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Es wurde still in dem kleinen Gehege. Das letzte Abendlicht schwand in bleichem Schein, der langsam nach Norden zog, zuweilen rauschte der Nachtwind in den Blättern und die Eule schrie ihren Klageruf über den Wanderern; nur aus dem Walde tönten ferner und näher die Thierstimmen, dann hoben sich die müden Rosse vom Boden und schnoben ängstlich mit den Nüstern. Der Fremde saß unbeweglich, die Hände gefaltet; wenn es im Baum rauschte, sah er wie erwartend in die Aeste und nach dem Himmel, über welchem sich tiefe Finsterniß breitete.

Unterdeß starrte der Führer hinunter in die Tiefe, wo über dem Bach im Dämmerschein der weiße Wasserdampf hinzog. „Ich schaue, wie sie dahinschweben über der Fluth,“ murmelte er leise, gehüllt in weiße Gewande schaffen sie um das Wasser, sie sinnen Hilfe und Heil ihrem Getreuen, sie verhüllen seinen Pfad vor dem Verfolger, sie lösen ihn aus den Banden der Feinde; manchmal wenn ich unter der Esche lag, hörte ich ihren Gesang in der Tiefe. Meine Väter sind hierher gewandert in schweren Tagen und haben Hilfe erfleht von den weißen Frauen. Und ich habe vernommen, daß sie die Schutzfrauen meines Geschlechts gewesen sind seit der Urzeit. Jetzt ängstigt mich der Mühlstein, den der fremde Mann mit seinem Zauber heraufgeholt hat unter dem Baume, was mir das Zeichen bedeute. Die Baumwurzel fuhr durch den Stein, uralt ist der Stein, wie der Fremde sagt, und er ist älter als der Götterbaum. Und bevor der Baum war, und die Götter walteten, lebten schon meine Ahnen. Welches war der Gott, der sie damals gnädig beschirmt hat? Längst ist Glück und Sieg von meinem Geschlechte gewichen. Den Großvater erschlugen die braunen Avaren, den Vater tötete ein Wende, da ich noch klein war, und die Mutter starb in Trauer. Ueberall ist jetzt geschwunden die Freude der Erde. Selten nur sinnen die Götter gutes Glück meinem Volke und ein fremder Gott zieht in die Thäler. Das Haus ist verbrannt, das einst auf

der Höhe stand, und das Glück meines Geschlechtes ist verbrannt. Und mir wird das Herz kummervoll. Jene dort beten in fremder Weise und sie haben ein starkes Vertrauen zu ihrem Gott. Sind sie Thoren, so mögen unsere Götter ihre Macht an ihnen erweisen." Im Rücken des Betenden zuckte ein Blitz, der Donner rollte, Ingram rief seinen Kriegsruf. „Wohl mir, ich höre das Dröhnen seines Wagens, er kommt, die Frevel der Fremden zu rächen." Er warf sich auf die Erde und verhüllte sein Haupt.

Der Wetterwind schüttelte die Aeste des Baumes und warf Blätter und Zweige auf die Reisenden. Diese aber erhoben noch einmal frommen Gesang und unter Donner und rauschendem Regen klang es durch die Stille der Nacht wie ein Siegeslied über das Toben der Natur. Erst nachdem das Wetter hinter die Berge gezogen war, verstummte der Sang, und wieder ward es still im Gehege, nur die Regentropfen schlugen leise auf die Baumblätter. So verging die Nacht, beim ersten Morgengrau hob sich eine dunkle Gestalt vor dem Zaun und der Führer sah spähend nach dem Fremden.

„Windig war dein Nachtlager unter freiem Himmel," begann der Fremde,,,deine Esche gab uns Schutz vor dem Sturm, nicht vor dem Wasser der Wolken. Bist du der Kunst mächtig, ein Feuer auf dem nassen Boden zu entzünden, so würdest du meinem Knaben und dir selbst guten Dienst leisten; wo nicht, so laß uns aufbrechen, damit Wärme in die Glieder meines Gefährten komme."

„Es ist weite Tagfahrt bis in den Bergwald der Thüringe," verseßte der Führer, „und Zeitverlust möchte Unheil schaffen.“ Er befühlte neugierig den Mantel des Fremden. „Du bist doch naß," sezte er frohlockend hinzu, „auch dich trifft der Regen."

,,Wenn Gott will," antwortete der Andere.

Schnell rüsteten die Männer den Aufbruch, der Fremde holte den Lederjack unter der Baumwurzel hervor und knüpfte

die Riemen sorglich an den Sattel des Rosses, das der Jüngling unterdeß aus dem Futtersack fressen ließ, dann neigten Beide sich noch einmal an dem Holzkreuz, und sprachen den Reisesegen. Ingram führte über den Wall und die Grabentiefe in den Bergwald. Heut ritt er schneller als am letzten Tage, aber sein scharfer Blick prüfte wieder jeden Busch und Stein. So oft fie aus dem Wald in ein Wiesenthal kamen, gab er den Fremden ein Zeichen zurückzubleiben, und winkte nach einer Weile mit gehobener Hand ihm zu folgen. Mühselig war der Weg über Baumwurzeln und durch das Sumpfwasser, welches sich an tiefen Stellen des Waldes gesammelt hatte, dann nahm er wohl selbst die Rosse beim Zügel und wies dem Jüngling die trittfesten Stellen. Er war schweigsam wie gestern, aber er war mehr um die Reisenden besorgt. Als sie einmal von der Höhe in ein weites Thal ritten, sagte er: „Hier müssen wir durch freies Land, hört ihr mich Hara rufen, dann wendet so schnell euch die Rosse tragen zum Walde zurück, vielleicht, daß euch die Flucht gelingt.“

Der Fremde lächelte. Sei ohne Sorge um uns und denke an das eigene Heil."

