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ver Kirchenzucht völlig unmöglich sei. Und gerade das ist es, worüber wir vorzugsweise uns hier auslassen wollten.

Man sollte, meinen wir, die zwei Fragen ja recht auseinanderhalten und nicht zusammenwerfen, ob es an der Zeit sei, in unsern Landeskirchen die Wiederherstellung positiver Kirchenzucht als eine allgemeine Einrichtung auf dem Verordnungswege anzustreben, und ob es thunlich und räthlich sei, die Freiheit ihrer Uebung zu gewähren, wo die Bedingungen für ihre ersprießliche Uebung gegeben sind, und in dem Maaße, in welchem sie irgendwo und irgendwanu sich wirklich finden. Wir glauben, daß, wie die erste Frage unbedingt zu verneinen, so die andere unbedingt zu bejahen sei.

Wo ein Geistlicher da wäre, der vermöge seiner Persönlichkeit befähigt wäre, die ihm von Amtswegen bei positiver Kirchenzucht zukommende Aufgabe zu erfüllen, und wo dieser einen aus ernsten Christen bestehenden Kirchenvorstand zur Seite hätte, der zugleich entsprechendes Ansehen und Vertrauen in der Gemeinde genöffe, da wären wohl die Bedingungen zu ersprießlicher Uebung positiver Kirchenzucht selbst dann gegeben, wenn nicht einmal die Mehrzahl der Gemeinde aus Leuten bestünde, die mit Ernst Christen sein wollten. Da sollte man dann nur von Seiten des Kirchenregiments dem Geistlichen und dem Kirchenvorstand volle Freiheit lassen, es mit Uebung positiver Kirchenzucht zu versuchen, freilich mit wachsamer Aufsicht über die Art und Weise der Versuche und ihren Erfolg. So wenig das Kirchenregiment von irgend einem Geistlichen fordern soll, daß er es mit Uebung positiver Kirchenzucht versuche, eben so wenig, meinen wir, sollte man es einem Geistlichen, dem man irgendwie zutrauen kann, daß er damit bei seiner Gemeinde etwas Gutes auszurichten vermöge, es verwehren. Nur Vorsicht, Geduld, Mäßigkeit, Geräuschlosigkeit sollte man bei dergleichen Versuchen verlangen; aber nicht ängstlich und zaghaft jeden Versuch untersagen, weil in keiner wirklich noch geltenden Kirchenordnung derglei chen vorgeschrieben sei, und leicht Unbequemlichkeiten daraus

entstehen könnten. Wo die Anwendung von Vorschriften des Herrn und die Nachahmung der apostolischen Uebung möglich ist, da bedarf es dazu der ausdrücklichen Erlaubniß oder Vorschrift einer Kirchenordnung nicht. Und wenn dann auch wirklich aus der Anwendung der schriftmäßigen Weisungen über Kirchenzucht dem Kirchenregiment Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten erwüchsen, was allerdings kaum würde ausbleiben können, was thäte das, wenn nur dadurch der wahre Zweck positiver Kirchenzucht wirklich einigermaßen erreicht werden könnte? Man sollte nur bedenken, daß doch offenbar gerade auch aus der völligen Unterlassung positiver Kirchenzucht nicht nur für die Seelsorge, sondern auch für das Kirchenregiment unläugbar sehr große Schwierigkeiten und Hindernisse entspringen. Hätte man auf diesem Wege die Wiederherstellung eines gewissen Maaßes positiver Kirchenzucht anzubahnen unternommen, es würde, darüber gewiß nicht der Lärm und Sturm entstanden sein, welchen der Versuch, ja eigentlich der bløse Schein des Versuchs ihrer geseßlichen Wiedereinführung hervorgerufen hat, und durch den nun vielleicht allerdings auch die Erreichung dessen, was auf dem hier angedeuteten Wege zu erreichen sein möchte, doppelt schwierig geworden ist.

Es möchte ernstlicher Erwägung werth sein, ob; nicht überhaupt Verbesserungen des Kirchenwesens am besten dadurch angebahnt würden, daß man Anfangs immer nur Personen, welche dafür thätig zu werden besonders begabt und geneigt sind, frei gewähren ließe, den Geist des Eifers, der sie beseelt, nicht dämpfen wollte, sondern nur so weit es Noth thut, zügelte, sie nicht zurückhielte, sondern aufmunterte und unterstüßte, und erst, wenn sie in kleinen Kreisen einigen Erfolg erzielt haben, eine allgemeinere Befolgung ihrer Handlungsweise mehr empfähle, als vorschriebe. Das umgekehrte Verfahren, wie es gewöhnlich vorkommt, wornach man von Oben herab erst lange Zeit solche Bestrebungen auch wahrhaft dafür befähigter Männer verpönt oder doch mit MißN. F. Bd. L.

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trauen betrachtet, und hernach, was ihnen in ihren Wirkungskreisen unter besondern Bedingungen wohl gelungen ist, plößlich überall erzwingen möchte, verfehlt sicher das rechte Ziel; es ist aber auch eben so erfolglos ein Reformbestreben, wobei man Dinge, die vielleicht an sich sehr gut und schön sind, in trefflich abgefaßten Verordnungen allgemein vorschreibt, ohne sich erst umgesehen zu haben, ob man auch nur irgendwo Personen wirklich hat, die sie richtig auszuführen im Stande und wirklich geneigt sind.

