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ALLGEMEINE LITERATUR ZEITUNG

Februar 1838.

VERMISCHTE SCHRIFTEN.

die Bastille. Dieser wendet sich dem Zimmer des Kö

FRANKFURT a. M., b. Sauerländer: Victor Hugo's nigs zu und spricht mit lauter Stimme :

sämmtliche Werke. Erster bis Sechster Band u. S. W.

(Fortsetzung von No. 34.)

Mit welcher kühnen Phantasie sind nach dem Vori

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gen nicht die Gegensätze verbunden! Und die halbnackte Blanche mit den fliegenden Haaren, die kindliche Unschuld welch ein Spiel für die Phantasie! Aber nur Geduld, sie wird sie bald ganz nackt sehen, und in Verhältnissen, die sie noch in ein regeres Spiel setzen werden, denn die dritte Handlung, welche den Titel: der König" an der Stirn trägt, zeigt uns die ins Schlofs gebrachte Blanche, wie sie zum Könige um Schutz flebt, mit Schrecken in ihm den armen Schiiler von gestern Nacht erkennt, und sich vor seiner Zudringlichkeit in eine offene Thür flüchtet in sein Schlafzimmer, wohin er ihr voll Entzücken folgt; wie dann der Vater in Verzweiflung nach ihr forscht, von den Hofleuten gefoppt und verhöhnt wird, entdeckt, dafs sie in des Königs Schlafgemach ist, nach vielem wüthenden und doch langweiligen Geschwätz, -die ganze Scene ist wieder burlesk gehalten- um seine Tochter fleht und diese mit einem lauten Schrei aus dem Schlafzimmer an seine Brust fällt und ihm sagt, dass sie vom Könige eben entehrt worden sey wenn da nicht die kälteste Phantasie schmilzt und den liebenswürdigen sich amüsirenden König beneidet! Doch halt! hören wir denn nicht das Jammern, das Flehen des unglücklichen Vaters? Mufs diefs nicht um so stärker erschüttern, da er verhöhnt, verspottet vor der Thüre steht, hinter welcher die Unschuld seiner Tochter, sein ganzes Lebensglück zum Amusement gewaltsam gemordet wird? Diese Contraste! Welche Tragik! Welch eine Kunsthöhe! Welch ein Kunstgenufs! Und wie schön ist alles etwa Grelle gemildert und verschmolzen, wenn Triboulet sich zu des Königs Schlafzimmer fluchend wendet:

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O König, Franz der Erste, möge Gott, Der mich erhört (?), dich bald auf dieser Bahn Fehltreten lassen! Moge morgen sich

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Das Grab, dem du entgegenläufst, dir öffnen!" und Blanche gen Himmel blickend bei Seite sagt: Erhör' ihn nicht, Gott! denn ich lieb' ihn noch." Aber der tragische Faden wird nicht abgerissen, denn durch des Königs Vorzimmer defiliren Soldaten, und führen den Herren von Saint-Vallier in

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Da mein Fluch noch nicht obwohl Eu'r König wiederholt mich hat beschimpft Auf Erden, noch im Himmel eine Stimme Gefunden hat, die Antwort ihm gegebeu, Hienieden keines Menschen Arm, und droben Selbst keinen Blitz, so hoff' ich gar nichts mehr, Und dieser König wird und mufs gedeih'n.

