Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

[ocr errors]

dafs nicht nur durch die Gesetzgebung, sondern vor züglich auch in der Rechtssprechung ein ius certum befördert werde." Er eifert besonders gegen die historische Schule, welche daran Schuld sey, dafs die Praxis zur Gestaltung eines iuris certi nicht kommen könne und gegen die juristischen Zeitschriften, deren Abhandlungen nur dazu dienten neue Ungewissheit in die Rechtssprechung zu bringen." Der Eifer des Vfs. ist ebrenwerth, obgleich man ihm nicht beistimmen kann. Die Forschung hat ein angebornes Recht auf die Ueberzeugung und so auch auf die Rechtssprechung zu wirken. Von S. 57-60 (Bemerk. 15) stellt der Vf. einige Betrachtungen über Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, für die er sich erklärt und S. 61 bis 70 (Bemerk. 16) über Vergleichsinstitute, die er gleichfalls in Schutz nimmt, an. Da auf den letzten Landtagen im Grofsherz. Hessen wegen Einführung solcher Institute interessante Verhandlungen gepflogen wurden, so hätte der Vf. sich veranlafst finden sollen, sich mit dieser ihm so nahe stehenden Erscheinung zu beschäftigen, und sein Votum abzugeben. Von S. 71-97 (Bemerk. 17) beschäftigt sich der Vf. mit der Straf-Gerechtigkeits-Pflege in einer Paraphrase seiner Einleitungsworte:,,In Ansehung der Straf-GerechtigkeitsPflege sieht es nicht besser, ja zum Theil schlimmer aus, als in der Civil-Justiz." Was er vorträgt, ist bereits schon mehrfach zur Sprache gekommen und hat nur in sofern Werth, als es das bestätigende Votum eines hochgestellten Praktikers ist, der alle Gelegenheit hatte, viele Gebrechen und Mängel der Strafrechtspflege kennen zu lernen und zu entdecken. Uebrigens gelten seine Bemerkungen (über Beweistheorieen, über Rechtskraft lossprechender Urtheile, über die Verwerflichkeit des InquisitionsProcesses, der Absolution von der Instanz u. s. w.) Vorzugsweise die Straf-Gesetzgebung. Rec., der gleichfalls, besonders als Vertheidiger, vielfach Erfahrungen zu sammeln Gelegenheit hatte, könnte eigne Betrachtungen anknüpfen, wenn er hier einen Raum dafür anzusprechen befugt wäre, und nicht schon anderwärts früher Manches angedeutet hätte. Von S. 98-103 (Bemerk. 18) finden sich Bemerkungen über das Gefängnißswesen, besonders über die Detentionsanstalten und die Behandlung der darin Detinirten. Mit Recht rügt der Vf. die Gebrechen, die in dieser Beziehung wuchern und die leider auch dem Staat, welchem er angehört, nicht fremd sind *). Was der Vf. S. 103-109 erörtert, macht sowohl seiner humanen Gesinnung, als seinem Rechtsgefühl Ehre. Mit Recht vertheidigt er den Satz, dafs dem, welchen das Schicksal schuldig ausgestandener Verhaftung" traf,,,gebührende Reparation und Ersatz zu leisten sey." Schon

[ocr errors]

un

[ocr errors]

