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ich von den Tagen deiner Zukunft. Darum bin ich zu dir in den Wald gekommen und darum mahne ich dich jetzt, wenn ich gleich nur ein Weib bin. Anderes erwarte ich von dir, als daß du hier auf die Speere harrend am leeren Hofe die Wache hältst. Haben deine Landgenossen auch hart an dir gehandelt, dennoch leben Viele in der Nähe und weiter unten im Thale, deren Wohl auch dir am Herzen liegt. Du bist hochsinnig und darfst nicht thatlos weilen, bis sie von den Räubern überrascht werden. Niemand kennt den Wald wie du und Niemand ist zur Stelle nach den Feinden auszuspähen, darum flehe ich, Held, daß du vor den Andern selbst prüfest, ob dich die Ahnung betrogen hat. Kündest du, wo die Feinde nahen, so mögen Waffenlose sich retten und die Krieger den Feind leichter abwehren.“

„Du sendest mich in der Nothstunde von dir?" frug Ingram düster. „Willst du dich zu den Christen flüchten? Sie selbst sind schußlos wie du.“

Du sprichst hart und deine Worte thun mir weh," rief Walburg. Nicht um mich sorge ich. Aber deinetwegen denke ich der heiligen Lehre; haben Andere Uebles an dir gethan, dir geziemt es gut an ihnen zu handeln."

„Du sagst es," versette Ingram. Die zu mir in den wilden Wald gekommen ist, soll nicht umsonst fordern, daß ich dahin zurückgehe, lebe wohl, Walburg, ich reite."

Aber Walburg hielt ihn fest. „Noch nicht, Geliebter. Da du gehen willst, graut mir davor, daß ich selbst dich in die Gefahr sende. Du darfst nicht reiten, wenn du kämpfen willst, denn warnen sollst du, damit Andere sich retten. Hier weile ich, an deiner Statt halte ich die Wache am leeren Hofe, bis du zu mir kehrst. Daran denke. Willst du aber den Sorben dort im Kampfe bestehen, so halte ich flehend deinen Leib fest, damit du mir nicht im Walde vergehest." Sie umschlang ihn leidenschaftlich mit ihren Armen, Ingram küßte sie auf das Haupt. „Sei ruhig, Mädchen, wenn ich nicht will, umstellen

mich die Sorben schwerlich und ich will zurückkehren und die Botschaft bringen dir und deinen Freunden. Entlaß mich, Geliebte; denn der Morgen ist nahe." Er drückte sie noch einmal an sich, sprang auf das Roß und trabte dem Walde zu

Walburg stand allein. Sie war gewöhnt, die Männer, um welche sie sorgte, in Gefahr zu wissen, heut aber rang sie hilflos die Hände in der Angst um Alle, die ihr lieb waren. Neben ihr der Hof, unheimlich wie eine Behausung der Toten, vor ihr ein schwarzer Rand des Gehölzes, in welchem die Mörder lauerten und sie selbst allein unter dem Nachthimmel, auf den Augenblick der Flucht harrend. Sie griff in die Mähne des Pferdes, um sich daran festzuhalten, und sah hinüber nach dem Meierhofe, von dem sie freiwillig sich ausgeschlossen hatte. Dort bewegten sich Lichter, die Menschen waren wach und eilten ab und zu, als ob sie zum Ausbruch rüsteten. Das Thor wurde geöffnet und Reiter fuhren in schnellem Lauf abwärts, sie wußte, daß es die Reisigen waren, welche der Bischof mit Botschaft in das Land sandte. Und immer wieder flogen ihre Gedanken dem Krieger zu, den sie selbst dem rachsüchtigen Feinde entgegengesandt hatte. So stand sie, die Hände am Halse des Rosses gefaltet, und ihr Blick irrte zwischen dem Walde und Hofe und hinauf zu den Sternen, deren Licht schwach und bleich wurde im ersten Grau des nahenden Tages.

Da erhob sich in der Stille des Morgens ein heller Klang, der noch niemals im Lande vernommen war. Langsam und feierlich tönten die Schläge wie vom ehernen Heerschild eines Gottes, mahnend, drohend, klagend weithin durch die Luft. Der Ruf klang in die Thäler, in denen Menschen wohnten, und über das Schattendach des wilden Waldes. Die flüchtigen Frauen, welche das Vieh abwärts trieben, und die Krieger, welche sich zum Kampf rüsteten, standen still und sahen erschrocken nach dem Himmel und auf die Wipfel der Bäume, als müßte der Klang einen Gegenruf erwecken. Aber kein rollender Donner und fein heulender Sturmruf anwortete,

der Himmel wölbte sich wolkenlos und röthete sich fröhlich im Osten die aufsteigende Sonne zu begrüßen. Die Singvögel im Gebüsch hielten inne mit ihrem Morgengeschrei und flatterten auf den Zweigen, die Raben, welche um die hohen Tannen schwebten, rauschten empor, krächzten lauten Warnungsruf für ihre Genossen und flogen dem finstern Walde zu. „Seht, wie die Raben des alten Gottes entweichen," schrien die Dorfleute. Oben im Bergwald ritten wilde Heergesellen vom Rennwege in die Waldgründe herab, um Brand und Tod in die Thäler der Thüringe zu tragen; auch diese hielten erstaunt an. Ihr Häuptling fuhr nach der Höhe zurück, ihn umdrängten seine Krieger, sie suchten eine lichte Stelle zur Ausschau über das Land, aber sie vermochten nichts zu erblicken; nur der geheimnißvolle Klang zitterte aus der Ferne unablässig um ihr Ohr wie zur Verkündigung, daß ein unsichtbarer Feind ihnen Verderben drohe. Sie wußten nicht zu deuten, woher der tönende Schrei kam, drang er aus der Erde, schwebte er aus den Wolken, war er die Stimme des Christengottes, welcher seine Getreuen vor den lauernden Feinden warnte? leise raunten sie zu einander und dem Muthigsten wurde das Herz schwer.

