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antworten wir auf solch' ihr Vorgeben mit St. Paulo und sagen: ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig“. Gleichwie in der Philosophie, wenn man im Anfang ein wenig fehlet, am Ende ein sehr großer und unmäßiger Irrthum draus wird. Also gehet es in der Theologie auch zu, daß ein kleiner Frrthum die ganze christliche Lehre verderben und fälschen soll. Darum soll man Lehre und Leben nur sehr voneinander scheiden. Die Lehre ist nicht unsre, sondern Gottes ist sie, der uns allein zu Knechten und Dienern darüber berufen hat: darum sollen noch können wir nicht den allergeringsten Titel oder Buchstaben davon nicht begeben noch nachlassen. Das Leben aber ist unser; derhalben, so viel dasselbe betrifft, können die Sacramentirer von uns nichts begehren, das wir nicht gern wollen und sollen thun, leiden, verzeihen x., doch so ferne, daß an der Lehre und Glauben nichts begeben werde. Denn da sagen wir allewege mit St. Paulo: „ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig." Darum können wir im selben Stück nicht um ein Hårlein breit weichen. Denn es ist mit der Lehre so genau abgezirkelt und eigentlich abgemessen, daß man ohne großen und merklichen Schaden weder darzu thun, noch davon etwas nehmen kann; mit dem Leben aber ist es also, daß es wohl etwas auf sich nehmen oder auch etwas nachgeben, thun und leiden kann, wie es die Nothdurft erfordert.. ... Darum ist dieser Spruch fleißig zu merken, wider ihr Argument, damit sie uns mit Unwahrheit auflegen, als zerrissen wir die Liebe und Einigkeit in der Christenheit zu großem Schaden und Nachtheil der Kirche. Wir sind wahrlich bereit und willig, Friede und Liebe ihnen zu erzeigen; doch so ferne sie uns die Lehre des Glaubens unverlegt und ungefälscht lassen. Wo wir solches bei ihnen nicht erhalten können, ist es vergebens, daß sie die christliche Liebe so hoch rühmen.“

Diese Worte gehen der von Hundeshagen angeführten Stelle voraus. Es folgen die anderen: „Darum geben sie

damit, daß sie diese Sache so leicht und gering achten, genugsam zu verstehen, was sie von der Majestät und Herrlichkeit des göttlichen Worts halten. Wo sie ernstlich und von Herzen gläubten, daß es Gottes Wort wäre, würden sie damit nicht so leichtfertig scherzen und spielen, sondern es in höchsten Ehren halten, und ohne allen Zweifel und Disputation glauben, was er ihnen sagt und fürhält: würden auch wissen, daß ein Gottes Wort alle und wiederum alle Gottes Worte eins wären; würden wissen, daß alle Artikel unseres christlis chen Glaubens einer wäre; und wiederum, daß einer alle wäre und wo man einen fahren läßt, daß gewiß die andern allesammt mit der Zeit einzeln hinnach fallen: denn sie hangen alle an einander und gehören zusammen.

„Darum lassen wir es geschehen, daß sie die christliche Liebe so hoch rühmen, als sie immer mögen: wir rühmen dagegen von der Majestät und Herrlichkeit des Wortes und Glaubens. Die Liebe kann man etwa nachlassen, daß es ohne Schaden und Gefahr ist: das kaun aber mit dem Wort und Glauben nicht geschehen. Die Liebe soll alles leiden und jedermann weichen: dagegen aber kann und soll der Glaube gar nichts leiden und kurzum niemand weichen. Die Liebe, so gern weicht, alles glaubt, zu gute hält, vergibt und leidet, wird oftmals betrogen; aber gleichwohl können ihr alle Trügereien keinen Schaden thun, der ein Schade heißen möchte, das ist, sie verlieret darum Christum nicht, wenn sie gleich betrogen wird; darum läßt sie sich nicht irre machen, fähret immer fort, hilft und thut wohl jedermann, auch gegen den Undankbaren und die es nicht werth sind. Dagegen wenn es in Sachen ist, so die Seligkeit belangen und die Schwärmergeister ihre Lügen und Irrthum unter dem Schein der Wahrheit lehren, und damit viel Leute betrügen und verführen, da muß man wahrlich keine Liebe erzeigen, ihren Irrthum auch nicht billigen und recht sprechen. Denn da verliert man nicht eine Wohlthat, einem Undankbaren erzeiget, sondern das Wort,

den Glauben, Christum selbst und das ewige Leben 2c. verlieret man.

,,Darum habe deß kein Zweifel, wenn du Gott in einem Artikel verleugnest, so hast du ihn gewiß in allen verleugnet. Denn er läßt sich nicht stückweis zertheilen in viel Artikel, sondern ist ganz und gar in einem jeden, und in allen zumal ein Gott. Darum wenn uns die Sacramentirer lange und viel beschuldigen, daß wir der Liebe nicht achten, als wir's billig thun sollten, antworten wir ihnen mit diesem Spruch St. Pauli: „ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig“; item:,,mit der Ehre, Glauben und Augen ist böse scherzen.“

Zur Geschichte der Gesangbücher.

