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mit Merula und Scala (auf S. 102. steht einmal Merula's st. Scala's) erwähnt, auch Poliziano gegen die Beschuldigungen des Hochmuths oder der Inhumanität in Schutz genommen. Die in guter Auswahl von Hn. H. mitgetheilten Stellen aus Poliziano's Briefen beweisen dies am besten und können allerdings wenigstens in sehr vielen Stellen (denn mitunter, wie Epp. VIII. 16., wird Poliziano ziemlich derb)noch in unsern Tagen als Muster dienen, wie sich literarische Streitigkeiten behandeln lassen. Auch Hallam bemerkt ganz richtig (1.151.), dafs Poliziano im funfzehnten Jahrhunderte der vorzüglichste Kenner der classischen Literatur gewesen sey und dafs selbst der Neid einiger Zeitgenossen die Uebermacht seines Geistes bewiesen habe. Der Miscellanea gedenkt Hr. H., wie vor ihm Heeren, dessen Worte Hallam a. a. O. übersetzt hat, mit verdientem Lobe (S. 102-105). Die Ungleichheit seines lateinischen Stils, der doch trotz dem sehr elegant genannt werden mufs, fällt ihm weniger zur Last, wenn man die Umstände erwägt, unter denen er schrieb, die grofse Regsamkeit, die ihn in allen seinen schriftlichen Ausführungen bewegte, und die Liebe nach Neuem und bis dahin Ungekannten. Den Ciceronianern von der strengen Observanz darf aber Poliziano nicht beigezählt werden, wie von Bernhardim Grundriss der röm. Literat. S. 44. geschehen ist, wogegen aufser dem Gesammtcharakter seiner Latinität schon der Briefwechsel mit Angelus Cortesius (Politian. Epp. VIII. 16. 17. bei Hn. Hoffmann S. 186 190) sprechen würde. Weit mehr fällt ihm dagegen das Haschen nach ungewöhnlicben Worten, die er ohne Noth in seinen Schriften gebraucht hat, zur Last, worüber Hallam a. a. O. S. 152, bemerkt: the very fault of Politian's style, as it was that of Hermolaus Barbarus, his affected intermixture of obsolete words, for which it is necessary in almost every page of his Miscellanies to consult the dictionary, would, in u age of pedantry, increase the admiration of his readers. Schon Meiners (Lebensbeschreib. berühmt, Männer Th. II. S. 209 f.) hatte sich hierüber ausführlicher geäufsert als Hr. H., der auf S. 103. diese Sache mit wenigen Worten gar zu kurz abgethan hat.

Nachrichten über Poliziano's letzte Jahre, über seinen Tod (am 24. September 1494) und über die Ausgaben seiner Schriften machen den Schlufs der Biographie. An diese reihen sich, wie schon bemerkt ward, auf acht und neunzig Seiten Auszüge aus Poliziano's Gedichten und Briefen. Manche derselben hätten sich wohl besser in die Erzählung selbst zu gröfserer Abrundung derselben verweben lassen, indem bei solchen Monographien eine Ausführlichkeit im Einzelnen nur zum Vortheil der Schrift ist, wobei wohl noch manche Notiz aus den Schriften der Zeitgenossen hätte beigebracht werden können. Denn diese hat Hr. H. zu wenig benutzt oder wenigstens nicht oft genug selbstredend eingeführt. Bei alle dem bleiben aber seine Excerpte sehr ver

dienstlich und schildern lebhaft die Persönlichkeit eines Mannes, der als einer der gelebrtesten Italiäner des funfzehnten Jahrhunderts der Auffrischung seines Andenkens vollkommen würdig war. Jüngere Leser namentlich werden hier viel Neues lernen und in der Begeisterung Poliziano's und seiner Freunde für das classische Alterthum ein neues Anregungsmittel zur Liebe gegen dies Alterthum finden, dessen Schätze ihnen, den Jüngern, jetzt in einer Ausdehnung und Bequemlichkeit zu Theil geworden sind, wie sie jene Männer in ihren kühnsten Erwartungen kaum zu hoffen wagten.

