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ins Auge fallende Organ eben die Kirche ist? Die Menschen, welche die moderne Cultur vorstellen, werden sich im Gegentheil sagen, daß es mit einer Religion, die ein solches : Organ hat, Nichts ist, und wenn sie von ihren materiellen Zwecken zu sittlichen und von sittlichen Ideen auf religiöse, ‹geführt werden, was schon selten genug der Fall sein dürfte, so werden sie, wenn keine anderen Einwirkungen dazwischentreten, sicherlich mit denen übereinstimmen, welche das Christenthum für ausgelebt und eine neue Religion, die mit dem, modernen Culturleben übereinstimmt, für nothwendig achten. Wie sie dazu kommen sollten, eine Solidarität der Interessen zwischen der sie bekämpfenden Kirche und der von ihnen vertretenen Sinnesart und Geistesrichtung zu entdecken, wird gewiß Niemand verstehengontr

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5. Also nicht einmal jene Aufdämmerung, welche: Rothe unter den Männern der neuen Zeit wahrgenommen haben will, können wir auch nur für möglich, geschweige für wirklich halten. Aehnlich geht es uns mit der Ahnung, welche der andererseits unzähligen gebildeten Kirchengenossen, wenn auch noch so dunkel, vorschweben sieht. Es ist dies die Ahnung, daß das Christenthum in Begriff stehe, vom kirchlichen Boden auf den weltlichen, d. i. den sittlichen sich überzusiedeln, daß seine eigentlichen geschichtlichen Wirkungen ¡nicht mehr auf jenem stattfinden, sondern auf diesem, daß auf das erste Weltalter des Christenthums, das kirchliche, ein zweites zu folgen begonnen habe, das weltliche oder näher, das staatliche, Wir wissen, daß dies Dr. Rothe's Lehre ist. Ihm ist weltlich und sittlich eins, weil er die Bestimmung des Menschen in Aneignung der Welt setzt, und er erwartet die Kirche - in› den Staat aufgehen zu sehen, weil ihm der Staat die höhere sitt liche Gemeinschaftsform ist. Aber daß uns unter denen, welche er hier im Gegensaße zu den Männern der modernen Cultur als Kirchengenossen bezeichnet, auch nur irgendwo der geringste Schatten einer derartigen Ahnung vorgekommen sei, müssen wir schlechthin verneinen. Innerhalb des kirchlichen Gedanken

kreises hat eine solche Vorstellung schlechterdings keinen Naum, wohl aber findet sich innerhalb desselben die gerade entgegengesezte Erwartung, daß sich die Kirche, nämlich die Gemeinde der Gläubigen, am Ende ihrer Geschichte einem Staate gegenüber befinden werde, welcher ihr um deswillen das Recht des Daseins abspricht, weil er von keiner andern Bestimmung der Menschheit wissen will, als der zur Besißnahme und Aneignung dieser Welt. Wenn also Rothe hofft, der Kampf zwischen Kirche und moderner Cultur werde Seitens der erstern dadurch zum Ausgleiche gelangen, daß die kirchlich Frommen immer heller die Wahrheit der Ahnung erkennen, die er ihnen zuschreibt, so dürfte noch nie eine Hoffnung hinfälliger und übler begründet gewesen sein.

Rothe meint zwar, es werde ihnen nichts Anderes übrig bleiben, denn die Kirche bringe es mit allen ihren Anstrengungen bei dem Volke als Ganzem zu Nichts mehr, alle ihre Maßnahmen schlagen im Großen fehl und erzielen nur sporadische Erfolge. Beruhigen aber könne sich hiebei nur derjenige, welcher Christum für unfähig halte, in der Welt etwas Ganzes auszurichten und es in ihr zu einer wirklichen Herrschaft zu bringen, welcher meint, Christus müsse sich daran genügen lassen, einige wenige Seelen aus dem Strome eines von Geschlecht zu Geschlecht immer steigenden allgemeinen Verderbens zu erretten. Einem solchen aber hält er die Frage entgegen, die ihn seiner Thorheit unfehlbar überführen soll: „Was bedeutet denn das Wort „Erlöser“, wenn bei dem allem Jesus der Erlöser bleiben soll ?"