Triboulet (erhebt das Haupt und blickt ihm ins Gesicht) Ihr irrt, Graf; Einen giebt es, der Euch rächt! Noch einmal nicht wahr, das heifst componiren? Wenn ein angehender deutscher Dichter, ja ein Schüler sich so etwas einfallen liefse, würde es wohl kritische Birkenreiser genug geben ihn zu stäupen? Vierte Handlung. Blanche. Hier ein dreifacher Schauplatz, das Innere einer Baracke, durch deren Fenster man den ganzen elenden Raum überschauen, und deren Mauern so schlecht sind, dafs man durch die Spalten und Ritzen bequem sehen kann, was drinnen vorgeht, und im Bodenzimmer, in das man durch die Dachluke schaut; dann der übrige Theil der Bühne ein Platz, an welchem die Seine vorbeifliefst. Es ist die Wohnung mit einem Wirthschilde des aus der zweiten Handlung bekannten Saltabadil und seiner Schwester, durch welche er Gäste anzieht. Triboulet läfst Blanche, welche noch immer an des Königs Liebe glaubt, (sie hat ja die bündigsten Beweise davon) - durch eine Spalte sehen, und hören, wie der König mit Magelone, der jungen schönen Zigeunerin, sehr handgreiflich tändelt und sich so amüsirt, dafs Blanche, als Magelone auf dem Schofse des Königs, der sich für einen Offizier ausgiebt, sitzt und kokettirt, ihr Haupt an ihres Vaters Brust verbergend, ausruft:,,Wie frech das Weib dort ist! O." Triboulet heifst sie jetzt schweigen; er befiehlt ihr sich in seinem Hause in Männerkleider zu stecken, soviel Geld dort zu nehmen als sie mag, und auf dem bereitstehenden Pferde nach Evreux zu eilen, wohin er ihr folgen werde, wenn er sie gerücht habe. Blanche gebt angstvoll und weinend ab; da tritt Saltabadil zu Triboulet und dieser zahlt ihm auf Abschlag die Hälfte der besprochenen Summe für die Ermordung des von Saltabadil und Magelone nicht gekannten Königs, der die Nacht in Magelonens Armen sich amüsiren will, während es draufsen donnert und stürmt. Magelone möchte ihn gern retten, aber Saltabadil zeigt ihr das Blutgeld und leuchtet dem Könige in ein oberes elendes Zimmer hinauf, wo dieser in Erwartung Magelonens, von der er mit unbeschreiblich natürlicher Natur zu sich sagt:,, Diese Magelone, wie frisch, lebendig und behend sie

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Magel. Saltab.

Wozu?

Um desto schneller
Wenn deinem Liebling ich das Garaus machte,
Die Leiche nebst dem Stein hinein zu stecken
Und alles in das Wasser dann zu werfen.

Magelone kapitulirt mit ihm und endlich von ihrem Widerstande besiegt, nachdem er Magelonens Vorschlag, den kleinen alten schiefen Bucklichten, der ihn gedungen, wenn er mit der andern Hälfte des Blutgeldes komme, statt des schönen jungen Mannes zu tödten, mit beleidigtem Ehrgefühl verworfen hat, macht er ihr den Gegenvorschlag, wenn irgend ein Reisender bis Mitternacht, wo der Bucklichte erscheine, an ihrer Thür um Einlafs klopfe, so wolle er diesen tödten und in den Sack stecken, dem der Bucklichte dann ins Wasser werfen könne. Was ist Was ist natürlicher als dafs die vor Angst und Frost bebende Blanche sich zum Opfer weiht, anklopft und sich mit dem Messer, dafs sie draufsen dazu wetzen hört und der Zuschauer drinnen wetzen sieht, ermorden läfst. Die fünfte Handlung mit dem Titel Triboulet ist nun wohl der Höhepunkt der dramatischen Gräfslichkeit, denn diefs scheint das Prinzip des Klimax bei V. Hugo zu seyn. Dem Triboulet wird der Sack mit dem Leichnam der Ermordeten, den er, weil er von Aufsen die Sporen an den Stiefeln fühlt, für den König hält, ausgeliefert, er zahlt dem Mörder seiner Tochter das Geld und übernimmt es den Sack allein in die Seine zu werfen. Hier nun bricht die ganze Wuth des unmenschlichsten Hasses los gegen den Leichnam, dem er die schaudervollste Standrede hält, die wohl eine Viertelstunde und länger währt, den er mit Fülsen tritt und den er zur Seine schleppt, als er erschrocken die Stimme des Königs erkennt,