PARIS, bei Techener: Le romancero françois. Histoire de quelques anciens trouvères, et choix de leurs chansons. Le tout nouvellement recueilli par M. Paulin Paris. 1833. X und 203 S. 8.

Herr Paris, bei der Abtheilung der Manuscripte in der königlichen Bibliothek zu Paris angestellt, theilt hier aus der reichen seiner Pflege anvertrauten Schatzkammer alter Poesie eine Reihe lyrischer Dichtungen mit, die sich theilweise der Gattung nähern, welche in Spanien unter dem Namen Romanzen eine so grofse Celebrität erlangt haben, daher er denn dem Buche auch das spanische Wort Romancero als Titel vorsetzt. Indel's pafst die Bezeichnung Romanze höchstens für die bis Seite 73 mitgetheilten Stücke; den Rest des Bandes nehmen, wie wir hernach sehen werden, Dichtungen ganz andrer Art ein. Das ganze Werk ist als eine Geschichte einzelner älterer lyrisehen Dichter gehalten, und zwar so, dafs willkürlich einer um den andern aufgeführt, seine Lebensumstände beleuchtet und einzelne seiner Gedichte mitgetheilt werden.

Von gröfstem Interesse sind die vordern Stücke, die eigentlichen Romanzen, da sie den andern an Alter und poetischem Werthe und vielleicht auch in der Bedeutung für die Sittengeschichte der damaligen Zeit weit voranstehen. Es sind kleine allerliebste Genrebilder, die man gern mit reichen kalligraphischen Verzierungen umgeben auf Goldgrund und in frischer Farbenpracht in einer alten Pergamenthandschrift sich als Vignette gemalt denkt. So namentlich die fünf Lieder von Audefroy le Bastard, welche die Sammlung eröffnen. Von dem Leben dieses Dichters ist wenig bekannt und Hr. Paris kommt durch sinnreiche Zusammenstellungen nur zu dem Resultat, dafs er, wahrscheinlich aus Arras gebürtig, um 1200 lebte und an den Kreuzzügen seiner Zeit schwerlich Theil nahm. Aufser den Romanzen, die sich durch das lebhafteste Colorit und die natürlichste Empfindung auszeichnen, erwähnt der Herausge ber auch noch einiger Liebeslieder, deren poetischer Werth jene nicht erreichen soll.

Auf die Lieder Audefroy's folgen zehn ähnliche von anonymen Dichtern, zum Theil ältern Ursprungs

als jene, S. 37–75. Darunter erhalten wir auch des Lieds,, Lautrier un jor apres la saint denise" u. ein Stück aus dem Roman von Flos und Blancflos s. w. S. 89 mit dem Liede Hartmanns von der Aue und das, um ein halbes Jahrhundert ältere, diese Sage,, Ich var mit iwern hulden, herren vnd ́mage" (Man. I, behandelnde Lied, das Hr. Paris schon in seiner 183) interessent. Ausgabe des Romans de Bèrte aus grans piés (S. 192 ff.) hatte abdrucken lassen. Er vermuthet einen spanischen oder maurischen Ursprung der Sage. Aus dem französischem Gedichte schöpfte Boccaccio für seinen in der Jugend geschriebenen Roman Filocopo oder Filopono und unser mittelhochdeutscher Dichter Conrad Flecke für seine epische Dichtung. Diese Sage erfreute sich überhaupt im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert der allgemeinsten Verbreitung und noch in unsern Tagen hat Friedrich Rückert (Gedichte 1, 179) sie in seiner Weise wieder aufge

nommen.