Unten aber im Lande, soweit die rufende Stimme in der Morgenluft schwebte, ergriffen die Männer ihre Waffen, hüllten sich in das Kriegsgewand und eilten auf allen Pfaden der Stelle zu, von welcher die Mahnung in ihr Ohr schlug. Nicht die Christen allein, auch die Heiden kamen aus den Höfen, denen der Friedlose und die Speerreiter des Grafen Botschaft zugerufen hatten.

Auf dem Thurmgerüst, das die Christen an der Halle des Bischofs erbaut hatten, schwang sich die Glocke und sang der Jungfrau am Heidenhofe mit heller Stimme: komm herzu. Walburg lauschte mit gefalteten Händen dem neuen Klang ihres Glaubens, sie dachte betend, ob auch der Späher, der jezt im Waldesdunkel ritt, die Mahnung ehrfürchtig vernehmen werde. Als sie aufblickte, erkannte sie in der Morgendämmerung die

Haufen der heranziehenden Landgenossen, sie sah über dem Nebel, der auf dem Dorfanger lag, Banner der Häuptlinge, Getümmel der Reiter und die Züge bewaffneter Landleute, welche zu dem Meierhofe heraufstiegen und den großen Bohlenverschlag, den geweihten Raum für den Gottesdienst, umstanden. Und sie vernahm von drüben aus dem Heiligthum unter den Klängen der Glocke den Morgengesang der Priester, der Frauen und Kinder des Hofes. Da gedachte sie, daß jetzt ihre Brüder singend am Altar standen und daß auch sie durch ihr Gelübde dem Himmelsgott gebunden war und in die Gemeinde der Christen gehen müsse. Sie sah noch einmal in den leeren Hof zurück, nahm das Roß am Zügel und schritt, wohin sie geladen wurde. Das Roß band sie an einen der Holzhaken, welche auf der Außenseite des Bohlenzaunes angebracht waren, sie selbst trat in den geweihten Raum und kniete nieder ganz hinten bei den Frauen. Vor dem Altar stand Winfried im bischöflichen Gewande und versah das hohe Amt, siegreich und machtvoll ertönte seine Stimme unter dem Klang der Glocke, welche noch immer die Treuen lud und die Feinde warnte.

Unterdeß wand sich Ingram vorsichtig durch die Waldesnacht aufwärts. Nur auf dem heiligen Wege, der zu den Opfersteinen der Höhe führte, vermochte ein fremder Reitertrupp, wenn der Morgen kam, den Abstieg in die Thäler zu wagen. Oft horchte der Einsame und sah ungeduldig auf den schmalen Streifen des Nachthimmels, der über ihm sichtbar war. Als der erste Tagesschimmer über die Wipfel flog und graue Dämmerung auf den rauhen Pfad senkte, hörte auch er den fernen Hall der Glocke und hielt staunend an. Er hatte den Gruß des Christengottes schon früher einmal unter den Franken vernommen, heut empfand er eine wilde Freude, daß der fremde Menschengebieter die Volksgenossen zur rechten Zeit aufweckte. Um sich herum merkte er nur die Nachtlaute des Waldes, dennoch wußte er, daß die Sorben nahe waren, denn untilgbar malte ihm sein heißer Haß die Gestalt des

Sorbenhäuptlings vor, den falschen Blick und das höhnende Lachen. Da, ganz nahe dem Rennwege, wo der steile Abstieg von der Höhe wegsamer in dem Grunde läuft, hörte er klirrende Waffen und stolpernde Hufe und erkannte den Vortrab der Sorben; unter den ersten den Ratiz auf schwarzem Hengste. Als Ingram seinen Todfeind auf dem Raben heranreiten sah, stieg ihm das Blut in das Haupt und in wildem Grimm rief er alle Vorsicht vergessend sein Roß mit dem Namen an und riß sein eigenes Pferd zur Flucht herum. Der Kriegsschrei der Sorben gellte durch den Wald, als sie sich entdeckt fanden und ihren Feind vor sich erkannten, und eine tolle Jagd zwischen den Bäumen begann. Ingram aber, der des Weges besser kundig war, kam weit voraus; nur das edle Roß des Ratiz, durch den Ruf seines alten Herrn und die Nähe des Stallgenossen gemahnt, trug den Häuptling in großen Sprüngen hinter Ingram her, voraus allen Sorbenkriegern. So ging die Heze thalab aus dem Urwald und längs der Wagengeleise des lichten Gehölzes bis an den Waldesrand in die Nähe der Höfe. Hier hob sich Ingram im Sattel und schrie den Schlachtruf über die Lichtung.

Der Schrei unterbrach das Amt des Priesters, die ausgestellten Wachen wiederholten den Ruf, die Männer schwangen sich aus dem Holzring und suchten ihre Rosse, die Weiber und Kinder drängten sich um den Altar, vor welchem der Bischof stand, das Kreuz hoch emporhaltend. Als Ingram freien Raum vor sich sah und den Racheschrei des Sorben hinter sich hörte, trieb er sein Roß zu einer Wendung und warf, da Ratiz heranfuhr, seinen Speer gegen den Feind. Aber der Schild des Sorben fing die Waffe und während Ingram sein Pferd herumriß, flog der Speer des Natiz in die Hüfte des Thieres. Hoch schlug es aus, sank und schleuderte seinen Reiter an dem Bohlenzaun der Gemeinde zu Boden, daß er hilflos dalag.

Aus dem Holzring gellte der Angstschrei eines Weibes.

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