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der ein leichtfertiges Liedchen singt und wohlgemuthet von dannen zieht. Er zerschneidet den Sack um zu sehen, wer ihm untergeschoben ist, und erkennt bei einem Blitzstrahl die Tochter, und diese lebt noch und spricht, und er mufs sie in seinen Armen sterben sehen, ohne ihr Hülfe schaffen zu können. — Diefs ist die glänzende dichterische Mifsgeburt (deren Uebertragung uns aber auch höchst flüchtig und platt erscheint, und in welcher von dem gerühmten Pathos des Dichters gar wenig zu erkennen ist). Und wie charakterisirt sie unser Biograph und Charakteristiker, mit dem wir's hier zunächst zu thun haben? Wir wollen aus nachmals sich erklärenden Gründen die ganze Charakteristik, da sie nur wenig Raum einnimmt, mit seinen eigenen Worten mittheilen. Wie in Hernani" ist auch in ,, Le Roi s'amuse" das tragische Element vorherrschend; Hr. v. Saint-Valliers Erscheinen gleicht (?) fast dem:

دو

der furchtbaren Macht,

Die

Die richtend im Verborgnen wacht u. s. w. (???) Der Glanzpunkt des Ganzen ist die schöne Blanche. In ihrem Vater hat der Dichter abermals gezeigt, mit welcher eindringenden Wahrheit er den Wechsel der Leidenschaften in dem menschlichen Herzen zu erfassen fähig ist. Von Franz des Ersten Charakter zeigt uns der Dichter nur eine Seite und zwar seine schwächste, und ist in Bezug auf diese der historischen Wahrheit hinreichend treu geblieben. schnatternde, geschäftige, nichtige Menge der Hofleute, Clement Marot, dessen kleinliche, pilzartige Natur trefflich in das Leben gerufen ist, eingerechnet, scheint bestimmt zu seyn, uns die Zerrüttung des damaligen gesellschaftlichen Zustandes recht lebendig vor die Augen zu stellen; besonders aber ist die Schilderung des Lebens und Treibens im Innern des königlichen Haushalts in dem Munde des vermöge seiner Narrenrolle in die Geheimnisse des Hofes tief eingeweihten Triboulet's charakteristisch und ergreifend (?). Saltabadil und Magelone sind zwei grelle Gestalten, deren Charakter und unheimliche Wirthschaft an der alten Tourelle nicht nur das Zeitbild vervollständigen hilft, sondern auch durch den Gegensatz mit den glänzenden Scenen, die das Drama einleiteten, eine mächtige Wirkung hervorbringt. So ist die Charakteristik des Herrn Adrian. Wir kennen allerdings Besseres von ihm: aber wie konnte der, welcher dieses schrieb, bei Gelegenheit seiner ganz ähnlichen Charakteristik des Drama Hernani; S. LVI. von der Oberflächlichkeit namhafter Kritiker in den geschätztesten Literaturzeitungen (gegenwärtig freilich ein Lieblingsthema) -- sprechen, und dann von dem höchst losen Machwerke ,, Hernani" sagen: Wir wollen dem Lichter nicht die Neuheit der seinem Drama zum Grunde liegenden Ideen vindiciren; er hat aber bei der Variation des Thema's sich des starren, hergebrachten Kunstzwanges entschlagen, Natur, Wahrheit und ihre Aufforderungen zur Richtschnur genommen und so ein Kunstwerk geschaffen, dessen Mängel von seinen Vorzügen weit überwogen werden." Wir bezie

