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LITERATUR - ZEITUNG

VOM JAHRE

1849.

ZWEITER BAND.
JULI bis DECEMBER.

HALLE,

Expedition dieser Zeitung

C. A. Schwetschke und Sohn.

LEIPZIG,

Königl. Sächs. privil. Zeitungs-Expedition.

1849.

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ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Monat Julius.

Zur Kirchengeschichte.

1849.

Der deutsche Cardinal Nikolaus von Cusa und die Kirche seiner Zeit. Von Dr. J. M. Dux, Regens des bischöfl. Clerikal-Seminar zu Würzburg. 2 Bände gr. 8. 1039 S. Regensburg, Manz. (4 Thlr.)

Es wird nicht bestritten werden, dass grosse,

Epoche machende Begebenheiten, weltgeschichtliche Zustände und Uebergangsperioden für den Historiker am treuesten und lebendigsten in dem Bilde derjenigen Persönlichkeiten sich abspiegeln, welche bei ihren Zeitgenossen im grössten geistigen Ansehen standen, und dass auch das Detail derselben um so viel anschaulicher und behältlicher wird, als es mit dem Leben der Einzelnen verwoben erscheint, welche als Repräsentanten ihrer Zeit gleichsam die festen Punkte bilden, an die sich die Fäden der sich abstimmenden Daten anknüpfen; von denen Alles aus- und auf die Alles zurückgeht. Mit andern Worten eine Geschichte in biographischem Rahmen ist nicht allein recht wohl möglich, sondern auch gar nichts übles und das nicht blos für das jugendliche Alter. Gilt dies schon von der politischen Geschichte, so noch weit mehr von der Cultur und namentlich der Kirchengeschichte. In diesem Betracht kann man dem Vf. nur Recht geben, dass er die Schilderung eines der merkwürdigsten Jahrhunderte der Geschichte der christlichen Kirche so wie der Wissenschaften, in welchem die mittelalterliche Cultur ihrem Ende sich zuneigt und die alten Formen zerbrechen, um einer neuen Zeit, cinem neuen Geist, neuen Formen, wenn auch unter heftigen Kämpfen und Wehen den Platz zu räumen, als Staffage zu dem Porträt einer der wichtigsten Persönlichkeiten zu gebrauchen sich vorgesetzt, deren Jugendalter und jugendliches Streben schon mit dem begeisterten Aufschwung der Kirche, und ihrem Ringen nach dem Ideal einer freieren Gestaltung zusammenfiel, das zwar nur zu bald von einer rauhen Wirklichkeit zurückgedrängt ward; einer Wirklichkeit, die aber noch immer erträglich,

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Halle, in der Expedition der Allg. Lit. Zeitung.

erspriesslich, ja segensvoll werden konnte, wenn die Kirche viele Männer wie Cusanus gehabt hätte. Nikolaus (Krebs) von Cues (Kuss), bei Trier geb. 14011464 (latinisiit Nik Cusanus, wie ihn auch die Augsburger Confession rennt; missbräuchlich nennt ihn der Vf. öfters Cusq.,. was sein Geburtsort ist), erstes als Sohn eines Tischlers.ind ursprünglich Rechtsanwalt, zuletzt die höchste Stufe der kirchlichen Würde nach der päbstlichen, nachdem der Legat Julian Cäsarini, früher Prof. des kanonischen Rechts zu Padua, wo der talentvolle und fleissige Deutsche seine Gunst erworben, durch dessen Berufung auf das Concil zu Basel, dem jener präsidirte, ihm einen Wirkungskreis eröffnet hatte, der nicht günstiger hätte seyn können, um sein Licht leuchten zu lassen. Hier anfangs Vorkämpfer des kirchlichen Liberalismus, ja Vertreter des demokratischen Princips bezüglich der Kirchenverfassung, wie sein Gesinnungsgenosse, der genannte Legat, als den er sich besonders durch eine meisterhaft geschriebene Schrift de concordantia catholica, so wie durch einen bisher ungedruckten, unter den Handschriften der Universität Würzburg befindlichen Tractat über ,, den Vorsitz auf allgemeinen Concilien", ausweist, ward er in der Folge Justemilianer, weil ,, das ungestüme, jeder Schranke widerstrebende Benehmen der Mehrzahl der Väter und das einer kirchlichen Demagogie nicht unähnlich sehende Treiben der Synode seinen klaren Geist über die eigentlichen Absichten der stürmischen Bewegung enttäuschte" endlich sogar Absolutist, dem die Erklärungen der Basler als leere Sophismen und schlaue Bemäntelungen, ihr ganzes Streben als schlecht verdeckte Ehrsucht, Apostasie und Rebellion erschien in welcher Beziehung der Vf. den Cusanus gegen die Vorwürfe von Inconsequenz und unmannhaftem Benehmen, die ihm neuerdings z. B. von v. Wessenberg gemacht wurden, in Schutz nimmt; mit Recht, wie Rec. glaubt; denn dass Ueberzeugungen, die von ganz andern Prämissen aus Wurzel geschlagen, unter gegebenen Verhältnissen sich modificiren, ja wechseln müssen, liegt in der

