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II. Abschnitt.

Die Reformation der Stadt Lüneburg und der Widerstand der Klöster.

Vorgänge in Lüneburg bis zur Ankunft des Urbanus Rhegius 1).

Es wurde bereits auf eine der ersten Nachrichten hingewiesen, welche wir über die beginnende religiöse Bewegung in der Stadt Lüneburg besitzen. Nach jener Ausweisung etlicher lutherisch Gesinnter hören wir mehrere Jahre nichts von den Regungen des Luthertums 2). des Luthertums 2). Aber es bildete sich doch allmählich eine starke evangelische Partei, die sich zum grössten Teil aus den Angehörigen der Bürgerschaft zusammensetzte, während die Patricier und der Rat auf Seiten des Katholicismus standen.

Der Gegensatz zwischen Patriciern und Bürgerschaft beherrscht die ganze Entwicklung der Reformation in der Stadt Lüneburg. Zugleich mit dem Streben nach der Besserung der kirchlichen Verhältnisse trachteten die Bürger danach, einen Einfluss auf die Regierung der Stadt und einen Anteil an derselben zu bekommen, der ihnen bislang nur in ganz geringem Masse zustand.

1) Unsere Quellen für die Reformationsgeschichte der Stadt Lüneburg sind ausser einigen besonders anzuführenden Aktenstücken und den Werken des Urbanus Rhegius die beiden Lüneburger Chroniken von Schomaker und Hämmenstädt und der Bericht eines Anonymus (gedruckt bei Bertram, Evangelisches Lüneburg). Für 1532 kommt in betracht ein auf der Wolfenbüttler Bibliothek sich befindender handschriftlicher Bericht des Stadtsecretärs Georg Tilitz, für 1533 die in der Zts. des hist. Vereins für Niedersachsen 1881 abgedruckte Nachricht des

Barmeisters Döring. Aus dem H. St. A. wurden folgende Akten für dieses Kapitel benutzt: Des. 55, Lüneburg 8, 10.

2) Leider ist uns die Antwort nicht erhalten, welche der Rat von Lüneburg auf den Vorschlag des Hamburger Rates, die kirchlichen Missstände durch ein Provinzialkoncil untersuchen zu lassen, gegeben hat. Jedenfalls kam dasselbe nicht zustande. Vgl. Sillem, die Einführung der Reformation in Hamburg, 1886, p. 88 ff.

Der Rat und die Partei der Patricier dagegen hatten von einer Änderung der bestehenden Verhältnisse das Schlimmste zu fürchten. Viele kirchliche Beneficien waren in ihren Händen, mit dem Verlust derselben verloren sie auch einen Teil ihres Einflusses und ihres Ansehens.

Vortrefflich sind alle Verhältnisse, die auf allen Seiten dem Rate drohende Gefahr, dargelegt in einer Denkschrift des Propstes von St. Johann, der Hauptkirche Lüneburgs. Johann Coller aus Stadthagen stand schon lange (seit 1500) im Dienste des Rates. Zuerst Secretair, dann Protonotar der Stadt hatte er beide Ämter zur grössten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten verwaltet und war dann in Ansehung seiner treuen Dienste zum Propste von St. Johann gemacht worden 1). Ihm war damit die Oberaufsicht über die Geistlichkeit der Stadt mit Ausnahme der drei Klöster (St. Michaelis, Heiligenthal und St. Marien) anvertraut. Ein solcher in treuer Pflichterfüllung ergrauter Diener, ein Mann von grossem Einfluss, durfte es wagen dem Rate Vorstellungen über sein bisheriges Verfahren zu machen und auf Änderungen zu dringen, die der Bewegung Ein

halt thun sollten.

Am 23. Juni 1528 richtete er seine Schrift an den Rat; sie ist zugleich die erste Nachricht, die wir seit 1525 über den weiteren Fortgang der religiösen Bewegung in Lüneburg haben. Er beginnt mit einer umfangreichen Darlegung über die Gefährlichkeit und Schändlichkeit der „lutherischen Secte", einer bösen, unbeständigen, leichtfertigen, aufrührerischen Gesellschaft. In und ausserhalb Lüneburgs arbeiteten viele böse Leute mit allen Kräften daran die Stadt an diese Sekte zu bringen, das würde ihr viele grosse Not bringen. Käme es dazu, so würde der Gottesdienst niedergelegt, Messe und Sakrament vernichtet, Kirchen, Klöster und Altäre zerstört, Einigkeit und Gehorsam verjagt werden. Der Mann würde gegen die Frau, Kinder gegen Eltern, Arme gegen Reiche sich erheben, der mit Recht Bestrafte würde sich rächen. Der Herzog würde die Sülzgüter der Klöster an sich ziehen, aus seiner Hand würde man fortan das empfangen, was die Klöster bisher gegeben hätten, und wenn man sich dagegen auflehne, habe man des Herrn Ungnade noch dazu am Halse. Schon jetzt strebten die Bürger danach, wie sie die Geschlechter unterdrücken wollten; käme es zum Umsturz, so würden sie den Sülftmeistern auch nicht mehr die Sülz- und

