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Auftrag vom Geiste und huldigt damit den Anschauungen der Vergangenheit, während das sittliche Princip, das er der Neuzeit verdankt, dagegen ankämpft.

Statt der vielen Erörterungen, zu denen der grosse Gedankenreichthum des Dramas Veranlassung giebt, will ich hier nur in der Kürze Einzelnes noch näher berühren. So kann die Frage aufgeworfen werden, warum sich denn Hamlet wahnsinnig stelle. Natürlich hat die zu Grunde gelegte Sage den Dichter veranlasst, seinen Helden den verstellten Wahnsinn annehmen zu lassen. Aber wie der ganze Hamlet eine andere Person darstellt als der ungeschlachte Amleth der Sage, so muss bei jenem auch der Grund zum Wahnsinn anderswo gesucht, werden als bei diesem, Amleth will sich, wie König David bei den Philistern und Junius Brutus vor Tarquinius, vor Fengo sicher stellen; da Fengo seinen Vater öffentlich beim Gastmahl gemordet, so konnte Amleth wohl fürchten, dass er auch ihn aus dem Wege räumen würde, um ungestört im Besitz der Herrschaft zu bleiben. Claudius hatte aber die volle Ueberzeugung, dass kein Sterblicher von seinem Mord wisse, also auch Hamlet nicht. Hamlet konnte also schwerlich auf den Gedanken kommen, dass ihm von Claudius Gefahr drohe, denn Claudius hatte vor der Hand erreicht, was er wollte, und Hamlet liess ihn ja auch im Besitz der Herrschaft, da ihm das Königthum wenig am Herzen lag. Wenn Shakspeare auch die äussere Gestalt des Wahnsinns aus der Sage genommen, so hat er doch ein anderes Motiv zu Grunde gelegt und die Erscheinung desselben ganz anders durchgeführt. Nach meinem Dafürhalten ist nun der verstellte Wahnsinn im Drama zunächst auf einen übereilten und verkehrten Entschluss Hamlet's zurückzuführen, dieser aber der Wirkung der überwältigenden Eindrücke, die sein Gemüth bestürmten, zuzuschreiben. Diese mussten den Prinzen nach seinem aufgeregten, reizbaren Naturell in dem Grade erschüttern, dass ihm ein richtiges Beurtheilen der Verhältnisse, der Mittel und Wege, die er gegen den Mörder zu ergreifen hatte, unmöglich wurde. In diesem, an völlige Zerrüttung grenzenden Zustand fasst er denn einen Entschluss, der ihn eher von seinem Ziele ab, als auf dasselbe zu führen musste.

Dies also die Begründung von Hamlet's Verstellung. Was aber der Dichter damit bezweckte, ist dentlich genug. Einmal fand er bei diesem Zustande des Helden Gelegenheit, ihn so viel witzige, beissende Reden hinwerfen zu lassen, um das Laster und die Unsitte der Zeit zu geisseln und dem schuldigen Verbrecher in verblümter Weise seine Missethat vorzuhalten, als es nur in des Dichters Plan liegen konnte, der ja auch ein gedrücktes

Herz hatte und die Zeit gar mancher Härte und Unbill zeihen konnte. Ein Zweites, was zwar weiter unten noch zur Sprache kommen wird, ist, dass der Dichter an Hamlet zeigen wollte, wie die Verstellung und die Lüge depravirend auf den Charakter wirkt.

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Hamlet beginnt nun sofort sein Spiel des verstellten Wahnsinns. Auch hier findet sich ein dienstwilliger Höfling, Polonius, wie in der Sage. An diesen wendet sich Hamlet ganz insbesondere mit seinen beissenden Reden. Ihm, dem offenen, geraden Jüngling, ist das gleissnerische Wesen des Hofmanns verhasst; Polonius ist aber zugleich ein alter Schwätzer, der in seiner hohen Stellung zwar manche Beobachtung gemacht, die Menschen, ihre Blossen und Fehler gründlich hat kennen lernen, jetzt aber von all seinen Erfahrungen bei abnehmender Geisteskraft nur noch phrasenartige Reminiscenzen behalten hat, mit denen er bei Gelegenheiten sich zu schmücken versucht, aber bei Verständigen völliges Fiasco damit macht. Solche Menschen, wie Polonius, die durch ihr glattes, sich Allem anschmiegendes Wesen zu hohen Ehren und Glücksgütern gelangen, sind dem Dichter nun gerade verhasst; er klagt selbst über sie in seinen Sonetten, z. B. im 61:

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Den Tod mir wünsch' ich, wenn ich ansehn muss
Wie das Verdienst zum Bettler wird geboren

Und hohles Nichts za Glück und Ueberfluss,
Und wie der treuste Glaube wird verschworen,

Und goldne Ehre schmückt manch schmachvoll Haupt,
Und jungfräuliche Tugend wird geschändet,
Und wahre Hoheit ihres Lohns beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,
Und Kunst im Zungenbande rober Macht,
Und Wissenschaft durch Schulunsinn entgeistert,
Und schlichte Wahrheit als Einfalt verlacht,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert

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Müd' alles dessen möcht' ich sterben bliebe
Durch meinen Tod nicht einsam meine Liebe.