in seiner Stellung als Präsident des Hofgerichts nahm er diesen Grundsatz in Schutz, indem er sich bemühte, ihn praktisch werden zu lassen. Rec. bezieht sich auf seine Mittheilung eines Strafrechtsfalls im 13. Bande von Hitzige Annalen, der deutschen und ausländischen Criminalrechtspflege, Berlin 1832, S. 352-364: Versuchter Betrug gegen eine öffentliche Anstalt; Haft eines Zeugen zur Verhinderung von Collusionen, " bei dessen Darstellung er einen dahin gerichteten Vortrag des Vfs. über diesen Gegenstand, den er wegen seiner Wichtigkeit zur Berathung in einer Plenarsitzung des Gerichtshofs erwies, hervorbob. Der Vf., der dieses Rechtsfalls nicht gedenkt, hätte das Interesse erhöht, wenn er solche Vorgänge besonders berücksichtigt und in seine Erörterung verwebt hätte. Von S. 110-114 (Bemerk. 20) findet sich Einiges über die Frage, was criminell und nicht criminell sey. Den Beschlufs (Bemerk. 21) macht der Vf. mit einem höchst wichtigen Gegenstand, mit Erörterungen über den Staatsdienst. Mit Recht spricht er sich besonders nachdrücklich gegen die Versetzung der Staatsdiener, welche das Vertrauen der Regierten genössen, und dafür aus, dafs die Anstellung der Staatsdiener, die allerdings ein Act der höchsten Gewalt sey, damit noch keineswegs nach blofser Willkür stattfinden dürfe, sondern namentlich nur nach Anhörung,,gutachtlicher pflichtmässiger Berichte." Mit vollem Grund hält er besonders die Anstellung der Richter, die vorzugsweise das Vertrauen des Volks besitzen müfsten für wichtig. Mit Hinweisung auf bestehende Gesetzgebungen z. B. im Königreich Hannover, wo die,, Landschaften" einen Theil der Mitglieder des höchsten Gerichts wählten, im Mecklenburgischen, wo Aehnliches stattfinde, spricht er sich dafür aus, dafs den Ständen ein Antheil an der Wahl der Richter eingeräumt werden solle.

Bekanntlich ist unsere Literatur an deutschen Denkwürdigkeiten noch arm. Es kann darum nur erwünscht seyn, wenn Männer, welche durch ihre Stellung in den Stand gesetzt wurden, sich Stoff zu Memoiren zu sammeln, mit Denkwürdigkeiten hervertreten. Solche Memorabilien liegen uns bereits in dem Werke eines gleichfalls hochgestellten Justizbeamten, des Herrn von Strombeck: Darstellungen aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Zwei Theile. Braunschw. 1833, vor. Möge auch der Vf., der in der Vorrede sich dahin äufsert, er habe wohl Stoff zu einer solchen Schrift und sey schon zu deren Herausgabe aufgefordert worden, sich dazu entschliefsen. Er würde dadurch gewifs zugleich seinen ,, Bemerkungen" einen Commentar binzufügen, der besonders für seine hessischen Mitbürger interessant seyn müfste. Bopp.

*) s. z. B. Rec. Mittheilung im 3ten Hefte von Wildbergs Jahrbuch der Staatsarzneikunde von 1887, S. 857-359.

[merged small][ocr errors][merged small]

LITERATUR - ZEITUNG

Februar 1838.

MEISSEN, b. Gödsche: Ueber die Irren und deren psychische Behandlung. Für Aerzte und Gebildete aus allen Ständen, insbesondere für die, in deren Umgebungen sich solche Unglückliche befinden, von D. Bräunlich, praktischem Arzte und Director der Privat - Heilanstalt zu Wackerbartsruhe bei Dresden. 1837. VI und 167 S. 8.

Schon der Titel besagt, dafs wir hier keine

[ocr errors]

