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zuziehen und sich auf unsere große Veranda zu begeben, wo der dice wohlwollende Chinese schon das Abendeffen bereit hielt. Ich blickte hinauf; es war schon dunkel geworden, und unsere Hütte stand mit der schwach erleuchteten Veranda schön und breit zwischen dem Arwald und dem steilen Flußufer, kaum hob sich noch das weiche Palmblätterdach vom schwarzen Himmel ab. Was Nacht ist, weiß man nur in den Tropen. Wie ist sie schön und fremd und feindlich, die tiefe fatte Dunkelheit, der schwere schwarze Vorhang, um so viel unergründlicher und finsterer, wie der Tropenmittag glühender und prahlender ist als der nordische.

Wir setzten uns um den großen unbeweglichen Eichen. holztisch, wir aßen Fischchen in Öl und Zwieback, wir tranken von den vielen schweren, guten, ungefunden Getränken Holländisch - Indiens. Zu sagen hatten wir uns wenig, wir waren seit Tagen und Tagen bei. fammen, zu dreien, und wir waren müde und trotz des Bades schon wieder heiß und feucht. In der Finsternis schrien ringsum die hunderttausend großflügeligen Insekten, gläsern und schrill oder tief und dunkel furrend, lauter als ein Streichorchester. Wir halfen dem Chinesen den Tisch abräumen, nur die Flaschen blieben stehen, das schwache Lampenlicht floß matt an der ges flochtenen Wand hin und in die offene Nacht hinaus. Die Flinten lehnten am Eingang, das Schmetterlingsnet daneben. Einer legte sich in den Liegestuhl unter

der Hängelampe und versuchte in einem Tauchnitzband zu lesen, der andere begann die Flinten abzureiben und ich faltete Bleine Düten aus Zeitungspapier für die Schmetterlinge.

Früh, es war kaum halb zehn Ahr, sagten wir einander Gutnacht und gingen hinein. Ich warf die Kleider ab und schlüpfte rasch im Dunkeln unter das hohe Moskitonet, streckte mich auf der guten weichen Matratze aus und sank in den weichen müden Zustand von Halbschlummer, in dem ich seit langem meine Nächte hinbrachte. Es war nicht nötig, die Augen zu schließen, nur mit Mühe und gutem Willen vermochte ich das Viered des offenen Fensterloches zu erkennen. Da draußen war es kaum um einen Schatten heller als zwischen meinen Bambuswänden und Bastmatten, aber man spürte die wilde Natur draußen gåren und kochen in ihrem nie unterbrochenen geilen Treiben und Zeu gen, man hörte hundert Tiere und atmete den krautigen Geruch von üppigem Wachstum. Das Leben ist hier wenig wert, die Natur schont nicht und braucht hier nicht zu sparen. Aber wir Weißen sind schon dahinter her, wir haben unsere Bambushütte und haben schon einen Beinen Kampong mit fast hundert Malayen, die uns helfen müssen, den ewigen Arwald anzuzapfen, und seit kurzem ¤ingt hier, zum erftenmal seit die Welt steht, Axtschlag und Arbeitsgetőse durch das Didicht. Vor drei Jahren wurden hier noch in wilden schnöden

Streifzügen die Ureinwohner niedergeschoffen, die dunkeln scheuen Kubus, die sich nicht so lange halten konnten wie die liftig grausamen Atschi im Norden. Die Seelen der Gemordeten schweben nachts überm Fluß, aber sie werden nur von ihren Brüdern gefürchtet, und wir Weißen schreiten ruhig und hertisch durch die Wildnis, erteilen in unserem verdorbenen Malayisch kalte Befehle und sehen die dunkeln uralten Eisenholzbäume ohne Rührung fallen. Man braucht sie zum Werftenbau.

