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Dr. K. B. Hundeshagen, Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte 2c. 35

theologischen Apparats, also in einem so unvolksmäßigen Schulsymbol gesühnt zu haben glaubt, daß die Verfasser der Concordienformel selber den Gelehrten noch ein Hülfsmittel zum Verständniß ihres Werkes beigeben zu müssen glaubten.“

„Diesen unleugbaren Drang nach Algemeinheit haben aber die Reformirten in der Kraft des hl. Geistes und in keiner anderen zu verwirklichen gewußt.“

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Da angelangt, nimmt Hundeshagen Anlaß zu einer Untersuchung über den Sinn, in dem Luther von den Reformirten gesagt, sie hätten einen anderen Geist"; zur Zurechtstellung des Vorwurfs, daß sie einen geseßlichen Geist hätten und zur Widerlegung des Vorwurfs der „Aulopolitik“ und gelangt zu dem Resultat: jener „andere Geist, von welchem Luther in Marburg redete" ist wirklich vorhanden. „Er ist im Unterschied von dem theologisch dogmatischen Geist des Lutherthums der kirchlich ethische Geist des Zwinglianismus, welchen Luther damals schon durchfühlte ein Unterschied des Geistes, in dessen Durchbildung beide Gestaltungen des Protestantismus immer bestimmter auseinandergingen. In der geseßlichen Handhabung der Einheit in ihrem inneren gesellschaftlichen Leben waren beide kirchliche Gemeinschaften im Ganzen wohl gleich streng, obschon in einer sehr verschiedenen Form nicht nur, sondern auch in einer verschiedenen Nichtung des Interesses. In ihrem Streben nach Katholicität aber gegen Außen sind sie grundverschieden. Denn dazu hätte das tonangebende Lutherthum eines anderen Geistes" bedurft, und nur weil die reformirte Kirche diesen anderen Geist" durch die Gnade Gottes ihren eigenen nennen durfte, gelang es ihr in Kraft desselben zur Katholicität so mächtige und immer wiederholte Schritte zu thun.“

Es ließen sich doch alle diese Erscheinungen in einem andern Licht darstellen und uns erscheinen sie in einem anderen.

So gleich und vor allem die die Prädestinationslehre betreffende Thatsache. Sie soll ein leuchtendes Beispiel sein für 3*

die weise Auseinanderhaltung dessen, was der Kirche und was der Schule angehört.

Also gehört die Prädestinationslehre der Schule an? Die Lehre, von welcher Calvin sagte:,,die Ehre Gottes und das Heil der Welt hängt von dieser Lehre ab, darum vergreifen sich die an der Ehre Gottes, welche diese Lehre angreifen. Die Einheit des Glaubens muß in diesem Punkt festgehalten werden, es koste, was es wolle." (Henry, das Leben Johann Calvin's. III. Bd. 1. Abth. p. 56.) Warum hat Calvin denn so viele Kräfte daran geseßt, den consensus Genevensis in der Schweiz zur Annahme zu bringen? Calvin wenigstens hat gewiß diese Lehre nicht der Schule zugewiesen und in den Niederlanden war man noch im darauffolgenden Jahrhundert wohl auch nicht dieser Ansicht, denn warum sonst die heftigen Kämpfe zwischen Arminius und Gomarus, und warum die gewaltigen Anstrengungen der Dortrechter Synode, die Prädestinationslehre in allen reformirten Landeskirchen zur Annahme zu bringen? Hundeshagen selbst scheint zuzugeben, daß die von ihm gepriesene weise Auseinanderhaltung erst in eine spätere Zeit fällt, denn er erinnert daran, daß einige von den Landeskirchen, welche sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im westlichen Europa constituirt hätten, es. sogar gewagt hätten, „sich indirekt und sogar direkt dem entgegenzusehen, was der consensus pastorum Genevensium und die Schultheologie festhielt." Und so ist es auch. Man hat im Anfang weder die Lehre von der Prädestination noch die vom Abendmahl als eine der Schule angehörige Lehre betrachtet, für die Lehre von der Prädestination ist der consensus Genevensis, für die Lehre vom Abendmahl der consensus Tigurinus ein Zeugniß. Ja von dem lezteren sagt Henry (Bd. II p. 460 u. 461) „er sei nur der erste Schritt zu einem größeren Plan gewesen, zu dem, durch ihn die Einheit der ganzen evangelischen Kirche zu erzielen." Nun ist es freilich wahr, daß die meisten reformirten Bekenntnisse die Lehre von der Prädestination nicht mit aufnahmen, wie es auch wahr ist, daß sie in

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der Abendmahlslehre wie in der Sacramentslehre überhaupt sich sehr schwankend ausdrückten, mehr annähernd an den Calvinischen Typus, doch aber auch nicht geradehin sich für denselben erklärend. Soll man dieser Thatsache die Deutung geben, daß sie sich da von der richtigen Auseinanderhaltung zwischen Kirche und Schule leiten ließen? Warum taucht aber dann bei Gelegenheit der Dortrechter Synode noch einmal der Versuch auf, die Prädestinationslehre als Bekenntniß geltend zu machen, von der formula consensus ecclesiarum Helveticarum vom Jahr 1674, wo der gleiche Versuch gemacht wurde, ganz zu schweigen? Hatten die einzelnen Landeskirchen einen richtigeren Instinkt als ihre theologischen Führer? Eine andere Erklärung wird die richtigere sein.