Ueber den Inhalt der altdeutschen Dichtung vgl. man Friedr. Schlegels Abhandlung über Boccaccio (Werke, X, 14) und K. Rosenkranz's Gesch. der deutschen Poesie im Mittelalter S. 310 ff. Das S. 66 mitgetheilte Lied,,Gaite de la tor" u.s. w. beweist, dafs die um jene Zeit in Deutschland und in der Provence so häufigen Wächterlieder auch bei den Minnesängern Nord- Frankreichs einheimisch waren. Es ist ein äusserst lebendiges Gespräch zwischen den Liebenden und dem Thurmwächter, leidet aber auch, wie so viele deutschen Wächterlieder, an Dunkelheit,

Das Leben des Quenes de Bethune ist näher bekannt. Er ist der Vorfahr des bekannten Ministers Heinrichs IV. Wahrscheinlich bei der Vermählung Philipp Augusts mit Isabella von Hennegau 1180 kam er an den französischen Hof, wo er Marie de France, Gräfin von Champagne, die Wittwe Heinrichs I. kennen lernte und ihr einige Zeit seine Verehrung zuwandte; bald aber mufs, wie bei Hartmann von der Aue und andern deutschen Dichtern jener Zeit, die irdische Liebe dem Dienste der himmlischen weichen, er nimmt das Kreuz und macht zwei Fahrten nach dem Orient mit, Seine Verhält nisse zum Hofe und zu andern Dichtern namentlich Hues d'Oisy, seine Minne und Kreuzfahrt hat der Herausgeber meisterhaft aus verschiedenen Datis, namentlich aber aus den Dichtungen Quenes's selbst entwickelt und dieser Darstellung darf Uhlands Walther von der Vogelweide an die Seite gesetzt werden. Mit diesem Dichter hat Quenes überhaupt Vie les gemein. Die von ihm hier mitgetheilten Poesien sind nichts weniger als Romanzen, sondern lyrische Dichtungen im Geschmack unserer deutschen Minnesänger; sie handeln vom Unwillen des Dichters mit einem Hofe, von der Sprödigkeit und zu spät kommenden Willfährigkeit seiner Dame, von der Eifersucht auf Nebenbuhler in der Kunst und endlich von der Losreifsung des Herzens von irdischer und seiner Hingabe an himmlische Liebe, welche denn als nächste Pflicht die Fahrt nach dem heiligen Lande auferlegt. In letzterer Beziehung ist die Vergleichung

Auch der Vidame de Chartres (S. 111 ff.) fällt in die Zeit der Kreuzzüge. Das erste von ihm mitgetheilte Lied preifst in rührenden Ausdrücken die Rückkehr des Dichters ins Vaterland, nach welchem ihn Liebe lockte. Doch scheint er die erhoffte Aufnahme daselbst nicht gefunden zu haben, denn wir sehen ihn bald von Neuem und mit besserem Erfolg eine Kreuzfahrt antreten, er lässt sich in den Orden der Templer aufnehmen und erscheint bald als Grofsmeister desselben. Er zeichnete sich bei der unglücklichen Expedition in Aegypten aus und starb

1219 vor Damiette an der Pest.

Auch Carl von Anjou (S. 119 ff.) erscheint unter diesen Dichtern. Der Herausgeber giebt sich viele Mühe, diesen Fürsten, dessen Name in der Geschich te durch den Mord Conradins von Schwaben befleckt ist, in ein freundlicheres Licht zu stellen. Das einzige von ihm übrige Lied, aus seiner Jugend, und wohl durch seine Liebe zu der Gräfin von Retest angeregt, können wir nur wegen der interessanten Persönlichkeit des Verfassers der Mittheilung werth finden. Es ist eine langweilige Spielerei über den confort und desconfort, welchen die Qual und Wonne der Minne erzeugt. Aufserdem findet sich handschriftlich noch von ihm ein Jeu-parti mit Perrin d'Agencourt.

Minder bedeutend ist Auboins de Sézanne, von dem wir S. 125 ein Lied auf eine Gräfin von Brie, wahrscheinlich die auch von Quenes de Bethune be erhalten. Wenigstens sungene Marie de France, erhalten. sucht Letzteres Hr. Paris gegen La Ravallière zu erhärten.

