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Ihrer Kaiserlichen Hoheit

der Kronprinzessin

Victoria

ehrfurchtsvoll

gewidmet.

Dics Werk soll eine Reihe frei erfundener Geschichten enthalten, in welchen die Schicksale eines einzelnen Geschlechtes erzählt werden. Es beginnt mit Ahnen aus früher Zeit, und wird, wenn dem Verfasser die Kraft und die Freude an der Arbeit dauern, allmählich bis zu dem letzten Enkel fortgeführt werden, einem frischen Gesellen, der noch jetzt unter der deutschen Sonne dahin wandelt, ohne viel um Thaten und Leiden seiner Vorfahren zu sorgen.

Das Buch will Pocsie enthalten, und gar nicht Culturgeschichte. Freilich, gefällige Kürze wird man an dem Unternehmen nicht gerade rühmen. Wie die einzelnen Geschichten zu einem Ganzen verbunden werden, möchte der Verfasser gern im Anfange verschweigen.

Der Plan zu solcher Arbeit mißfiel Eurer Kaiserlichen Hoheit nicht. Jetzt aber, wo ich meine wilden Männer vorstelle, werde ich nachdenklich darüber, wie sie vor dem unbestechlichen Urtheil der Herrin bestehen werden. Denn um Menschen der Vergangenheit für die Poesie zu verwerthen,

muß man ein ähnliches Geschick erweisen, wie der Ueberseher aus fremder Sprache. Auch haben die alten Ahnen eine unbequeme Vornehmheit; sie wenden dem modernen Enkel nur ein gewisses Maß von menschlichen Empfindungen zu, sie gestatten ungern, lange in ihrer Gesellschaft zu weilen, und sie zwingen den Schaffenden nicht selten, aufspringende Laune stilvoll zu bändigen.

Dieser Band führt in Zeiten, welche der Dichter leichter versteht, als der Historiker. Daß die Erzählung eine Landschaft schildert, in welcher auch Eurer Kaiserlichen Hoheit die Menschen, Berge und Wälder lieb sind, war dem Verfasser während der ganzen Arbeit eine geheime Freude.

Leipzig, 16. November 1872.

Gustav Freytag.

I.

Ingo.

1.

Im Jahr 357.

Auf der Berghöhe stand an dem Verhau, das die Wälder der Thüringe von den Katten schied, der junge Wächter und hütete den steilen Pfad, welcher aus den Gründen der Katten nach der Höhe führte. Ueber ihm ragte der Wipfel einer mächtigen Buche, nach beiden Seiten lief der Grenzzaun den Kamm der Berge entlang, in dem dichten Gestrüpp blühten die Brombeeren und die wilde Rose. Der Jüngling trug den Wurfspeer in der Hand, auf dem Rücken am Riemen ein langes Horn, nachlässig lehnte er an dem Baum und horchte auf die Stimme des Waldes, den pickenden Specht oder das leise Raffeln in den Zweigen, wenn sich ein Waldthier durch das Dickicht wand. Zuweilen sah er ungeduldig nach der Sonne und wandte den Blick zurück, wo hinter ihm in ferner Thallichtung Blockhäuser und Gehege für Herdenvieh lagen.

Plöglich bog er sich vor und lauschte; auf dem Pfad vor ihm klang leiser Fußtritt, durch das Baumlaub wurde die Gestalt eines Mannes sichtbar, der mit schnellem Schritt zu ihm heraufstieg. Der Wächter drehte den Riemen des Hornes und faßte den Speer zum Wurfe; als der Mann aus dem Gehölz auf den freien Grenzrand trat, rief er ihn an, die Spite des Wurfspeers entgegenhaltend: „Steh, Waldgänger, und singe den Spruch, der dich von meinem Eisen löst!" Der Fremde schwang sich hinter den letzten Baum seiner Seite, streckte die geöffnete Rechte vor sich und sprach hinüber: „Ich

Freytag, Werke. VIII.

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