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Natur der Sache. Jugendliche Begeisterung für ein Ideal, hier das der kirchlichen Freiheit, machte bei ihm der durch Erfahrung gewonnenen Ueberzeugung Platz,,,dass das monarchische Princip in der Regierung der Kirche nicht ohne die traurigsten Folgen für das Wohl und die Eintracht derselben zu einem blossen Schattenbilde herabschwinden müsste." Den Vorwurf der Unreife oder des Irrthums theilt er diesfalls wohl mit hundert ehrenwerthen Männern; dass aber die Aenderung seiner früheren Grundsätze als. Unmännlichkeit zu bezeichnen wäre, dafür spricht die sonstige Sinnes- und Handlungsart des C. nicht im geringsten. Vielmehr erscheint er gross auch im Bekenntniss seines früheren vermeintlicher Irrthums, weit grösser als Aeneas Sylvius Piccolomini, nachmaliger Pabst Pius II. dem nicht einmal unser Vf. ganz lautere Beweggründe bezüglich seines Meinungswechsels zu leihen versucht. Gross erscheint C. auch als geistlicher Diplomat und Geschäftsmann versuti et callidi ingenii nennt ihn als Gegner Aeneas selbst, der ihm hier wiederum später als Mensch und Kleriker das Zeugniss einer heiligmässigen Frömmigkeit spendet; gross als Kirchenfürst im edeln Sinn des Worts und als strenger Reformator, natürlich vom Standpunkt der römischen Kirche aus. Endlich war er als Gelehrter, als Philosoph und Theolog (auch als Mathematiker) einer der Ersten in jener Zeit und darum schon der Curie unentbehrlich. Auch an seinem Beispiel übrigens wird es recht sichtbar, wie sehr das Ansehen der Klerisei selbst in ihren würdigen und edeln Vertretern in der Meinung der Laien gesunken war. Als Fürstbischof von Brixen in Streit mit dem Landesherrn von Tirol, dem Erzherzog Sigmund, verwickelt, ward Cusanus von diesem höhnisch und trotzig behandelt, und die gerechtesten Ansprüche des Bischofs wurden mit Uebermuth als pfäffische Anmassung zurückgewiesen. Als nun endlich der Pabst den Bann über Sigmund ungeachtet des Abrathens von C., weil sich niemand darum kümmern würde verhängte, wegen persönlicher Gewaltthat wider diesen, so machte das wenig Eindruck; die wiederholte Appellation an den künftigen Pabst und ein allgemeines Concil, mehrere Gegenschriften in dem Tone des K. Philipp des Schönen von Frankreich gegen weil. Pabst Bonifaz VIII. verfasst, die Unthätigkeit und Abneigung der benachbarten sowohl geistlichen als weltlichen Fürsten gegen die ihnen angesonnene Vollziehung des Interdikts, die Vermittelungsversu

che des Kaisers u. s. w. hatten eine Suspension der wider Sigmund und seinen Anhang erlassenen Kirchen-Censuren wiederholt zur Folge, und beim endlichen Friedensschluss ward gleichsam nur pro forma ein Artikel aufgenommen, der die Excommunication des Herzogs aufhob.

