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INGRAHAM FUND 3,1932

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ALLGEMEINE LITERATUR - ZEITUNG

Julius 1841.

BIBLISCHE LITERATUR.

BREMEN, b. Schünemann: Kritik der evangelischen Geschichte des Johannes von Bruno Bauer. 1841. XIV u. 440 S. 8. (2 Rthlr.) Dieser Band enthält nur das erste Buch der beachtungswerthen kritischen Untersuchungen des scharfsinnigen und freimüthigen Vfs. Er giebt in demselben eine scharfe und hin und wieder treffende Kritik des Pragmatismus und der Geschichtsdarstellung in demjenigen Theile des 4ten Evangeliums, worin es allein steht und nur an einzelen äusserlichen Punkten mit dem synoptischen Evangelienkreise in Berührung tritt (Cap. 1-10). In einem 2ten Buche wird er den letzten Theil des 4ten Ev. (Cap. 11 fgg.) seiner Kritik unterwerfen, worin der Evangelist keinen Schritt thun kann, ohne mit den synoptischen Berichten in Collision zu gerathen (S. 394). Wäre auch des Vfs. Arbeit noch weniger gelungen, als sie es wirklich ist, so würde doch sein Unternehmen als Fortschritt der Wissenschaft zu betrachten seyn. Selbst die Apologetik hat durch Lücke das Bekenntniss abgelegt, dass die absolute, wörtliche Authentie der längern Reden im 4ten Ev. aufgegeben werden müsse, dass in diesen, wie in den schwierigen Reden Johannes überall seine Hand dazwischen habe und dass überhaupt das 4te Evang. in der Auffassung und Darstellung Christi durchaus individuell sey (Vorr. S. X f.). Bei diesem so sehr im Allgemeinen gehaltenen Bekenntnisse der Apologetik kann sich die Wissenschaft um so weniger beruhigen, je mehr sie Grund hat anzunehmen, dass es den Apologeten mit ihren Zugeständnissen nicht rechter Ernst ist. Wenigstens sind sie unwillig und verstimmt, wenn Jemand darauf besteht, dass der Evangelist au bestimmten Stellen seine individuellen Vorstellungen Jesu in den Mund gelegt, oder nach seinen eignen Anschauungen Jesu Thun gestaltet habe. Dann ist keine Textverdrehung so arg und keine Hypothese so leer und fade, dass sie nicht geltend gemacht würde, um in das Unzusammenhängende Zusammenhang, in das Widersprechende Einklang zu bringen und das offenbar Unhistorische A. L. Z. 1841. Zweiter Band.

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zu zweifelloser historischer Wahrheit zu erheben. Gewiss ist es also an der Zeit, durch kritische Analyse des 4ten Evangeliums genau zu bestimmen, was nach Abzug der individuellen Anschauungen des Evangelisten als zuverlässige Geschichte in dem Buche übrig bleibe. Sodann ist das Buch des Vfs. darum verdienstlich, weil in demselben der Jesuitismus der apologetischen Exegese (S. 128) und die Windungen und Krümmungen, durch welche die Apologeten die wahre Sachlage sich und Andern zu verbergen suchen, aufgedeckt worden sind. Das blödeste Auge sieht jetzt die Schleichwege der Apologetik und bemerkt, dass die Wahrheit unbefangener erforscht und redlicher und freimüthiger ausgesprochen werden muss, wenn wir über das 4te Evangelium weiter kommen und über dasselbe uns und Andere nicht länger täuschen wollen. Vorzugsweise wendet sich die sehr oft siegreiche Polemik des Vfs. gegen Bengel, Lücke, Neander, Olshausen und Tholuck. Krabbe's werthlose Vorlesungen über das Leben Jesu hat er mit Recht nicht berücksichtigt. Denn sie wiederholen nur die alten apologetischen Wendungen und unterscheiden sich von den Schriften eines Lücke, Olshausen nur dadurch, dass sie die apologetischen Erfindungen als Dogmen hinstellen, während jene Männer doch noch das Gefühl der Schwierigkeiten hatten (S. 224 f.). Endlos ist der Streit darüber, ob wir bei Darstellung des Lebens Jesu uns vorzugsweise an die Synoptiker, oder vielmehr an das 4te Evangelium halten sollen, und ob wir bei unauflöslichen Widersprüchen jeneu oder diesem mehr Glauben zu schenken haben, wenn wir nicht den historischen Gehalt dieser Bücher einer unbestochenen Kritik unterwerfen und ihre Resultate mit Wahrheitsliebe und Freimüthigkeit aussprechen. Diess hat der Vf. nicht ohne Erfolg angestrebt. Immer mehr befestigt sich bei unsern denkenden Zeitgenossen die Ueberzeugung, dass der Apostel Johannes nicht Verfasser des 4ten Evangeliums seyn könne. Anstatt dass man ihre gewichtvollen Gründe mit würdevoller Ruhe prüfte, und, wo möglich, widerlegte, fährt man gegen die Bestreiter der Authentie zornig auf, spricht Qq