Mit der Tochter dieses Polonius, der Ophelia, hatte Hamlet, ehe die herben Schicksalsschläge auf ihn einstürmten, ein Liebesverhältniss angeknüpft, das er aber zur Zeit der Handlung unserer Tragödie schon wieder aufgegeben hat. Polonius. bietet Alles auf, eine Heirath zwischen Hamlet und seiner Tochter zu Stande zu bringen; jedoch, wie er, nach seinem eigenen Geständniss, am liebsten krumme Wege wählt, um zu seinem Ziele zu gelangen, so giebt er sich auch hier vor dem Könige das Ansehen, als suche er die Sache zu hintertreiben, da seine Tochter dem Prinzen nicht ebenbürtig sei, verbietet der Ophelia den Verkehr mit Hamlet und behauptet dann fest,

dieser sei wegen verschmähter Liebe verrückt geworden. Es war dies zwar schlau berechnet, führte aber diesmal doch nicht zum Ziele, denn der König, wiewohl ein sinnlicher Wüstling, war doch ein scharfblickender und ruhig besonnener Mann, der sich durch den Schein nicht leicht täuschen liess.

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Hamlet treibt sein Spiel mit der grössten Consequenz weiter, mit dem Einen so, mit dem Anderen wieder anders, wie ihm die Personen gerade dazu angethan scheinen. Während er Polonius wie einen Narren behandelt, kommt er den Höflingen Rosenkrantz und Guildenstern höflichst entgegen, da sie in der Jugend seine Schul- und Spielkameraden gewesen. So wie er aber merkt, dass sie vom Könige dazu bestellt sind,' ihn auszuforschen, wird er argwöhnisch und giebt ihnen zu verstehen, wie weit er ihnen überlegen sei. Auch gesteht er ihnen, dass er seit einiger Zeit alle seine Heiterkeit verloren habe und an dieser herrlichen Welt, die mit so viel Schönheit ausgestattet sei, keinen Gefallen mehr finde. Die Beschreibung der Schönheiten der Erde, und des Menschen, an welchem Allem er die Lust verloren habe, ist besonders schön. Hamlet's hierin ausgesprochene Stimmung ist aber ganz die Stimmung des Dichters....

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Dic beiden Edelleute haben Schauspieler an den Hof gebracht, um Hamlet eine Gelegenheit zur Zerstreuung zu bieten; dieser, ein Kenner der dramatischen Kunst, ergeht sich mit dem grössten Interesse in Gesprächen über das Schauspielwesen und die gerade stattfindenden Theaterverhältnisse. Diese ganze Angelegenheit hat gar Nichts weiter mit der Handlung des Stücks zu thun: denn der König bätte auch ohne diese Erörterungen durch das Schauspiel auf die Probe gestellt werden. können; offenbar hat der Dichter sie ihrer selbst, und nicht des Stückes wegen angebracht, hat aber auch das Schönste und Beste, was je über diesen Gegenstand gesagt worden ist, darin niedergelegt.

Seit der Erscheinung des Geistes sind nun schon ein paar Monate verflossen und noch ist Hamlet seinem Auftrage nicht nachgekommen, hat sein Gelübde noch nicht erfüllt. Manche Erklärer beschuldigen ihn deshalb der Schwäche oder Feigheit," werfen ihm vor, er wage nicht, den verbrecherischen König sofort niederzumachen. Es braucht kaum bemerkt zu werden,' dass dies überhaupt nicht anging, wenn man aus der Hamletsage eine Tragödie machen wollte, auch wenn sich der Dichter durchaus nicht ängstlich an die Sage halten wollte. Wenngleich der Amleth der Sage seine Rache ebenfalls ein ganzes Jahr aufschiebt, so wird dies doch keinem Leser besonders auffallen. Shakspeare hat bei seinem Hamlet noch ein neues Moment einge

führt, das wesentlich zu der Spannung, und daher zur Schönheit des Stücks beiträgt: er hat dem Hamlet ein Gelübde abnehmen lassen, dass er Rache am Mörder seines Vaters nehmen wolle. In Folge dieses Gelübdes. dreht sich fast von Anfang an die ganze Handlung um diese Rachethat wie um einen Angelpunkt, Hamlet mahnt sich wiederholt an das Gelübde und macht sich wegen des Aufschubs die bittersten Vorwürfe Zu bewundern ist aber die genial - schöpferische Weise, in der der Dichter einen in der. Sage so wenig hervortretenden, unscheinbaren Punkt zu behandeln und in den Vordergrund zu stellen gewusst hat.