In blaffen Halbgedanken dämmerte ich ein, hing müde schwüle Stunden zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich war ein Kind und war am Weinen, und eine Mutter wiegte mich mit Gesumse, aber sie sang Malayisch, und wenn ich die bleischweren Augen öffnen und sie ansehen wollte, so war es das tausendjährige Angesicht des Arwaldes, das über mich gebeugt hing und mir zuflüfterte. Ja, hier war ich am Herzen der Natur; hier war die Welt nicht anders als vor hun derttausend Jahren. Man konnte Drahtseile an den Gaurisankar nageln und den Eskimos ihre Fischjagd mit Motorbooten verderben, aber gegen den Arwald würden wir noch eine gute Weile nicht aufkommen. Da fraß die Malaria unfere Leute, der Roft unsere Nägel und Flinten, da verwesten und vergingen Völker, und aus dem Aashaufen trieb eilends und immerzu neues Völkergemisch empor, geil und nicht umzubringen.

Eine mächtige Erschütterung weďte mich plötzlich; ich sprang unmittelbar aus dem Schlaf in die Höhe, fiel wieder um, ftand wieder auf und 309, nun erwacht, den Mückenschleier auseinander. Ein wildes, weißes, furchtbar grelles Licht schlug mir blendend entgegen, und erst nach Augenblicken erkannte ich, daß es das Licht von vielen, ohne Pause aufeinanderfolgenden Bligen war. Der Donner rauschte mit Gekeuche hinterher, die Luft war seltsam bewegt und voll von Elek trizität, die ich in meinen Fingerspitzen zucken fühlte.

Benommen taumelte ich zum Fensterloch, das im Licht der Blige vor mir schwankte und seine Ränder verschob wie die Fensterreihe eines vorüberrasenden Eisenbahnzugs. Da schaute, auf zwei Schritt Entfer nung, der Wald mich an, ein umgerührtes Meer von Formen, von Aftgeschlinge, Laubmengen und Fasern, wogend und in Verzweiflung sich wehrend, von den Bligen überflogen und jah bis ins zuckende dunkle Herz hinein verwundet, krachend und empőrt. Ich stand am Fenster und starrte in das Anwesen, geblendet und betäubt, und fühlte mit überwachen Sinnen das rafende Leben der Erde sich ergießen und vergeuden, und stand dazwischen mit meinem europäischen Gehirn und Gefühlswesen, das sich dem Toben nicht unterordnete, und fah neugierig zu und dachte an viele Nächte und Tage meines Lebens, an alle die vielen, vielen Stun'den, da ich so wie hier irgendwo auf Erden geftanden

war und fremde Dinge und Erscheinungen betrachtet hatte, geführt und verloft von dem seltsamen Trieb des Zuschauens. Es kam mir nicht einen Augenbliď sinnlos vor, daß ich im Süden des Sumpfurwaldes von Sumatra ftehe und einem tropischen Nachtgewitter zusehe, ich empfand auch keinen Augenblick eine Ahnung von Gefahr, sondern ich fühlte voraus und sah mich noch hundertmal, an weit von hier entfernten Orten, einsam und neugierig stehen und dem Anbegreiflichen mit Verwunderung zusehen, dem das Anbegreifliche und Vernunftlose in mir selbst Antwort gab und sich verbrüderte. Genau mit demselben Gefühl von Ergriffenheit und unverantwortlicher Zuschauerschaft hatte ich als einer Knabe Tiere sterben oder Schmetterlingspuppen aufbrechen sehen, mit demselben Gefühl hatte ich in die Augen von Sterbenden und in die Kelche von Blumen gesehen nicht mit dem Wunsche, diese Dinge zu er¤lären, nur mit dem Bedürfnis, dabei zu sein und ja keinen der feltenen Augenblicke zu verfäumen, in denen die große Stimme zu mir sprach und in denen ich und mein Leben und Empfinden hinschwand und wertlos wurde, weil es nur ein dünner Oberton zu dem tiefen Donner oder noch tieferen Schweigen des unbegreiflichen Geschehens wurde.

Die Stunde war da, die feltene, lang erharrte, und ich stand und fah im weißen Licht der tausend Blitze den Arwald fein Geheimnis vergeffen und in tiefer

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