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ihnen keck die Fähigkeit, das vermeintlich sinnige Buch zu verstehen ab, und stellt ihre kritischen Zweifel als Versündigung an dem Christenthume und an der christl. Gemeinde, welcher Aergerniss gegeben werde, dar. Die Schrift des Vfs. wird etwas dazu beitragen, dass man endlich einsieht, der Anstoss sey geringer, wenn man das 4te Evangelium dem Apostel Johannes abspricht, als zuschreibt. Wie? Johannes, welcher nach den Synoptikern einer der vertrautesten Schüler des Herrn war, hätte Jesum so gar nicht verstanden, dass er uns anstatt eines reich begabten und weisen Lehrers einen Mann geschildert hätte, welcher sich immer in dem engen Kreise weniger dogmatischer Vorstellungen der spätern Gemeinde bewegte und sich entblösst von Lehrweisheit fortwährend vergebliche Mühe gab, diese den blödsinnigsten Menschen begreiflich zu machen? Der Apostel Johannes hätte Jesum in seiner sittlichen Reinheit und Erhabenheit so wenig erkannt, dass er uns ihn im 4ten Evangelio als ein Wesen beschrieben hätte, was nimmermehr unser sittliches Vorbild seyn kann? Der Johanneische Christus predigt seinen Zuhörern am liebsten seinen himmlischen Ursprung und seine göttliche Machtvollkommenheit und erinnert gern an die grosse Kluft, welche zwischen ihm und den armen Erdensöhnen befestigt sey. Mischt sich Jemand in seine Angelegenheiten, so fährt er heftig gegen ihn auf (2, 4); verräth Jemand Zweifel an seiner Hoheit und Herrlichkeit, so wird er zornig (11, 33. 38) und ertheilt Verweise (11, 40); bewundert Jemand gegebene Beweise seiner übermenschlichen Herrlichkeit, so sagt er: diess ist noch gar nichts: ich kann noch Grösseres leisten (1, 51. 6, 62)! Gern macht er bemerklich, er befinde sich in einer ganz andern Lage, als die Söhne der Erde (5, 34. vgl. v. 33. 7, 6): er bete zu Gott um Erhörung nicht aus eignem Bedürfnisse, sondern aus Rücksicht gegen das umstehende Volk (11, 42): der himmlischen Stimme habe nicht er bedurft, um durch sie verherrlicht zu werden, sondern das Volk, um durch dieselbe zur gläubigen Anerkennung seiner Herrlichkeit bestimmt zu werden (12, 30) u. s. w. Endlich, sollte der Apostel Johannes der Vf. eines Buchs seyn, worin sich das Allerwenigste in Geschichte und Lehre als historische Wahrheit erweiset und das Allermeiste unverkennbares Produkt der dogmatischen Anschauung der spätern Gemeinde ist? Uebrigens bewegt sich Hr. B. in seinen Untersuchungen rein und allein auf dem Gebiete der historischen Kritik (Vorr. S. XII)

und hat von der Philosophie durchaus keinen materiellen Gebrauch gemacht, wenn er sich auch zuweilen, was ihm aber wenigstens Rec. nicht übel nimmt, der Hegel'schen Form bedient (vergl. z. B. S. 183).

