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Gebärde den vollen Wasserkrug ergriff, versuchte er, ihr etwas Liebes und Zärtliches zu sagen, was sie je doch offenbar nur halb verstand und indem er sich auf Worte befann und unbeholfen neben ihr stand, schien ihm plöglich die Kluft zwischen ihm und ihr ungeheuer, und er dachte mit Trauer, wie wenig doch vorhanden sei, das ihn mit ihr verbinde, und wie lange, lange es dauern mochte, bis sie einmal seine Braut und feine Freundin sein, seine Sprache verstehen, sein Wesen begreifen, seine Gedanken teilen könnte.

Mittlerweile hatte sie langsam den Rückweg angetreten, und er ging neben ihr her, der Hütte entgegen. Der Knabe war mit der Ziege in einem atemlosen Jagdspiel begriffen; sein schwarzbrauner Rücken glänzte mes tallisch in der Sonne, und fein geblähter Reisbauch ließ die Beine zu dünn erscheinen. Mit einem Anflug von Befremdung dachte der Engländer daran, daß, wenn er Naissa heirate, dieses Naturkind sein Schwager sein würde. Am sich diesen Vorstellungen zu entziehen, fah er das Mädchen wieder an. Er betrachtete ihr entzückend feines, großäugiges Gesicht mit dem kühlen kindlichen Munde und mußte denken, ob es ihm wohl glücken werde, heute noch von diesen Lippen den ersten Kuß zu erhalten.

Aus diefem lieblichen Gedanken schreckte ihn eine Erscheinung, die plötzlich aus der Hütte trat und wie ein Sput vor seinen ungläubigen Augen stand. Es er

schien im Türrahmen, schritt über die Schwelle und ftand vor ihm eine zweite Naissa, ein Spiegelbild der ersten, und das Spiegelbild lächelte ihm zu und grüßte ihn, griff in ihr Hüftentuch und 30g etwas hervor, das sie triumphierend über ihrem Haupte schwang, das blank in der Sonne gligerte und das er nach einer Weile denn auch erkannte. Es war die Bleine Schere, die er kürzlich Naissa geschenkt hatte, und das Mäd. chen, dem er heute die Spiegeldofe gegeben, in deffen schöne Augen er geblickt und dessen Arm er geftreichelt hatte, war gar nicht Naissa, sondern deren Schwester, und wie die beiden Mädchen nebeneinander standen, noch immer kaum voneinander zu unterscheiden, da kam sich der verliebte Aghion unsäglich betrogen und irregegangen vor. Zwei Rehe konnten einander nicht. ähnlicher sein, und wenn man ihm in diesem Augenblic freigestellt hätte, eine von ihnen zu wählen und mit sich zu nehmen und für immer zu behalten, er hätte nicht gewußt, welche von beiden es war, die er liebte. Wohl konnte er allmählich erkennen, daß die wirkliche Naissa die ältere und ein wenig ¤leinere sei; aber seine Liebe, deren er vor Augenblicken noch so sicher zu sein gemeint hatte, war ebenso auseinander gebrochen und zu zwei Hälften zerfallen wie das Mädchenbild, das fich vor seinen Augen so unerwartet und unheimlich verdoppelt hatte.

Bradley erfuhr nichts von dieser Begebenheit, er

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stellte auch keine Fragen, als zu Mittag Aghion heimlehrte und schweigsam beim Essen saß. And am nächsten Morgen, als Aghions Kulis anrückten und feine Kiften und Säcke aufpackten und wegtrugen und als der Ab reisende dem Dableibenden noch einmal Dank sagte und die Hand hinbot, da faßte Bradley die Hand kräftig und sagte: „Gute Reise, mein Junge! Es wird später eine Zeit kommen, wo Sie vor Sehnsucht vergehen werden, ftatt der füßen Hinduschnauzen wieder einmal einen ehrlichen ledernen Engländerkopf zu sehen! Dann kommen Sie zu mir, und dann werden wir über alles mögliche einig fein, worüber wir heute noch verschieden denken!"

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Werke von Hermann Hesse

Peter Camenzind

Roman. 90. Auflage. Seheftet 4.50 M., gebunden 7 M. Heffe gibt die Geschichte eines Bauernbuben, eines harten, muskeligen Kerls, der aber den versonnenen Träumerkopf des Hermann Hesse auf den Schultern hat. Und da ift schon die Tragit so einer findet sich im Leben nicht zurecht. Draußen nicht, aber drinnen wohl. Wahrhaftige Firnenreinheit ift über den letzten Kapiteln im Sebirge, da fich alles lärt und versöhnt. (Freiftatt, München)

Unterm Rad

Roman. 1 Mark und 50 Pf. Teuerungszuschlag. Es ist die einfache Seschichte von einem Jungen, der ftolz und mit der Anwartschaft auf Ruhm und Slück ins Leben eintritt und unters Rad kommt und überfahren wird; ein Buch voll Schwermut und heimlicher leiser Klage und ein Buch voll Ans Bage. (Münchener Zeitung)

Diesseits

Erzählungen. 23. Auflage. Seheftet 5 M., geb. 7.50 M. Wie man etwa Emanuel Mörikes Sedichte lesen sollte, an einem ftillen, schönen Sommertage im Grafe liegend, der Zeit und jeder Alltäglichkeit weit entrückt, ruhevoll nur sich und dem Weben der leise schaffenden Natur lauschend, in solcher Sonntagsstimmung sollte man Hermann Hesses neuen Novellenband "Diesseits" lesen. A(Neue Zürcher Zeitung)

Nachbarn

Erzählungen. 12. Auflage. Seh. 3.50 M., geb. 5.50 M. Ruhig, über allen Dingen schwebend, ohne Leidenschaft und vollkommen abgeklärt werden uns diese Seschichten erzählt. Aber in einer Sprache, die ihresgleichen sucht und die den Stolz in uns aufleben läßt: sehet, das ist Deutsch.

(Württembergische Zeitung, Stuttgart)

Umwege

Erzählungen. 13. Auflage. Geheftet 5 M., geb. 7.50 M. Wie Gottfried Keller in feinen Seldwylern", so hat Hesse in seinen Serbersauern seine sicherste Meisterschaft erreicht. Nur ungern verläßt man den Kreis derer, die sein Blick aus dem Alltage gehoben, geweiht hat zu Kunstwerklein, deren filigranfein geftichelte Prägung dem Kenner und beschaulichen Ses nießer nachhaltige Freuden gewährt. (Berliner Tageblatt)

Roßhalde

Roman. 42. Auflage. Seheftet 5 M., gebunden 7.50 M. Nie hat Hermann Hesse künstlerisch etwas so Starkes gestaltet wie die seelische Spannung dieses Sebundenseins, den schmerzhaften Bann der zwiefachen Einsamkeit dessen, der zum engften Zusammenleben mit einem einft nahen, aber nun willenlos feindlich fernen Menschen verdammt ist. „Roßhalde" ist eines der menschlich tiefften und wahrsten Bücher, die geschrieben find. (Die Hilfe)

Märchen

5. Auflage. Seheftet 4 M., gebunden 6 M. Hesse zeigt uns in einfacher, melodischer, erfinderischer Art die törichten und weisen Wünsche der Menschen verwirklicht, bes finnt sich auf das versunkene Kindheitsparadies, folgt den Wegen der Sehnsucht und Kraft des Herzens und den Zaubern des uns nächsten Sonderbaren, des Traumes.

Drud der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

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