Die Constituirung der außerschweizerischen reformirten Landeskirchen fällt bekanntlich in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Calvin's Einfluß war in Frankreich, den Niederlanden, in England und Schottland der überwiegende geworden, er reichte auch nach Deutschland und auch da bildeten sich bekanntlich reformirte Gemeinden und reformirte Landeskirchen. Woran waren diese erkennbar als reformirte? Wäre man von der Schweiz aus, unter deren Einfluß sie sich bildeten, mit ihnen verfahren, wie Calvin innerhalb der Schweiz mit seiner Abendmahls- und Prädestinationslehre verfahren ist, man hätte sie nimmermehr alle gewonnen, denn auf ganz andere Punkte waren in den verschiedenen Ländern die Interessen gerichtet. So nahm man denn vorlieb mit ihrem Anschluß an die Kirche Calvin's auf Grund ihrer antithetischen Stellung gegen die lutherische Sacramentslehre, und etwa auf Grund deß, daß die eine Stücke der calvinischen Kirchenzucht, die andere Stücke der calvinischen Verfassung annahm. Man machte aus der Noth eine Tugend; und nicht aus der Einsicht, daß man Kirche und Schule auseinanderhalten müsse, ging diese Stellung zu diesen Landeskirchen hervor. Der Beweis dafür liegt eben darin, daß man später noch den, aber vergeblichen, Versuch machte, ein einheit

liches Bekenntniß zu Stand zu bringen. Man stand davon ab und mußte davon abstehen, denn das war der Preis, um den man so viele und große Länder für die reformirte Kirche gewann.

Es ist wahr, zu großen wohl organisirten Kirchenkörpern hat man es auf diesem Wege gebracht. Aber um welchen Preis ? Um den, daß man das Einheitsprincip aufgab, und aufgab, nur weil man auf andere Weise es nicht zu so vielen Landestirchen, welche fich reformirt nennen sollten, bringen konnte. Ist es dann aber nicht so, wie wir oben sagten, daß der Drang nach Ausbreitung der reformirten Kirche zur Gefahr wurde? Sie hat nur nothgedrungen das Einheitsprincip, zu dem sie sich doch im Anfang selbst bekannte, aufgegeben, und es ist damit zu einer Erscheinung in der Kirche gekommen, die einzig in der Geschichte dasteht. Seit es eine Kirche gibt, hat sie als Merkmal der Zugehörigkeit das einmüthige Bekenntniß bezeichnet, die reformirte Kirche macht allein eine Ausnahme und was die einzelnen Landeskirchen zu reformirten macht, ist schwer zu sagen. Sie haben kein einheitliches Bekenntniß, denn einzelne Landeskirchen bekennen die Lehre von der Prädestination und halten streng auf dieselbe, andere bekennen sie nicht und glauben sie auch nicht; die Abendmahlslehre ist in den Bekenntnissen meist so unbestimmt ausgesprochen, daß dem einen nicht verwehrt ist, sie in einem nahezu an Luthers Lehre streifenden Sinn zu deuten, während der andere fich dieselbe schroff zwinglisch deuten darf; die Kirchenzucht findet sich in einigen Ländern, in anderen nicht; ihre Verfassung ist eine in den verschiedenen Landeskirchen sehr verschiedene. Man könnte allerdings zu der Annahme kommen, daß der reformirten Kirche der Saß Hundeshagen's vorgeschwebt hätte: „das Prädikat der Allgemeinheit in seiner Anwendung auf die erscheinende Kirche will besagen, daß sie für ihren Aufbau auf eine Grundlage Bedacht genommen haben müsse, welche nicht zu eng und schmal ist für ihre großartige Mission, sondern von hinreichender Breite, um getrosten Muthes die

Sammlung aller Menschheitstheile auf derselben in Angriff zu nehmen;" aber in dem Sinn: sie muß es im Interesse ihrer großartigen Mission mit der Einheit und Bestimmtheit in der Lehre nicht genau nehmen. Verhält es sich damit so, so wird wohl auch zu zweifeln erlaubt sein, ob, was Hundeshagen weiter an der reformirten Kirche rühmt, aus dem Geist der Mäßigung, und nur aus diesem hervorgegangen ist.

Wir wollen dem freundlichen Wesen Zwingli's seine Ehre laffen, obwohl daran erinnert werden muß, daß die Streitschriften Zwingli's wider Luther wahrlich ant Derbheit denen Luther's nichts nachgeben; wollen es auch loben, daß die Späteren, als sie den reformirten Lehrbegriff symbolisch fixirten, milder über den lutherischen Lehrbegriff urtheilten, als es von der gegentheiligen Seite geschah. Aber man sollte doch nicht vergessen, daß Zwingli und die Seinigen mit ihrer Abendmahlslehre eine andere Stellung in der Kirche hatten, als Luther, aus der sich dann ihr anderes Verfahren erklärt. Der doppelte Vorwurf lastete auf ihnen, daß sie eine der ganzen Kirche bis dahin fremde Lehre aufstellten und daß fie damit in bedenkliche Nähe zu den Schwarmgeistern geriethen. Und dazu kam noch ihr schroffes Abbrechen des Zusammenhangs mit der Kirche der Gegenwart, wie mit der alten Kirche. An allem dem nahm doch wahrlich nicht Luther allein Anstoß, das alles machte ja die Schweizer auch dem Kaiser so verdächtig, daß selbst Melanchthon, der milde Melanchthon, wie man ihn gern nennt, zur Zeit des Augsburger Reichstags es für nothwendig hielt, sich und die Seinen bestimmt und scharf von den Schweizern zu unterscheiden. Wer aber sich in solcher Lage befindet, wie damals die Schweizer, wer den Beweis zu führen hat, daß die Lehre, zu der man sich bekennt, nicht so bedenklich sei, (mag man den Beweis mit gutem Gewissen führen zu können glauben oder nicht, darauf tommt es hier nicht an), wer sich mit anderen Worten in der Stellung des Angeklagten befindet, der redet natürlich anders als der Ankläger und die andere Rede wird man nicht

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