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Der Rat gab seinen Plan auf und lenkte ein. Die angesehensten Geistlichen der Stadt wurden vorgefordert. Ihnen wurden die Ansichten und Forderungen der Bürger mitgeteilt, und sie sollten nun auf ihr Gewissen sagen, ob die neue Lehre dem Worte Gottes gemäss oder zuwider sei. Für seine Amtsgenossen antwortete Augustin von Getelen: es sei das eine so wichtige Sache, dass man sie erst gründlich überlegen müsse. Aber die Bürger erwiderten, dass Luther seit 1517 gelehrt habe, und dass sie als Geistliche seit dieser Zeit sich genügend darüber hätten unterrichten können. Wenn man, so lautete die Antwort, die der Rat forderte, der Patres Consilia und geordnete Ceremonien verwerfen wolle, dann wäre Luthers Lehre nicht unrecht und stimme mit dem göttlichen Worte. Damit entliess der Rat vorläufig beide Parteien1).

statt.

Alle diese bislang geschilderten Ereignisse fanden noch vor Ostern 1530 Neue Verhandlungen begannen, als die Pfaffen Anstalten machten, in hergebrachter Weise das Fest der Palmenweihe zu feiern. Die Handwerksgesellen liessen hören, sie wollten den Pfaffen die Palmen weihen helfen, wie das ihnen bekommen würde, das sollten ihre Köpfe fühlen. Die Verhandlungen, die am Dienstag nach Judica (5. April) zwischen dem Rate und dem Bürgerausschuss wegen der Ceremonien für Ostern begannen, endigten damit, dass der Rat ein Mandat aufzusetzen versprach, das am "guten Mittwoch" in St. Johannis verlesen werden sollte. Die Sitzung dauerte lange, und es ging stürmisch genug bei derselben her, denn immer wieder und immer dringender forderten die Bürger evangelische Prädicanten. Die Patricier sagten, ihre Voreltern und sie seien mit den Pfaffen und Mönchen zufrieden gewesen, warum nicht auch die Bürger sie behalten wollten? Wenn die Junker, so antworteten die Bürger, die Pfaffen und Mönche in ihren Häusern haben wollten, so sei ihnen das einerlei, sie wollten mit denselben nichts zu thun haben. Als dann aber gar ein papistischer Bürger sich äusserte: die neue Lehre sei vom Teufel, da erhob sich ein ungeheurer Tumult; man wollte den frechen Sprecher zum Fenster hinauswerfen, und nur mit Mühe gelang es, Ruhe zu stiften. Schliesslich versprachen die Bürger sich bis nach Ostern zufrieden zu geben. Wenn die Pfaffen Palmen weihen wollten, lautete der Bescheid des Rates, so sollten sie es auf ihre eigne Gefahr thun, in dem Mandate aber sollte es als unchristlich gebrandmarkt werden.

Quelle für diese Vorgänge ist, soll ein Bürgermeister von Köln und der Bürgermeister Nicol. Bröme von Lübeck zu diesem Gewaltstreiche |

geraten haben. Der Bürgermeister Lütge von Dassel soll dagegen gesprochen haben.

1) Vgl. Hämmenstädt a. a. O.

Als Getelen in der St. Johanniskirche am festgesetzten Tage das Mandat verlas, kam ein ganz anderer Befehl zu Tage, als man erwartet hatte: Wer sich an den Pfaffen vergreift, der soll an Leib und Leben gestraft werden“. Die Bürgerschaft glaubte zunächst, ihre Wortführer hielten es mit dem Rate und gaben es ihnen schuld, dass der Rat sein Versprechen nicht gehalten habe. Diese wandten sich wieder klagend an den Rat; abermals fand eine sehr erregte Beratung statt. Auf Getelen blieb die Sache hängen, der Rat liess ihn fallen; noch an demselben Tage musste er die Stadt verlassen1).

Die Bürgerpartei hatte damit einen völligen Sieg errungen, und auch für die Reformation war die Ausweisung Getelens entscheidend. Das Interdict wurde verhängt; in allen Kirchen sollten die Ceremonien vorläufig „nachgelassen und niedergelegt" werden"). Aber das verstärkte nur das Verlangen nach evangelischer Predigt. Als der Rat nicht sofort Anstalten zur Berufung eines tüchtigen Predigers machte, da thaten die Bürger selbst die ersten Schritte. Sie wandten sich nach Hamburg an Stephan Kempe mit der Bitte, die neue Ordnung in Lüneburg durchführen zu helfen, und als dieser auch vom Rate aufgefordert sein wollte, trotzten sie dem Rate die Berufung desselben ab. 14 Tage nach Ostern traf Kempe in Lüneburg ein; die Bürger empfingen ihn, und an sie schloss er sich an, zum grossen Verdruss des Rates, der dadurch jede Einwirkung auf ihn unmöglich gemacht sah3).

