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„Seße dich zu mir, mein treuer Freund," sagte Anton, ,,iß und trink mit mir. Deine höflichen Poffen gewöhne dir ab; wir werden wenig haben, was wir aber erwerben, das wollen wir brüderlich mit einander theilen. Nimm die Flasche, wenn du kein Glas hast.“

„Nichts über Leder," sagte Karl, ein kleines Trinkgefäß von braunem Leder aus der Tasche ziehend. „Und was Sie soeben zu mir gesagt haben, das war freundlich gemeint, und ich danke Ihnen dafür. Aber Subordination muß sein, schon wegen der andern Leute, und so wird der Herr Bevollmächtigte mir schon gütigst erlauben, daß ich Ihnen zuerst die Hand schüttele, und im Uebrigen Alles beim Alten bleibt. Sehen Sie nur die Pferde, Herr Anton, meiner Treu, die Racker fressen auch Disteln."

Wieder wurden die Pferde eingespannt, wieder warfen sie ihre kurzen Beine im Sande vorwärts, und wieder ging es fort in der kahlen Gegend. Zuerst durch eine leere Ebene, durch einen schlechten Kiefernwald, dann über eine Reihe von niedrigen Sandhügeln, die wie Dünen der öden Wasserfluth über den pflanzenarmen Boden hervorragten, dann auf schadhafter Brücke über einen kleinen Bach. Hier ist das Gut," sagte der Kutscher sich umdrehend, und wies mit der Peitsche auf einen Haufen dunkeler Strohdächer, welcher gerade vor ihnen sichtbar wurde. Anton erhob sich von seinem Sig und suchte die Baumgruppe, in welcher das Herrenhaus liegen konnte. Er sah nichts davon. Um das Dorf war Manches nicht zu finden, was auch die ärmlichsten Bauernhäuser seiner Heimat schmückte, kein Haufe von Obstbäumen hinter den Scheuern, kein umzäunter Garten, keine Linde auf dem Dorfplat, einförmig und kahl standen die schmußigen Hütten neben einander.

„Das ist traurig,“ seufzte er sich niederseßend, „viel ärger, als man uns in Rosmin gesagt.“

„Das Dorf sieht aus wie verwünscht," rief Karl; „die Gespanne arbeiten nicht auf dem Felde, und weder Kühe noch

Schafe sind auf dem Stoppelland zu sehen. Wahrscheinlich haben die Leute hier Stallfütterung.“

Der Knecht schlug auf die Pferde, und in unregelmäßigem Galopp fuhren sie zwischen zwei Reihen von Lehmhütten durch das Dorf und hielten vor der Schenke an. Karl sprang vom Wagen, öffnete die Schenkstube und rief den Wirth. Ein Jude erhob sich langsam von seinem Sitz am Ofen und kam an die Hausthür. „Ist der Gensdarm von Rosmin · angekommen?" frug Anton. Er war in das Dorf gegangen. ,,Wo ist der Weg nach dem Hofe?"

Der Wirth, ein ältlicher Mann mit verständigem Gesicht, beschrieb den Weg deutsch und polnisch und blieb an der Thür stehen, wie Karl behauptete, ganz außer sich über den Anblick von zwei Menschen. Der Wagen bog in einen Nebenweg ein, der auf beiden Seiten mit dicken Baumstümpfen besetzt war, den Ueberresten einer gefällten Allee. Durch die Löcher des Weges, durch Schlammpfüßen und über Steine rasselte der Wagen vor einen Haufen von Lehmhütten, an denen noch die Reste eines weißen Kalkmantels hingen. „Die Scheunen und Ställe sind leer," rief Karl, denn in den Dächern sind Oeffnungen, groß genug, um mit unserm Wagen hineinzufahren.“

Anton sprach nichts mehr, er war gefaßt auf Alles. Durch eine Lücke zwischen den Ställen fuhren die Reisenden in den Wirthschaftshof, einen großen unregelmäßigen Plag, auf drei Seiten von schadhaften Gebäuden umgeben, die vierte offen gegen das Feld. Dort lag ein Haufe von Trümmern, Lehm und verfaulten Balken, die Ueberreste einer eingefallenen Scheuer. Der Hofraum war leer, von Ackergeräthen und menschlicher Thätigkeit war nichts zu erblicken. „Wo ist die Wohnung des Inspectors?" frug Anton betroffen. Der Kutscher sah sich suchend um, endlich entschied er sich für ein kleines Parterregebäude mit einem Strohdache und unsaubern Fenstern.

Bei dem Geräusch des Wagens trat ein Mann auf die Thürschwelle und wartete phlegmatisch ab, bis die Reisenden

abgestiegen waren und dicht vor ihm standen. Es war ein breitschultriger Gesell mit einem aufgedunsenen Branntweingesicht, in einer Jacke von zottigem Zeuge; hinter ihm steckte ein ebenso zottiger Hund die Schnauze aus der Thür und knurrte die Fremden an. Sind Sie der Inspector dieser Güter?" frug Anton.

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„Der bin ich,“ erwiederte der kurze Mann in gebrochenem Deutsch, ohne sich von der Stelle zu rühren.

„Und ich bin der Bevollmächtigte des neuen Eigenthümers,“ sagte Anton.

„Das geht mich alles nichts an,“ grollte der zottige Mann in grobem Ton, drehte kurz um, ging in die Stube zurück und verriegelte die Thür von innen.

