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kannt und psychologisch vollkommen richtig gezeichnet. Wenn Hamlet sagt: „es giebt eine Gottheit, die unsere Ziele formt, entwerfen wir sie wie wir wollen", so kann er unmöglich noch selbstthätig in den Gang der Ereignisse eingreifen. So überholt ihn denn auch das Schicksal. Shakspeare lässt zwar in seinen Tragödien nicht leicht das Fatum walten; der Fall seiner Helden ist die Frucht ihrer eigenen Thaten. Hier aber, im Hamlet, macht er eine Ausnahme. Der Zufall ist Hamlet günstig bei der Verfälschung des königlichen Schreibens, weil er ein Siegel in der Tasche trägt; der Zufall führt ihn auf dänischen Boden zurück; aber eben so greift das Schicksal in die Handlung ein, wenn er mit Laertes die Rappiere verwechselt und so diesem den tödtlichen Stoss beibringt, und wenn die Königin aus dem vergifteten Becher den Tod trinkt. Beide haben durch ihr Thun den Tod verwirkt; aber die Katastrophe wird bei diesen durch das Schicksal herbeigeführt. Wenn Hamlet dann die neuen Frevel des Königs erfährt, die so viele Opfer gefordert, so ist es ganz natürlich, dass er endlich sich aufrafft und dem, der all den Greuel geschaffen, den Todesstoss versetzt. Es ist aber jetzt keine That des freien Willens mehr, er ist, durch das Schicksal gedrängt, auf den Punkt gebracht, das Aeusserste, vor dem ihm so lange graute, zu vollführen; er handelt nicht als freier Held, sondern als Diener der Schicksalsmächte, und fällt seiner Unentschlossenheit selbst zum Opfer.

Einige Worte dürften noch nöthig sein über Laertes und seine Schwester Ophelia. Wir haben den ersteren schon weiter oben als einen Cavalier der französischen Schule kennen lernen. Des Vaters Lehren der Lebensklugheit hat er treulich sich angeeignet; sein Katechismus der Sitte beschränkt sich demgemäss auf den engen Kreis des äusseren Anstandes. Dabei ist Laertes von hitziger, cholerischer Natur; in Allem geht ihm die Form über den Inhalt; daher denn im ruhigen Gespräch die zierlich gesetzte, bilderreiche Phrase, in der heftigen Erregung die bis ins Unglaubliche gesteigerten Hyperbeln. Shakspeare legt ihm einige der schönsten Bilder in den Mund. Dieser Laertes hört in Paris von dem gewaltsamen Tode seines Vaters. Sofort eilt er zur Stelle, um Rache zu nehmen an dem Mörder. Er kennt noch nicht einmal die näheren Umstände; er ist aber in heftigster Erregung und das stille Begräbniss der Leiche seines Vaters leitet seinen Verdacht der That zunächst auf den König. Er ist entschlossen, sofort sein Rachewerk in die Hand zu nehmen. Hier schon zeigt sich der Gegensatz zu Hamlet in auffallender Weise. Während dieser Alles streng geheim hält, was er über den Mord seines Vaters erfahren, erregt Laertes sofort

