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Dr. K. B. Hundeshagen, Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte und Kirchenpolitik, insbesondere des Protestan= 'tismus. I. Bd. 1865.

III.

Es ist Zeit und hier wohl der rechte Ort, zu fragen, ob denn die reformirte Kirche es in Betreff der Kirchenbildung wirklich so gar weit gebracht und damit so viel voraus hat vor der lutherischen, als Hundeshagen behauptet ?

Der Beantwortung dieser Frage schicken wir einige allgemeine Bemerkungen voraus.

Wir lassen es gelten, wenn (p. 55) gesagt wird: „Die kirchliche Aufgabe des Protestantismus besteht darin, für die in Christo Freigewordenen eine Form der Verfassung zu verwirklichen, welche einerseits den gesellschaftlichen Zusammenschluß derselben zu einem organisch gegliederten Körper ermöglicht, andererseits aber zugleich dem Element der inneren Freiheit auf keinem Punkt zu nahe tritt." Wenn aber dann weiter behauptet wird: „ohne eine solche Rechtsbildung und Rechtsgesinnung könne immerhin etwas mehr oder weniger kirchenähnliches, eine Predigt- und Cultus - Anstalt zu Stande kommen, aber eine wirkliche Kirche als organisirte Vergesellschaf= tung der Gläubigen und Heiligen unter ihrem sichtbaren Oberhaupt sei unmöglich", so müssen wir fragen, soll das so verstanden werden, daß die Verfassung zu den wesentlichen Merkmalen der Kirche zu rechnen sei, so daß eine Kirche den Anspruch Kirche zu sein in dem Maaß verlöre, als ihr die Herstellung einer solchen organisirten Vergesellschaftung nicht gelingt? Es scheint fast so, denn Hundeshagen sagt ausdrücklich, daß der deutsche Protestantismus, weil ihm das R. F. Bd. L.

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nicht gelungen, es anstatt zu einer Kirche, nur zu einem Kirchenthum gebracht habe (p. 416). Wäre es so gemeint, so müßten wir diese Behauptung auf's entschiedenste zurückweisen, mit Berufung auf den Saß der Augustana: est ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium recte docetur et recte administrantur sacramenta. Aber es wird uns doch schwer, anzunehmen, daß Hundeshagen es so ge= gemeint hat, denn seine Behauptung träfe ja zum guten Theil auch die Reformirten, da er selbst zugibt, daß sie es keineswegs überall zu einer solchen Kirchenbildung gebracht hätten. Wie hat er es aber gemeint? Wir wissen es nicht zu sagen. Denn seine Meinung kann doch nicht die sein, daß eine irgendwie organisirte Vergesellschaftung da sein müsse, denn das geben wir freilich bereitwillig zu, die ist ja mit dem Predigtamt und den Sakramenten schon gefeßt, und daß sie in der lutherischen Kirche fehle, kann auch der unbilligste Gegner derselben nicht behaupten. Meint er aber, die lutherische Kirche habe mit Erzielung derselben zu wenig Ernst gemacht und die reformirte Kirche habe mit größerem Ernst darnach getrachtet, so mag er die reformirte Kirche drum loben, aber er soll die lutherische Kirche nicht so schelten, daß er ihr darum das Prädikat der Kirche abspricht.

Daß aber auf diese organisirte Vergesellschaftung ein so großer Nachdruck gelegt wird, wie von Hundeshagen, halten wir unsererseits für falsch, aber freilich für gut reformirt. Freilich hat man immer in der reformirten Kirche in den Vordergrund gestellt, was der lutherischen Kirche in zweiter Reihe stand. Diese hat, jenen oben angeführten Sah der Augustana fest im Auge behaltend, ihre vornehmste Aufgabe darin erblickt, durch Predigt des Wortes und rechte Verwaltung der Sakramente die Kirche zu bauen, die Einzelnen für das Reich Gottes innerlich zu gewinnen. Das hat sie von Luther gelernt, der es mit der Verfassung hielt, wie mit den Werken, sie sollte aus dem Glauben herauswachsen, und der meinte, die Predigt des Evangeliums sollte erst

eine rechte Gemeinde schaffen, die reif wäre, das Werk der Verfassung in die eigene Hand zu nehmen. Man mag meis nen, es ist hier nicht der Ort darüber zu rechten, daß Luther nicht so lange hätte zuwarten sollen, aber deß durfte Luther und die lutherische Kirche gewiß sein, daß, wenn Predigt und Sakrament recht gehandhabt wurde, damit gereicht wurde, was das Oberste und Vornehmste ist, das Mittel zur Gewin nung nnd Mehrung der congregatio sanctorum.

Aus diesen Ursachen kam die Gestaltung einer Verfassung in zweiter Linie zu stehen. Die Reformirten stellten sie in erste Linie, waren früh auf eine abgerundete und abgeschlofsene Verfassung bedacht, darauf, daß die Kirche eine selbstständige, dem Staat und der Kirche gegenüber freie Korporation sei, zugleich auch darauf, daß sie sittlich ordnenden Einfluß übe auf Welt und Staat.