Soll Rec. ganz kurz sein Urtheil über das vorliegende erste Buch des Vfs. sagen, so muss er bekennen, dass es viele treffende Bemerkungen ent-hält, welche immerdar unwiderlegt bleiben werden, dass es aber auch in ihm keineswegs an misslungenen Partieen fehlt, in denen die Exegese des Vfs. oberflächlich und befangen, und sein Urtheil übereilt ist.

Cap. 2, 23-25 erinnert der Evangelist unter einem Wortspiele, dass Jesus, während ihm Viele in Jerusalem am Paschafeste wegen seiner Wunder Glauben geschenkt hätten, diesen Menschen sich nicht anvertrauet hätte, weil er (vermöge seines übermenschlichen Wissens) Alle gekannt und ohne Jemandes Erinnerung gewusst habe, was in dem ihm entgegentretenden Menschen vorgehe. Treffend bemerkt der Vf. S. 83 f., dass hier der Grund und das Begründete in keinem innern Verhältnisse stehe und dass der Evangelist wenigstens hätte sagen sollen, Jesus habe sich darum jenen Menschen nicht rückhaltslos hingegeben, weil er ihren Glauben ohne fremde Belehrung als einen unzuverlässigen durchschauet habe, dass indessen auch so die Schwierigkeit übrig bleiben würde, dass der Herr solches auch ohne jenen wunderbaren Tiefblick wissen konnte, da jeder nur nicht ganz beschränkte Mensch die wahre und gründliche Anhänglichkeit von einer nur augenblicklichen und oberflächlichen Erregung auch ohne wunderbare Begabung zu unterscheiden wisse. Es hätte hinzugefügt werden können, dass die allgemeine Bemerkung, Jesus habe sich den durch seine Wunder in Jerusalem zum Glauben Erregten (avrois v. 24. vgl. v. 23) nicht anvertrauet, weil er die Unzuverlässigkeit ihres, Glaubens durch seinen wunderbaren Tiefblick durchschauet habe, immer unwahr seyn würde. Denn die Galiläer, welche Jesum wegen der zu Jerusalem von ihm verrichteten Wunder gütig aufnahmen, waren keineswegs nur oberflächlich erregt und der Evangelist sagt mit keiner Sylbe, dass der Herr ihrer Liebe Misstrauen entgegengesetzt habe (4, 45). Ausserdem wäre es der Mühe werth gewesen, die von Knapp mit Recht ausgezeichnete Variante núvτa anstatt návτas (2, 24) zu besprechen. Rec. hält sie in Erwägung des Zusammenhangs der Rede wegen