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einen Aufruhr. Der Eine hat sichere Bürgschaft, wer der Thäter sei, der Andere noch nicht eine entfernte Andeutung. Hamlet, der rechtmässige Thronerbe, thut Nichts für sein Recht; Laertes, der gar keine Ansprüche hat, wiegelt das Volk auf und lässt sich von ihm zum Könige ausrufen. Hamlet hat einen Vater verloren, der von seinem Volke geehrt und geliebt, ja, weit über die Grenzen seines Reiches hinaus hochgeachtet wurde; welch ein Unterschied zwischen ihm und dem kindisch gewordenen Polonius? Und Hamlet thut Nichts, den Vater zu rächen, obgleich er den Mörder jeden Tag, jede Stunde erfassen kann; Laertes dagegen will nicht mit sich spielen lassen, es soll kein Tropfen Bluts in seinen Adern ruhig bleiben, er verflucht die dem Könige schuldige Lehnspflicht, alle Gelübde, ja sein Gewissen in die tiefste Hölle, trotzt der Verdammniss, giebt Nichts für diese, Nichts für die künftige Welt, nur Rache fordert er; sie allein erfüllt seine Seele. Hamlet, der bei seiner Unentschlossenheit nicht mehr Herr der Situation bleibt, zieht Schuldige und Unschuldige ins Verderben; Laertes will, bei aller Heftigkeit, nur die Feinde seines Vaters vernichten, den Freunden seine Arme öffnen und sie, wie der lebenspendende Pelikan, mit seinem eigenen Blute nähren. Hamlet, der, wie alle Idealisten, seine Gefühle immer generalisirt, trägt den Hass, den er gegen Claudius empfindet, auf die ganze belebte und unbelebte Welt über, wie er denn auch die ganze Frauenwelt der Schwäche zeiht, weil seine Mutter ihn so bitter getäuscht. Laertes dagegen beschränkt seinen Groll auf den einen Schuldigen und kommt zum Ziele. Kurz, Laertes ist ein Mann der That, Hamlet ein Denker; wenn er sich selber anklagt, dass er den Vater noch nicht gerächt, beschuldigt er sich nicht, dass er nicht handeln, sondern dass er Nichts sagen könne. Laertes schreitet zur That; aber freilich, in richtiger Befolgung der Lehren seines Vaters, nicht auf ehrlichen, sondern auf krummen, versteckten Wegen, durch die er Ritterlichkeit und Ritterthum wie ein gemeiner Verbrecher beschimpft; darum muss er denn auch als Opfer seiner niedrigen Tücke fallen.

Ophelia, zur Zeit der Handlung kaum dem Kindesalter entwachsen, eine Jungfrau in erster Jugendblüthe, hatte vor dem Beginn unserer Tragödie in einem Liebesverhältniss mit Hamlet gestanden, dessen schon einmal Erwähnung geschehen. Vom Vater, dem weltklugen Polonius, der wohl weiss, welche Gefahren jungen Mädchen drohen, wird sie sorgfältig bewacht und behütet. Ophelia ist daher unerfahren und ihrem alten Vater gegenüber völlig willenlos. Polonius, der seine Tochter wahrscheinlich um jeden Preis im königlichen Purpur sehen wollte, spielt in Bezug auf das vertraute Verhältniss seiner Tochter

eine doppelte Rolle und nöthigt das Mädchen in seinem mehr als zweideutigen Spiele mitzuwirken. Sie muss Hamlet abweisen, ihm Geschenke und Briefe, die sie von ihm erhalten, zurückgeben. Die Scene, da Hamlet eben seinen grossen Monolog gehalten und dann Ophelia trifft, ist eine der rührendsten in dem ganzen Stücke. Eben mit den schwermüthigsten Gedanken beschäftigt, die ihn über Zeit und Ewigkeit wegtragen, sinnend, wie der Mensch der Leiden dieses Lebens ledig werden könne, und zu der Ueberzeugung gelangt, dass uns das Denken, das Reflectiren über die Folgen unserer Handlungen vom Handeln abhält, da bemerkt er Ophelia, das reizende Mädchen, das er einst geliebt, jetzt aber, da düstere Ereignisse seinen heiteren Sinn umflorten, aufgegeben und vernachlässigt hat, und es durchbebt ihn noch einmal das zarte Gefühl der Zuneigung. Auf des Polonius Befehl musste sie sich an diesen Ort begeben, damit Hamlet sie wie von ungefähr dort treffe, während der König und Polonius das Gespräch belauschten. Um sich das Ansehen frommer Uebung zu geben, soll sie auch in ein Gebetbuch blicken! zu solcher Comödie musste sich die arglose Jungfrau gebrauchen lassen. Mit einem Blicke durchschaut Hamlet die Absicht und ist verstimmt. Da nimmt er denn sofort den verstellten Wahnsinn an und begegnet dem lieblichen Wesen mit dem bittersten, beissendsten Hohn. Es wird hierdurch vollkommen erklärlich, warum er vor dem Schauspiele der Ophelia verschiedene anstössige Redensarten sagt; bitterer Hohn über die schnöde Verletzung des zartesten Gefühls drängen ihn unaufhaltsam dazu.