Anton war empört. „Schlag' das Fenster ein und hilf mir den Schurken festnehmen,“ rief er seinem Begleiter zu. Dieser griff kaltblütig nach einem Stück Holz, schlug auf die Scheiben, daß der morsche Fensterflügel klirrend in die Stube fiel, und sprang mit einem Satz durch die Oeffnung hinein. Anton folgte. Das Zimmer war leer, die Kammer daneben auch, von dort führte ein offenes Fenster ins Freie, der Mann war hinausgesprungen. „Durch's Fenster herein und wieder hinaus, wie die Teufel," schrie Karl und sprang dem Flüchtling nach, Anton eilte zurück um das Haus herum. Er hörte Hundegebell und fah, wie Karl über den ungetreuen Haushalter herfiel und ihn unter dem wüthenden Gekläff des Hundes am Kragen faßte. Anton sprang zu Hilfe und hielt den Ausreißer fest, während Karl dem Hunde einen Fußtritt gab, daß dieser weit weg auf den Boden flog. Darauf brachten Beide den Inspector, welcher heftig um sich schlug, um die Ecke herum in das Haus zurück.

Fahr zur Schenke und hole den Gensdarm und den Wirth," rief Anton dem Kutscher zu, der unbekümmert um die Händel der Herren unterdeß das Gepäck der Reisenden vom Wagen abgeladen hatte. Der Knecht fuhr gemächlich ab,

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der Flüchtling wurde in die Stube geführt, Karl ergriff ein altes Tuch und band ihm die Hände auf den Rücken. Entschuldigen Sie, Inspector," sagte er, es ist nur auf einige Stunden, bis der Gensdarm aus Rosmin kommt, den wir bestellt haben." Unterdeß sah sich Anton in der Wohnung um; außer dem nothdürftigsten Hausrath und dem Bett des Mannes war nichts zu finden, weder Bücher noch Rechnungen. Es war kein Zweifel, auch die Wohnung war bereits ausgeräumt. Aus der Rocktasche des Gefangenen ragte ein Bündel Papiere, Anton zog sie dem Widerstrebenden heraus, es waren Verhandlungen und Actenstücke in polnischer Sprache. Unterdeß kam der Knecht mit dem Schenkwirth und dem bewaffneten Polizeibeamten zurück. Der Wirth blieb verlegen an der Thür stehen, dem Gensdarm erklärte Anton kurz den Zusammenhang. Machen Sie eine Eingabe an das Amt," sagte der Gensdarm, „und geben Sie mir den Mann auf der Stelle mit. Er soll in Ihrem Wagen nach Rosmin fahren. Es wird am besten sein, wenn Sie sich den Menschen vom Halse schaffen, denn es ist eine schlechte Gegend hier, und er wird Ihnen zu Rosmin sicherer sein als hier, wo er Freunde und Spießgesellen hat." Aus der Schenke wurde nach langem Suchen ein Bogen Papier herzugebracht. Anton schrieb die Anzeige nieder und legte auf das Ansuchen des Polizeibeamten, der die polnischen Schriftstücke kopfschüttelnd durchgesehen hatte, diese bei; der Gefangene wurde auf den Wagen gehoben, der Gensdarm setzte sich neben ihn und sagte vor der Abfahrt noch zu Anton: „Ich habe mir lange gedacht, daß so etwas kommen würde. Sie werden mich vielleicht noch öfter in diesen Tagen brauchen." So fuhr der Wagen aus dem Hofe, und so verlief die Uebernahme des Gutes durch Anton. Er war ausgeseßt, wie auf einer wüsten Insel. Seine Lederkoffer und Reisebedürfnisse standen im Freien an einer Lehmwand, der Schenkwirth des polnischen Dorfes war der einzige Mensch, der ihnen Auskunft geben konnte und Rath schaffen in der unbehaglichen Lage.

Jezt, da der Inspector entfernt war, wurde der Wirth gesprächig, er zeigte guten Willen und erbot sich demüthig zu allen Diensten. Eine lange Unterredung begann. Das Ergebniß war ungefähr so, wie Anton nach den Warnungen des Justizcommissars Walther und der Beamten zu Rosmin gefürchtet hatte. Der abgeführte Verwalter hatte in den lezten Wochen noch nach Kräften gearbeitet, das Inventarium zu verwüsten; er war sicher geworden durch ein Gerücht, das aus der Stadt in die Dörfer gedrungen war, auch der neue Besizer werde die Güter nicht übernehmen. Endlich schloß Anton die Verhandlung mit den Worten: „Was jener schlechte Mann veruntreut hat, darüber wird er Rechenschaft ablegen; unsere nächste Sorge ist, festzuhalten, was auf den Gütern noch vorhanden ist. Ihr müßt heut unsern Führer machen."

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So durchsuchten sie den menschenleeren Hofraum. Bier Pferde mit zwei Knechten — sie waren in das Holz gefahren – wenige schadhafte Pflüge, ein paar Eggen, zwei Leiterwagen, eine Britschka, ein Keller mit Kartoffeln, einige Wispel Hafer, wenig Stroh -die Aufzeichnung nahm keinen großen Raum in Anspruch; die Gebäude waren sämmtlich schadhaft, nicht durch hohes Alter, sondern durch die Gleichgültigkeit der Menschen, welche das Eindringen der Elemente seit Jahren nicht verhindert hatten.

„Wo steht das Wohnhaus?" frug Anton. Der Wirth führte aus dem Hofraum auf den Anger, eine weite Fläche, welche allmählich zu dem Ufer des Baches abfiel. Es war eine große Viehtrift. Die Rinder und Schafe hatten Löcher ausgetreten, die Rüffel begehrlicher Schweine hatten den Boden aufgewühlt, graue Maulwurfshügel und üppige Grasbüschel erhoben sich auf dem Grund. Der Wirth streckte die Hand aus: „Dort ist das Schloß. Dies Schloß ist berühmt in der ganzen Umgegend," fügte er mit Bewunderung hinzu, „ein solches steinernes Haus hat kein Edelmann im Kreise. Die

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