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darf, sondern Alles, was zum Verständniss nothwendig, auch wenn es verschiedenartig ist, heranziehen muss, sollte da nicht an die sie vorbereitende oder ersetzende schriftliche dieselbe Forderung nicht gemacht werden können sondern müssen? selbst wenn es dem Erklärer nicht gerade angenehm ist von einem Gebiete oft plötzlich auf ein weit abgelegenes übergehen und dem Nothwendigen die,,anziehende Darstellung" aufopfern

zu müssen.

Ob die Mittel, welche der Philologische Anzeiger empfiehlt, diese anziehende Form der Anmerkungen zu gewinnen und Einheit in dieselben zu bringen für die Erklärung des Livius, obgleich sie für diesen besonders empfohlen werden, zweckmässig und überhaupt anwendbar seien, dürfte ebenso zweifelhaft sein, als es klar ist, dass diese nach dem vorgeschlagenen Verfahren einseitig werden würde. Nach demselben müssten nämlich alle sachlichen Bemerkungen, wie es von Gossrau in der Erklä– rung einiger Reden Ciceros bereits geschehen, aber noch nicht nachgeahmt worden ist, in die Einleitung verwiesen werden. ,,In den Ausgaben der Dramatiker, heisst es im Philologischen Anzeiger, verlangen wir eine das Mythologische, Scenische, die Frage nach der Composition behandelnde Einleitung, so dass dem Commentar das Sprachliche, der Gedankenzusammenhang und Analoges verbleibt; beide Theile können dann eine anziehende Form erhalten. In ähnlicher Weise wird auch bei den Philosophen, den Rednern schon verfahren, warum soll nun nicht ebenso bei Livius verfahren werden und den Historikern? Gerade Livius fordert zu solcher Behandlung auf: man könnte bald zu einem Buche, bald zu mehreren die Einleitung schreiben und in ihr das zum Verständniss nöthige Historische, Antiquarische, im weitesten Sinne des Worts, im Zusammenhang passlich entwickeln, wodurch der Verfasser gezwungen würde, selbstthätig so speciell wie möglich in den Stoff einzudringen" u. s. w. Wenigstens eine Aufgabe, die nämlich, die Frage nach der Composition zu behandeln, wird also dem Erklärer des Livius erlassen. Der Verfasser scheint den gewaltigen Unterschied zwischen einem so umfangreichen Werke, oder auch einem Theile dieses Werkes, das ohne allen Anspruch darauf ein historisches Kunstwerk sein zu wollen auftritt, dessen Verfasser nicht einmal das Ganze, das er bearbeitete, übersah, geschweige denn, dass er alles Einzelne mit gleichem Geiste hätte durchdringen und jedem seine passende Stelle anweisen können, und einem Drama des Sophokles, einer Rede des Demosthenes oder gar

einer Ode Pindars erkennend, diese Anforderung, die man nach seinen Worten erwarten müsste, aufgegeben zu haben. Aber auch das, was er in der Einleitung zu Livius behandelt wissen will, dürfte noch in einem anderen Verhältniss zu dem Werke selbst stehen, als das, was in den Einleitungen, die als Vorbild aufgestellt werden, ausgeführt wird, zu den betreffenden Schriften. Wenn in der Einleitung zu einem Drama das Scenische, Mythologische (die Composition kann erst nach der Lecture des Drama verstanden werden), in der zu einer Rede die speciellen historischen Verhältnisse, unter denen sie gehalten worden ist, dargelegt werden, so sind dieses Gegenstände, die das Verständniss nur vorbereiten, nicht selbst darbieten, den Stoff, den die folgende Schrift behandelt, nicht vorwegnehmen; die Einleitung kann sich auf das eine, streng abgeschlossene Ganze beziehen; der Schüler wird sie leicht übersehen und mit Spannung die Lectüre beginnen, um zu erkennen, wie der Dichter u. s. w. die in derselben bezeichnete Aufgabe gelöst habe. Soll dagegen das Historische und Antiquarische in den Einleitungen zu Livius im Zusammenhang entwickelt werden, so kann dieses kaum anders geschehen, als dass sie den auch in dem Geschichtswerke enthaltenen Stoff behandeln und vorwegnehmen, das Verständniss desselben nicht vorbereiten, sondern nach einer Seite hin schon vor der Lectüre geben, dass sie sich, wenigstens in Bezug auf das Antiquarische, nicht auf ein Buch oder einige beschränken können, sondern oft auf spätere Rücksicht nehmen müssen; dass der Schüler, da er bereits weiss, was er in dem Schriftsteller zu erwarten hat, ungern an denselben herantreten, oder wenn er, ohne die Einleitungen gelesen zu haben, die Lectüre beginnt, gar oft den Verweisungen keine Folge leisten wird. Ferner findet sich das Historische, dessen Verständniss gefordert wird, das in der Einleitung im Zusammenhange entwickelt werden, eine anziehende Form erhalten, durch dessen Darstellung der Erklärer gezwungen werden soll, so speciell als möglich in den Stoff einzudringen (als ob ihn dazu nicht schon seine Aufgabe überhaupt aufforderte, und das Einzelne an sich und in seinem Zusammenhange im Commentare erklärt werden könnte, ohne speciell in den Stoff einzugehen, sondern dazu ein äusserer Zwang nöthig wäre), oft zerstreut in der Darstellung des Historikers, es sind Gegenstände, die in keiner Verbindung mit einander stehen, nur Einzelheiten, welche nicht passend verbunden, nicht wahrheitsgetreu erzählt oder ganz übergangen sind. Sollen diese nun nicht abgerissen und in ihrer Vereinzelung, sondern im Zusam

