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der Flüchtling wurde in die Stube geführt, Karl ergriff ein altes Tuch und band ihm die Hände auf den Rücken. „Entschuldigen Sie, Inspector," sagte er, es ist nur auf einige Stunden, bis der Gensdarm aus Rosmin kommt, den wir bestellt haben." Unterdeß sah sich Anton in der Wohnung um; außer dem nothdürftigsten Hausrath und dem Bett des Mannes war nichts zu finden, weder Bücher noch Rechnungen. Es war kein Zweifel, auch die Wohnung war bereits ausgeräumt. Aus der Rocktasche des Gefangenen ragte ein Bündel Papiere, Anton zog sie dem Widerstrebenden heraus, es waren Verhandlungen und Actenstücke in polnischer Sprache. Unterdeß kam der Knecht mit dem Schenkwirth und dem bewaffneten Polizeibeamten zurück. Der Wirth blieb verlegen an der Thür stehen, dem Gensdarm erklärte Anton kurz den Zusammenhang. Machen Sie eine Eingabe an das Amt," sagte der Gensdarm, „und geben Sie mir den Mann auf der Stelle mit. Er soll in Ihrem Wagen nach Rosmin fahren. Es wird am besten sein, wenn Sie sich den Menschen vom Halse schaffen, denn es ist eine schlechte Gegend hier, und er wird Ihnen zu Rosmin sicherer sein als hier, wo er Freunde und Spießgesellen hat." Aus der Schenke wurde nach langem Suchen ein Bogen Papier herzugebracht. Anton schrieb die Anzeige nieder und legte auf das Ansuchen des Polizeibeamten, der die polnischen Schriftstücke kopfschüttelnd durchgesehen hatte, diese bei; der Gefangene wurde auf den Wagen gehoben, der Gensdarm sezte sich neben ihn und sagte vor der Abfahrt noch zu Anton: „Ich habe mir lange gedacht, daß so etwas kommen würde. Sie werden mich vielleicht noch öfter in diesen Tagen brauchen." So fuhr der Wagen aus dem Hofe, und so verlief die Uebernahme des Gutes durch Anton. Er war ausgesetzt, wie auf einer wüsten Insel. Seine Lederkoffer und Reisebedürfnisse standen im Freien an einer Lehmwand, der Schenkwirth des polnischen Dorfes war der einzige Mensch, der ihnen Auskunft geben konnte und Rath schaffen in der unbehaglichen Lage.

Jetzt, da der Inspector entfernt war, wurde der Wirth gesprächig, er zeigte guten Willen und erbot sich demüthig zu allen Diensten. Eine lange Unterredung begann. Das Ergebniß war ungefähr so, wie Anton nach den Warnungen des Justizcommissars Walther und der Beamten zu Rosmin gefürchtet hatte. Der abgeführte Verwalter hatte in den lezten Wochen noch nach Kräften gearbeitet, das Inventarium zu verwüsten; er war sicher geworden durch ein Gerücht, das aus der Stadt in die Dörfer gedrungen war, auch der neue Besizer werde die Güter nicht übernehmen. Endlich schloß Anton die Verhandlung mit den Worten: „Was jener schlechte Mann veruntreut hat, darüber wird er Rechenschaft ablegen; unsere nächste Sorge ist, festzuhalten, was auf den Gütern noch vorhanden ist. Ihr müßt heut unsern Führer machen."

Bier

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So durchsuchten sie den menschenleeren Hofraum. Pferde mit zwei Knechten — sie waren in das Holz gefahren – wenige schadhafte Pflüge, ein paar Eggen, zwei Leiterwagen, eine Britschka, ein Keller mit Kartoffeln, einige Wispel Hafer, wenig Stroh die Aufzeichnung nahm keinen großen Raum in Anspruch; die Gebäude waren sämmtlich schadhaft, nicht durch hohes Alter, sondern durch die Gleichgültigkeit der Menschen, welche das Eindringen der Elemente seit Jahren nicht verhindert hatten.

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„Wo steht das Wohnhaus?" frug Anton. Der Wirth führte aus dem Hofraum auf den Anger, eine weite Fläche, welche allmählich zu dem Ufer des Baches abfiel. Es war eine große Biehtrift. Die Rinder und Schafe hatten Löcher ausgetreten, die Rüssel begehrlicher Schweine hatten den Boden aufgewühlt, graue Maulwurfshügel und üppige Grasbüschel erhoben sich auf dem Grund. Der Wirth streckte die Hand aus: Dort ist das Schloß. Dies Schloß ist berühmt in der ganzen Umgegend," fügte er mit Bewunderung hinzu, „ein solches steinernes Haus hat kein Edelmann im Kreise. Die

Herren im Lande wohnen hier in Lehm und Holz. Auch der reichste, der von Tarow, hat nur ein niedriges Haus.“

Etwa dreihundert Schritt von der letzten Scheuer erhob sich ein mächtiger Bau von rohen Backsteinen, mit schwarzem Schieferdach und einem dicken runden Thurm. Das finstere Mauerwerk auf dem Weideland ohne Bäume, ohne eine Spur von Leben, stand unter dem grauen Wolkenhimmel wie eine gespenstige Festung, welche ein häßlicher Geist aus den Tiefen der Erde gehoben hat, um von ihr aus das grüne Leben der Landschaft zu rernichten.

