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sich die Leute eine Wüstenei angelegt, wir fahren schon über eine Stunde, und noch ist kein Dorf zu sehen.“

„Ja wohl, eine Wüste," seufzte Anton; „hoffen wir, daß es besser wird."

So ging es in tiefem Schweigen weiter. Endlich hielt der Kutscher neben einer Wasserlache, spannte die Pferde los, ohne sich um die Reisenden zu bekümmern, und führte sie an das Wasser.

„Was Teufel soll das heißen?" rief Karl vom Wagen springend.

„Ich füttere,” antwortete der Knecht mürrisch mit fremdem Accent.

„Ich bin neugierig, wie er das anfangen wird,“ sprach Karl in den Wagen. „Es ist auch nicht der Schatten eines Futtersacks zu sehen."

Die Pferde aber bewiesen, daß sie auch ohne Hafer zu leben wußten, sie streckten die zottigen Hälse zum Boden und fraßen das Gras und die Blätter des Strauchwerks am Wasserrand ab, zuweilen senkten sie den Kopf bis auf die Wasserfläche und prüften den trüben Trank. Der Knecht aber holte einen Beutel unter seinem Siz hervor, setzte sich in den Schutz eines Erlenstrauches und schnitt mit seinem Messer Brot und Käse zurecht, ohne einen Blick auf seine Passagiere zu werfen. „Höre, Ignaz oder Jacob," rief Karl, ihn unsanft anstoßend, wie lange soll das Frühstück dauern ?"

,,Eine Stunde," erwiederte der Knecht kauend.

„Und wie weit ist noch von hier nach dem Gut?" „Zwei Stunden, vielleicht auch mehr.“

„Du wirst nichts mit ihm ausrichten," sagte Anton, „wir müssen uns den Brauch der Landstraße gefallen lassen.“ Er stieg vom Wagen und trat zu den Pferden.

Anton ist auf dem Wege der polnischen Herrschaft. Er ist jetzt Geschäftsführer des Freiherrn. Sorgenvolle Monate hat er verlebt. Die Trennung von seinem Prinzipal und

dem Hause war reich an bitteren Empfindungen. Anton stand die lezte Zeit allein, auch unter seinen Collegen; nur der stille Baumann war auf seiner Seite, das übrige Comtoir betrachtete ihn als einen Verlorenen. Mit eiserner Kälte hörte der Kaufmann seine Kündigung an, noch in der Stunde des Abschieds lag die Hand des Chefs wie hartes Metall in der seinen. — Seitdem hat Anton im Auftrag der Familie einige Reisen gemacht, nach der Residenz, zu Gläubigern. Jezt soll er mit Karl, den er für die Wirthschaft des Freiherrn geworben, auf dem neuen Gut eine bessere Ordnung einrichten. Ehrenthal hatte nach dem Termin der Versteigerung auf Grund seiner Vollmacht die Herrschaft übernommen, er hatte den polnischen Verwalter auch für den Freiherrn verpflichtet. Es war unordentlich zugegangen bei der Uebernahme, und in Rosmin wußte man, daß der Verwalter des Gutes seitdem viele Verkäufe und Betrügereien vorgenommen hatte. So hat Anton keine Aussicht auf friedliche Tage.

,,Jetzt ist die Stunde gekommen, wo ich meinen Auftrag ausrichten soll," rief Karl und fuhr mit den Händen in das Stroh des Wagens. Er holte eine große Kapsel von lackirtem Blech hervor und trug sie zu Anton hinunter. „Dies hat mir Fräulein Sabine für Sie mitgegeben." Vergnügt öffnete er den Deckel und präsentirte die Bestandtheile eines reichlichen Frühstücks, eine Flasche Wein und einen silbernen Becher. Anton griff nach der Kapsel. „Sie hat eine sehr schlaue Einrichtung," erklärte Karl, „Fräulein Sabine hat sie so bestellt.“ Anton betrachtete das Gefäß von allen Seiten und stellte es sorgfältig auf ein weiches Grasbüschel, dann ergriff er den Becher und sah darauf seinen Namenszug gravirt und darunter die Worte: „Dein Wohl!" Darüber vergaß er das Frühstück und seine Umgebung und starrte nachdenkend auf das kleine Gefäß.

,,Vergessen Sie das Frühstück nicht, Herr Generalbevollmächtigter," erinnerte Karl.

„Seße dich zu mir, mein treuer Freund," sagte Anton, „iß und trink mit mir. Deine höflichen Poffen gewöhne dir ab; wir werden wenig haben, was wir aber erwerben, das wollen wir brüderlich mit einander theilen. Nimm die Flasche, wenn du kein Glas hast."

„Nichts über Leder," sagte Karl, ein kleines Trinkgefäß von braunem Leder aus der Tasche ziehend. Und was Sie soeben zu mir gesagt haben, das war freundlich gemeint, und ich danke Ihnen dafür. Aber Subordination muß sein, schon wegen der andern Leute, und so wird der Herr Bevollmächtigte mir schon gütigst erlauben, daß ich Ihnen zuerst die Hand schüttele, und im Uebrigen Alles beim Alten bleibt. Sehen Sie nur die Pferde, Herr Anton, meiner Treu, die Racker fressen auch Disteln."