streng wissenschaftliche Schrift vor uns haben. Der Vf. bezeichnet dieselbe auch gleich im Vorworte als eine,,populäre", mit dem Bemerken, dafs scines Wissens die Seelen - Heilkunde noch keine populäre Behandlung aufzuweisen habe." Sollte dem Hr. Vf. die schon vor zehn Jahren erschienene und „,zunächst für Nichtürzte" bestimmte Brochure von Amelung zu Hofheim: allgemeine Vorschriften zur Behandlung von Irren und zur Verhütung der Geisteszerrüttung überhaupt" unbekannt geblieben seyn? Hat er nicht an Heinroth's,,Unterricht zur zweckmäfsigen Selbstbehandlung bei beginnenden Seelenkrankheiten" vom Jahre 1834 gedacht? Sollte der Hr. Bräunlich nicht mit der Ansicht übereinstimmen, dafs gerade Heinroth seit einer Reihe von Jahren seine früher entwickelte Theorie der Seelenstörungen nach allen Richtungen populär zu machen sich eifrigst bestrebt hat, dafs derselbe von seinem Standpunkte aus, welcher ein historisch - nothwendiger war, der tüchtigste, geistreichste populärste Schriftsteller über Seelenkrankheiten ist, seitdem er der strengen Wissenschaftlichkeit und den zu streng und einseitig ihn beurtheilenden Irrenärzten zugerufen hat: dixi et salvavi animam meam? - Solche und ähnliche Fragen an einen Mann gerichtet, welcher durch vorliegende Schrift, wie durch die vom Jahre 1833 über das Gemüth etc." als ein gebildeter, denkender Arzt und Irrenarzt sich bekannt gemacht hat, in volviren schon die Antworten. Vielleicht hat der Vf., indem er sagt, dafs die Seelen-Heilkunde keine populäre Behandlung aufzuweisen hat, nur seine psychische Behandlung, welche freilich bisher noch nicht in dieser Weise dargestellt war, im Sinne gehabt. Näher ausgesprochen hat er sich indessen hierüber nicht.

Wie dem auch sey, so wollen wir doch einmal sehen: ob und wiefern die vorliegende Schrift eine echt populäre ist, d. b. ob und wiefern sie dem grofsen Publikum über die allgemein wichtigsten Ge

genstände in Betreff der Irren, Irrenpflege und Behandlung etc. auf allgemein-verständliche, klare, einfache Weise, nach Form und Inhalt instructive, einflussreiche Belehrung und Zurechtweisung giebt.

Hieher gehört z. B. die populäre Darstellung darüber, was denn das eigentlich für Menschen sind die Seelenkranken? denn es kommen in dieser Beziehung bei Gebildeten aller Klassen und selbst bei den neuesten Schriftstellern, namentlich im Fache der Romane und Reise beschreibungen, noch die seltsamsten und dem Irrenarzte unbegreifliche Aeufserungen vor. Alle sind erstaunt, wenn sie bei Irren Gedächtnifs, Erinnerungskraft, menschliche Empfindungen, Vorstellungen, Verstand, Phantasie, Urtheilskraft, nützliche Thätigkeit antreffen. Sie bedenken nicht, dafs es Kranke, Seelenkranke sind, bei denen (gleichwie bei körperlich Kranken der Leib und die leiblichen Erscheinungen da, aber nur gestört sind) auch Seele und Geist vorhanden sind, aber nur krankhaft sich äufsern, dafs aber dessen ungeachtet Acufserungen des gesunden psychischen und geistigen Lebens bei Seelenkranken eben so wenig befremden können, als bei körperlich Erkrankten Erscheinungen des gesunden leiblichen Lebens. Hieber gehört ferner Aufklärung über das Vorurtheil, dafs Wahnsinn eine Schande sey, welche man verheimlichen müsse, da doch im Gegentheil die Verzögerung und Verschleppung der geeignetsten Heilversuche eine Sünde ist, weil die Heilungsfähigkeit mit der Dauer der Verschleppung in umgekehrtem Verhältnifs steht, dafs daher möglichst früh die Seelenkranken einer wirklichen, nicht einer scheinbaren ärztlichen Behandlung unterworfen, und in der Mehrzahl der Fälle einer wohleingerichteten und geleiteten Irrenheilanstalt überwiesen werden müssen.

Ferner gehört hieher Berichtigung der falschen Ansicht, dafs es eine Schmach für die Familie sey, den Kranken einer Irrenanstalt zu übergeben, und dafs die Furcht vor derselben auf völliger Verkennung ihres Zweckes und ihrer Einrichtung beruht.