Die Männer traten näher heran. Das Schloß war zur Ruine geworden, bevor die erbauenden Handwerker ihre Arbeit vollendet hatten. Seit uralter Zeit hatte an dieser Stelle der unförmliche Thurm gestanden, er war aus großen Feldsteinen gemauert, mit kleinen Fenstern und Zuglöchern. Die alten Herren der Landschaft hatten von seiner Höhe auf die Wipfel der Bäume gesehen, welche damals wohl noch weiter in die Ebene hineinreichten; sie hatten von dort als strenge Herren mit den Leibeigenen geschaltet, die vor ihren Füßen das Land bauten und für sie arbeiteten und starben. Mancher Sarmatenpfeil war durch die kleinen Fenster auf den ansprengenden Feind herabgeflogen, und manches anstürmende Tatarenpferd war zurückgeprallt vor der feindlichen Steinmauer. An diesen grauen Thurm hatte vor vielen Jahren ein Despot der Landschaft zur Buße für begangene Sünden die Mauern eines Klosters aufgerichtet. Aber das Kloster war niemals fertig geworden, und lange hatten die Mauern zwecklos dagestanden, bis der verstorbene Graf sie zu einem Herrenhaus für sein Geschlecht ausbaute. Er wollte einen Prachtbau aufführen, wie die Umgegend keinen anderen kannte.

Die Front des Hauses war so an den Thurm gemauert, daß er in ihrer Mitte stand, und aus der geraden Linie im Halbkreis vorsprang, zwei Flügel des neuen Baues gingen auf den Bach hin. Es war die Absicht gewesen, eine hohe

Nampe vor dem Schloß aufzuführen, der Haupteingang war in den Thurm eingeschlagen und ausgewölbt worden; aber die Rampe war nicht aufgeschüttet, und die steinerne Schwelle der Hausthür lag weit über Manneshöhe in der Thurmmauer, ohne Leiter nicht zu betreten. Keine Thür verschloß die große Oeffnung. Die Fensterlöcher des untern Stocks wiesen noch die rohe Mauer, sie waren mit Bretern nothdürftig verschlagen, im obern Stock waren einzelne Fenster mit künstlichen Rahmen von gedrehtem Holz verziert, und große Scheiben hatte man eingefugt, aber wieder zerschlagen. In andern Fensterlöchern hingen Nothrahmen aus rohem Kieferholz mit kleinen trüken Glasaugen. Auf der Zinne des Thurms saß eine Gesellschaft Dohlen und blickte verwundert herab auf die fremden Männer, zuweilen flog eine mit lautem Schrei auf und ließ sich an einer andern Stelle des Daches nieder, um wieder auf die Unwillkommenen herabzustarren.

„Ein Haus für Krähen und Fledermäuse, aber nicht für Menschen,“ rief Anton; „noch sehe ich keinen Zugang zu diesem Räuberschloß.“ Der Wirth führte um das Gebäude herum. Auf der hintern Seite, wo zwei Flügel die Form eines Hufeisens bildeten, waren niedrige Eingänge zum Erdgeschoß und den Kellern, dort unten waren Ställe, große gewölbte Kochräume und kleine Zellen für die unfreien Diener. Von dem Anger aber lief eine Holztreppe hinauf in das untere Stockwerk. Knarrend bewegte sich die Thür in ihren Angeln, ein schmaler Gang führte durch den Seitenflügel in die Räume des Vorderhauses. Dort war Alles in großen Verhältnissen angelegt und auf eine reiche Ausstattung berechnet. Die runde Vorhalle, ein Gewölbe des alten Thurms, war mit bunten Marmorstücken mosaikartig gepflastert, aus ihr sah man durch die große Thüröffnung hinaus in das Freie. Eine breite Treppe, wie für ein Königsschloß, führte in den obern Stock. Hier wölbte sich eine zweite runde Halle mit kleinen FensterLöchern, das zweite Stockwerk des Thurms. Zu ihren beiden

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Seiten lag die Reihe der Zimmer. Ueberall hohe wüste Räume, schwere eichene Flügelthüren und schmutzige Kalkwände; die Decken waren aus dicken Fichtenstämmen gezimmert, die im Schachbret in einander gefügt waren, in einigen Stuben standen ungeheure grüne Kachelösen, in anderen fehlten die Defen ganz, in einigen war der Fußboden kunstvolles Täfelwerk, in andern knorrige Kieferbreter; ein großer Saal mit zwei riesigen Kaminen für Klafterscheite hatte eine Nothdecke von alten Latten. Das Schloß war angelegt für einen wilden asiatischen Hofhalt, für Tapeten von Leder und Seide aus Frankreich, für kostbare Holzbekleidung aus England, für massives Silbergeräth aus deutschen Bergwerken, für einen stolzen Herrn, für zahlreiche Gäste und für eine Schaar leibeigener Knechte, welche die Hallen und Vorzimmer anfüllen sollten. Der Erbauer des Schlosses hatte an das reichliche Leben seiner wilden Ahnherren gedacht, als er den Bau aufführen ließ, er hatte dafür Hunderte von Stämmen aus seinem Walde niedergeschlagen, und seine Leibeigenen hatten mit ihren Beinen und Händen viele tausend Ziegel geknetet; aber die Zeit, die unerbittliche, hatte ihren Finger aufgehoben gegen seine Pläne, und nichts war lebendig geworden, was er gehofft hatte. Er selbst war verdorben und gestorben während des Baues, und sein Sohn, ein Kind der Fremde, hatte den Untergang seines Erbes, so sehr als einem Unsinnigen möglich, im fernen Lande beeilt. Jezt standen die Mauern des Slavenschlosses mit geöffneten Thüren und Fenstern, aber kein Gastfreund sprach im Eintreten dem Hause seinen Glückwunsch, nur wildes Geflügel flog aus und ein, und der Marder schlich neugierig über die Balkenlage. Nuglos und häßlich standen die Mauern, sie drohten zu zerbröckeln und zu zerfallen wie das Geschlecht, das hier gehaust hatte.

Anton ging mit schnellen Schritten aus einem Zimmer in das andere, vergebens hoffte er einen Raum zu finden, in dem er sich die beiden Frauen denken konnte, welche auf diese

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