menhange, nicht trocken, sondern anziehend geschildert werden, so bleibt nichts übrig als alles zwischen den einzelnen Punkten Liegende heranzuziehen, auf dasselbe einzugehen und die Stellen, die etwas, dessen Verständniss nöthig ist, enthalten, irgendwie auszuzeichnen. So würden die Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten der 3. Decade zu einer Geschichte des zweiten punischen Krieges, und, da der Erklärer so speciell als möglich auf den Stoff eingehen soll, vielleicht nicht weniger ausführlich werden, als die von Livius selbst gegebene Darstellung, während auf der anderen Seite nicht abzusehen ist, wie die abgerissen vom 2. bis 6. Buche erzählten Ereignisse in Zusammenhang gebracht werden sollen ohne viele Hypothesen oder das Geständniss herbeizuführen, dass wir denselben ebenso wenig nachweisen können, als Livius ihn kannte. Während sonst erfahrene Schulmänner fordern, dass, ausser der Rücksicht auf die Sprache, die Lectüre der Historiker den Zweck verfolgen müsse, die allgemeine Kenntniss der alten Geschichte, die der Schüler in dem Geschichtsunterricht erhält, zu ergänzen, zu beleben und zu veranschaulichen, würde nach dem hier empfohlenen Verfahren die Einleitung in den Historiker das Wichtigere werden, hier würde die Nachweisung des Zusammenhangs, hier die Berichtigung der Irrthümer, die Ergänzung der Lücken u. s. w. zu suchen sein. Eben so soll das Antiquarische, im weitesten Sinne, was zum Verständniss nöthig ist, also nicht allein das die Staats-Sacral-Privateigenthümer Betreffende, sondern auch was sich auf Mythologie, Topographie, vielleicht selbst Geographie bezieht, im Zusammenhange entwickelt werden. Wie aber ein Zusammenhang in diese heterogenen Gegenstände zu bringen sei, lässt sich schwer absehen; selbst wenn die Forderung so verstanden sein will, dass nur die einen bestimmten einzelnen Kreis betreffenden Stellen gesammelt und im Zusammenhang dargestellt werden sollen, würde derselben kaum entsprochen werden können, ohne vielfach über die Bücher, denen die Einleitung beigegeben wird, hinauszugehen. Denn auch hier wird es nothwendig, die Lücken zwischen den einzelnen, meist zerstreuten und nicht zusammenhängenden Bemerkungen des Historikers auszufüllen, zu diesem Zweck aber und um Zusammenhang in diesen Stoff zu bringen Manches, was der Schriftsteller erst weit später oder gar nicht berührt, herbeizuziehen. Dasselbe würde sich bei den einzelnen Instituten, Gebräuchen u. s. w. wiederholen. Denn da Livius oft späte Einrichtungen früher erwähnt, oder die alten nach der Bedeutung, die sie