Im vierten Acte erscheint Ophelia als Wahnsinnige und es entsteht die Frage, wodurch sie in diesen beklagenswerthen Zustand versetzt wird. Ihr ist der Vater gemordet, von ihrem Geliebten gemordet, und dieser, ihrer Meinung nach, dem Wahnsinn verfallen. Ist hier wirklich Grund, um den Wahnsinn der Ophelia zu motiviren? Ueberall, wo das Mädchen auftritt, zeigt es sich lediglich passiv und von geringer Erregung. Wenn ihr der Bruder Hamlet's Liebe als eine blosse Tändelei vorstellt, nimmt sie es gelassen hin; wenn ihr der Vater jeden Verkehr mit Hamlet verbietet, verspricht sie willigen Gehorsam. Auf eine tiefgreifende Leidenschaft lässt sich bei ihr nirgends schliessen. Kaum scheint es möglich, ihren Wahnsinn durch diese Ereignisse zu rechtfertigen: denn am Ende ist es Naturregel, dass die Eltern vor den Kindern sterben, und wenn der gewaltsanie, unnatürliche Tod etwa als stärkerer Grund sollte angeführt werden können, so verkümmert denn doch das imbecile Wesen des Alten um Vieles den Eindruck, den sein Tod auf die Tochter sonst möglicher Weise hätte machen können. Wäre ihre Liebe

zu Hamlet irgendwo als eine tiefe und innige hervorgetreten, so könnte man diese, bei der sonderbaren Verwickelung der Umstände, als hinreichendes Motiv annehmen; bei Ophelia's Naturel ist es nicht wohl möglich. Einige Erklärer (z. B. Flathe) haben daher in Ophelia ein besonders starkes Streben nach dem Königsthrone angenommen; da durch die eingetretenen Umstände ihr die Hoffnung darauf genommen worden, so habe das ihren Geist zerrüttet. Es handelt sich also um Kummer wegen des Todten, Liebe oder Ehrgeiz. Da die geistige Störung so sehr von der ganzen Körperconstitution mit abhängt, Shakspeare uns aber die Ophelia nur in wenigen Zügen gezeichnet hat, so wird sich schwerlich über die ausreichende Begründung ihrer Krankheit entscheiden lassen. Haben wir uns, wie es fast scheint, Ophelia in einem noch so zarten Alter vorzustellen, wo die Pubertätsentwickelung noch gar nicht vollendet war, so sind die aufgeführten Gründe mehr als ausreichend, eine Geisteskrankheit hervorzurufen. War vielleicht Hamlet unvorsichtig genug, in der Seele des jungen Mädchens unzüchtige Bilder zu erregen, die ihre Phantasie lebhaft in Anspruch nahmen, so könnte dies allein schon den traurigen Ausgang bewirken. Dasselbe konnte bei Ophelia auch ohne Hamlet's Zuthun zu Stande kommen. Jedenfalls sind wir nicht berechtigt, dem Dichter in diesem Punkte Mangel an Motivirung vorzuwerfen, da man sich die Verhältnisse sehr verschieden vorstellen kann.