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Wenn wir im Auge behalten, dass wir hinter dem Hamlet der Tragödie in gewisser Beziehung den Dichter selbst zu erblicken haben, der gerade so, wie Hamlet im Monolog (107, 108), über die Schläge des bösen Schicksals zu klagen hatte, so wird uns Hamlet's Charakter ausserordentlich deutlich werden. Er mochte in einer seinem Genius unwürdigen Stellung wohl oft auf dem Punkte gestanden haben, gegen die Fluth der Leiden, die auf ihn einstürmten, Waffen zu ergreifen und ihnen mit einemmale ein Ende zu machen. Man vergleiche nur das oben in der Uebersetzung mitgetheilte 61. Sonett mit dem Monologe: Sein oder Nichtsein so wird man sich überzeugen, dass Shakspeare in Hamlet's Gemüth sein eigenes, in Hamlet's Ueberdruss am Leben den Missmuth und die düstere Stimmung gezeichnet hat, in die ihn die Widerwärtigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, versetzten, Wenn dies Alles nicht deutlich wäre, so könnte uns das 57. Sonett*) noch weiter darüber belehren:

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Wenn ich, von Gott und Menschen übersehn,
Mir wie ein Ausgestossener erscheine,
Und, da der Himmel nicht erhört mein Flehn,
Dem Schicksal fluche und mein Loos beweine:
Wünsch' ich an Hoffnungen so reich zu sein
Wie Andre, vielbefreundet, hochgeboren
In Kunst, in Freiheit Manchen gleich zu sein,
Unfroh bei dem, was mir das Glück erkoren.

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Zur Selbstverachtung treibt mich fast mein Sorgen,

u. s. W.

Durch die Anwesenheit der Schauspieler kommt Hamlet auf den Gedanken, den König durch ein Schauspiel, das dem Morde seines Vaters ähnlich, auf die Probe zu stellen, ob er wirklich den Mord begangen habe. Er traut der Aussage des Geistes nicht, mehr. Die Rührung, in die der Schauspieler durch seine eigene Declamation geräth, treibt ihn von Neuem

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Immer nach der Bodenstedt'schen Uebersetzung.

zur That an; wenn der König beim Schauspiel sich nun wirklich verräth, so thut er doch Nichts, obgleich er vorher gesagt, wenn er nur zucke, so kenne er seinen Kurs. Hamlet ist schon zu solcher Unschlüssigkeit gelangt, dass er bereits sich selbst abmerkt, er werde nicht zum Handeln kommen. Er hat sich durch die Annahme des verstellten Wahnsinns auf einen gefährlichen Weg, den Weg der Unwahrheit, begeben. Der gerade und offene Jüngling, der ehemals sagte: „er kenne keinen Schein", sich gegen Handlungen, die der Mensch zum Schein thue, aussprechen konnte, wandelt jetzt in fortwährender Verstellung, und hat sich so vortrefflich in diese Rolle hineingefunden, dass nur der scharfsichtige Claudius noch nicht so recht daran glauben will, während er den ganzen Hof in Tänschung erhält. Es ist aber unmöglich, eine solche Rolle der Verstellung mit der Consequenz, die Hamlet dabei beobachtet, längere Zeit durchzuführen, ohne dass eine Rückwirkung auf den Charakter des Menschen selbst stattfände. Lässt also der Dichter den Hamlet so lange in der Verstellung beharren, so ist es psychologisch nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten, dass er ihn von Stufe zu Stufe sinken lassen musste im Denken und Handeln. Darum kann Hamlet die Rolle im Zimmer der Ophelia spielen, kalten Blutes den Polonius niederstossen, während er die beste Gelegenheit, den Verbrecher Claudius zu züchtigen, unbenutzt vorübergehen lässt; und endlich ist es ein Beweis eines verkehrten Geistes, dass er durch einen heimtückischen Streich, die Fälschung des königlichen Schreibens, Rosenkrantz und Guildenstern unschuldig in den Tod schickt. Nicht weniger deutlich zeigt sich, wie sein Charakter in Schwäche verfällt und alle Selbstständigkeit verliert, wenn er sich immer wieder durch äussere Anlässe an sein Gelübde und die Rachethat gegen Claudius erinnern lässt, durch den gemüthlich erregten Schauspieler, der un Hekuba, die ihn Nichts angeht, Thränen vergiesst, dann durch Fortinbras, der für eine Eierschale sein sterblich Theil auf's Spiel setzt. Auf dieselbe Schwäche deutet die Bereitwilligkeit, mit der er auf des Königs Anordnung die Reise nach England antritt, obgleich er schon eine Schurkerei dahinter vermuthet; endlich aber verfällt er ganz in ohnmächtige Ergebung vor dem Zweikampfe mit Laertes; ihm ahnt ein böser Ausgang, aber er verlässt sich, eben weil er alles Vertrauen in die eigene Kraft verloren, auf höheren Beistand, ja, giebt sich sogar einem crassen Fatalismus hin:,,es waltet ja die Vorsehung über den Fall eines Sperlings. Wenn's jetzt geschieht, so braucht es nicht zukünftig zu geschehen, geschieht's nicht später, so geschieht's jetzt." Shakspeare hat hierin das innerste Wesen des Menschen er

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