1) Diese Nachrichten über sein Leben stam

men
mente.

aus seinem im L. A. befindlichen Testa

Pfannengüter lassen; der Herzog würde die Bürger gegen die Patricier unterstützen, und diese dafür dem Herzoge willfährig sein. So würden die Privilegien der Stadt verloren gehen. In Lüneburg werde die Sache nicht so einfach und leicht abgehen wie in Augsburg und Nürnberg, denn der Hass zwischen Wenden und Deutschen, zwischen Armen und Reichen sei hier zu gross. Strenge und schnelle Hülfe sei not, von aussen her und im Lande blicke man auf Lüneburg als einen Hort des wahren Glaubens; noch sei es Zeit zu handeln, noch könne man mit Gottes Hülfe die lutherische Sekte unterdrücken 1).

Die grösste Gefahr für den Rat lag in der That in einer etwaigen Verbindung des Herzogs mit den Bürgern, diese musste man zu verhindern suchen. Die Politik des Rates geht daher für die Folgezeit auch darauf aus, bald die Bürger, bald den Herzog durch wirkliche oder scheinbare Nachgiebigkeit zu gewinnen oder die Bürger gegen den Herzog aufzuhetzen.

Man suchte dem Volke durch tüchtige, aber streng katholische Prediger das Bedürfnis nach einer Reformation weniger fühlbar zu machen. So wirkte schon seit einiger Zeit (seit 1527 oder spätestens seit Anfang 1528) in Lüneburg der Dominikaner Augustin von Getelen, ein Mann von grosser, freilich völlig scholastischer Gelehrsamkeit, der sich bereits im Kampfe gegen das Luthertum durch eine Schmähschrift gegen Bugenhagen die Sporen verdient hatte. Im Jahre 1523 begegnet er uns als Prediger in Hamburg, aber er stand eigentlich im Dienste der Stadt Lüneburg, die ihm auf die Bitte des Rats von Hamburg (Ende November 1525) noch einen längeren Aufenthalt dort gewährt zu haben scheint. Im Jahre 1527 kehrte er nach Lüneburg zurück und verpflichtete sich im Anfang des Jahres 1528 zu dauerndem Aufenthalte dort. Der Rat stellte ihn mit 50 Mark Gehalt an der Johanniskirche als Prediger an; er musste des Sonntags und Freitags dort predigen 2).

1) Coller an den Rat, am Abend Joh. Baptistae 1528 (L. A.).

2) Die von mir benutzte Copie der Urkunde war vom Abend Trium Regum (5. Jan.) 1528 aus dem L. A. Uhlhorn (p. 359, Anm. 2) sagt, dass er die Urkunde aus der L. B. gehabt habe, als Jahr giebt er 1529 an. Auf der Stadtbibliothek war die Urkunde nicht aufzufinden. Auch halte ich das Jahr 1528 für richtiger als 1529. Aus folgendem aber scheint mir hervorzugehen, dass Getelen bereits Anfang

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Dass die katholische Partei einen derartigen Mann in der Stadt besass, war nicht gering zu achten. Denn Getelen hatte von seinen Gegnern gelernt; auch er predigte „schriftgemäss“ und auch er konnte den Satz aufstellen: „Alle Lehren buten dem Worde Gottes sind vordächtig"; aber schon in Hamburg hatte man gemerkt, dass er anscheinend zwar evangelisch predigte, aber dennoch „den Kreisel so drehte, dass er der Pfaffen Pracht und Tyrannei fein schützte“1). Man hörte ihn in Lüneburg sehr gern, und selbst seine Gegner gestanden ihm zu, dass er eine ausserordentliche Predigtgabe besitze, „denn mit seiner Zunge wird des Volkes Herz nicht anders denn mit einem Wedel gewehet"). Als der Herzog einst in Lüne eine Beratung abhielt es war wohl an jenem 3. Mai 1528, von dem die Nonnen mit so grossem Entsetzen berichten, weil ihre Kirche damals durch „deutsche Psalmen und Loysen" und eine evangelische Predigt entweiht wurde da begab sich der Prediger des Herzogs, Martin Undermark aus Gent3), in die nahe Stadt, um Getelen zu hören. Derselbe predigte über den Text: „Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, als die der Pharisäer und Schriftgelehrten, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“. „Zuerst“, sagt Undermark, „redete er wahr, fort Lüge, zuletzt vermengte er Wahres mit Falschem so tückisch und geschwinde, dass nur die Allerscharfsinnigsten ihn durchschauen konnten". Am folgenden Tage predigte Undermark vor dem Herzoge, seinem Gefolge und vielen Lüneburger Bürgern über denselben Text und widerlegte Schritt für Schritt die Ausführungen Getelens. Daran schloss sich dann ein längerer litterarischer Streit, der uns nicht erhalten ist, der aber, wie aus einzelnen Andeutungen hervorgeht, grob genug geführt wurde. Beendigt wurde derselbe durch die Schrift Undermarks: Wider die Lästerschrift des schwarzen Münches Augustin von Getelen, des falschen Propheten bei den zu Lüneburg", zu welcher er sich erst nach langem Zaudern auf Zureden des Kanzlers Förster entschlossen hatte. Der Streit drehte sich um das Amt des Bischofs und der