Würde nun durch freies Gewährenlassen es vorerst auch nur in einigen Landgemeinden wieder zu Anfängen ersprießlicher positiver Kirchenzuchtübung kommen, nicht nach der Weise jener alten Konsistorialpraxis, sondern in wahrhaft evangelischem Sinn, und würden solche Anfänge sich des Schußes und der Pflege von Seiten der höheren Kirchenbehörden zu erfreuen haben; es ließe sich gewiß hoffen, daß eine allmählige und stille Entwicklung eines solchen Keimes neuen kirchlichen Lebens nicht ausbleiben, daß diese Regungen desselben sich von selbst weiter verbreiten und erstarken würden. Es könnte daraus eine allmählige Reinigung, Kräftigung und Wiederbelebung unserer Landeskirchen hervorgehen. Nur müßte dabei eben alle Ueberspannung der geistlichen Amtsgewalt, alles Pharisäerthum, alle Ausschreitung in lieblose und kleinliche Strenge, alles Ansehen der Personen und was sonst erfahrungsmäßig in früheren Zeiten zum Verfall der Kirchenzucht beigetragen hat, sowohl von vornherein, als bei gutem Fortgang der Sache, mit aller Wachsamkeit und Sorgfalt fern gehalten werden. Man müßte immer die Kirchenvorstände dazu herbeiziehen, mehr und mehr die Gemeinden in ihrer Gesammtheit damit zu befreunden und dabei zu betheiligen suchen. Man müßte Niemand mit Zwang solcher Kirchenzucht unterwerfen wollen, sondern vielmehr sie so angreifen, daß man zunächst nur bei bußfertigen, in grobe Sünden gefallenen Gemeindegliedern die Erkenntniß zu erwecken suchte, wie sie durch freiwillige Uebernahme einer schonenden

öffentlichen Kirchenbuße sich selbst einer wahren Wohlthat theilhaftig machen könnten. Ueberhaupt müßte man nur an bereits einigermaßen erweckten Gemeindegliedern positive Kirchenzucht zu üben unternehmen, alle andern nur seelsorgerlich behandeln; die positive Kirchenzucht kann nicht als ein Erzichungsmittel für das Christenthum, sondern nur als ein Züchtigungsmittel bei drohendem oder eingetretenem Abfall von dem bereits betretenen schmalen Wege des wahren christlichen Lebens dienen sollen. Auch bei solchen, welche lebendige Glieder der Kirche waren, und bereits seit längerer Zeit abgefal len sind, ist positive Kirchenzucht nicht am rechten Ort; bei solchen würde sie nur die Verstocktheit mehren. Auch bei ihnen ist nur seelsorgerliche Thätigkeit und negative Kirchenzucht anwendbar. Ist ihnen mit seelsorgerlicher Thätigkeit nicht beizukommen, und geben sie zu negativer Kirchenzucht keinen Anlaß, so bleibt nichts übrig, als sie einfach gehen zu lassen, wie bei allen denjenigen, die ohne im eigentlichen Sinn Abgefallene zu sein, sich zur Zeit einfach von der Kirche abkehren und fern halten. Gerade auf solche aber könnte die Anschauung zwangloser Uebung positiver Kirchenzucht an Andern zuweilen eine heilsame Wirkung hervorbringen, wie sie keine seelsorgerliche Bemühung bei ihnen zu erzielen vermöchte. Ueberhaupt würde die Seelsorge an rechter positiver Kirchenzucht eine mächtige Bundesgenossin wiedergewinnen, so we nig auch gegenwärtig die Entbehrung derselben empfunden und der Nachtheil dieser Entbehrung erkannt werden mag. Schon deshalb, meinen wir, darf das Streben nach Wiederbelebung positiver Kirchenzucht in der hier angedeuteten Weise niemals aufgegeben werden.

Blose negative Kirchenzucht bei gänzlichem Abstehen von aller positiven ist ein keineswegs werthloser, aber doch nur sehr dürftiger Ersaß für das Gut, welches die Kirche an einer echt evangelischen Kirchenzucht haben würde, wobei man an eine Unterscheidung zwischen positiver und negativer Kirchenzucht gar nicht dächte. In ihrer Jugendzeit hat die christliche Kirche

dieses hohe Gut besessen, freilich nicht lange in seiner vollen Reinheit. Die Kirchenzucht Calvin's war nicht das, was wir uns unter jenem Gute denken. Möchte es der lutherischen Kirche vorbehalten sein, es wieder zu gewinnen; der Geist des echten Lutherthums brauchte sich in ihr nur freier entfal ten zu können, als es in der Gegenwart noch der Fall ist, um ihr unter göttlichem Beistande dazu zu verhelfen. Aber freilich können wir uns das nur als möglich denken, wenn ihre dermalige Verschränkung in den Staatsorganismus sich löste, ohne daß sie selbst willkürlich und nicht von zwingenden Umständen dazu gebracht Hand dazu anlegte. Es könnte ja wohl diese Wendung eintreten, ehe wir es vermuthen. Für diesen Fall wäre es doppelt wünschenswerth, daß bei Zeiten wenigstens kleine Anfänge wahrhaft evangelischer positiver Kirchenzucht in unseren lutherischen Landeskirchen sich entwickelten und Bestand gewännen. Denn insbesondere müßte von ihnen auch die Aufrichtung einer Kirchenverfassung ausgehen, wie sie dann menschlichem Denken nach unentbehrlich wäre.

Die Volksschule in ihrem Verhältnisse zur Familie. Ein Conferenzvortrag.

In neuester Zeit wird viel von dem Verhältnisse der Volksschule zu Staat und Kirche gesprochen, aber geschwiegen von ihrem Verhältnisse zur Familie. Gleichwohl ist dies leztere nicht von Allen so richtig erfaßt, als man aus dieser Thatsache zu schließen versucht ist. Es kann daher nicht überflüssig sein, dasselbe auf's neue zum Gegenstand der Besprechung zu machen. Indem wir aber das zu thun uns anschicken, müssen wir von vorneherein erklären, daß wir nicht darauf ausgehen, irgend welche neue Gesichtspunkte in dieser Beziehung

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