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So,

hen uns, was diefs Drama betrifft, das diesen ersten Band der sämmtlichen Werke V. Hugo's schliefst, auf unsere Anzeige davon in diesen Blättern (1832 No. 48). Der zweite und dritte Band enthält den Roman: Han von Island, der sein Vorbild in Walter Scott gefunden hat, nur dafs dieser auf Gräfslichkeit nicht die Wirkung seiner Darstellungen basirte, wie V. Hugo, der sich dagegen vor des Britten Breite zu hüten gewusst hat und dadurch lebendiger ist. Es werden uns hier zwei Handlungen neben einander dargestellt, die mit einander nicht den mindesten Zusammenhang haben; allein der Zufall verflicht sie dafs sie als ein Ganzes erscheinen. Die eine, und zwar eigentlich die Haupthandlung ist die Liebe des Sohnes des dänischen Vice-Königs von Norwegen, eines höchst edel gesinnten heldenmüthigen Jünglings, zu der höchst unschuldigen und liebenswürdigen in ihres Vaters Gefängnifs aufgewachsenen Tochter des bekannten Günstlings und einsichtsvollen Ministers Christian V., Schumacher, zum Grafen von Greifenfeld und Reichskanzler erhoben, der, vom Adel gestürzt, zum Tode verurtheilt und dann mit drei und zwanzigjähriger Gefangenschaft auf der Festung Munkolm begnadigt wurde, wo gröfstentheils der Liebeshandel spielt. Die andere Handlung ist die Rache eines norwegischen Unholds, der in gerader Linie von Ingolf dem Würger aus der Edda abstammen sollte, von Menschenblut sich nährt und die ungeheuersten Abscheulichkeiten verübt. Sein einziger in gewaltthätiger Umarmung einer Verlobten erzeugter Sohn, in welchem der Geist Ingolf des Würgers sich fortpflanzen sollte, ist durch einen Soldaten vom Regimente Munkolm um seine Geliebte gebracht, um derentwillen er Bergmann geworden und im Bergwerke von herabstürzenden Felsen zerschmettert wurde, und Han von Island, so heifst der Unhold, beschliefst und vollführt den schaudervollen Uutergang des ganzen Regiments. Dieser Han von Island ermordet einen Offizier dieses Regiments, der eben mit für Schumachers und seiner Tochter Schicksal wichtigen Papieren nach Munkolm eilte, und dadurch verknüpfen sich die beiden Handlungen, indem der Sohn des Vicekönigs die Papiere von dem Räuber unter unglaublichen Abenteuern und Gefährlichkeiten, worin auch ein freundschaftlicher Bär mit eine Hauptrolle spielt, wieder zu erhalten sucht. In diesem Romane sind Phantasie, gute Characteristik, selbst in der grotesken Erscheinung des Han von Island, gelungene Combinationen, ein steigendes Interesse, obgleich nicht der angenehmsten Art, ein scharfer Blick ins Menschenherz, besonders in die grauenvollen Abgründe desselben; der Gang der Erzählung ist, ungeachtet scheinbarer Springe, die aber nicht wie die bei unserm wackern Steffens desultorisch sind, gerade fortschreitend, an schönen Beschreibungen und interessanten Situationen fehlt es nicht, das Laster erscheint nicht geschminkt, sondern in der Gräfin Achtfeld und dem - an Satanität dem Haupthelden nichts nachgebenden, aber weit untergeordnetern unreifen Musdämon, höchst ekelhaft, welches wir ästhetisch gerade auch nicht billi