Aus Veranlassung der Dichtungen Johannes von Vivienne (S. 131 ff.) bemüht sich der Herausgeber ebenfalls verschiedene unrichtige Ansichten der neuern Historiker über die damalige Geschichte zu widerlegen und aus den Quellen zu berichtigen. Von diesem unglücklichen Könige sind 3 Lieder, aber unvollständig, auf uns gekommen. Eines derselben, ein Liebeslied, ist S. 141 abgedruckt. Ein anderes ist eine Pastourelle. Aufser ihm werden noch einige Gedichte von Pierre de Dreux genannt Mauclerc, Grafen von Bretagne, (S. 143) und von Huer de la Ferté (S. 165) mitgetheilt, die sich auf die politischen Wirren, in welche die Dichter verwickelt waren, unter der Königin Blanca von Castilien und Thibaut von Champagne beziehen, und bei dieser Gelegenheit von dem Herausgeber manche dunkle Stellen der französischen Geschichte aus den Chroniken, namentlich gegenüber von La Ravallière, dem ersten Herausgeber der Lieder Thibauts, aufgehellt.

(Der Beschluss folgt.)

ALLGEMEINE

LITERATUR - ZEITUNG

März 1838.

VERMISCHTE SCHRIFTEN. Cleve u. Leipzig, b. Char: Licht und Finsternifs, oder Darstellungsversuch einer Lebensüberzeugung zur Förderung höherer Wahrheit mit besonderer Rücksicht auf unsre Zeit, von Dr. C. A. Moritz Axt, Prof. u. erstem Oberlehrer am Königl. Preufs. Gymnasium zu Wetzlar. Motto:,,Wenn er aber will das Maul aufthun, predigen und setzen et was wider Christum, das will nicht zugedeckt, sondern aufgedeckt sein. Da sollst du nicht schweigen, sondern dawider reden, solche Verführung aufdecken und sagen: Nein, da schweige ich nicht; du mufst allda zu Schanden werden; da gilt nicht Schweigens. Verflucht sei der Mensch, wie Jer. 48, 10. spricht: da mufs man mit der Schärfe drein hauen, darum, dafs es geht zur Verderbung der Seelen." Luther. Geist aus Luther's Schriften, von E. Zimmermann. Bd. 4. S. 59. 1838. XXXII u. 303 S. gr. 8. (1Rthlr. 8 gGr.)

die daraus entstehen mögen, indem wir jene Lösung übernehmen, aber freilich vorher den fraglichen Widerspruch selbst näher bezeichnen.

Indem unser Vf. eine wohlbekannte Partei aus ihrem Wort- und Buchstabengötzendienst aufstört, so überführt er sie zunächst auf das Schlagendste, dafs eben das starre, schneidende Wort sie ganz unausweichbar zur Verleugnung des christlichen Grundprincips der Liebe mit fortreifse und ihre tüchtigsten Glieder in blutdürstige Grofsinquisitoren verwandle, womit ihre Verirrung natürlich über jeden Zweifel klar und bestimmt nachgewiesen ist. Allein mitten in dieser Apotheose der christlichen Liebe schleudert unser Vf. selbst den Blitzstrahl der Verwerfung auf seine Gegner, und wenn er auf dem Titelblatt das schwere Wort vom Fluche zu seinem eignen macht, so schliefst er in der Nachrede seinen Aufruf zum Vernichtungskriege mit einer ähnlichen poetischen Rede, die das Gericht selbst hereinzieht. (S. 303.) Der Widerspruch ist unverkennbar, in die Augen fallend, und doch gehört er nur der Form des Buchs