richtet haben. Damals hatte Getelen also bereits einige Zeit in Lüneburg gewirkt.

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penberg a. a. O. p. 575 und 584.

2) Undermark in seiner gleich anzuführenden Schrift.

1) Vgl. Bernd Gyseckes Hamburger Chronik bei Lappenberg, Hamburger Chroniken p. 50. 3) Seit etwa Jahresfrist war er Pastor zu Der auf die hier angeführte Stelle folgende Celle, über sein Leben weiss man nur wenig. Satz: „averst he quam wech und her Steffen Sept. 1520 wurde er in Wittenberg immatrikuwort mit jahr 27/28 pastor to sunte Katrinen" liert (Förstemann a. a. O. p. 97). Chytraeus, deutet ebenfalls darauf hin, dass Getelen damals Saxonia p. 279, hebt seine grosse Ähnlichkeit Hamburg verlassen hat und nach Lüneburg zu- mit Luther hervor. Später (1543) wurde er rückgekehrt ist. Vgl. über Getelen auch Lap- Generalsuperintendent und lebte bis 1569.

Obrigkeit, und neben den theologischen Erörterungen blieben auch Schmähungen Getelens, der Undermark als einen Bischof von Lüne verspottet, ihm geraten hatte sich zum Erzbischof, Papst und Antichrist machen zu lassen, nicht unbeantwortet. Hütet euch vor den falschen Propheten! so warnt er die Bürger von Lüneburg. In einen Engel des Lichts hat sich der Teufel hier verwandelt, führt nichts auf der Zunge als eitel Paulum und Christum, rühmt sich ein rechtschaffener Prediger zu sein und ist doch von Gott verlassen und zur Auslegung der Schrift ebenso geschickt wie der Esel zur Harfe!

Daneben werden manche Verhältnisse besprochen, deren Kundmachung dem Rate nicht angenehm gewesen sein wird. Nur darum sei Getelen unter so günstigen Bedingungen von dem Rate angestellt, „dass er nach der alten Weise zwar nichts Ungöttliches lehre, damit die Gemeine nicht aufrühre, und dadurch Pfaffen und Obersten zur Neuerung nicht würden gedrungen". ,,Aber, wer weiss, ob er nicht auch bei den Lüneburgern, wenn sie seiner angestrichenen Farbe inne werden, mit Scham und Schande wird verlaufen müssen?"

Aber auch bei der römischen Partei geriet Getelen, freilich nur auf kurze Zeit, in Verdacht, als ob er durch Versprechungen und Schmeicheleien verlockt von dem Katholicismus abfallen wolle. Er wies jedoch derartige Verläumdungen in einem Schreiben an Coller auf das entschiedenste zurück1), und an ein Wanken war auch von seiner Seite gar nicht zu denken. Er stand fest, und je weiter der Kampf kam, um so hartnäckiger wurde er und um so enger verband er sich mit der katholischen Partei.

Er hatte in Lüneburg einen Collegen an der St. Nicolai Kirche, den Magister Friedrich Henniges), den der Rat im Jahre 1528 von Hamburg verschrieben hatte. Er war dort Vicerektor an St. Petri gewesen und war den evangelischen Prädicanten „nicht geradezu entgegen". Er war unentschieden und schwankend, nach keiner Seite wollte er anstossen, Menschenfurcht war ihm nicht fremd;

1) Getelen an Coller, Lüneburg, d. 12. Juli 1529 (Orig. L. B.).

2) Lappenberg a. a. O. p. 585 f. meint, dass Henniges mit Barthold Möller nach der am 28. April 1528 abgehaltenen Disputation zwischen den Papisten und Evangelischen nach Rostock gegangen und von dort nach Lüneburg berufen sei. Das ist aber eine Verwechslung mit Friedrich Vullgreve, der am Dome Pastor,

und der der einzige „Friedrich" war, der an der Disputation teilgenommen hat; beide werden in Stephan Kempes Bericht (abgedruckt bei Lappenberg p. 522 ff.) meist nur mit Vornamen genannt; daher die Confusion. Friedrich Henniges scheint also damals nicht mehr in Hamburg gewesen zu sein, vielleicht war er schon in Lüneburg.

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