Ferner gehört hieher eine populäre Anweisung zur Behandlung der als gesund Entlassenen, und vor allen Dingen eine gründliche Aufklärung darüber, dafs sehr häufig falsche, verkehrte, schlechte Behand lung der Heimgekehrten, Rückfälle der kaum Genesenen in Liederlichkeit und Immoralität aller Art, zerrüttete häusliche, bürgerliche, sociale Verhält nisse nach allen möglichen Beziehungen, die hauptsächlichsten Ursachen der Rückfülle in Seelenkrankheiten sind, und dafs in allen solchen Fällen dem Irrenarzte die Schuld der unvollkommnen Heilung

eben so wenig zugerechnet werden kann, als dem Arzte, wenn ein von einer Lungenentzündung Geheilter gleich darauf eine Nacht hindurch tanzt, sich erkältet, besäuft und nun einen Rückfall erleidet, oder wenn ein von Syphilis Genesener sich bald einer neuen Infection aussetzt. Es giebt moralische Infectionen, welche fast eben so gewifs einen Rückfall in Seelenkrankheit erzeugen.

Endlich gehört noch hieher eine allgemeine populäre Belehrung des Publikums über Heilbarkeit und Unheilbarkeit von Seelenkranken, in welcher Beziehung den Irrenärzten Seitens der Angehörigen und Gerichte Fragen vorgelegt werden, welche ihre Langmuth wie ihr Wissen und Gewissen auf die härtesten kaum auszuhaltenden Proben stellen. Solche komn.

namentlich auch in Betreff der forensischen Blödsinnig keits Erklärungen vor und sind, so wenig wie manche andere, Seelenkranke betreffende gesetzliche Bestimmungen, mit dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft und der öffentlichen IrrenAngelegenheiten verträglich, weil die, jenen Bestimmungen zum Grunde liegenden, Principien mehr oder weniger obsolet sind."

Wer die Macht dieser und anderer im gebildeten, selbst betheiligten Publikum grofsentheils noch gäng und gebe seyenden Irrthümer und Vorurtheile einerseits und die Ohnmacht der Irrenärzte denselben

gegenüber andererseits aus Erfahrung kennt, der wird zugeben, dafs im Geist echter Popularität gefafste öffentliche Belehrungen, Aufklärungen und Zurechtweisungen des Publikums über die bezeichneten Punkte für das öffentliche Wohl und Gemeinwesen der Irren verdienstlicher und heilbringender seyen, als windschiefe Theorieen und Erfahrungen über Seelenkrankheiten und Seelenkranke.

Ueber die genannten wichtigsten Desiderate der populären Psychiatrie, deren Erledigung wahrhaft Noth thut, findet sich in der in Rede stehenden Schrift nichts oder wenig Befriedigendes; sie ist demnach von diesem Gesichtspunkte aus beurtheilt, nicht populär.

Die Schrift enthält vielmehr den Inbegriff der theoretischen und praktischen psychischen Ansichten des Hr. Vf's. über Seelenkrankheiten und zwar in zwei Abtheilungen. In der ersten ist die Rede vom Irreseyn überhaupt, und zwar in vier Capiteln von der Geschichte der Seelenkrankheiten, von den dieselben begleitenden allgemeinen Erscheinungen, von den Sectionsbefunden und vom Sitz und Wesen, so wie von der Formeintheilung des Irreseyns. Die zweite Abtheilung umfafst die,,psychische" Behandlung des Irreseyns, und lässt sich auch in vier Capiteln über Gelegenheitsursachen, generelle und specielle Behandlung des Irreseyns so wie endlich über zweckmässige Leitung der Reconvalescenz aus.

Dafs manche der abgehandelten Objecte, wie z. B. die Resultate der Sectionsbefunde, Sitz und Wesen der Seelenkrankheiten, specielle Behandlung der einzelnen Formen nicht recht vor das Forum der Ge