Wir wenden uns zu dem Vf., dessen Arbeit neben der Schrift von Scharpf in Giessen über das Leben und Wirken des Nik. von Cusa, die zuerst als Preisschrift in der Tübinger Quartalschrift f. kath. Theologie, 1813 aber in erweiterter Gestalt als besondere Schrift (Mainz, Kupferberg) erschienen, und welche der Vf. als schätzbare Vorarbeit benutzte, ihre grosse Verdienste hat; zumal derselbe sich ursprünglich schon weitere Grenzen steckte als Sch. und ein möglichst vollständiges Gesammtbild der so bedeutsamen Concilien-Zeit des 15. Jahrhunderts zu zeichnen sich vorzugsweise zur Aufgabe machte; wobei das Leben und Wirken des C. als Unterlage dienen sollte. Eine besondere Rücksicht hat derselbe der Baseler Kirchenversammlung zugewendet ; wobei ihm die von dem römischen Bibliothekar C. Fea bekanntlich Vf. einer Apologie des Aeneas Sylvius, die lateinisch zu Rom 1823 erschien - herausgegebenen Retractationsschriften dieses Pabst's, vornehmlich dessen spätere, von 1440-42 verfasste, 350 Jahre lang unbekannt gebliebene Commentarien über die Gesch. des Concils zu Statten kam; welch letztere von den „, Commentarii de gestis Basiliensis Concilii" wie solche in den gesammelten Werken des genannten Pabst's vorkommen, wohl zu unterscheiden, auch weit umfassender als diese sind und, wie der Vf. sagt, den Vorzug eines ächt kirchlichen Geistes ein sehr bedenklicher Umstand!! vor letzteren im Geiste des Schisma geschriebenen voraus haben. Bei Darstellung der Concilienthätigkeit des funfzehnten Jahrhunderts, in welcher Beziehung es, beiläufig gesagt, an einer würdigen Geschichte der Basler Synode überhaupt noch fehlt - beabsichtigte der Vf. nur das Principielle und Charakteristische aus den Verhandlungen hervorzuheben, weil ihm solches zur Abspiegelung des kirchlichen Bildes jener Zeit genügte. Bildes jener Zeit genügte. Eine systematisch geordnete und fortlaufende Erzählung der einzelnen Verhandlungen und Materien ist hier nicht zu finden. Dafür sind mehrere besonders einflussreiche Zeitgenossen von Cusanus mit eigenen biographischen Skizzen bedacht, so Aeneas S. und Gregor von Heimburg, was das Zeitgemälde vervollständigt. Das Wirken des letztern merkwürdigen Man

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nes, ausgezeichneten Rechtsgelehrten und Humanisten, heftigen Gegners der kirchlichen Würdenträger, geachtet und gesucht von Kaiser, Fürsten und Adel, zuletzt Syndicus der Stadt Nürnberg, von dem mit der Tiare geschmückten Aen. Sylvius, dessen Freund und Mitstreiter er auf der Baseler Synode gewesen, verfolgt, ja excommunicirt hat der Vf. ausführlicher, als bisher geschehen, gewürdigt, wozu ihn die Mittheilung wichtiger Handschriften aus der fürstl. Lobkowitz'schen Bibliothek zu Prag, wohin der gebannte Heimburg geflüchtet, in den Stand setzte. Sie sind in den Beilagen zum 1ten Band enthalten. Die Beilagen zum 2ten Band enthalten mehrere archivalische Urkunden, welche die Familie Piccolomini mittheilte; Bullen, die Pius II. in dem Conflict des C. mit dem Erzherzog Sigmund erliess; wie auch den Entwurf einer Generalreform von C. aus der Münchener Originalhandschrift.