Ich fühlte mich schon früh von Gellert's Liedern angezogen; meine Mutter liebte sie und ich liebte meine Mutter. Später erst lernte ich ältere Lieder kennen. Die abscheulichen Verunstaltungen dieser durch erzprosaische; glaubens- und geschmacklose Aenderer empörten mich, was mich antrieb eine scharfe Kritik der modernen Gesangbücher in die Evangelische Kirchenzeitung einrücken zu lassen. Auf den Grund dieser Kritik ward ich aufgefordert ein besseres Gesangbuch herauszugeben *).

Früher noch, als ich in Nürnberg lebte, kamen (irre ich nicht so war es im Jahre 1826) die Engländer Pinkerton und Sibthorp dorthin als Agenten der englischen Bibel- und Traktaten - Gesellschaft. Sie boten den Nürnbergern an 3 Traktate für sie zu drucken. Ich erklärte: bei dem erbärmlichen Gesangbuch, das wir in Bayern hätten, könnten wir unserm armen Volke kein Geschenk von heilsamerem Einfluß machen,

*) Diese Kritik findet sich neu abgedruckt in meinen „Kreuzzügen“ Th. 1, 37.

als eine Auswahl alter Kernlieder. Mein Vorschlag ging nicht durch, man fühlte damals noch nicht das Bedürfniß nach den alten glaubensstarken Liedern, nach wirklich nährender Nahrung.

Ich flagte meine Noth dem redlichen Kaufmann Elsner in Berlin, welcher dort unermüdet christliche Traktate verbreitete. Er schrieb mir: ich solle ihm nur Lieder, zum Druck auswählen. Darauf schickte ich ihm 44 Lieder, sie wurden als Traktat gedruckt und sehr verbreitet. Der Gedanke, ein vollständiges Gesangbuch zu liefern, beschäftigte mich sehr. Ich hatte das Glück bei Antiquaren und sonst 50 bis 60 alte gute Gesangbücher aus den verschiedensten deutschen Landen für einen Spottpreis zu erstehen. Niemand suchte, denn niemand liebte ja damals die treuen alten „Tröster“.

Jene Gesangbücher nahm ich nun sorgfältig durch, verglich sie mit einander und überzeugte mich, daß von den Nedaktoren derselben aus dem Schaß zahlloser geistlicher Lieder mit dem gesundesten Glauben und dem richtigsten Geschmack eine sehr bedeutende Anzahl ganz übereinstimmend ausgewählt und aufgenommen war; in allen fand ich z. V. „Befiehl du deine Wege; O Gott du frommer Gott; Allein Gott in der Höh' sei Ehr“ 20. Dieser weit reichende consensus gab jenen ausgewählten Liedern ein wahrhaft confessionelles Ansehen. —

An diese in der Kirche getroffene Auswahl schloß ich mich vorzüglich bei Ausarbeitung meines Gesangbuchs an, welches in Nürnberg für eine Basler Buchhandlung gedruckt wurde. Im Jahre 1846 kam eine zweite vermehrte Ausgabe desselben bei Liesching heraus; sie enthält 564 Lieder.

Doch begnügte ich mich nicht mit der Herausgabe dieses größeren Gesangbuchs. Ich sah, wie nothwendig es war, die alten Lieder auf alle Weise in weiten Kreisen, im ganzen Volk auszubreiten, um dem Verderben zu steuern, das durch die modernen Gesangbücher, die voller ungläubiger saft- und kraftloser Lieder sind, angerichtet worden. An eine solche Ausbreitung meines größern Gesangbuchs war natürlich, schon des

Preises wegen, nicht zu denken. Ich wendete mich deshalb an den trefflichen Pinkerton. Er ließ 80 Lieder, welche ich ihm gab, unter dem Titel „Kern geistlicher Lieder" drucken. Sie erschienen, als Bayern eben Regimenter nach Griechenland schickte; jeder protestantische Soldat erhielt, so viel ich weiß, auf Veranlassung des Oberconsistoriums, ein Exemplar. Man mochte nicht das schlechte Bayerische Kirchengesangbuch mitgeben. Wer mag schlechten Wein ausführen?

Bald überzeugte ich mich aber, daß zwischen dem größern Gesangbuch und dem kleinen,,Kern" eine Lücke sei, welche ausgefüllt werden müsse. Das veranlaßte die Herausgabe von c. 200 Liedern. Sie erschienen in wiederholten Ausgaben, zulezt bei Liesching unter dem Titel „Geistliche Lieder". Ich ordnete dieselben ganz wie die Lieder des größern Gesangbuchs, damit sie bei beengenden Lagen und in Nothfällen ein Kirchengesangbuch vertreten konnten. Ehe das gegenwärtige gute Bayerische Gesangbuch erschien, wurden diese „Geistliche Lieder" in den fränkischen Schulen viel gebraucht, wodurch vielleicht einer wohlwollenden Aufnahme jenes Gesangbuchs hie und da vorgearbeitet worden ist.

Karl v. Raumer.

Anm. Vorstehenden Aufsaß hat der ehrwürdige Karl von Raumer wenige Wochen vor seinem Hinscheiden der Redaktion zugestellt. Indem wir ihn wie als das Scheidewort des um die evangelische Kirche so hoch verdienten Mannes veröffentlichen, freuen wir uns, bei dieser Gelegenheit unseren Lesern mittheilen zu können, daß wir bereits von einem vor den Meisten dazu berufenen und befähigten Mann die Zusage einer ausführlichen Würdigung der Leistungen K. von Raumer's erhalten haben.

D. Red.

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