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gen können, die Sprache ist charakteristisch: doch können wir dieses Erstlings - Product des Dichters in diesem Genre gerade nicht für die Unterhaltung unsrer Lesezirkel empfehlen, ob wir uns gleich mit dieser Composition, ungeachtet des phantastischteuflischen Haupthelden, an dem viele einen Anstofs nehmen, in jeder Hinsicht weit eher befreunden können, als mit manchen der bewunderten Dramen des Dichters, besonders in Hinsicht der Tendenz. Die Uebersetzung ist gewandt und lieset sich gut: sie ist vom Professor Adrian. Der vierte Band enthält: Der letzte Tag eines Verurtheiten. In dem Vorworte zu der zweiten Auflage dieses Phantasma erklärt der Vf., dafs er damit,,eine Vertheidigungsrede, eine directe oder indirecte, für die Zulässigkeit der Abschaffung der Todesstrafe" beabsichtigt habe, und sucht dann durch Declamationen die von ihm allerdings sehr seicht vorgebrachten Gründe dafür eben so seicht zu widerlegen, und ruft dann triumphirend aus:,, So hätten wir denn die Gründe für die Todesstrafe niedergerissen und alle Syllogismen der Gerichtsstube vernichtet, so hätten wir alle Späne und Splitter des Requisitoriums hinausgekehrt und verbrannt. Die gesunde Vernunft verwirft schlechte Gründe." Richtig, und darum mufs sie auch des Dichters Gründe, die den eigentlichen Gesichtspunkt gar nicht ins Auge gefafst haben, verwerfen, wenn dieser sein Eifer auch seinem Herzen alle Ehre macht. - Eine falsche Sentimentalität ist aber eben so schädlich und vielleicht, indem sie auflösend wirkt, noch schädlicher, als Brutalität, und in der Einsperrung liegt oft eine gröfsere Brutalität, als in der Todesstrafe, wenn die Einsperrung aller Verbrecher überhaupt practikabel wäre. Und die lebenslängliche Einsperrung, verletzt sie nicht eben so gut ein Naturrecht des Menschen? Freiheit ist nicht ein minderes Menschenrecht als das Leben. Von Rache ist dabei gar nicht die Rede, wohl aber von Säuberung von giftigen ansteckenden Auswichsen. Hr. V. Hugo hat einen Han von Island geschaffen, doch wohl weil er ihn als eine menschliche Möglichkeit annahm; meint er nun wohl, dafs man seinen Han von Island, diese Hyäne, blos hätte einsperren sollen? Und was sagen denn die Eiferer gegen die gerichtliche Todesstrafe von dem Duell, wo sich die Duellanten gegenseitig zu Richtern und Henkern aufwerfen, um eine ganz persönliche, oft höchst unbedeutende und blos eingebildete Verletzung zu rüchen? Darin scheint mehr Brutalität zu liegen, und doch ist das Duell in gewissen Fällen und Verhältnissen kaum zu vermeiden und zu verwerfen. Nur die Anwendung der Todesstrafe und die Behandlung derselben mögen einer nähern Erwägung bedürftig seyn. Die Seelenleiden des Verbrechers, während er seiner Hinrichtung entgegen sieht, können keine Instanz für die UnrechtmäIsigkeit der Todesstrafe bilden; die Darstellung derselben von einem Victor Hugo könnte aber recht wohl zur Abschreckung von Verbrechen dienen, denn diese ist sehr lebendig und ergreifend, und beweiset das dramatische Talent des Dichters, der