Rec. findet sich in einer eigenthümlichen Verlegen- an, darum aber mag uns auch vor der Lösung nicht

heit, indem er die vorliegende sehr interessante Schrift durchgelesen hat, noch einmal, erfüllt von dem frischkräftigen Geiste, der aus ihr über ihn gekommen ist, den Titel mit seinem scharfschneidenden Motto betrachtet, und nun im Begriff steht, mit möglichster Treue und Redlichkeit über Inhalt und Bedeutung derselben zu berichten. Um es kurz zu sagen, so ist es ein nicht zu verkennender Widerspruch wenigstens in der Form, in welchem er den Vf., der sonst so völlig mit sich eins und über sich klar erscheint, hiernach befangen erblickt, und natürlich führt ein solcher, gleich vornherein bemerkter Widerspruch Verlegenheit für den Recensenten mit sich; denn entweder ist jener nicht aufzulösen und dann muss der Stab ohne Widerrede über das ganze Buch, wie weh dies auch in andern Beziehungen thun mag, gebrochen werden; oder er ist lösbar, mithin wirklich blos ein durch die Form der Erscheinung bedingter, und in diesem Falle kann der Rec. seiner Verpflichtung, die Lösung zu versuchen, sich nicht entbrechen, wird aber freilich eben darum sich länger als gebührlich ist in dem Vorhofe aufzuhalten genöthigt seyn und vielleicht dann den Kern seiner Anzeige nur allzukurz abthun müssen. Nun wir balten wirklich den angeblichen Widerspruch in dem vorliegenden Falle für lösbar und so folgen wir billig dem Pflichtgebote, unbekümmert um alle Folgen,

allzu bange werden.

Zum Kampf und Streit aufgefordert, wie die Vorrede ausführlich genug nachweist, hat der Vf. den Kampf angenommen und ist rüstig und männlich auf den Plan getreten. Polemisch ist Charakter und Erscheinung seiner Schrift, und da kann es dann freilich an ausgetheilten Wunden und, wenn der Geforderte Sieger bleiben soll, selbst an Erlegung des Gegners nicht fehlen. Mufs dann aber durchaus Kampf seyn? Sagt nicht unser Vf. selbst, Christus, wenn er spricht: ich bin gekommen, das Schwert zu bringen, meine,,,du selbst, du selbst müfstest dich für ihn morden lassen können"? (S. 236.) Nun er mufs wohl seyn, der Kampf; aber er sollte nicht seyn und man möchte allerdings meinen, ein Verfasser, wie der unsrige, hätte nicht gerade die Form des Kampfs für seine Mittheilungen wählen, er hätte lieber mit dem in gleicher Weise wärmenden und erleuchtenden Strahle seiner Liebe das düstre, nächtliche Gewebe der ihm begegnenden Verirrungen durchdringen und auf diese Weise die Verständigung der Unverständigen versuchen sollen. Wir wollen das Pathologische in der Polemik unsrer Zeit nicht verkennen und nicht in Abrede stellen, dafs, wie die Sachen nun einmal stehen, ihre Mitwirkung, um entscheidende Krisen herbeizuführen, nicht entbehrt werden könne. Eine andere Frage bleibt es aber im

mer, ob man sich wohl gerade mit gutem Willen, bedeutungsvollen Entwickelung geführt, in diesem wenn man die Wahl hat, in die Reihen der Kämpfen- aber eine Sicherheit und Folgerichtigkeit, die, wenn den mischen möchte, so wie es freilich entschieden sie auch nicht mit dem ätzenden Beisatze des Polemiist, dafs man, einmal in den Kampf gerissen, den schen tingirt wäre, nichtsdestoweniger von tiefem Gegner eigentlich nur mit gleichen Waffen bekäm- erschütternden Eindruck auf die in einer merkwürdipfen kann, d. h. in einen unvermeidlichen Wider- gen Selbstverblendung und einseitigem Buchstabenspruch mit sich selbst, in sofern es vom Kämpfen dienst befangene Partei seyn mufste. sich handelt, verwickelt wird. Kapitel, unter welche der reiche Stoff vertheilt wird: Die Bildung, die Gnade, das Evangelium, Paulus, die Reformatoren, die Afterreformatoren, die Geschichte, Lyrisches, das Leben und der Staat, die Offenbarung, die Nachrede.

