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zuwartend und geduldig machen in unsrem Urtheile gegenüber den anderen, noch außerhalb des spezifisch lutherischen Bekenntnisses sich gegenwärtig innerhalb des Protestantismus findenden kirchlichen und theologischen Richtungen, wo wir irgend noch einen aufrichtigen und redlichen Sinn wahrnehmen können. Ich schließe aber hiebei folgendermaßen: Sind nicht einmal jene auf ihrem festen und sicheren Boden im Stande, sofort einmüthig die richtige Antwort auf so viele Fragen der Zeit zu finden: wie viel weniger darf es uns wundern, wenn auch diese auf ihrem ungleich unklareren und schlüpfrigeren Standpunkte zunächst aus allerhand bedenkliche Ergebnisse fommen!

Unter allen kirchlichen Problemen der Gegenwart ist wohl unstreitig das allervorderste das Verfassungsproblem *). Daran arbeiten und zerarbeiten sich alle Parteien, Schenkel und Häusser so gut als Huschke und Diedrich, Stahl und Löhe. Im lehten Grunde ist zur Zeit bei ihnen allen und ihren Genossen die Hauptfrage die: wie ist in dieser jeßigen, im Verhältnisse zu ehedem so durchaus veränderten Zeit die evangelische Kirche und Gemeinde zu verfassen? Und auch bei den Massenerhebungen gegen die Liturgie bei uns in Bayern, gegen das Gesangbuch in der Rheinpfalz, gegen den Katechismus in Hannover ist dieser Punkt gewiß nicht zu übersehen und zu unterschäßen. Das punctum saliens dieser Erhebungen ist nicht durchaus eine bewußte Feindschaft gegen Evangelium und Kirche, stets aber dieses: man will sich seinen Glauben von Niemandem oftroiren, seine kirchlichen Anschauungen von Niemandem, auch nicht von dem billigsten und wohlmeinendsten Kirchen-, oder gar Staatsregimente zuschneiden lassen. Und darin liegt auch eine Wahrheit und ein Recht, so bedenklich oft nach den verschiedensten Seiten hin sowohl die Prinzipien als die Consequenzen sein mögen. Wir bekennen ja

*) Ueber die Schulfrage verweise ich auf die treffliche Stählin'sche Flugschrift.

mit der ganzen Christenheit, daß die heilige christliche Kirche sei eine Gemeine der Heiligen. Also nicht eine Zwangsanstalt, die der weltlichen Gewalt das Volk einigermaßen im Zaum halten hilft. Ich meine, das Christenthum ist wenig werth und wird beim ersten Windstoß verweht werden, das nur mit äußerer Gewalt mühsam aufrecht erhalten wird. Aber was von innen heraus, und wär' es auch nur erst in schwachen Anfängen, aber doch von innen heraus, mit freier Betheiligung und Zustimmung des Herzens gewachsen ist, das kann kein Sturm von außen so leicht umstoßen. Darum sollte man die größere Betheiligung der Nichtgeistlichen an den kirchlichen Angelegenheiten nicht so sehr fürchten, ja gerade umgekehrt, freilich stets mit wahrer Weisheit, ernstlich darauf hinarbeiten. Wer dann abfallen will, der falle immerhin ab: sein Abfall wird dann nur ihm selber, nicht aber der Kirche schaden.

So haben wir das Leben, den Geist und die Bestrebungen der Gegenwart, so viel als Raum und Zeit gestatteten, unsrer Betrachtung unterzogen. Wir sind keine Propheten und können daher nicht wissen, ob die unläugbar sehr schlimmen, oder ob die unläugbar auch sehr guten und wahren Elemente des Zeitgeistes die Oberhand bekommen werden. Es ist auch gar nicht unsere Aufgabe, Propheten zu sein, sondern vielmehr, uns nach allen Seiten hin richtig zu stellen, mag dann nach Gottes Rathe kommen, was da will. Möchte es mir gelungen. sein, in den vorliegenden Zeilen diese richtige Stellung in ihren Hauptumrissen gefunden zu haben! Ihre Summa liegt etwa in dem klassischen Worte Luthers ausgesprochen:

1) Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge. 2) Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und Jedermann unterthan.

Ein neuer Versuch brüderlicher Einigung.

Wer diese Ueberschrift liest, könnte etwa an sektirische Gelüste denken und sich einen Augenblick besinnen, ob dieselbe ernsthaft oder ironisch gemeint sei. Sie ist aber vollständig ernsthaft gemeint und bezieht sich weder auf einen Vorschlag zu neuen ethischen Gemeinschaften, noch auf neue Conferenzen, noch endlich auf Gründung einer neuen kirchlichen Zeitschrift. Für einen Versuch letzterer Art getrauten wir uns ohnehin nicht aus unseren praktischen Kreisen heraus ein günstiges Prognosticon zu stellen und eine Empfehlung ausgehen zu lassen, wenn auch die Herausgeber ihres Standpunktes völlig gewiß wären und den geistigen Fond befäßen, der zur fortLaufenden würdigen Füllung der Spalten eines solchen Blattes nöthig ist. Wir haben es überhaupt hier nicht auf die Gesammtheit der Landeskirche in allen ihren Gliedern abgesehen, sondern verstehen das „brüderlich" im Sinne von „amtsbrüderlich". Und wahrlich, es wäre schon viel gewonnen, wenn sich nur einmal die Brüder im Amte wirklich die Hand reichten, vertrauensvoll und im Geiste. Die Amtsfrage, über die schon so viel theoretisch hin und her geredet und geschrieben worden ist, muß vor Allem praktisch gelöst werden. Das Amt, das wir von Gott haben, muß zunächst eine Macht über uns werden, uns an der Quelle seines ewigen Inhalts erhalten, in seine Zucht nehmen und unter einander verbinden. Dann wird auch der rechte Amtssegen nach außen nicht ausbleiben. Die Gemeinden müssen wieder sehen und erleben, was sie am Amte haben, dann werden sie es auch schäßen und seine Wohlthat begehren. Es ist ja in diesen Blättern mit Recht schon öfter betont worden, daß der Kirche statt einer so vielfachh sehnlich begehrten neuen Verfassung geisterfüllte Amtsträger nöthig seien, von denen aus sich ein gottgefälliges Gemeindeleben gestalten könne. Solchen Segen kann uns freilich nur