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sich in jede Personalität, in jede Situation zu ver- gensatz bildet. - O du armes Volk! Die Chasetzen weifs. Er läfst einen Verbrecher, wel rakteristik von Voltaire ist die unbedeutendste. Die cher Art ist nicht weiter bezeichnet, seine Ge- von Byron ist eine interessante Todtenfeier, die aber danken und Gefühle während der Zeit zwischen sei- auch an innern Widersprüchen leidet. Ist Byron ner Verurtheilung und seiner Hinrichtung nieder- der Stifter der,, satanischen Schule," wie Chateauschreiben. Diese Ergiefsungen sind voll feiner psy- briand der der,,angelischen," (vielleicht könnten chologischer Züge und von Naturwahrheit ohne Ue- aber die Stifter dieser Schulen wohl anderswo gebertreibung und leere Declamationen. Besonders funden werden) so können wir beiden wohl gleihat der Vf. den Ingrimm des Unglücklichen über die che Bewunderung zollen, aber nicht die gleiche Hulgefühllose Neugierde des Volkes, dem er zum Schau- digung darbringen. Wir halten jene Schule für spiel dienen mufs, hervorgehoben. Die Sprache ist keine wahrhaft poetische, denn wir setzen nicht den schön; nur thut es doch der Wirkung Eintrag, dafs Zweck der Poesie in Zerrissenheit, Erniedrigung Verbrechen und Personalität des Unglücklichen un- der menschlichen Natur. Interessant sind uns aber bestimmt gehalten sind. Hr. V. Hugo scheint sich diese Charakteristiken wegen der darin zerstreuten einen Mann von, selbst literarischer, Bildung ge- ästhetischen Ansichten des Dichters, in welcher dacht zu haben, einen Mann von vierzig Jahren Hinsicht jedoch hier, beiläufig gesagt, ein Haupter scheint durch Leidenschaft zum Verbrecher ge- dokument wenigstens bis jetzt und an seiner worden zu seyn, wozu jedoch der Verurtheilte wie- Stelle - fehlt, nämlich das Vorwort zu dem Drama der zu besonnen erscheint, und in dem Alter sind,, Lukrezia Borgia," dessen wir bei der Anzeige diedoch auch die Leidenschaften schon abgekühlt. Er ses Drama in diesen Blättern v. J. 1834, Nr. 47 gescheint Sohn, Gatte, Vater, und in diesen dref Be- dacht haben. Warum ist dieses in dieser Sammlung ziehungen wenigstens nicht unglücklich zu seyn. - nicht aufgenommen? - Dafs wir uns mit Hrn. V. So ergeben sich innere Widersprüche. Von der Hugos ästhetischen Grundsätzen nicht vereinigen zweiten dialogisirten Vorrede, welche unter dem können, gestehen wir offen. Titel:,,Ein Lustspiel über ein Trauerspiel" hier enthält: Angelo, Tyrann von Padua. Drama. UeberDer fünfte Band vorsteht, eine ungesalzene Unterredung fader Menschen über des Dichters Werke und besonders über das gegenwärtige, wollen wir lieber schweigen. Die Uebersetzung von W. Wagner lieset sich gut. Dann folgen hier fünf Charakteristiken: Mirabeau, übersetzt von A. Lewald, Voltaire, Walter Scott, de la Mennais und Lord Byron, übersetzt von E. Beurmann. Alle diese sind geistreich, doch scheint uns die von Walter Scott die feinste und treffendste, obgleich die von Mirabeau, die sehr gut übersetzt ist, die blendendste und mit vorzüglicher Liebe gearbeitet, und die von de la Mennais die beredteste ist. Dafs V. Hugo die Antithesen liebt ist natürlich, da er ein französischer Dichter ist. wollen in der Charakteristik des Mirabeau keine Tendenzen suchen, sonst könnte uns der Absatz S. 172, der anfängt:,, Ein unüberwindliches Schamgefühl bindert uns, hier gewisse Mysterien zu enthüllen, schwache Seiten des grofsen Mannes, die sich jedoch nach unserm Dafürhalten glücklich in die kolossalen Verhältnisse des Ganzen verlieren" bedenklich scheinen. Wir können uns übrigens wohl erklären, dafs Mirabeau mit seiner unheimlichen Gerührigkeit ein anziehender Gegenstand für V. Hugo seyn mufste; wie er aber mit ihm sympathisiren sollte, ist uns nicht so erklärlich. Die Parallele zwischen Mirabeau und seinem Nebenbuhler auf der Tribüne Barnave ist geistreich, wie die zwischen Mirabeau, der als die zermalmende Keule, und Voltaire, der als die zersetzende Säure der Revolution bezeichnet wird, und frappant ist die Parallele zwischen dem von den Seinigen als ein Taugenichts verworfenen Mirabeau von 1781 und dem Mann des Volks von 1794, die jedoch keinen innern Ge