„Treibt das Pferd, daß es springe," mahnte der Führer. Als sie wieder im Walde dahinritten, begann der Fremde dankbar: Gutherzig erweisest du dich, und als treu rühmt man deines Volkes Art."

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„Der Thüring ist fest in Liebe und Haß,“ sagte der Führer. „Auch sein Haß ist nicht der eines hinterlistigen Mannes,“ verseşte der Fremde lächelnd. „Nicht geradeaus nach Norden geht der Pfad, den du uns führst.“

,,Wer Kampf vermeiden will, muß sich wenden wie der Fuchs wenn die Hunde bellen. Sieh dort den fernen Feuerschein," er wies mit der Hand durch die Stämme, „was dort brennt, ist ein Hof."

„Vielleicht that's der Wetterschlag."

„Die Röthe stieg auf in stiller Nacht.“

Der Fremde sah finster nach dem schwachen Licht hinüber, das am Rand des Horizontes aus der Dämmerung blinkte. ,,Du kennst den Hofherrn?" frug der Fremde.

„Es ist ein Franke,“ verseßte der Thüring kalt, „sein Großvater kam weit von Westen her in das Land."

„Sieht der Thüring ruhig zu, wenn sein Landsmann_erschlagen wird?"

„Frage den großen Herrn der Franken und nicht mich, weshalb er seine Volksgenossen von Fremden erschlagen läßt," rief der Führer. Einst waren wir Thüringe ein siegreiches Volk, da brachen die Franken ins Land, mit ihnen die Sachsen und Angeln, unsere Krieger fielen auf der Walstatt und die Fremden theilten sich in die Fluren der Landgenossen. Sie sagen, daß damals der Mehrtheil unserer Krieger den Pfad des Todes wandelte. Jezt sigt über uns ein Sendbote des fränkischen Königs, er ruft uns zu den Waffen wenn es ihm gefällt. Ich sah, wie der legte durch die Wenden erschlagen wurde, seitdem sind wir Waldleute schußlos und unsere Alten schlossen Frieden mit den Feinden, frage mich nicht, um welchen Preis, alljährlich sehe ich die Klauen unserer Herdenthiere in das Slavenland gehen, aber wenige herauskommen."

„Auch du trägst Speer und Schwert," unterbrach ihn der Fremde hart.

„Willst du versuchen, ob sie schneiden?" brach der Thüring los. Er riß seine Jacke auf und wies auf lange rothe Narben. „Ich meine, mehr habe ich gegeben als empfangen. Doch es bringt wenig Ehre," murmelte er, sich gegen einen Waffenlosen zu rühmen.“

„In guter Meinung rede ich," begütete der Fremde. „Ich meine, ihr habt doch viele Rosse geschlachtet, denen zu Ehren, die ihr als Götter rühmt und die ich Unholde nenne, und ich fürchte, wohl noch anderes Blut ist geflossen vom Opferstein, noch greulicher dem Gott, dem ich diene, und doch waren eure Götter zu schwach euch Sieg zu gewähren gegen die

Pfeile der Wenden. Nicht für weise halte ich den Mann, der sich auf einen Rohrhalm stüßt, wenn ihm die Knie wanken.“

,,Der Gott der Schlachten wägt die Loose wie es ihm gutdünkt, er spendet Sieg, wem er will," versezte der Führer. „Thöricht ist deine Rede, wenn ich recht berichtet bin. Denn andere Götter sind es, denen die Wenden opfern, und wenn sie die Leute aus euren Dörfern heimwärts treiben, dann singen sie, daß ihr Gott stärker ist als der eure."

„Gibt der Christengott Sieg seinen Bekennern? Ich sah doch manchen meiner Landsleute, der das Zeichen des Kreuzes machte, erschlagen auf der Walstatt."

„Nicht Jeder, der das Kreuz schlägt, ist ein Krieger des ewigen Gottes," antwortete der Fremde nachdrücklich. „Wer Sieg erfleht von dem großen Himmelsherrn, der muß vorher sein eigenes Leben würdig machen der Gotteshilfe, tren leben nach Gottes Geboten und jede niedere That meiden. Hoch ist und schwer der Dienst, aber herrlich der Lohn, hier Sieg und Freude, und Glück im Himmel. Und ich sage dir, nicht eher wird euer Volk der Fremden mächtig werden, als bis die Kreuzfahne vor euch zieht und jeder von euch Herz und Gedanken geheiliget hat dem großen Gott der Christen."

,,Lehre auch das den König der Franken oder wer sonst dort gebietet. Denn wir hören, daß der König durch den Christenglauben zu einem Mönch verdorben ist und daß einer seiner Helden die Lande regiert.“

Der Führer wandte sich ab, der Fremde aber sprach zu seinem Begleiter: „Du hörst seine Worte. Der Thüring haßt den Franken und beide den Sachsen, ein Stamm vertilgt den andern, und die Ehre ihrer Helden ist Männerblut zu vergießen und das wehrlose Geschlecht fortzutreiben, damit sie ihre Lust an ihm büßen und seine Rücken gebrauchen als Schemel für ihre Füße. Seit ich ein Knabe war in fernem Land, sah ich die Menschen wilde Frevel üben, Rauben und Töten war der Höllenschrei, der aus hunderttausend Kehlen kam. Wahrlich,

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