Unangebaut war das vom Vf. betretene Feld keineswegs; doch hat er durch Benutzung früher theils wenig theils gar nicht benutzter Quellen zu Aufhellung jener Periode und fruchtbringendem Anbau dieses Theils der mittleren Kirchengeschichte einen bedeutenden Beitrag geliefert. So interessant und reichhaltig indess, so gründlich, fleissig gearbeitet und mannichfaltige Aufschlüsse gewährend dessen Werk, die Frucht eines eilfjährigen auch auf Cusanus sämmtliche Schriften erstreckten Studiums, seyn mag; welch ein treues und schlagendes Gemälde auch hier uns aufgethan ist von der Kirche des funfzehnten Jahrhunderts, deren Verderben kein akatholischer Schriftsteller greller zeichnen kann so zeigt sich doch auf der andern Seite der Vf. in der Art, wie er als Anhänger des Papalsystems oder des Ultramontanism sowohl die auf Schwächung der Pabstgewalt abzweckenden Tendenzen der Basler Synode als überhaupt die Reformationsbestrebungen ausserhalb der Kirche und mit Hintansetzung des kirchlichen Autoritätsprincips beurtheilt, theils voll Gift und Galle, theils in Widerspruch mit sich, insofern er die Prämissen zugibt, aber die nothwendige Folge aus denselben bestreitet, und daher oft, man möchte sagen, lächerlich. Nur für das Constanzer Concil lässt er den Satz gelten, dass ein Concil über den Pabst sey, weil damals nach Johannes XXIII. Flucht gar kein rechtmässiger Pabst vorhanden gewesen. Diesen Kanon könne aber das Basler Concil, weil von einem rechtmässigen Pabst berufen, durchaus nicht für sich anführen. Er spricht von dem ,,Opposi

tionsfieber der pseudoliberalen Basler," von ", dem zum Ekel wiederholten Satz der Superiorität einer allgemeinen Synode über den Pabst"; nennt die Majorität,,afterliberale Primatsstürmer", schimpft gelegentlich über die Emserpunktationen, in welchen das Basler Princip der Neuzeit seinen Gipfelpunkt erreicht, zugleich aber sich selbst gerichtet und vernichtet habe. Der Grund, warum diese vom Kaiser mit Joseph II. Freuden bestätigten Punktate ohne bedeutende Wirkung blieben, war übrigens, theils weil die Bischöfe nicht ausdrücklich und besonders Antheil genommen hatten, theils weil Carl Theodor von Baiern famosen Andenkens im Einverständniss mit dem päbstlichen Stuhl entgegenwirkte. Sodann meint der Vf. durch das Verweilen des päbstlichen Sitzes zu Avignon u. a. sey das Pabstthum von seiner "" naturgemässen" Stellung herabgesunken. Das Treiben der Sekten und Männer, die man sonst als Vorläufer der Reformation betrachtet, bezeichnet er als muthwillige und freche Angriffe auf Hierarchie und Dogma. Aus der Sekte der Fratricellen hat ursprünglich auch Wiklef,, sein Gift gesogen"; dieser ist für die nachfolgenden,, Kirchenstürmer, zunächst für Huss, normgebend geworden." Letzterer ,,steckte sich hinter den Verhau aller Ketzer und appellirte an den besser zu unterrichtenden Pabst." Besonders ereifert sich aber der Vf. darüber, dass Cusanus von spätern vorgeblichen Kirchenverbesserern als ein Sohn der wahren evangelischen Freiheit und deren Vorkämpfer erhoben werden konnte (Bd. II S. 41),,, weil dieselben sich einzig an den unter dem Eindruck der kirchlichen Wirren schreibenden und für die Freiheit der Braut Christi edel begeisterten Vf. der concordantia cathol. hielten, nicht an jenen geläuterten C., der sich durch den Strudel der Extreme und durch die Kämpfe eines heiligen Zorns über die frechen Attentate gegen die Freiheit der Kirche und ihre Rechte, welche leider von den Wächtern Zions selbst angetastet worden waren, hindurchgearbeitet hatte."

Unser Vf. ist ärgerlich, dass die grosse kirchliche Katastrophe des 16. Jahrhunderts, die man immerhin mit Rotteck als ein Unglück, zumal für die politische Grösse unsers deutschen Vaterlandes, ansehen mag, die aber ein unausbleibliches Ergebniss der vorangehenden Zustände gewesen, erfolgt ist; er klagt, wo er kann, über die sogenannte Reformation, und giebt doch selbst zu, dass die von und innerhalb der Kirche geschehenen Reformver

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