Wir

setzt von Eduard Duller. Ein Vorwort setzt die Absicht des Dichters bei diesem Drama auseinander, in welchem dasselbe als die Lösung einer Aufgabe erscheint, die wir gar nicht für eine eigentlich poetische erkennen können. Von der etwas verworrenen Ansicht des Vfs. über das Drama zeugt wohl nichts so einleuchtend, als dieses Vorwort, und in der Hinsicht, dafs seine Ansicht für manchen unsrer jüngern Literaten von Gewicht zu seyn scheint, ist uns dies Vorwort von Bedeutung, so sehr wir das Ganze auch, aufrichtig gesprochen, für hohles, leeres Gewäsch erkennen müssen. Der Dichter sagt:,,Bei dem jetzigen Zustande aller jener tieferen Fragen, welche bis dicht an die Grundwurzeln der Gesellschaft hinabreichen, schien es dem Vf. dieses Drama's schon seit lange eine Aufgabe von möglichem Nutzen und grofsem Belang (?) Ideen, wie ungefähr die folgenden, auf der Bühne zu enthüllen. in einer dramatischen, Handlung, deren Motive blos Es gälte nämlich: aus dem menschlichen Herzen entlehnt seyen, zwei gewaltig leidende Charaktere hinzustellen das Weib innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, das Weib aufserhalb derselben; d. h. in diesen zwei lebendigen Typen alle Frauen und das Weib, als moralische Person zu repräsentiren; ferner diese zwei weiblichen Charaktere, die in sich alles resumiren (?), oft grofsartig, immer im Unglück darzustellen, die eine gegen den Despotismus, die andre gegen die Verachtung zu vertheidigen. Zu zeigen, welchen Versuchungen die Tugend der einen widersteht, in welchen Thränen sich die Flecken der andern baden. Dem die Schuld anzurechnen, an dem sie liegt, nämlich dem starken Manne, so wie dem, als was die (?) reale Societät widersinnig ist." (Der Beschlufs folgt.)

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ALLGEMEINE

LITERATUR ZEITUNG

Februar 1838.

VERMISCHTE SCHRIFTEN. SULZBACH, b. Seidel: Lebensbeschreibung des Dr. Bolzano), mit einigen seiner ungedruckten Aufsätze, und dem Bildnisse des Verfassers, eingeleitet und erläutert von dem Herausgeber. 1836.

272 S. 8.

Eine in vielfacher Hinsicht,

jetzt namentlich auch in Bezug auf die Mifshandlung katholischer Professoren zu Bonn, von Cöln und Rom aus, ungemein lehrreiche Schrift, in welcher ein redlicher und, in seinen Verhältnissen, ungewöhnlich helldenkender Mann sein inneres Leben und seine äufseren Begebenheiten schildert. Von theologischem Interesse ist diese Schrift, indem wir einen römisch-katholischen priesterlichen Universitätslehrer kennen lernen, der die Lehren und Satzungen seiner Kirche mit der Vernunft und besonders der Moral in Einklang zu bringen sucht, um mit gutem Gewissen an jene Lehren und Satzungen glauben zu können, und der auch nun daran zu glauben sich selbst überredet, dennoch aber von seinen Kirchenhäuptern, die nur von einem blinden Glauben wissen wollen, mittels eines dem der spanischen Inquisition nicht eben unähnlichen Verfahrens, durchaus verabscheut wird. Das politische Interesse dieser Schrift liegt darin, dafs man hier sieht, wie nach Beendigung des Befreiungskrieges die verrufenen, demagogischen Umtriebe auch in Oesterreich böse Wirren anrichteten, und gelegentlich, mit Herzuziehung des heiligen Vaters selbst, gemifsbraucht wurden, um helldenkende Männer bei den Herrschern zu verdächtigen und aufser Thätigkeit zu setzen, wie verdienstlich deren Thätigkeit selbst in politischer Hinsicht auch immer gewesen seyn mochte und noch künftighin seyn möchte.