der HErr der Kirche durch seinen Geist schenken, und es fehlt noch viel, daß er uns auch nur die Anzeichen einer solchen Gnadengabe aufgehen ließe. Im Gegentheile, viel tüchtige Kräfte sind uns nach und nach durch schmerzliche Todesfälle entzogen worden, oder liegen brach, und das nachwachsende Geschlecht, aus dem sich das Amt rekrutirt, erweckt nicht durchweg freudige Hoffnungen. Um so eifriger muß Alles geschehen, was menschlicher Weise dem Segen von Oben Bahn machen kann, was wenigstens die Hindernisse aus dem Wege räumt, die ihm entgegenstehen.

Wir werden bisher dem Mißverständnisse vorgebeugt haben, als ob wir eine bessere Zukunft von irgend etwas Anderem erwarteten, als von den die Persönlichkeiten erfassenden, heiligenden, befähigenden Gnadenmitteln, die sich zunächst wieder an den Trägern des Amtes wirksam erweisen müssen. Aber wie die Dogmatik zwischen mediis und subsidiis salutis unterscheidet, so gibt es doch allerlei mittelbare Schritte, die Geistlichen in ihrem Amtsleben zu fördern. Wir legen ein Hauptgewicht auf persönlichen gegenseitigen Austausch, also auf Conferenzen: Kapitelsconferenzen und freie Conferenzen. Wer selbst schon den Segen solcher Zusammenkünfte erfahren hat, empfiehlt sie gewiß auch Anderen. Aber freilich muß auf den Kapitelsconferenzen etwas Anderes geschehen, als daß die Rescripte der Kirchenstellen vorgelesen, oder die Predigten auf die verschiedenen Stadtgeistlichen vertheilt werden. Begeisterung für das Amt, Treue im Amte muß geweckt, das Auge muß geschärft werden für die Herrlichkeit der Schrift und für die Schäden der Gemeinden. Es gilt ein innerliches Erfassen und Anfassen. Sollen wir uns aber zu Conferenzen zusammenfinden, so muß uns vor Allem das Bewußtsein beseelen, daß wir Glieder eines größeren gemeinsamen Ganzen sind. Es ist nun freilich das große Ganze, dem wir dienend angehören, die lutherische Kirche an sich; sie selbst aber ist uns doch geschichtlich nahe getreten in der Landeskirche, der wir

angehören. Wenn wir uns immer mehr als Glieder der Landeskirche und durch sie der lutherischen Kirche fühlen und ansehen, so werden wir uns gegenseitig in gleichem Maaße innerlich und äußerlich verbunden erkennen. Wohl ist keine äußere Verbindung und Einigung möglich, wo die innere Einigkeit im Geiste fehlt, und wir sind ferne davon, bekenntnißwidrige Elemente mit bekenntnißmäßigem Stande zusammenleimen zu wollen. Aber andererseits ist es doch Erfahrungsthatsache, daß in vielen Fällen das Auseinandergehen auf persönlichen Vorurtheilen beruht. Mit einem Worte: persön liches Zusammengehen, Gemeinsamkeit thut uns Noth, vor Allem in dieser von Subjektivismus zerklüfteten und zerfressenen Zeit; und wer uns diese Gemeinsamkeit fördert, der thut in unseren Augen ein dankenswerthes Werk.

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Wir richten von diesem Standpunkte aus unsern Blick auf einen neuerschienenen -- Kalender. Wir verzeihen Jedem ein vorläufiges Lächeln, der von dem Büchlein noch nicht Einsicht nehmen konnte und sich zunächst an den Namen Kalender hält; aber wir sind fest überzeugt, daß sich dasselbe schon bei kurzer Bekanntschaft in die Miene freudiger Zustimmung verwandeln wird. Was wir meinen, ist der von Pfarrer Mayer in Nördlingen herausgegebene und soeben erschienene ‚Amtskalender für die prot. Geistlichkeit im diesseitigen Bayern auf das Jahr 1866". Nördlingen, C. H. Beck'sche Buchhandlung. Wenn derselbe freilich nichts anderes enthalten würde, als der würtembergische Amtskalender", so wären wir nicht berechtigt, ihn unter Eingangs besprochenen Gesichtspunkt zu stellen. Denn derselbe gibt nichts anderes, als das gewöhnliche Calendarium mit einer besonderen Rubrik, welche an die · laufenden Amtsgeschäfte und Termine erinnert, einige ganz unwesentliche Beigaben abgerechnet. Daß dies seinen entschiedenen Werth hat, können wir um so unbedenklicher zugeben, als es sich auch in dem Mayer'schen Amtskalender findet. Das Calendarium, von welchem je auf einer Seite eine

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