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der Worte vi v v tự ův9qwnw 2, 25 für ursprünglich; vgl. auch Joh. 16, 30. Sehr wahr bemerkt der Vf. S. 85, dass das folgende Gespräch Jesu mit dem Nicodemus (cp. 3) nach der Ansicht des Evangelisten ein einzelner Fall sey, in dem sich die wunderbare Menschenkenntniss Jesu offenbarte und zwar in Bezug auf jenen Glauben, der zunächst durch Wunder erweckt war und dass somit der Kritiker dieses Gespräch in der Rücksicht zu betrachten habe, ob sich in ihm wirklich jene tiefe Menschenkenntniss Jesu und sein weises Verfahren gegen die Anfänger im Glauben bewiesen habe. Wir sollen uns nach dem Evangelisten 3, 3 vorstellen, Jesus wisse unmittelbar, dass Nicodemus die Bedingungen, unter welchen man in's Himmelreich komme, von ihm erfragen wollte und dass deshalb Jesus plötzlich und ohne einen erklärenden Uebergang mit der Forderung dem wundergläubigen Pharisäer entgegengetreten sey: man müsse von oben (vgl. 1, 13) geboren werden, um in's Reich Gottes aufgenommen zu werden. Allein da der Herr vermöge seines wunderbaren Tiefblicks wissen musste, dass der einfältige Pharisäer das Wort von der Wiedergeburt nicht verstehen würde, so war von Jesu Lehrweisheit zu erwarten, dass er ihm etwa durch die Einleitung: dass du um der Wunder willen glaubst (v. 2), öffnet dir die Pforte des Himmelreichs noch nicht; erst musst du von oben geboren werden (S. 86) das Verständniss seines Worts erleichtert hätte, und da dem Herzenskündiger nicht unbekannt seyn konnte, dass der stumpfsinnige Mann sein Wort selbst nach mehrfacher Erläuterung zuletzt doch nicht begreifen würde (3, 9), so sollte man glauben, der weise himmlische Meister würde sich mit dem beschränkten Manne lieber gar nicht eingelassen, als sich fruchtlos mit ihm abgemühet haben. Nachdem der geistesschwache Nicodemus Jesu Forderung der Wiedergeburt kindisch missverstanden hat (v. 4), wiederholt dieser dieselbe, wie er glaubt, in verständlicherer Form unter der heiligen Versicherung: so sey es und nicht anders (v. 5. 6). Er sagt: Wahrlich, so ist's: wenn einer nicht vom Wasser und Geist geboren worden ist, so kann er nicht in Gottes Reich eingehen und setzt, um die Nothwendigkeit der Wiedergeburt zu beweisen, v. 6 hinzu: das vom Fleisch Geborne ist Fleisch (und nach dem christl. Bewusstseyn unfähig der messianischen Seligkeit, Rom. 8, 6) und das vom heil. Geiste Geborne hat die Natur des heil. Geistes (und ist nach dem christl. Bewusstseyn zur messianischen Selig

keit geeignet, Rom. 8, 6). Der Erfolg lehrt, dass nach dieser und der v. 7. 8. zunächst folgenden Erläuterung der beschränkte Pharisäer die Forderung Jesu um nichts besser versteht, als zuvor. Wundern darf man sich darüber nicht. Denn die Worte v. 5 ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἐξ ὕδατος καὶ πνεύuutos sind, wie die Verhandlungen der dem Nicodemus an Fassungskraft überlegenen Ausleger zeigen mögen, noch schwerer zu verstehen, als die Worte v. 3 ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν. Ganz richtig bezieht der Vf. &dwo zaì пvɛõua auf die christliche Taufe und bemerkt, dass v. 5 aus dem Munde Jesu zu einer Zeit, wo er die Taufe nach den Synoptikern noch nicht eingesetzt hatte und wo der von ihnen abweichende 4te Evangelist noch nicht erwähnt hatte, dass Jesus getauft habe (3, 22. 4, 1. 2), ein Glied der spätern Gemeinde von dem spätern Standpunkte aus rede (S. 89). Vortrefflich hat er auch die nichtigen Ausreden der Apologeten gewürdigt (S. 88). Aber es hätte wohl auch noch die Ausflucht abgeschnitten werden können, vdwo v. 5 beziehe sich weder auf die Johanneische, noch auf die christliche Taufe, sondern etwa auf jüdische Lustrationen in dem Sinne: wer nicht äusserlich (§ datos) und innerlich (zaì avɛúμatos), oder wer nicht an Leib und Seele (freilich ist aber пvɛõμa hier offenbar der heil. Geist, vgl. Act. 19, 5. 6) erneuet worden ist u. s. w. Bei v. 7 hält es der Vf. für unpassend, dass der Evangelist den Herrn zu Nicodemus nicht sagen lasse: wundere dich nicht über das, was ich von der Nothwendigkeit der Geburt aus Wasser und Geist gesagt (denn davon sey zuletzt v. 5 die Rede gewesen und darüber habe sich Nicodemus am meisten wundern müssen, da es ihm am unverständlichsten seyn musste), sondern Jesu die Worte in den Mund lege: wundere dich nicht über die von mir behauptete Nothwendigkeit der Wiedergeburt von oben (v. 3). Rec. kann nicht beistimmen. Nämlich durch das v. 5 und 6 Gesagte glaubt Jesus nach dem Evangelisten dem Nicodemus begreiflich gemacht zu haben, dass er von einer geistigen Wiedergeburt gesprochen habe. Bei dieser habe. Bei dieser freilich irrigen - Voraussetzung durfte er auf die Wiedergeburt zurückgehn, von welcher er bei seinem Unterrichte ausgegangen war (v. 3). Eben so wenig kann Rec. die Behauptung des Vfs. S. 89 billigen, der Herr mache v. 7 den Ansatz dazu, die Nothwendigkeit der Wiedergeburt zu entwickeln und zu begründen. Davon folge nun. aber v. 8 nicht nur nichts, sondern die Rede, die