In ihrem Wahnsinn singt später die Ophelia allerlei Bruchstücke von alten Liedern und Balladen, in denen verschiedene Anspielungen auf den Tod ihres Vaters und auf den Geliebten vorkommen, letztere wiederholt mit indecenten Bildern. Man hat gefragt, wie kommt das Mädchen dazu, in diesen Liedchen Gedanken zu äussern, die eine Jungfrau nicht ohne Erröthen anhören, geschweige denn zu sprechen sich erlauben würde. Gervinus erklärt dies, ich glaube aber mit Unrecht, durch die Art von Hamlet's Verkehr mit ihr, wobei seine Unterhaltung oft schlüpfrig gewesen sein möge; dadurch sei ihre Einbildungskraft mit sinnlichen Bildern angesteckt und seien ihr liebevolle Begierden eingehaucht worden. Dies würde Hamlet's sowohl wie Ophelia's Sittlichkeit in ein bedenkliches Licht stellen. Da der Dichter über das Verhältniss der beiden Liebenden nach dieser Richtung hin durchaus keine Andeutung gegeben, so dürfen wir ihm nicht eine solche Annahme unterschieben, um so weniger, als sich die bezüglichen Thatsachen noch auf andere Weise erklären lassen. Ich nehme nämlich an, Ophelia habe in ihrer Kindheit von Ammen und Kinderwärterinnen viele solcher unzüchtigen Liedchen sich vorsingen hören, wie jede Sprache eine Menge solcher hat, die in den unteren

Classen von Mund zu Munde gehen; erinnern wir uns, wie Shakspeare die Amme Julien's im Romeo, wenn auch nicht in Versen, aber deshalb nicht weniger anstössig schwatzen lässt, so hat die Annahme nichts Auffallendes; Ophelia hat, als Kind, diese Reimschnitzel nachgelallt und nachgesungen, ohne ein Wort davon zu verstehen. In ihrer Geistesstörung machen sie sich nun ihrem Gedächtniss wieder bemerklich, wie der gesunde Mensch im hohen Alter eine viel treuere Erinnerung für Erlebnisse aus seiner Jugend hat, als für alle späteren. Ophelia mag lange Jahre an diese Dinge nicht mehr gedacht haben; im Wahnsinn kehren sie wieder und sie singt sie mit ebenso wenig Bewusstsein, als sie sie in frühester Kindheit gesungen. So etwa mag sich der Dichter die Sache vorgestellt haben, als er diese Liedchen in das Spiel einfügte; die Erklärung hat den grossen Vorzug, dass sie den reinen Sinn der Ophelia wahrt. Ueber den sittlichen Standpunkt des Mädchens sind die verschiedensten Ansichten laut geworden: manche englische Ausleger möchten nicht bloss diese geschlechtlichen Beziehungen ihrer Gedankensphäre entrücken, sondern sie wollen auch Nichts von dem Ehrgeize wissen; der sie nach dem Throne streben lässt; Andere wieder haben sie sogar in ihrem Verkehre mit Hamlet jene gefährliche Grenze überschreiten lassen, wo ein Mädchen Alles verliert, was sie noch auf Achtung Anspruch machen lässt. Was ihren tragischen Fall anlangt, so halte ich ihn für sehr schwer und kaum durch ihr Thun verschuldet, da die Verschuldung doch nur in der willfährigen Folgsamkeit gegen ihren Vater und in dem eben erwähnten Streben nach einer Ehre, die ihr nach ihrem Stande nicht zukommen konnte, gefunden werden kann. Im Uebrigen hat Shakspeare sie so rein und zart, man möchte sagen ätherisch gezeichnet, wie man sich nur eine schöne Mädchengestalt vorstellen kann. Die Scene, wo sie als Wahnsinnige erscheint, und wenn sie später die Blumen vertheilt, gehört zu den rührendsten, die in irgend einer dramatischen Arbeit vorkommen; aber ebenso hat noch die andere, wo die Königin von ihrem Tode erzählt, eine mächtig elegische Wirkung auf die Zuhörer. Die Ophelia gehört, wie Rosenkrantz und Guildenstern, wesentlich zu den Personen, die durch die Verkettung der Umstände, ohne eigene Verschuldung, mit in den Strudel des Verderbens hineingerissen werden. Man wird dem Dichter hierüber keinen Vorwurf machen, denn das Leben bringt solche Fälle in Menge unit sich, und es soll ja die Tragödie das wirkliche Leben darstellen; was dieses bietet, muss auch in dem Bilde des Lebens, in der dramatischen Darstellung, gestattet sein.

Auch dem Könige Claudius mögen noch einige Worte ge

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