bildeten aus allen Ständen gehören, bedarf wohl keines weitern Beweises. Wenn aber der Vf. geradeweg behauptet, dafs ,,dies Fach der ärztlichen Wissenschaft dem gebildeten Publikum keinesweges verschlossen bleiben solle, dafs hier die Laien urtheilen ja heilen können und oft besser, als mancher gewöhnliche Arzt," so liegt hierin eine Entwürdigung und Entartung der Wissenschaft, dem gefährlichsten Unfug ist Thür und Thor geöffnet und der Vf. verfällt selbst in den, den populären medicinischen Schriften vorgeworfenen Fehler, dafs ,,sie zu viel geben und den Nichtarzt zum gefährlichen Selbstcuriren verleiten."Diese unbesonnene Aeufserung des Vf's. ist nur durch die Annahme zu entschuldigen, dass er unter Laien" nur Wärter oder andere Nichtärzte, welche Jahre lang mit Irren verkehrt haben, verstanden hat, in welchem Falle wir ihm freilich Recht geben, dafs diese auf Beurtheilung, Pflege, und zum Theil selbst auf psychische Behandlung der Irren sich besser verstehen, als viele praktische Aerzte, welche zu ihrer Ausbildung in der Psychiatrie weder Gelegenheit gehabt noch gesucht haben. Aus diesen Grün

den kann die in Rede stehende Schrift als eine echt

und rein populäre nicht gelten, hat vielmehr was Antipopuläres.

[ocr errors]

Wir müssen also, um das Gute und Löbliche der Arbeit redlich und richtig anerkennen zu können, den eigentlichen Standpunkt und Zweck derselben ausfindig machen. - Der Standpunkt ist ohne Zweifel der einer für Aerzte und gebildete Nichtärzte bestimmten allgemein verständlichen, leichten, klaren, anschaulichen und in sofern,, populären praktischen Ansichten über Seelenkrankheiten; der Darlegung seiner psychischen, theoretischen und Zweck der: zu nutzen und diese Ansichten, den Aerzten und dem Publikum zu seiner Rechtfertigung und zur Förderung des Vertrauens zu sich und seiner Privat-Heilanstalt mitzutheilen. Und beides ist ihm griff des Psychischen und den Unterschied vom Orauch, so weit es nämlich möglich ist, ohne den Beganischen, Moralischen und Geistigen zu haben und zu gehen, gelungen.

Denn wenn gleich auch die Schrift nicht gerade Neues und manches leicht Berührte und deshalb aur partiell Richtiges enthält; wenn gleich die mitgetheilten Beobachtungen mehr anekdotenartiges als wissenschaftliches luteresse haben, so legt doch dieselbe die psychische" Theorie und Praxis des Vf's. in Betreff der Genesis, der Ursachen und Behaudlung der Seelenkrankheiten im Allgemeinen und Einzelnen aufklare, feine, geistreiche, selbst schlagende und immer nette Weise dar. Namentlich greift der zu denken, zu beobachten und zu handeln verstehende Vf. die roh materialistische Ansicht mit so leicht und glücklich geführter Waffe von allen Seiten an, dafs in dieser Beziehung direct und indirect die Schrift wissenschaftlicher Bedeutung ist und die Berücksichtigung der Irrenärzte, Aerzte und Gebildefen überhaupt sehr wohl verdient. Seine Ansichten und Aussprüche von diesem allerdings einseitigen

von

,,psychischen" (?) Standpunkte aus zeichnen sich auch wenigstens durch Bestimmtheit aus. So sagt er §. 97 ausdrücklich, dafs er keinesweges bei jeder psychischen Krankheit jede somatische Behandlung ausgeschlossen wissen wolle, allein er möge ihr kein weiteres Feld einräumen, als bei körperlichen Uebeln der psychischen.