Man sollte doch nicht für möglich halten, daß ein Professor der Theologie eine solche Frage thun kann. Wir würden unsern Lesern einen Schimpf anthun, wenn wir für nöthig hielten, um ihretwillen sie zu beantworten. Der aber, welcher sie gestellt hat, weiß ja freilich so gut wie wir, was von dem Wege gesagt ist, auf dem Viele wandeln, und von dem andern, den Wenige finden; er kennt die Antwort, die Jesus auf die Frage gegeben hat, ob Wenige selig werden; und was N. F. Bb. L.

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Paulus von der letzten Zeit geschrieben hat, wo Gott kräftige Irrthümer senden wird, daß sie glauben der Lüge, auf daß gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glauben, sondern Lust haben an der Ungerechtigkeit, muß ihm ebenso wie Luc. 17, 26 mit seiner Vorstellung von dem Erlöser unvereinbar erscheinen. Aber er wird ja wohl damit, wie mit so vielem Andern, zurechtzukommen wissen.

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Kennt nun Rothe weder den wirklichen Schaden der Christenheit, noch die Schranke, welche der Hebung desselben gesezt ist, so wird er sich auch in den Mitteln vergreifen, mit denen er der Entfremdung von der Kirche Abhülfe schaffen will. Sie liegen ihm theils und zwar vornämlich auf der Seite der Kirche, zum Theil aber auch auf Seiten der ihr Entfremdeten. Die Kirche muß Friede und Freundschaft schließen mit dem modernen Culturleben, und die ihr Entfremdeten müssen die ihnen dargebotene Hand annehmen: dann wird Alles gut werden. Dabei kann er freilich nicht umhin, einzuräumen, daß das moderne Culturleben durch viel Unchristliches verunreinigt ist. Drum soll auch die Kirche nur mit dem ausdrücklichen Vorbehalte Freundschaft mit ihm schließen, daß es sich der Zucht des Geistes Christi und ihrer Ausübung derselben unterwerfe. Doch wie sollte es das nicht thun? Es wird ja bald genug inne werden, wie trefflich sie ihm zu Statten kommt. So hofft Nothe. Er kann es wohl nur deshalb hoffen, weil er es auch hier wieder mit der mythologischen Person des viel und oft besagten modernen Culturlebens zu thun hat. Wenn er sich die wirklichen Personen ansähe, welche unter dieser Maske stecken, so würde seine Hoffnung weniger zuversichtlich sein. Was übrigens an der Forderung richtig ist, die er der Kirche, also den mit der Verwaltung der christlichen Wahrheit irgendwie Betraueten stellt, haben wir oben so ausgedrückt, daß wir sagten, es gelte, die wirkliche Erkenntniß der Weltbestimmung der Menschheit und deren thatsächliche Beweisung von ihrer Verderbniß durch Sünde und Lüge zu unterscheiden: eine Unterscheidung, an

welcher die Gläubigen Christi zu lernen haben werden bis ans Ende der gegenwärtigen Weltzeit. In diesem, aber nur in diesem Sinne hat Rothe's Forderung eine Berechtigung.

