auch aus anderen Gründen, in gleicher Gemüthsverfassung war. Der Amleth der Sage erscheint, nach der Erzählung, nun gerade in solcher Stimmung nicht zu sein; aber er sagte doch mancherlei Dinge, die für einen Blödsinnigen zum Verwundern klug klingen. Der schöpferische Geist des Dichters scheint sich daher aus der Person des Amleth ein Wesen zurechtgelegt zu haben, das ihm als Mittelsperson zwi

schen seinem gedrückten Herzen und dem Publikum dienen. sollte, um so seiner Klage Ausdruck zu geben, da die Sonette zur Zeit der Abfassung des Hamlet noch nicht gedruckt, ja vielleicht noch nicht einmal geschrieben waren. In dem Charakter des Hamlet müssen wir also den Dichter selbst erblicken, schwermüthig, sinnig, witzig und beissend, weil mit der Welt zerfallen.

Diese ganze Anlage zeigt denn Hamlet auch gleich bei dem ersten Auftreten dem Stiefvater und der Mutter gegenüber. Er trägt noch Trauerkleider um den gemordeten Vater, hat noch keine Ahnung, dass der Vater nicht eines natürlichen Todes gestorben, ist aber mehr als betrübt über die schnelle Heirath der Mutter mit einem Unwürdigen; ja, er nennt diese Heirath eine Blutschande, weil es in England einer Witwe nicht gestattet ist, den Bruder des verstorbenen Gatten zu heirathen. Hamlet ist von dieser einen Thatsache so ergriffen, dass ihm das Leben selbst verleidet, dass er auf Selbstmord sinnt, wenn nur nicht ein göttliches Gesetz ihn verböte. Dies ist die tiefe Melancholie, die der Dichter in Hamlet darstellt, die er von sich in den Sonetten ausspricht, namentlich auch da ausspricht, wo er an seine unglückliche Liebe denkt; aber, wie Shakspeare alle Gemüthsstimmungen mit übergrosser Deutlichkeit zeichnet, in energischen, derben Zügen darstellt, so auch hier. Die beissenden Sarkasmen, die Hamlet dem Könige zuwirft, kleidet er in Wortspiele, Shakspeare's Lieblingsform des Witzes, die in allen seinen Dramen unzähligemal wiederkehrt. Es lässt sich annehmen, dass diese Form des Witzes seinen Zuhörern am zugänglichsten, oder bei ihnen am meisten beliebt war.

Unser Dichter hat aber auch noch eine andere Seite, nämlich eine Fülle des Gemüths, die sich in so vielen Stellen seiner Werke ausspricht. Auch Hamlet's Charakter hat er reichlich damit ausgestattet. Seine unbegrenzte Verehrung des königlichen Vaters versetzt ihn bei der Kunde von seinem Tode in tiefe Trauer; die Nachricht von der Ermordung desselben bringt ihn ausser Fassung; zu seiner Mutter hatte er, vor ihrem Falle, eine echt kindliche Liebe, dié auch nach ihrer Verheirathung mit Claudius mitunter zu Tage tritt und selbst durch die Bitterkeiten hindurchblickt, die ihm ihre Schamlosigkeit abpresst. Der Dichter zeichnet Hamlet als über sein Zeitalter hinaus gebildet und verfeinert. Daher ist ihm denn auch die Ausführung des Auftrages, den er vom Geiste erhalten, zuwider; es tritt ein Kampf in seiner Seele ein zwischen Pflicht und Neigung. Er gelobt dem Geiste, ihn zu rächen an dem Mörder, denn Blutrache war ja zu jener Zeit des Ritterthums eine hei

'9

lige Pflicht des nächsten Erben; aber sein edleres Gefühl sträubt sich gegen die That. Das feurige Temperament lässt ihn das' Gebot mit der ganzen Kraft des Entschlusses übernehmen; die Liebe und Hochachtung für den gemordeten Vater machen ihm die Verpflichtung zur Rache nur um so dringlicher; das Geheimnissvolle der Erscheinung des Geistes, wodurch ihm die granenvolle Offenbarung geworden, stachelt Sinn und Geist des kernigen Jünglings zur Uebernahme einer That an, die nach den Begriffen der Zeit von ihm gethan werden muss, die er aber nach seinem sittlichen Gefühl nicht zu thun vermag.

Die Tragödie spielt an der Grenze zwischen dem Mittel alter und der neuen Zeit, wo neue Gedankensphären entstehen und zum Theil schon zur Entwickelung kommen. Hamlet ist ein Product der geläuterten Ideen der neuen Zeit. Er ist des halb kein Schwächling, und nichts weniger als furchtsam, denn er tritt keck und unerschrocken einem Geist aus dem Grabe in finsterer Mitternacht entgegen, vor dem selbst die nordischen Krieger erblassen. Aber er hat ein feiner gebildetes Wesen, höhere Kenntnisse als der gewöhnliche Schlag der Menschen seiner Zeit; er huldigt mehr der Herrschaft des Geistes als der der physischen Kraft. Nichts zeichnet ihn besser als der Gegensatz, in dem er zu dem edelmännischen Laertes stebt. Hamlet ist auf der Wittenberger Hochschule gebildet, ohne Zweifel der geistig fortgeschrittensten des Jahrhunderts, Laertes' hat sich seine Bildung aus Paris geholt, wo er allerdings in mittelalterlich cavaliermässigen Künsten und äusserem Prunk bessere Muster gefunden haben mag als Hamlet in dem unscheinbaren deutschen Wittenberg. Hamlet ist aber eine durchaus streng sittliche Natur, Laertes dagegen, wenn auch, nach den hochtrabenden Phrasen, die ihm zu Gebote stehen, ein Spiegel der Ritterlichkeit, im Grunde doch ein höchst unsittlieber Mensch, der der schlimmsten Streiche fähig ist.

[ocr errors]

Nach Goethe soll der Dichter im Hamlet sich die Aufgabe gestellt haben: ,,eine Seele zu zeichnen, auf die eine That gelegt sei, der sie sich nicht gewachsen fühlt." Weit entfernt, dieser Anschauung direct zu widersprechen, finde ich sie nur viel zu allgemein ausgedrückt. Denn die Unfähigkeit zur That könnte so ja, und man würde zuerst darauf verfallen, in Furcht, Schwäche, Muthlosigkeit, in einem Mangel an Thatkraft ú. m. dgl. bestehen, was doch Alles bei Hamlet nicht stattfindet. Nach der ganzen Anlage der Tragödie hat der Dichter eben nur den Conflict zwischen Pflicht und Neigung darstellen wollen, wie er ihn ja selbst durchzukämpfen genöthigt war. Sich ganz loswinden von den Begriffen der alten Zeit und der Ritterlichkeit kann Hamlet noch nicht, darum übernimmt er eifrig den

1

« ZurückWeiter »