Sehr gefreut hat sich der Ref. auch, dafs der Vf. jenem matten, schwachen, heuchlerischen und in jeder Beziehung verkehrten, wirklich unsinnigen Princip der alten sanften, abusivisch ,,exspectativ" genannten Methode: dem Irren Recht zu geben und seinen Verrücktheiten ja nicht zu widersprechen, kräftig und sicher mit offenen Augen entgegentritt, und als erstes ärztliches Eingreifen es ausspricht, dass man dem Kranken zuvörderst und vor allen Dingen sagen müsse, dafs und warum er ein Irrer und im Irrenhause sey (§. 130). Das Gegentheil zu thun sagt er recht populär käme ihm so vor, als wenn man mit einem Wanderer, der sich verirrt hätte, statt ihm zuzurufen:,,Halt! kehre um, du bist irre gegangen! noch eine lange Strecke auf dem falschen immer weiter vom Ziele abführenden Wege gehen wollte." Ref. tritt dem Vf. auch darin bei,,,dal's der schroffste Widerspruch weniger Nachtheile dem Kranken bringt, als das geringste Eingehen in seine Ideen," freilich mit den Cautelen, dafs man überall die rechte Zeit und rechte Art treffe, sich besonders im Anfange nicht auf Discussionen einlasse, sondern dem Irren diese geistigen Pillen, wie der Arzt dem Kranken die aus der Apotheke verschriebenen, ohne Weiteres und ohne eine lange Litaney über die Beweggründe zu machen, gebe, endlich vor allen Dingen, dafs man sich zuerst seinen Mann ansebe, welche Nothwendigkeit der Individualisirung der Vf. §. 152 auch unbedingt anerkennt.

Aufserdem ist die Schrift reich an trefflichen Blicken in die Einzelnbeiten einer rationellen,,psychischen" Heilmet bode, ohne jedoch dieselbe auf festere allgemeine wissenschaftliche Principien zurückzuführen, an welchen die Psychiatrie, trotz aller sich drängenden Hand- und Lehrbücher von nicht praktischen, nicht erfahrenen Irrenärzten, also von Nichtirrenärzten, noch völlig brach liegt, und von denen manche Irrenärzte selbst so wenig wissen, dafs das, was sie „psychische" Heilmethode nennen, von voyageurs commis, welche recht geschwätzige Phrasenmacher sind, in der That aufs trefflichste exccutirt werden könnte.

Diese Andeutungen über das Werkchen werden genügen, um das oben vorweg gegebene Urtheil, dafs es eine vom Standpunkte des Hr. Vf's. gelungene und lehrreiche Arbeit sey, und zur Empfehlung seiner irrenärztlichen Behandlung und seiner Privat- Anstalt von Aerzten und Nichtärzten wesentlich beitrage, einigermafsen zu motiviren. Vorbehalten bleibt dem Hrn. Bräunlich noch eine Beschreibung seines, nicht allein für ere bestimmten, Privat-Instituts, Indessen, wenn gleich der Vf. durch Mittheilung des Faktum, (§. 31) dafs ein Irrer am Aufnahmstage 31

Stück Cigarren geraucht, der Anstalt gerade keinen Weihrauch gestreuet hat, bürgt doch der Geist der Schrift und die Angabe der Leistungen des Instituts im letzten Paragraph, und das, Ref. aus der Seele geschriebene, Verfahren mit den zu Entlassenen, (mit welchen er (§. 203) ein Examen anstellt über Alles, was sich bei ihnen während des Verlaufes der Krankheit als irrig, verwirrt und verücktes zeigte, und welche er, nachdem nichts dergleichen mehr aufzufinden ist, erst für gesund erklärt, und sie füir die übrige Zeit des Aufenthaltes in seinem Hause nur als liebe Gäste ansieht und behandelt) für die Zweckmässigkeit der Leitung des Instituts. Druck und Papier sind gut. H. Damerow.

STETTIN, in der Nicolaischen Buchh.: Gutachtliche Acusserungen über einige Gegenstände der preufsischen Medicinalverfassung von Dr. Wasserfuhr, Generalarzte etc. 1837. 134 S. 8.

Nachdem der Hr. Vf. als Einleitung in seine Schrift einen kurzen historischen Abrifs der allmähligen Entwicklung des preufsischen Medicinalwesens unter der kunst- und zeitgemäfsen Leitung des Ober-Medicinalcollegii zu Berlin gegeben hat, weist er nach, wie sich dasselbe vom Jahre 1786 (Aufhebung des Ober- Medicinalcollegii) bis zum Jahre 1817 (Vereinigung der Medicinal-Angelegenheiten mit den geistlichen und denen des Unterrichts zu Einem Ministerium) zu der Form erhoben hat, in welcher es im Wesentlichen noch jetzt besteht.