später oder zu seiner Zeit hatten, auffasst und darstellt, so wird um den Zusammenhang der ursprünglichen und der spåteren Bedeutung zu vermitteln, die ganze Geschichte derselben, bis zu einem weit über die betreffenden Bücher hinausliegenden Zeitpunkte, einer einzelnen Stelle wegen, s. 1, 19, 3, verfolgt werden müssen. So wäre, um nur ein Beispiel zu geben, in der antiquarischen Einleitung zu den ersten beiden Büchern, abgesehen von dem Mythologischen, Topographischen u. A. zu behandeln das römische Königthum; die älteste Verfassung, die Servianische bis zur Einordung der Centurien in die Tribus, wegen 1, 43, 13; die verschiedenen Comitien und deren Competenzen, der ältere und spätere populus, die alte und die spätere plebs, die Clienten; der Senat; die lex sacrata, agraria, Publilia; das Consulat; das Volkstribunat; das Gerichtswesen, der Process des Horatius, der Söhne des Brutus, des Cassius, Coriolanus; die Kriegsverfassung, das Sacralwesen, die Colonieen, das Verhältniss Roms zu den Latinern u. s. w., also bei weitem der grössere Theil der Antiquitäten im engeren Sinne, und nicht allein bis in die Zeit, wo das 2. Buch schliesst, sondern Vieles bis zu Liv's Zeit. Bei dem Reichthum und der Schwierigkeit dieses zum grossen Theil controversen Stoffes müsste diese Einleitung, auch wenn der Erklärer sich noch so sehr der Präcision befleissigte und dieser die anziehende Darstellung nachsetzte, einen Umfang erhalten, der mit dem der beiden Bücher in keinem Verhältnisse stände. Der Schüler, wenn er die historische Einleitung durchgearbeitet hat, wird sich durch die ihr folgende, umfangreichere antiquarische schwerlich zur Lectüre des Schriftstellers besonders aufgemuntert fühlen; und wenn er dann während derselben so oft auf die Einleitung verwiesen wird, und um einen Abschnitt in dieser durchzulesen die Lectüre unterbrechen soll, so ist leicht einzusehen, wie störend und zeitraubend dieses sein würde, wie viel einfacher ihm an Ort und Stelle, wenn er mitten in der Sache ist, mündlich oder durch den Commentar die nöthige Nachhülfe gegeben werden könnte, ohne ihn von der Hauptsache, der Lectüre, abzuziehen. Dazu kommt noch, dass die in der antiquarischen Einleitung besprochenen Verhältnisse zum grossen Theil, manche oft wiederkehren; sollen also auch zu den folgenden Büchern Einleitungen, die das Antiquarische, im weitesten Sinne des Wortes, im Zusammenhange entwickeln, gegeben werden, so bleibt nichts übrig als entweder das in der ersten Behandelte mit wenigen, durch die in den betreffenden Büchern berührten Gegenstände veran

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lassten Erweiterungen vollständig zu wiederholen und dasselbe in fünf oder mehr Einleitungen zu behandeln, oder in späteren. auf die erste oder eine frühere zu verweisen, und somit auf den Zweck derselben, die Darstellung des Antiquarischen im Zusammenhange, zu verzichten; es würde so ein rasches Verständniss zwar nicht gefördert, aber die Einheit der Anmerkungen gewahrt werden. Ist diese aber so wichtig und so sehr zu erstreben, so ist nicht abzusehen, warum der Einleitung allein das Sachliche, nicht zum Theil auch das Sprachliche zugewiesen werden soll. Es ist in der neuesten Zeit mehrfach mit Erfolg versucht worden, die sprachlichen Eigenthümlichkeiten des behandelten Schriftstellers in der Einleitung zusammenzustellen; einen Grund, warum dieses nicht geschehen dürfe, giebt der Phil. Anz. nicht an; man hätte also erwarten können, in demselben auch dieses Mittel den Commentar von heterogenen Bestandtheilen zu befreien, auf ein minimum zu reducieren und einheitlich zu gestalten empfohlen zu sehen.

Nur noch wenige Worte, da der Herausgeber des Phil. Anz. den Gegenstand, wie er es in hohem Grade verdient, eingehender zu behandeln verspricht, möchte ich über die Ansicht desselben von den Reden im Livius hinzufügen. Nach dieser haben die Römer und Livius bezüglich der Reden in selbststän- " diger Leistung alle Griechen nach Thucydides übertroffen. Wenn aber dieser als Norm und Massstab hingestellt wird, so ist schwer einzusehen, warum die Reden bei Xenophon und Polybius alle hinter denen des Livius zurück- und weiter von Thucydides abstehen sollen, da sie wenigstens zum Theil historische Reden sind, während die bei Livius, wie es im Phil. Anz. heisst, nur rhetorische Meisterstücke sind, die des Schönen gar viel enthalten, eine schon von Quintilian aufgestellte und bis jetzt nicht bezweifelte Behauptung, die aber nicht beweist, dass Reden, die nicht aus der gegebenen Situation hervorgehen, diese wenig berücksichtigen, sich in allgemeinen Gedanken bewegen, wie so viele bei Livius (natürlich sind die von ihm dem Polybius entlehnten auszunehmen), mögen sie auch des Schönen viel enthalten, den wenigstens den Verhältnissen entsprechenden bei Xenophon, Polybius u. A. vorzuziehen und in einem historischen Werke nicht vielmehr als ein äusserlicher, der Sache selbst fremder Schmuck zu betrachten seien, wie es an der betreffenden Stelle an einer dieser Reden schlagend nachgewiesen ist, ohne dass die rhetorischen Vorzüge derselben in das gehörige Licht gestellt werden. Ebenso dürfte daraus, dass

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