doch die Behauptung jener Nothwendigkeit rechtferti- 、 gen solle (?), biege plötzlich in eine fremde Wendung ein, und beschreibe das Unwillkürliche, wie der Geist seinen freien Gesetzen gehorche, wenn er Jemanden ergreifen wolle. Nicht macht Jesus v. 7 den Ansatz, die Nothwendigkeit der Wiedergeburt zu begründen (es heisst ja nicht: un davμáons, öti de vμās revvydñvai vaev), sondern er verlangt, Nicodemus solle sich nicht darüber wundern, dass er die Wiedergeburt forderte. Er sagt ja: μǹ Davμúons, ôùɩ eì nóv ooi dɛî vμãs yevvydñvai vædɛv. Ausserdem hat der Vf. v. 8 den Vergleichungspunkt nicht richtig aufgefasst. Er ist die Unbegreiflichkeit einer aus der Erfahrung gewissen Begebenheit. Gewiss ist nach der Erfahrung des Windes Wehen; wie er aber waltet, ist uns unbekannt.

So verhält sich's auch

mit jedem vom heil. Geiste Wiedergebornen: er ist da, neugeboren; wie er ein Neugeborner geworden ist, wissen wir nicht. Jesus sagt demnach: wundere dich nicht, dass ich eine himmlische Geburt v. 3 durch den heil. Geist v. 5 forderte: die Einwirkung Gottes durch den heil. Geist auf die Erneuerung ist factisch, die Modalität dieser Einwirkung aber unbegreiflich. Bei dem Facto soll man also stehen blei ben und nicht ergründen wollen, wie es Gott durch den heil. Geist zu Stande bringe. Aber die ganze Exposition hat dem armen Nicodemus nichts geholfen: er hat nichts von ihr begriffen und sagt v. 9 л dúvatai távta yevéadai; darein finde ich mich nicht! Jesus selbst wundert sich über die grosse Beschränktheit des Mannes v. 10: du bist der Lehrer Israels und begreifst diess nicht? Anstatt aber den Mann nach Hause zu entlassen, macht Jesus dem Nicodemus, welcher gar zu gern glaubte, wenn er nur begreifen könnte, was er eigentlich glauben solle, den unverdienten Vorwurf böswilligen Unglaubens (v. 11. 12) und knüpft daran so tiefe Bemerkungen über seinen himmlischen Ursprung und über den Zweck seines. Lebens als Mensch, dass dieselben damals schwerlich von irgend Jemandem, am wenigsten aber von dem geistesschwachen Nicodemus verstanden werden konnten. Dass der Evangelist (v. 11 oldaμer haλούμεν u. s. w.) Jesum von sich im Pluralis sprechen lässt, wie Paulus oft thut (Gal. 1, 8 vgl. v. 11) hätte der Vf. nicht befremdlich finden sollen S. 91. Desto schlagender aber ist seine Bemerkung S. 92, dass die Worte v. 11 zaì tǹv μaotvoíav ýμæv ov haμßávεTE ihr μαρτυρίαν ἡμῶν λαμβάνετε nehmt unser Zeugniss nicht an, weiset es im Unglauben von euch (1, 11. 3, 32), hier in Jesu Munde ganz