Stephan Kempe war ein ehemaliger Franziskaner, ein Schüler des Dr. B. Möller in Rostock, eines eifrigen Katholiken; aber schon in Rostock war Kempe einer der ersten, die sich der Reformation zuwandten. 1523 führten ihn Ordensgeschäfte nach Hamburg; seine Predigten gefielen dort, und er liess sich bewegen hier zu bleiben. Als Bugenhagen nach Hamburg kam, wurde er dessen eifrigster Anhänger. Er nahm teil an der Disputation Bugenhagens mit Melchior Hofmann, dem Widertäufer, in Flensburg1). Energie und Festigkeit zeichneten ihn aus, und einen solchen Mann brauchte Lüneburg in der damaligen Zeit.

Sein erstes Bestreben war darauf gerichtet, gute evangelische Prediger für die Stadt zu gewinnen, denn er allein würde nicht genügt haben, den Kampf gegen die noch immer sehr starke katholische Partei zu führen. Henniges trat

1) Vgl. Hämmenstädt a. a. O., davon weicht der Bericht bei Bertram etwas ab; er ist ungenauer.

2) Hämmenstädt a. a. O.
3) Bericht bei Bertram p. 45.

4) Vgl. Lappenberg a. a. O. p. XXVI.

jetzt völlig auf seine Seite; mit der Ausweisung Getelens war für ihn auch die letzte Verbindung mit seinen ehemaligen Genossen zerrissen. Zu diesen beiden gesellten sich dann noch andere, wie Heinrich Otto 1), Hartwich Eichenberg, Heinrich Techen, ein gewisser Herr Hermann und der von Winsen berufene Heinrich Lampe, so dass bald eine stattliche Reihe von lutherischen Predigern in der Stadt wirkten. Am Himmelfahrtstage wurde auf Befehl des Rates, der jetzt immer weitere Zugeständnisse machen musste, die Messe in der St. Johanniskirche und der Lambertikapelle abgeschafft 2). Dagegen konnten die Pfaffen nichts mehr ausrichten; auf andere Weise, durch Verläumdungen, die sie über die Prediger verbreiteten, suchten sie sich zu rächen3).

Sie waren

Die Schlimmsten waren auch hier wie anderswo die Barfüsser. verstärkt durch die Flüchtlinge aus den Klöstern in Celle und Winsen; von Bremen, Lübeck und Hamburg hatten die dort ausgewiesenen Mönche sich zum Teil nach Lüneburg begeben. Auf Befehl des Rates mussten sie in ihrer Kirche regelmässige Predigten halten. Sie thaten das in ihrer Weise, und die „Amtsknechte" machten sich ein Vergnügen daraus, nach der Predigt, oder wenn sie es gar zu grob machten" während derselben deutsche Psalmen anzustimmen, und vertrieben dadurch nicht selten die Mönche aus der Kirche1).

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Endlich schritt der Rath ein, oder vielmehr der Bürgerausschuss zwang den Rat zum Vorgehen, denn die Bürger waren jetzt in Wahrheit die Herren der Stadt. Kempe hatte sich, wie gesagt, eng an die Bürger angeschlossen; er war inzwischen nicht müssig gewesen. Aus Bugenhagens Hamburger Kirchenordnung hatte er 50 Artikel vom Amt und Dienst in den Kirchen" ausgezogen, ihnen hatte er beweiskräftige Schriftstellen des alten und neuen Testaments vorangeschickt, aus denen folgte, dass das Wort Gottes die einzige Norm für jegliches Thun sei. Die Artikel, die wir nicht mehr besitzen, bezogen sich auf Schule, Erwählung von Predigern, Versorgung derselben, Heiligendienst, kurz alle einschlägigen religiösen und praktischen Fragen. Kempe hatte diese Ordnung dem Rate vorgelegt und auch, als man ihn dazu aufforderte, bewiesen,

1) Er stammte aus Einbeck und hatte vom 10. August 1518 an in Wittenberg studiert. Vgl. Förstemann, Album academiae Vitebergensis p. 74.

2) So Schomaker ; der Bericht bei Bertram

geht wohl zu weit, wenn er sagt, dass schon damals die Messe durch Mandat des Rates in der ganzen Stadt völlig abgeschafft worden sei.

3) Vgl. den Bericht bei Bertram p. 46. 4) Vgl. Hämmenstädt a. a. O.

dass sie aus Gottes Wort stamme1). Er forderte dann, dass man sie dem Abte, Propste und Guardian vorlege; diese möchten, wenn sie etwas dagegen einzuwenden hätten, sie widerlegen.

Die Genehmigung hierzu wurde dem Rate von den Bürgern, welche die Wünsche Kempes nachdrücklich unterstützten, abgedrungen. Eine Deputation bestehend aus zwei Ratsmitgliedern und einer Anzahl Bürgern wurde am 19. Juli zum Besuche der in der Stadt belegenen Klöster eingesetzt. Am folgenden Tage begab man sich zunächst in das Kloster St. Michaelis, worauf wir später zurückkommen werden.