Unser Vf. hat nun die Polemik erwählt und aus dieser Form lösen wir dann den gerügten Widerspruch unsers Bedünkens genügend auf, müssen aber freilich, um den eigentlichen Kern seiner schönen literarischen Frucht zu gewinnen, oft von dieser Schale, in welcher er geboten wird, hinwegsehen. Dann wird es nicht fehlen, wir werden in dem, was uns hier dargereicht wird, eine wahre Bereicherung der Literatur, eine glückliche Förderung desjenigen Lebenselements, an welchem wir dermalen so grofsen Mangel leiden, anerkennen missen. Einiges Wenige zur Geschichte des Buchs, die in der langen, geistreichen Vorrede enthalten ist. Der Vf., der noch im Jahre 1832 am Gymnasium in Cleve angestellt war, erfüllte damals die Obliegenheit, die Rede zur Geburtsfeier des Königs zu halten, so befriedigend, dafs der Druck dieser Rede von vielen Seiten gewünscht wurde; gleichwohl unterblieb derselbe, weil eine gewichtige Stimme die Unvereinbarkeit jener Rede mit dem Heidelberger Katechismus, der damals noch Religionsbuch im Gymnasium war, bemerklich machte. Indefs wurde der Gegenstand der Rede vom Vf. ausführlicher erwogen und vielseitiger bearbeitet, so dafs bereits nach 2 Jahren das sehr ansehnliche Buch fertig war, das, schon im Sommer 1834 zu Censur und Druck nach Cleve eingesandt (S. XIX. d. Vorr.), erst jetzt in die Hände des Publicums kommt. Der zuletzt erwähnte Umstand trägt die Schuld, dafs auf die neueren interesBanten Erscheinungen auf diesem Gebiete keine Rücksicht hat genommen werden können, die nunmehr als Erfüllungen mancher Voraussagungen des Vfs. eine sehr günstige Probe für die Wahrheit seiner Forschungen abgeben mögen.

Indem wir bemerkt haben, dafs der gerigte Conflict mit dem Heidelberger Katechismus die nächste Veranlassung dieser Schrift geworden ist, so können wir nicht zweifelhaft seyn, mit welchen Gegnern zunächst es unser Vf. zu thun hat, und er selbst bezeichnet sie deutlich genug, indem er sie die Gnadenwahlprediger nennt und seine Geschosse hauptsächlich nach dem Wupperthale versendet, wo der Vorfechter der Partei, Krummacher, allerdings ein sehr breites und nicht leicht zu verfehlendes Ziel darbietet. Wir unterscheiden in dem, was der Vf. giebt, das eigentlich Positive von dem blos Negativen, das zunächst blos durch die Opposition und um diese zu bekämpfen hervorgerufen worden ist, und erkennen in jenem allerdings die Elemente des rechten christlichen Lebens und Wissens zu einer höchst