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unpassend sind. Denn 1) hat Jesus nach dem 4ten Evangelisten bisher noch nicht böswilligen Widerstand der Ungläubigen erfahren. Eben ist er erst zu Jerusalem öffentlich aufgetreten und seine hier verrichteten Wunder hatten auf Viele einen guten Eindruck gemacht (2, 23. 4, 45). Zweitens passt die Klage Jesu v. 11: ihr verwerfet ungläubig mein Zeugniss nicht auf den Nicodemus, welcher Jesu Zeugniss nicht verstanden, keineswegs aber das wohl Verstandene ungläubig verworfen hatte. Dass aber Jesu Klage den angezeigten Sinn habe, lehrt v. 12: wenn ich das Irdische (die auf der Erde vor sich gehende Wiedergeburt, von welcher dem Menschen eine Anschauung möglich ist) euch sagte und ihr nicht glaubt, wie wollt ihr doch glauben, wenn ich euch das himmlische (z. B. das Wesen Gottes, den ich allein geschauet habe, vgl. 1, 18. 6, 48) sage? Die Bemerkungen des Vfs. über v. 13 15 sind zum grossen Theile unzutreffend, weil er in den Sinn und Zusammenhang dieser Verse nicht gehörig eingedrungen ist. Nicht will Jesus v. 14. 13 sagen, was das Himmlische sey, weil er zunächst v. 13 begründe, dass er es allein zu schauen vermocht habe, sondern er bemerkt, dass er allein vom Himmel auf die Erde gekommen sey v. 13, um fühlbar zu machen, dass er allein um die himmlischen Dinge wisse und dass man seinen sich über das Himmlische verbreitenden Weisungen zu glauben habe (vgl. v. 12). Hierauf setzt Jesus einen zweiten Grund hinzu, welcher die Menschen zum Glauben an ihn verpflichte, den nämlich, dass er als der Erlöser der Welt vom Himmel auf die Erde herabgestiegen sey, damit jeder Glaubende das ewige Leben hätte v. 14. 15. Aber dem Erlöser der Welt den Glauben versagen heisst nicht nur undankbar seyn gegen Gott, der den eingebornen Sohn aus Liebe gesendet hat (v. 16), sondern auch in thörichter Verblendung sein Heil verscherzen. Der Vf. hat S. 93 sehr Recht, wenn er gegen die Apologeten behauptet, dass v. 13 das avaβαίνειν und καταβαίνειν ernstlich local gefasst werden müsse. Wenn er aber in den Worten v. 13 ovdeis ἀναβέβηκεν εἰς τὸν οὐρανόν, εἰ μὴ ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς, ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου, ὁ ὢν ἐν τῷ οὐρανῷ den äussersten Anachronismus findet, indem Jesus von seinen spätern Schicksalen als hätte er sie längst erlebt spreche, weil ihm der Evangelist seine spätere Anschauung leihe, so schreibt er dem Evangelisten eine beispiellose Gedankenlosigkeit zu.

(Die Fortsetzung folyt.)

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

BIBLISCHE LITERATUR.

Julius 1841.

BREMEN, b. Schünemann: Kritik der evangelischen Geschichte des Johannes von Bruno Bauer

u. S. W.

(Fortsetzung von Nr. 115.)

