Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Schaffen durch Unverstand, auch gegen Geschick, sich das Elend.

So wie jetzt Aegisthos, auch gegen Geschick, Agamemnons Eheweib sich vermält und jenen erschlug in der Heimkehr, Kundig des schweren Gerichts; weil wir schon lange

gewarnet, Hermes hinab ihm sendend, den spähenden Argoswürger: Weder zu tödten ihn selbst, noch werbend das Weib zu

versuchen; Denn von Orestes gerächt würd' einst der Atreid' Agamemnon, Wann er ein Jüngling blüht' und jetzt verlangte das Erb

reich,

Also sprach Hermeias; doch nicht das Herz des Aegisthos Lenkte der heilsame Rath; nun büsset er alles auf einmal.

Wie hier, wird im ganzen Gedichte dieser Gegensatz, Agamemnon und Odysseus, Klytaemnestra und Penelope, Orestes und Telemachos, Aegisthos und die Freier festgehalten und die Geschicke beider Häuser gegen einander und an einander abgespiegelt. Agamemnon von der Burg- und Hausfrau Athens, von der eingeborenen Lieblingstochter des olympischen Zeus verfolgt und ins Verderben gestürzt, Odysseus auf Weg und Steg, im Olymp und auf der Erde, bei Fremden und Heimischen geführt, geschützt, gefördert, und warum? Pallas Athene sagt ihm es selbst, warum sie ihn, ihren Liebling, nicht verlasse. Als er fragt: 1)

Sage mir, kam ich denn wirklich zum lieben Vaterlande? Drauf antwortete Zeus' blauäugige Tochter Athene:

Stets doch bleibt dir also das Herz im Busen gesinnet; Drum ist mir's unmöglich, im Unglück dich zu verlassen, Weil mildredend du bist und fertiges Sinns und enthaltsam.

1) Voss. XIII. 328-332.

Also nicht ein Preisgesang auf die List und Schlauheit des Odysseus oder was dergleichen mehr vorgebracht wird, ist die Odyssee, sondern ein Preisgesang auf den Satz: wer Gott nicht verlässt, den verlässt auch Gott nicht, freilich von einem Heiden für Heiden.

Das neidische Schicksal hat uns die epische Orestie, die zur Odyssee das Seitenstück bildet, nicht gönnen wollen, aber die dramatische Bearbeitung derselben von Aeschylos besitzen wir noch. Auch aus ihr können wir abnehmen, dass in dieser Trilogie (Agamemnon, die Trankspenderinen und die Eumeniden) der Frevel siegt, um bestraft zu werden, bis endlich durch den Ausspruch des Areopags, nämlich die Lossprechung des Orestes von der Schuld des Muttermordes, die göttliche Ordnung wieder hergestellt wird. Nicht anders hat Sophokles die Mythen bearbeitet; auch er hat überall die göttliche Führung im Auge, und auch in dieser Hinsicht ist. er der tragische Homer, wie ihn das Alterthum genannt hat, im vollen Sinne des Ausdruckes.

Wenn wir nun erwägen, dass Aristoteles, noch im Besitze der gesammten epischen und tragischen Dichtung der Hellenen, gerade in den vollkommensten Werken den einen Gedanken von der göttlichen Leitung der Geschicke der Einzelnen wie der Völker so klar und bestimmt dargestellt fand, SO werden wir begreifen, wie er dazu gelangen konnte, ja musste, zu sagen, die Dichtung sei philosophischer und bedeutender als die Geschichte. Denn was ist die Geschichte auch bei Herodot, oder was sind die Geschicke auch des Alkibiades gegen die epischen Ausführungen von den Rathschlüssen des Zeus anders als eine Sammlung von Zufällen?