Seit dem Jahre 1817 aber traten zwei Abände

rungen im Medicinalwesen ein, die neue Classification des Heilpersonals und das neue Prüfungsreglement. Diese Abänderungen, welche so tief in das Verhältnifs des ärztlichen Personals zu einander, zum Staate und zum Publikom eingriffen, waren, um mit dem Vf. zu reden, in ihren Folgen sehr bedeutend; und wenn jene Anordnungen auch erst eine kurze Zeit, nämlich erst 10 Jahre, ihre Wirkung äufsern konnten, so sind diese doch von der Art gewesen, dafs es scheint, als hätte man darauf nicht gerechnet, weshalb denn eben jener Anordnung eine Veränderung bevorsteht." Das Letztere schliefst der Hr. Vf. aus einem von ihm als halb officiell bezeichneten Aufsatze in der medicinischen Zeitung des Vereins für Heilkunde vom 1. März 1837, sowie aus Erklärungen, welche Hr. etc. Rust in demselben Blatte 1836 Nr. 18 gegeben hat.

Mag das Verhältnifs, in welchem der Hr. etc. Rust zu dem anonymen Aufsatze steht, seyn, welches es wolle, mag der Aufsatz in der Absicht geschrieben seyn, die Geister für die darin enthaltenen Ansichten zu präoccupiren, oder mag er als eine Herausforderung des ärztlichen Publikums zur Abgabe seiner Meinung angesehen werden können: es reicht hin, dafs die in demselben aufgeworfenen, ursprünglich der Administration vorbehaltenen Fragen einer

wissenschaftlichen Erörterung und Kritik übergeben wurden. Wir müssen dies dem Hrn. Verf. jenes Aufsatzes Dank wissen und würden nur bedauern, wenn er sich bei den verschiedenen Urtheilen, welche sein Aufsatz herbeiführen möchte, zum Oefteren zu dem Ausrufe:

Herr und Meister, Ach! die Geister, Die ich rief,

Werd' ich nun nicht los! veranlafst fühlen dürfte.

Dies möchte nun wohl der Fall seyn müssen, wenn wir auf die folgenden, höchst merkwürdigen Zeilen, welche den Hrn. Vf. vorliegender Schrift, seine Stimme laut werden zu lassen, ganz besonders veranlafst zu haben scheinen, einige prüfende Blicke werfen.

Die Stelle lautet folgendermaafsen:

,,Die Aerzte werden es der höchten MedicinalBehörde Dank wissen, wenn der willkürlichen Niederlassung hinführo durch ein weises Gesetz Schranken gezogen und alle jungen Aerzte von ihr dahin dirigirt werden, wo der Zudrang noch keinen Ueberflufs an Heilpersonal erzeugte. Als eine glückliche Folge einer solchen Einrichtung würde ohne Zweifel eine Verminderung der Menge der auf Universitäten studirenden Mediciner sich ergeben; ja es würde wahrscheinlich die Zahl tüchtiger Wundärzte erster Classe, welche mit geringen Opfern auf chirurgischen Akademien sich vorbereiteten und ihrer Stellung nach eines niederen Einkommens bedürfen, bedeutend zunehmen und hauptsächlich auf dem Lande und in den Landstädtchen vertheilt werden können, während die weniger zahlreichen Promovirten in den mittleren und gröfseren Städten ihren Wirkungskreis erhielten. Würde jedoch der Staat die auch vom Herrn Präsidenten Rust gebilligte (sic?) Maafsregel, die Niederlassung des gesammten Heilpersonals unter seine Oberaufsicht zu nehmen, nicht ergreifen, so kann bei der sich häufenden Mehrung durchgebildeter Aerzte das Bestehen der chirurgischen Schulen nur in den Provinzen als nothwendig erscheinen, wo sich allenfalls noch Mangel an ärztlicher Hülfe zeigt. Mit dieser Anordnung würde es der Consequenz nach übereinstimmen, dafs der Staat auch eine absichtliche Verminderung der Medico-Chirurgen bis zum noth wendigen Bedürfnisse herab erziele."