Dann wurde mit den Mönchen von u. 1. Frauen verhandelt und ihnen befohlen, Kirche und Kloster zu schliessen und auszuziehen, wenn sie nicht das Evangelium predigen wollten. Alle zum Kloster gehörigen Güter und Kleinode wurden inventarisiert. Der Guardian schien zur Nachgiebigkeit bereit zu sein, er hoffte wohl im stillen auf die ihm und seinem Kloster noch immer günstige Gesinnung des Rates, und die Sache schleppte sich auch richtig bis Ende August hin. Da drängten die Bürger aufs neue zum Handeln; das Volk drohte das Kloster zu zerstören. Der Rat wurde veranlasst, an den Guardian die Anfrage zu richten, ob er sein Versprechen zu erfüllen beabsichtige und das Evangelium rein predigen lassen wolle. Über die ablehnende Antwort des Guardians wurde das Volk so erbittert, dass es noch am selbigen Tage die Mönche aus der Stadt treiben wollte (23. August). Dies verhinderte nun freilich der Rat, aber am folgenden Tage begab sich eine Deputation in das Kloster und liess den Mönchen die Wahl zwischen Annahme des Evangeliums und Auswanderung aus der Stadt. Sie wählten das letztere und am folgenden Sonntage (28. August) verliessen sie das Kloster mit Ausnahme etlicher Alter, Kranker und derer, die aus Lüneburg selbst gebürtig waren. Der Guardian hatte ursprünglich alle, auch die Lahmen, Blinden und Kranken mitnehmen wollen, um die Härte der Austreibung noch grösser erscheinen zu lassen, allein das war vom Rate verhindert worden. Als die ausziehenden Mönche die Stadt verlassen hatten, überfiel sie ein furchtbares Unwetter,,,sie wurden", wie Hämmenstädt schreibt, „durch einen Platzregen so

1) Unsere Nachrichten über die verlorene durch Kempe nochmals widerlegt, und seine Ordnung Kempes stammen aus den Widerlegun- Schrift ist abgedruckt in Staphorsts Hamburger gen derselben, deren eine im L. A. vorhanden Kirchengeschichte, II, 1, p. 171 ff. ist. Eine andere, die ich nicht kenne, wurde

geweiht, wie sie dergleichen Weihwasser früher nicht bekommen haben". Ihre Kirche wurde vorläufig geschlossen, die zurückgebliebenen Mönche durften jedoch noch im Kloster bleiben1).

Auch mit dem Prior des Prämonstratenserklosters Heiligenthal waren durch den Rat und den Bürgerausschuss Verhandlungen angeknüpft worden. Das Kloster war sehr verschuldet und war bereits zu verschiedenen Malen genötigt gewesen, Idem Rate einen seiner Höfe zu verkaufen. Die Zahl der Bewohner des Klosters war auf ein Minimum reduciert. Ausser dem Prior und Senior waren nur noch zwei Conventualen vorhanden. Schon vom Freitag nach Ostern 1530 finden wir eine Urkunde, in der die Mönche all ihr Hab und Gut dem Rate übertragen 2). Jetzt tritt eine endgültige Regelung ein, am 20. Juli wiederholen sie die Abtretung, und der Rat verspricht einem jeden auf Lebenszeit Wohnung und jährlich 50 Mark zu geben). Sie verliessen das Kloster, dasselbe sollte in ein Hospital verwandelt werden. Allein es erhob sich, wie wir noch sehen werden, Widerspruch gegen die Rechtsgültigkeit der ganzen Abtretung.

Nach diesen Ereignissen blieb Kempe nicht lange mehr in Lüneburg, sei es, dass er durch die Aufstellung einer Kirchenordnung seine Aufgabe hier erfüllt zu haben glaubte, oder dass er in Streitigkeiten mit dem Rate geriet, dem seine Ordnung nicht ganz genehm war. Der Rat hatte heimlich den Abt von St. Michaelis zur Widerlegung derselben auffordern lassen und versprochen, er wolle von Kempe abfallen, wenn die Widerlegung gründlich wäre. Aber dieselbe entsprach nicht den an sie gestellten Erwartungen, und der Abt von St. Michaelis erntete keinen Dank dafür, dass er dieselbe hatte verfassen lassen1). Die Ordnung Kempes freilich scheint nach seinem Weggange, der im September oder Anfang October 1530 erfolgt sein muss, ganz in Vergessenheit geraten zu sein. Doch kann man nicht sagen, dass damit die Stadt „aufs neue

1) Schomaker und Hämmenstädt sind hier- Vorgänge ganz willkürlich in das Jahr 1532 für unsere Quellen. Nach Schomaker blieben setzt, hat auch Havemann dies Jahr beibeetwa zwölf Personen im Kloster zurück, nach halten.

Hämmenstädt nur drei, darunter ein Astrono- 2) Original im L. A. mit zwei anhängenden mus, der auch „,Nigromantie" trieb, und dadurch Siegeln. für alle den Unterhalt erwarb. Später, nach 3) Vgl. die Chroniken von Hämmenstädt dem Tode der andern, wurde er deshalb ver- und Schomaker. dächtig, musste im Jahre 1560 die Stadt verlassen, ging nach Stadthagen und starb im Elend. Nach Bertram a. a. O. p. 78, der diese

4) Boldewin an den Rat, Montag nach Galli (17. October) 1530. (Copie H. St. A.)

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