Nun möchte vielleicht eingewandt werden, dass von der griechischen Dichtung dies Alles wohl gelten möge, aber auch von der modernen? Auch von der modernen, natürlich

in ihren höchsten Erzeugnissen, so wie von der griechischen auch nur in ihren vollkommensten Aeusserungen. Nur muss man unterscheiden. An die Stelle der göttlichen Ordnung, genannt Schicksal, tritt bei Shakspeare die göttliche Ordnung des Sittengesetzes. Die Anforderungen an den Dichter sind damit gesteigert, während ihm gleichzeitig die Mittel vermindert sind; gesteigert, denn er muss Alles in den auftretenden Personen von innen begründen und kann nichts äusserlich zu Hilfe nehmen, wodurch eben die Mittel vermindert sind. In der griechischen Dichtung heisst der oberste und innerste Satz, auf welchen sie gebaut ist: Jedem wird von den Göttern gethan, je nachdem er den Göttern thut; in der modernen lautet er: Jedem wird gethan, wie er gethan hat. So gründlich Homer und die übrigen griechischen Dichter, die alle nur seine Schüler waren, ihren Satz durchführten, so gründlich hat auch Shakspeare den seinen in allen seinen Stücken durchgeführt, wie das schon von vielen Anderen Schritt für Schritt ist aufgezeigt worden.

wahr.

Die Dichtung der Griechen ist logisch und religiös wahr.
Die Dichtung der Modernen ist logisch und moralisch

Ich sage der Modernen, weil Shakspeare seinen Satz nicht gefunden, er liegt eigentlich den besten Werken aller Neueren zu Grunde, und ist z. B. auch im Nibelungen-Liede zu finden.

Ich darf wohl bezweifeln, dass Aristoteles diese nordischen Dichtungen den griechischen ebenbürtig geschätzt hätte. Die nordischen Dichtungen verlangen zu ihrem vollen Genusse die anstrengende Betrachtung des inneren Verlaufes, die griechischen überheben den Betrachtenden jeder Anstrengung durch den Verlauf. Diese Gegensätze liessen sich häufen. Immer kommt man darauf zurück, Aristoteles würde

auch heutzutage die Dichtung als logisch wahr über die Geschichte stellen als bloss empirisch wahr, aber auch die griechische als religiös oder ideell wahr über die moderne als bloss moralisch wahr. Als siegreichsten Beweis für seine Meinung vermöchte er beizubringen, wie die moderne Poesie bereits zum moralischen Giftmischen herabgekommen ist, während die griechische noch heutzutage ihre heilsame Kraft bewährt. Was aber hat die moderne Poesie bis in diese Tiefe gestürzt? Doch offenbar der Begriff der empirischen Wahrheit, den sie einseitig aus der Geschichte aufgenommen und mit dem der moralischen Wahrheit vermischt hat. Wie Kant überzeugend nachwies, dass ohne die Postulate der praktischen Vernunft, nämlich Gott, Unsterblichkeit u. s. w. sich gar nicht leben lasse, so überzeugend lässt sich nachweisen, dass ohne das Postulat der ideellen Wahrheit sich nicht dichten lasse. In der empirischen Wahrheit der Geschichte geht die ideelle Wahrheit der Dichtung unter. Weil die ganze Geschichte unübersehbar ist für ein sterbliches Auge, kann sie gar nicht anders sein, als sie als Wissenschaft ist, nämlich eine Sammlung von Thatsachen, die auf die drei schweren Fragen: Woher, Wohin, Wozu gar keine Antwort, als eine bloss empirische zu geben vermag, die von der im Reinecke Fuchs niedergelegten wohl nicht abweichen wird. Hier tritt nun die griechische Dichtung ein und antwortet auf die drei Fragen genau nach den Postulaten Kant's, d. h. sie gibt zu der logischen Wahrheit auch die ideelle. Daraus ist zu erklären, warum jeder moralische Dichter hinter dem religiösen steht, warum die moralische Dichtung sich in Willkür auflöst, die religiöse ihre Gesetze nie aufgibt.

Auch von dieser Seite ist der Spruch des Aristoteles vom Verhältniss der Geschichte zur Dichtung unanfechtbar.

Almanach. 1881.

15

82-EEE-99*

« ZurückWeiter »