Ohne uns auf Gründe cinzulassen, welche sich dem Vorschlage, den Aerzten ihren Wirkungskreis anzuweisen, entgegegenstellen lassen (s. Caspers Wochenschrift, Jahrg. 1837. Nr. 24.), denn diese würden in diesen Blättern nicht Raum finden trachten und würdigen wir nur, zugleich uns an vorliegende Schrift haltend, die in dem Aufsatze verheifsenen glücklichen Folgen dieser Maafsregel. Diese würde nach dem anonymen Vf. in einer Verminde

[ocr errors]

rung der Menge der auf Universitäten studirenden Mediciner und in einem Zunebmen tüchtiger, auf chirurgischen Akademien gebildeter Wundärzte erster Classe bestehen. Welch sonderbare Anmuthung an einen Staat, sich mit Halbwissern begnügen zu sollen, während es an wissenschaftlich durchgebildeten Aerzten gar nicht mangelt! Welch eine dem preussischen, durch seine geistige Präponderanz so mächtig hervorragenden Staate unwürdige Anmuthung, die Halbwisserei auf Kosten der Wissenschaft zu heben! Glaubt der Vf. auch nur dem Geringsten im Volke es vorreden zu wollen, dafs ein Chirurgus besser sey, als ein Doctor, so hat er sich wenig unter dem Volke umgeseben. Noch weniger aber wird der daran glauben, der im Stande ist zu begreifen, dafs Leute, von denen viele, wie Hr. G. R. Wendt, der einzige Lobredner der chirurgischen Schulen in Preufsen (Wasserfuhr S. 67), sagt, ,,nirgends gedeihen konnten und wollten, zuletzt es noch in der medicinisch-chirurgischen Lehranstalt versuchend," in zwei Jahren wohl schwerlich werden denken, lateinische und deutsche Sprache, Anatomie, Botanik, Physiologie, Pharmacologic, Pathologie und Therapie, Chirurgie in ihrer ganzen Ausdehnung, medicinische und chirurgische Klinik lernen können. Noch weniger wird der daran glauben, der zu begreifen im Stande ist, dafs moralische Gediegenheit, wie sie Erziehung im weitesten Sinne giebt, dafs ein wissenschaftlicher Geist, den nur der haben kann, der die Wissenschaft ganz begriffen hat, recht wesentliche Requisite cines Arztes sind, wie ihn der preufsische Staat überall, wic in den Palästen, so und ganz besonders in den Hütten der Armen verlangen mufs.

Der Sorge, welche sich der anonyme Hr. Vf. über die gröfseren Ansprüche der wissenschaftlichen Aerzte an Einkommen und Rente ihres für Studium aufgewendeten Capitals macht, könnte sich derselbe füglich überheben; denn, wenn er um sich gesehen hätte, würde er bemerkt haben, dafs trotz der jährlich sich mehrenden Ansprüche an Geldmittel zur Erreichung wissenschaftlicher Bildung, und an die Letztere selbst, schon jetzt in fast allen kleinen Landstädten, ja auf sehr vielen Dörfern sich promovirte Aerzte besetzt haben, die wohl von entschiedenerem Werthe für das Publikum sind als jene oben angepriesenen Chirurgen.

Ueberdicfs würde die Niederlassung promovirter Aerzte auf dem Lande noch öfter stattfinden, wenn die Chirurgen den Aerzten nicht das Brot schmälerten, nicht durch prävalirende Tüchtigkeit, sondern durch allerlei der Wissenschaft fremde Künste und besonders dadurch, dafs sie den medicinischen Verirrungen und Vorurtheilen des Landvolkes fröhnen und sich dem niedern Standpuncte der Bildung desselben mehr anschmiegen.

(Die Fortsetzung folgt.)

« ZurückWeiter »