Es sind eilf

Einen festen Grund der Untersuchung legt der Vf. im ersten Kapitel, in welchem er theils den einzig sichern Weg zur wahren Bildung: Selbstbetrachtung, Weltbeschauung und Wissenschaft angiebt, theils das Ziel derselben in dem Bilde eines wahren sich klar bewufsten Christen, dem ein Hohes und Heiliges in lebendiger Anschauung aufgegangen ist, nachweist. Im zweiten, die Gnade, überschriebenen Kapitel tritt nun die Partei, der es vornehmlich gilt, die Partei jener,,,bei denen das Resultat wissenschaftlichen Lebens in der Entdeckung besteht, dafs sie eigentlich keine Vernunft und keinen Verstand hätten", (S. 24) auf den Plan, und wenn vielleicht die Ueberschrift:,, die Natur und die Gnade" noch bezeichnender gewesen wäre, so wird hier der Streitpunkt mit grofser Schärfe bestimmt und zugleich in einer Allgemeinheit entschieden, die den künftigen Sieg im Besondern schon völlig vorgebildet in sich trägt. Mit dem herrlichen Worte S. 39: "Glaube, dafs du frei bist und du bist frei"!,,Grüble hier um Gottes und der Menschen willen nicht" u. s. w. sinkt das Schreckphantom einer Gnade, die keine Gnade ist, in sich selbst zusammen und das Leben ist gerettet. Die in der That fast bis zum Wahnsinn getriebene Einseitigkeit der Wupperthaler Gnadenwahlprediger tritt in den Auszügen, die S. 27 in den Anmerkungen aus dem Krummacherschen Thron der Gnade" "9 gegeben werden, in einer Schroffheit hervor, an welche die Urheber jener finstern Lehre wohl selbst nicht gedacht haben mögen. Wenn aber der Vf., der selbst auf einem sehr entschieden christlichen Standpunkte steht, nun im Texte überall in der allerdings nie auf ein festes, nach Zahl und Raumerfüllung zu bestimmendes Maafs zurückzuführenden Selbstständigkeit des Menschen die absolut nothwendige Ergänzung, das Complement der Gnade nachweist und zugleich jede unberechtigte Anmaafsung, aus der Unbegreiflichkeit dieses Verhältnisses gegen die Wahrheit desselben argumentiren zu wollen, standhaft abwehrt, so hat er damit jedenfalls dasjenige Kriterium aufgestellt, in dem noch immer alle Unbefangenen ihre vollste Beruhigung gefunden haben und mit welchem die Nichtigkeit einer jeden Abweichung, sey's zur Rechten oder zur Linken, für alle Augen, die sehen wollen, offenbar zu machen seyn dürfte. In den folgenden Kapiteln sucht nun der Vf. die Lichtscheuen in

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allen den einzelnen Schlupfwinkeln auf, in welche sie sich zurückzuziehen wissen, wenn das freie offne Feld ihnen genommen ist, und tritt nun hier bei ihm das oben näher bezeichnete Negative vornehmlich heraus, so mag man wohl auch mitunter meinen, dafs eben dadurch das eigentlich positive Element hin und wieder etwas zurückgestellt, ja sogar in einigen Punkten nicht unbedeutend getrübt worden sey. Das dritte Kapitel: ,, das Evangelium", enthält im vollen Sinne eine Christodicee, den Entstellungen gegenüber, welche einseitige und die bekanntesten Sprachgesetze vernachlässigende Buchstabenidololatrie auf das echt menschliche Heilswort gehäuft hat, und der treffliche Philolog bringt Sprachbemerkungen bei, die freilich ziemlich wunderlich in den Ohren seiner Gegner lauten mögen. In diesem Kapitel ist noch alles rein und ungetrübt, was wir nicht so ganz vom folgenden behaupten möchten, in welchem Paulus, dessen Römerbrief allerdings das Hauptarsenal für die Gnadenwahlprediger ist, nicht so glimpflich behandelt wird. Glänzende Rechtfertigung erhält der Apostel allerdings in sofern, als nach den Principen einer gesunden Hermeneutik aus der Stellung, die er in seiner Zeit einnehmen musste, und aus der Totalität seiner Ansichten überhaupt die volle Unschuld desselben seinen mikrologischen Entstellern gegenüber nachgewiesen wird. Dennoch giebt unser Vf. nicht undeutlich zu verstehen, dafs Paulus bei seinen anthropopathischen Ausführungen wohl die unmündige Nachwelt zu wenig berücksichtigt habe; (S. 105. vergl. S. 114) und das gewils nicht mit Recht. Denn, wenn er auch selbst die Autorität des Pseudo- Petrus (S. 116) für sich anführt, so wird er doch nicht beweisen können, dafs eine andere Weise von den göttlichen Dingen zu reden, als die anthropopathische, möglich sey, oder dafs wirklich Paulus das Maafs so überschritten habe, dafs ein später mit seinen Worten getriebener Mifsbrauch ihm mit Recht zur Last gelegt werden könnte. Es mag seyn, dafs in den folgenden beiden Kapiteln, wo bei der Beurtheilung der Reformatoren und ihrer äffischen Nachfolger namentlich in der neuesten Zeit die Hand ohnehin freier gegeben war, manche Trübung über den Eifer, mit welchem die negative Schule dem positiven Kern vorauseilte, statt gefunden haben mag; dagegen wird die Darstellung unsres Vfs. in den letzten Kapiteln, wo das Verhältnifs der Gnadenwahlprediger zur Geschichte, zur Kunst, zum Leben überhaupt und zum Staat insbesondere, endlich zur Offenbarung selbst in frischen, lebendigen Farben geschildert wird, so gediegen und durch und durch blos kernbaft, dafs in der Nachrede, (S. 360 f.) mit vollem Rechte das Bewufstseyn, der finstern Lehre auch den letzten Schlupfwinkel aufgedeckt zu haben, sich aussprechen durfte. Erschütternd wahr ist die Nachweisung, (S. 216 bis 230) wie in dem Boden dieser Lehre das Unkraut