Die vorliegende Schrift enthält 1) ein gehaltreiches Vorwort des ungenannten Herausgebers, eines würdigen Schülers des verfolgten Bolzano. Ihm sind die mitgetheilten, werthvollen Materialien im Auslande zu Hände gekommen; 2) die ehrliche SelbstBiographie Bolzano's nnd seine Rechtfertigungsschrift; 3) Reden Bolzano's vor der akademischen Jugend zu Prag gehalten.

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In Oesterreich," sagt der Herausgeber S. XII, benutzte eine finstere Partei das im fremden Lande erhobene Feldgeschrei,,Thron und Altar!" dazu, um nach der politischen Restauration auch eine kirchliche und religiöse, eine allgemeine Rückkehr zur alten guten Zeit," wie man sagte, in's Werk zu

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richten. Der neueste Umschwung aller Wissenschaf-
ten hatte auch im Gebiete des Katholicismus viele
Vorurtheile zerstört. - Der geistliche Stand ver-
lor den von frommer Unwissenheit um ihn gezogenen
Nimbus erlogener Heiligkeit und unberechtigter All-
gewalt. Neu entstandene Begriffe weckten neue
Bedürfnisse, forderten neue Richtungen der Thätig-
keit und neue Anstalten. Auch im Bereich der Kir-
che schien Alles anders werden zu sollen. Aber die
nun (mit 1815) neu eintretende Reaction der Stabilen
hob einzelne Mifs- und Uebergriffe hervor, deren
sich die überschwänglichen Freunde der Bewegung
und des Fortschreitens mochten schuldig gemacht ha-
ben, und stellte sie, mit den grellsten Farben ge-
schildert, als höchst gefährliche Verirrungen dar,
anstatt, wie weise Vorstände thun, durch kluge Lei-
tung allmälige Berichtigung, und durch eigene, red-
liche Mitwirkung nur dem Unmaalse zu steuern. Sie
verschrie vielmehr auch das redlich Gewollte, zweck-
mässig Erstrebte, das eine umsichtige Einpflanzung
in den bestehenden Organismus bald heimisch und
allgemein gemacht haben würde, zerstörte hoffnungs-
volle Saaten, und füibrte mit Gewalt den alten Schlen-
drian, eine vergebens geschmückte Leiche,
auf den schon umgeworfenen Thron zurück, glänzen-
den Täuschungen sich hingebend. Angebliche Freun-
de der Frömmigkeit waren es, so wohl unter den
Geistlichen, als den Laien, die mit ihrem betäuben-
den Hexenspruch rastlos die Behörden umkreisten,
ängstigten und zu beklagenswerthen Maafsregeln
verleiteten. Die früher zurückgedrängten Geistli-
chen schienen nun wieder die wahren Retter des Ge-
meinwesens zu seyn. Man schenkte ihnen Vertrauen,
zog sie zur Mitwirkung selbst in weltlichen Dingen
herbei; die Politik sogar wurde heilig, und eine Um-
gestaltung nicht blos der Staaten, sondern auch der
Geister und Seelen schien anzuheben, Geistliche, in
Einer Person Kläger, Richter und Vollstrecker, er-
hielten nun den Auftrag, die erlogenen Störun-
gen und Gefahren um jeden Preis hinwegzuschaffen,
In Folge heimlichen Verfahrens (S. XIII-XIV.)
stürzte man in Böhmen Anstalten, Professoren,
Bischöfe. Auch in andern Provinzen, ja selbst in
Wien, fielen manche an dem Lebensbaum allzu üppig
emporgschossene Blüthen unter den von schonungs-
loser Hand geführten Streichen. Der Episkopat wur
de allmählig mit Männern besetzt, die sich in dieser
legitimen Umwälzung durch Wort und That, durch
fromme Verdienste und fremden Einflufs Wichtigkeit
beigelegt; und er (der Episkopat) trat nun,
im stei-

*) Ehemaliger Professor der Religionswissenschaft an der Hochschule zu Prag, geb. 5. Okt. 1781.

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