Das sind Aufgaben, welche zu stellen der Kirche wohl anstehen. Aber man wird, was die Verfassung anlangt, zugestehen müssen, daß eine Verfassung, bei der den Gemeinden so viel Antheil an dem Kirchenregiment gegeben war, zur Vorausseßung hat, daß die Gemeinden dazu reif sind, und daß, in dem Maaß, als dieses nicht der Fall ist, ihnen ein bedenklicher Einfluß in die Hand gegeben ist. Weiter aber wird man zugestehen müssen, daß in diesem Streben eine selbstständige, von Welt und Staat freie Korporation darzustellen und vollends in dem Streben, als solche auch Einfluß zu gewinnen auf Welt und Staat, eine nicht geringe Versuchung liegt. Sie tritt in dem Maaße ein, als die Kirche zum Bewußtsein kommt, eine äußere Macht zu sein. In gewissem Sinn ist das ja jede Kirche und ist es in dem Maaße, als sie eine wohlorganisirte Vergesellschaftung ist und wie sie dann ihrer Rechte sich bewußt sein darf, so muß sie auch der ihr daraus erwachsenden Pflichten sich bewußt sein. Die Frage ist nur, wie weit sie das in den Vordergrund stellen darf? Der allgemeine Canon wird der sein, daß andere und wichtigere Aufgaben, welche der Kirche

gestellt sind, dadurch nicht beeinträchtigt werden. Für eine wichtigere Aufgabe hat man aber lutherischer Seits immer die gehalten, das lebendige Glaubensleben in den Gemeinden zu pflegen und zu mehren, die Einzelnen für das Reich Gottes zu gewinnen und immer fester in ihrem Glauben zu machen. Daß diese Aufgabe nicht beeinträchtigt werde, darauf hat man in den lutherischen Kreisen stets bald mehr, bald weniger bewußt gesehen. Eine Beeinträchtigung kann aber diese Aufgabe leicht erleiden, wenn in der Kirche ein starkes Bewußtsein davon entsteht, daß sie eine Macht ist, die sich wie Macht gegen Macht dem Staat entgegenstellen kann, und wenn sie darauf ausgeht, als Kirche beherrschenden Einfluß auch auf die Dinge der Welt zu gewinnen. Mögen nämlich die Ziele, welche sie sich da steckt, noch so sehr die rechten sein, das Bewußtsein, eine Macht zu sein, schließt immer Versuchungen in sich, und wer will leugnen, daß der Einzelnen Biele sein können, welche, ohne die heilige Gesinnung zu haben, von der aus die Kirche zur Aufstellung ihrer Ziele gekommen sein mag, doch an derselben sich betheiligen und dabei meinen, im Dienst des Reiches Gottes zu stehen? Mich dünkt daher, daß die lutherische Kirche sehr wohl daran gethan hat, diese Ziele in zweite Linie zu stellen und nicht viel Aufhebens von der Macht zu machen, welche sie als Kirche habe oder haben könnte. Sie kann sich dafür auf Luther berufen. Luther hat viel von der Macht des Evangeliums und wenig von der Macht der Kirche gesprochen.

Daß die Christenheit viel ausrichten und wirken könne, das hob er oft genug hervor, von der Macht der Kirche als Korporation hat er unseres Erinnerns wenig Nühmens gemacht. Man wird schwerlich irren, wenn man annimmt, Luthers Meinung war die: in dem Maaße, als die Einzelnen in der Kirche sind, wie sie sein sollen und jeder an seinem Plaze thut, was seines Amtes und Berufes ist, wird es auch nicht sehlen, daß die Kirche heilsamen Einfluß ausübt auch auf die Dinge der Welt; aber mehr durch die Einzelnen in der Kirche

wollte er das ausgerichtet sehen, als durch die Kirche als Korporation. Das hat die lutherische Kirche sich von Luther angecignet und darin wird allerdings ein Unterschied zwischen der lutherischen und reformirten Kirche liegen. Ein anderer vielleicht auch noch darin, daß die lutherische Moral mehr auf eine in sich gesammelte Frömmigkeit als auf eine sich nach außen ergehende hält und hinwirkt.

Hundeshagen nennt das einen quietistischen Zug an der lutherischen Frömmigkeit und rühmt dagegen die reformirte Vielgeschäftigkeit, die ihm ein besonderer Zug der reformirten Eigenthümlichkeit ist. Er versteht darunter (p. 353) „den in allen Beziehungen energisch auf's Thun und Handeln gerichteten Charakter der reformirten Frömmigkeit, jene praktische Nührigkeit, welche schon zu Calvin's Zeiten als über Land und Meer hinausreichender Missionsbetrich sich zu bethätigen anfing; den Eifer im Innern der Kirche zur strengen Sittenzucht über die Glieder der Gemeinde disciplinarische Institutionen zu schaffen; den rastlosen Drang, das Verhältniß der Kirche zum Staat in sicherer Weise festzustellen, auch das Staatsleben selber von Gottlosigkeit und Mißbräuchen zu reinigen, überhaupt jenen politisirenden Trieb, das Allgemeine der Gesellschaft theokratisch zu ordnen; die Heranziehung jedes Einzelnen in die Mitthätigkeit nicht nur für die Kirche, sondern auch für das Staatsleben, sei cs in republikanischer, sei es in monarchisch - konstitutioneller Form; das getroste und rüstige, weil seiner Pflicht und Berechtigung vor Gott ge wisse, ja vor dem Zorn Gottes verantwortliche Vorgehen gegen jede Art von Machtübung, welche diesen organisatorischen und reformatorischen Trieb beeinträchtigen oder ihm sich feindselig gegenüberstellen möchte.",,Und dieses vielgeschäftige Wesen, sagt er weiter, ist nichts andrcs, als der jedem gesunden kirchlichen Gemeinleben eigenthümliche Katholicitätsdrang, welcher durch die eigenthümlich reformirte Gestaltung des Dogmas, speciell des Königthums Christi, nicht ursprünglich erzeugt war, sondern umgekehrt in dieser nur dogmatisch sich

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