Wieder wurden die Pferde eingespannt, wieder warfen sie ihre kurzen Beine im Sande vorwärts, und wieder ging es fort in der kahlen Gegend. Zuerst durch eine leere Ebene, durch einen schlechten Kiefernwald, dann über eine Reihe von niedrigen Sandhügeln, die wie Dünen der öden Wasserfluth über den pflanzenarmen Boden hervorragten, dann auf schadhafter Brücke über einen kleinen Bach. Hier ist das Gut," sagte der Kutscher sich umdrehend, und wies mit der Peitsche auf einen Haufen dunkeler Strohdächer, welcher gerade vor ihnen sichtbar wurde. Anton erhob sich von seinem Siß und suchte die Baumgruppe, in welcher das Herrenhaus liegen konnte. Er sah nichts davon. Um das Dorf war Manches nicht zu finden, was auch die ärmlichsten Bauernhäuser seiner Heimat schmückte, kein Haufe von Obstbäumen hinter den Scheuern, kein umzäunter Garten, keine Linde auf dem Dorfplatz, einförmig und kahl standen die schmutzigen Hütten neben einander.

„Das ist traurig,“ seufzte er sich niederseßend, „viel ärger, als man uns in Rosmin gesagt.“

„Das Dorf sieht aus wie verwünscht," rief Karl; „die Gespanne arbeiten nicht auf dem Felde, und weder Kühe noch

Schafe sind auf dem Stoppelland zu sehen. Wahrscheinlich haben die Leute hier Stallfütterung.“

Der Knecht schlug auf die Pferde, und in unregelmäßigem Galopp fuhren sie zwischen zwei Reihen von Lehmhütten durch das Dorf und hielten vor der Schenke an. Karl sprang vom Wagen, öffnete die Schenkstube und rief den Wirth. Ein Jude erhob sich langsam von seinem Siz am Ofen und kam an die Hausthür. „Ist der Gensdarm von Rosmin angekommen?" frug Anton. Er war in das Dorf gegangen. „Wo ist der Weg nach dem Hofe?"

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Der Wirth, ein ältlicher Mann mit verständigem Gesicht, beschrieb den Weg deutsch und polnisch und blieb an der Thür stehen, wie Karl behauptete, ganz außer sich über den Anblick von zwei Menschen. Der Wagen bog in einen Nebenweg ein, der auf beiden Seiten mit dicken Baumstümpfen besetzt war, den Ueberresten einer gefällten Allee. Durch die Löcher des Weges, durch Schlammpfüßen und über Steine rasselte der Wagen vor einen Haufen von Lehmhütten, an denen noch die Reste eines weißen Kalkmantels hingen. „Die Scheunen und Ställe sind leer," rief Karl, „denn in den Dächern sind Oeffnungen, groß genug, um mit unserm Wagen hineinzufahren.“

Anton sprach nichts mehr, er war gefaßt auf Alles. Durch eine Lücke zwischen den Ställen fuhren die Reisenden in den Wirthschaftshof, einen großen unregelmäßigen Plaß, auf drei Seiten von särdhaften Gebäuden umgeben, die vierte offen gegen das Feld. Dort lag ein Haufe von Trümmern, Lehm und verfaulten Balken, die Ueberreste einer eingefallenen Scheuer. Der Hofraum war leer, von Ackergeräthen und menschlicher Thätigkeit war nichts zu erblicken. „Wo ist die Wohnung des Inspectors?" frug Anton betroffen. Der Kutscher sah sich suchend um, endlich entschied er sich für ein kleines Parterregebäude mit einem Strohdache und unsaubern Fenstern.

Bei dem Geräusch des Wagens trat ein Mann auf die Thürschwelle und wartete phlegmatisch ab, bis die Reisenden

abgestiegen waren und dicht vor ihm standen. Es war ein breitschultriger Gesell mit einem aufgedunsenen Branntweingesicht, in einer Jacke von zottigem Zeuge; hinter ihm steckte ein ebenso zottiger Hund die Schnauze aus der Thür und knurrte die Fremden an. Sind Sie der Inspector dieser Güter?" frug Anton.

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,,Der bin ich," erwiederte der kurze Mann in gebrochenem Deutsch, ohne sich von der Stelle zu rühren.

„Und ich bin der Bevollmächtigte des neuen Eigenthümers," sagte Anton.

„Das geht mich alles nichts an," grollte der zottige Mann in grobem Ton, drehte kurz um, ging in die Stube zurück und verriegelte die Thür von innen.

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Anton war empört. „Schlag' das Fenster ein und hilf mir den Schurken festnehmen,“ rief er seinem Begleiter zu. Dieser griff kaltblütig nach einem Stück Holz, schlug auf die Scheiben, daß der morsche Fensterflügel klirrend in die Stube fiel, und sprang mit einem Satz durch die Oeffnung hinein. Anton folgte. Das Zimmer war leer, die Kammer daneben auch, von dort führte ein offenes Fenster ins Freie, der Mann war hinausgesprungen. Durch's Fenster herein und wieder hinaus, wie die Teufel,“ schrie Karl und sprang dem Flüchtling nach, Anton eilte zurück um das Haus herum. Er hörte Hundegebell und sah, wie Karl über den ungetreuen Haushalter herfiel und ihn unter dem wüthenden Gekläff des Hundes am Kragen faßte. Anton sprang zu Hilfe und hielt den Ausreißer fest, während Karl dem Hunde einen Fußtritt gab, daß dieser weit weg auf den Boden flog. Darauf brachten Beide den Inspector, welcher heftig um sich schlug, um die Ecke herum. in das Haus zurück.

„Fahr zur Schenke und hole den Gensdarm und den Wirth," rief Anton dem Kutscher zu, der unbekümmert um die Händel der Herren unterdeß das Gepäck der Reisenden vom Wagen abgeladen hatte. Der Knecht fuhr gemächlich ab,

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