Der Evangelist, zu dessen Zeit Jesus gen Him

mel gefahren war und sich nun im Schoosse des Vaters befand (1,18), soll vergessen haben, dass Jesus damals, als er auf Erden lebte und zu dem Nicodemus sprach, noch nicht gen Himmel gefahren war und noch nicht wieder im Himmel wohnte! Nein, die Worte ovdeìs úvaßéßyzev eis tòv ovqavòv εἰ μὴ ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς drücken die spätere und von Jesu sicherlich nie ausgesprochene Vorstellung aus, dass der Logos schon vor seiner Menschwerdung, z. B. um im Namen und Auftrage Gottes mit einem Abraham und Moses zu sprechen, vom Himmel auf die Erde herabgestiegen sey (vgl. Fritzsche's, des Vaters, diesjähriges Osterprogramm De spiritu s. p. 6. und Joh. 12,41). Die Worte aber á viòs toỡ ávvoúnov ỏ àv ¿v tự ovgave können heissen: der Sohn des Menschen, welcher im Himmel wesentlich wohnt. Die Erde ist nur auf kurze Zeit seine Wohnung, sein Leben als Mensch unter den Menschen eine vorübergehende Daseynsform. Die Behauptung des Vfs. S. 95, dass v. 14. 15 das Himmlische enthüllt und darunter die im göttlichen Rathschlusse gegründete Nothwendigkeit der Erhöhung oder Verherrlichung des Herrn verstanden werde, welche nicht ohne den Kreuzestod möglich sey, ist schon durch unsere obigen Bemerkungen widerlegt. Ueberdies bezieht sich vovoda hier ausschliesslich auf die Erhöhung an's Kreuz, nicht zugleich auf die Himmelfahrt. Der Vf. schliesst nun ab und mustert Schritt vor Schritt die bisherigen Sätze. Es ist unvereinbar mit Jesu Lehrweisheit, dass er die Nothwendigkeit seines Kreuzestodes irgend einem Zeitgenossen, besonders aber dem beschränkten Nicodemus typisch angedeutet hätte. Das Verständniss des Typus von der ehernen Schlange ist nur möglich, A. L. Z. 1841. Zweiter Band.

die

um

wenn die Kenntniss des abgebildeten Thatbestandes schon vorhanden ist, d. h. nur ein Späterer konnte, nachdem Jesus den Kreuzestod erlitten hatte, eherne Schlange, als den Typus des (ewiges) Leben erwirkenden Leidens des Herrn betrachten und sie Andern, die gleichfalls schon die h. Geschichte kannten, als diesen Typus vor die Anschauung bringen (S. 96). Es ist gewiss, dass Nicodemus nicht so einfältig gewesen ist, als er nach v. 4. 9 gewesen seyn soll, und dass Jesus nicht so unpädagogisch mit dem beschränkten Schüler umgegangen ist, als der Evangelist erzählt. Das Gespräch hat der Evangelist von seinem spätern Standpunkte aus gemacht, den Contrast zwischen der Weisheit des Mensch gewordenen Logos und der Beschränktheit eines hochgestellten und gelehrten Juden fühlbar zu machen. Das Gespräch beweiset das Gegentheil von dem, was es beweisen soll, dass Jesus den Menschen in's Herz gesehen habe (2, 25. 3,3) und leidet an einem innern Widerspruche, indem es, um die nach v. 9. stockende Unterhaltung in Fluss zu bringen, auf einmal die Beschränktheit des Nicodemus (v. 4. 9) in böswilligen Unglauben verkehrt (v. 11 fg.). Die historische Grundlage des Gesprächs ist nach dem Vf. die, dass Jesus einmal mit einem pharisäischen Obern über die Nothwendigkeit der Wiedergeburt gesprochen hat (S. 101). Alles aber, was der Vf. über Joh. 3, 1621 sagt (S. 101-106), ist verfehlt. Denn diese Verse enthalten nicht mehr eine Fortsetzung der Rede Jesu an den Nicodemus, wie der Vf. annimmt, sondern eine Reflexion des Evangelisten über 3, 11-15. Dies lehrt nicht nur der in diesen Versen (16-21 ) waltende Reflexionston, sondern auch manches Einzelne, besonders v.16: — ώςτε τὸν υἱὸν αὐτοῦ τὸν μου voyev dwzev und v. 19:- zaì nyánŋoav oi ävἔδωκεν ἠγάπησαν θρωποι μᾶλλον τὸ σκότος ἢ τὸ φῶς· ἦν γὰρ πονηρὰ avτæv tà čoya. Derselbe Fall ist Joh. 3,31-36 und Gal. 2, 15—21.

Gut weiset Hr. B. (S. 106 f.) nach, dass der Evangelist nicht eben glücklich pragmatisire, wenn er 3, 23 erinnere, dass Johannes der Täufer darum in Aenon bei Salim getauft habe, weil dort viel Wasser geRr

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