WO

der Empörung gegen den angestammten Fürsten seine tiefsten Wurzeln geschlagen hat, cine Behauptung, die in den verwandten Erscheinungen, die de la Mennais im nachbarlichen Frankreich hervorgerufen hat, eine neue Bestätigung findet, übrigens in der Episode von der Kunstliebhaberei der Fürsten, wogegen jene Lehrer das Anathema schleudern, auf eine fast heitere Weise erläutert wird (S. 227); und wie das geistliche Leben selbst in dieser Lehre zur widerlichsten Carricatur verzerrt werde und sie, die aus allen Grenzen der echten Menschennatur herausgetreten, mit dem in ihrem Sinne gedeuteten Grundsatz: man mufs Gott mehr gehorchen, als den Menschen, zu jedem Laster und Verbrechen fähig mache, das lehrt das neunte Kapitel auf die schlagendste Weise, von wir nicht unterlassen können, unsern Lesern wenigstens ein Pröbchen zu geben. „Ein aufgeklärter Biedermann", heifst es S. 237,,, hat einen Sohn, der sich für rechtgläubig, den Vater für einen Ketzer hält; dem Sohne geht es wohl, der Vater kömmt in Noth; der Vater begiebt sich zum Sohne und bittet um Hülfe; es bittet zugleich für sich ein bedürftiger Glaubensbruder des Sohnes; der Sohn kann nur Einem helfen; wem wird er helfen? er helfen? Die Bibel spricht: du sollst Vater und Mutter ehren, auf dafs es dir wohlgehe und du lange lebest auf Erden; allein Christus erkannte nicht einmal seine treue Mutter als Mutter an, sondern erklärte, dafs seine Jünger und diejenigen, welche den Willen seines Vaters im Himmel thäten, ihm Bruder, Schwester und Mutter wären; still, Vernunft und Gemüth mit eurer fleischlichen Sündengüte! Dank der Gnade, die mir den Weg durch dieses Dunkel zeigt; hier, mein Theuerster in Christo, ist, was du verlangst; du, mein Vater, gehe in dich und trachte am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird dir solches alles zufallen. Schade, dafs hier die Anmerkungen nicht citiren : Marc. 7, 9-15.

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Der Vf. nennt sich einen ,,serus theologorum studiorum" S. VI. der Vorr., wovon man eigentlich in der Schrift nichts gewahr wird; dafür aber hat er, was gar vielen, besonders den neuen mystischen und irrationalen, Theologen fehlt, eine tiefe classische ältere wie neuere - Bildung documentirt und dadurch so wie durch seine ausgezeichnet frische Geisteskräftigkeit man weifs nicht, ob dieser oder jener der wichtigere Antheil zuzuschreiben seyn dürfte seinem Werke eine edle, gebildete Lebendigkeit eingehaucht, die allein schon hinreichen müfste, dasselbe in der literarischen Wasserfluth unsrer Tage oben zu erhalten und vor schnellem Versinken zu bewahren. Wir sind der vollen, freudigen Hoffnung, dafs, wenn auch nicht gerade den rettungslos Erblindeten dadurch die Augen geöffnet werden sollten, doch sehr Viele, um welche die alte Nacht ihre

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