Aber er fordert nun weiter, daß die Kirche, um nicht für eine Müßiggängerin zu gelten, soweit sie dieß mit ihren religiösen Mitteln vermag, an dem Culturleben durch die That sich betheilige. Was werden dieß für Mittel sein? doch wohl nicht dieselben, von denen er so geringschäßig sagt, daß sie das Thun und Lassen der Kirche ausmachen, Aufstellung und Annahme dogmatischer Lehrfäße, cultische Acte, ascetische Handlungen, pietistische Uebungen? Daß man in diesen Dingen die eigentliche Sache des Herrn Jesu erblickt, anstatt in den volksthümlichen Errungenschaften unserer Zeit, ist ihm ja eine Lächerlichkeit. Wer gleich ihm der Meinung ist, der Fromme bete um so weniger, je frömmer er wird, und des Gebets nicht mehr zu bedürfen sei ein Zeichen christlicher Fortgeschrittenheit, der kann sich von so unwesentlichen Dingen, wie gottesdienstliche oder sakramentliche Gemeinschaft, für den groBen Zweck unmöglich Etwas versprechen. In der Sphäre des staatlichen Lebens muß die Kirche bauen, das ist bei dem gegenwärtigen Stande des Werks Christi das wirksamste Bauen am Reiche des Herrn. Ihre Zeit ist ja überhaupt vorbei, nachdem das staatliche Weltalter des Christenthums anbricht: sie kann nichts Besseres thun, als sich überflüssig zu machen. Wie sie es übrigens anfangen soll, der Forderung Rothe's entsprechend, in der Sphäre des staatlichen Lebens zu bauen, auf das Volksleben in seinem Gesammtumfange wirklich christlich einzuwirken, reinigend, berichtigend, seine Schäden heilend, und es erhebendo Worte, Worte, Worte! das wird schwerlich Jemand von selbst wissen und Rothe sagt es uns nicht. Ich denke, es wird eben bei dem bleiben, wie es die Apostel gehalten, haben

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Die letzte an die Kirche gerichtete Forderung, daß sie sich in Lehre und Verfassung nach den Bedürfnissen der heutigen Christen richte, könnte an sich einen richtigen Sinn haben.

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Denn, daß die Kirche bei aller Unwandelbarkeit ihres Glaubens je und je die Sprache sprèche, in der sie sich verständlich macht, und ihrem Gemeinwesen je und je diejenige Form-gebe, die ihm gedeihlich ist, versteht sich ja von selbst und nicht blos für die moderne" Zeit. Allein Rothe's Gedanken sind auch hier sehr andere, als was wir im Sinne haben. Er will von keinen ausgeprägten Lehrsäßen Etwas wissen, sondern nur von freier wissenschaftlicher Verständigung über die geschichtlichen Thatsachen, durch welche eine Offenbarung in der Welt ist, und versichert, daß heut zu Tage die eigentlichen Lebenstriebe der Christenheit im weltlichen Stande liegen und nicht im geistlichen, welcher die christlichen Dinge unter dem kirchlichen Gesichtspunkte und darum schief beurtheile. falscher Gegensatz von Dogmatischem und Offenbarungsgeschichtlichem, von Christlichem und Kirchlichem bringt das mit sich. Im lezten Grunde aber kommt es wieder auf dieselbe gründliche Mißkennung des Christenthums hinaus, die uns gleich Anfangs entgegentrat. Wenn nur so kommt es zu stehen dem Bedürfnisse nach Wissen einerseits und dem Verlangen nach Mitthätigkeit andererseits bei denen ein Genüge geschieht, welche der Kirche entfremdet sind, so werden sie auch wieder kirchlich werden. Als wenn solche Kirchlichkeit irgend einen Werth hätte! Wenn diejenigen, deren Beruf die Verwaltung der kirchlichen Wahrheit ist, ihr Thun nicht vor Allem durch das im natürlichen Menschen unterdrückte Bedürfniß der Sündenvergebung bestimmt sein lassen, so leisten sie eben nur einem Verlangen des natürlichen Menschen Genüge und täuschen ihn dadurch um das, was er wirklich bedarf. Sie befriedigen den Wissenstrieb und versäumen das Gewissen, und befriedigen den Thätigkeitstrieb auf Kosten des Heilsbedürfnisses.

Doch gesezt, es hätte seine Richtigkeit mit dem, was Rothe von der Kirche gethan wissen will, womit will er uns verbürgen, daß dadurch jene,,wirkliche Herrschaft Christi in der Welt" herbeigebracht werde, auf die er uns Hoffnung macht? Er ist so billig, zuzugestehen, daß die Kirche für sich

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