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ALLGEMEINE

LITERATUR ZEITUNG

KIRCHENGESCHICHTE.

Februar 1838.

HALLE, in d. Gebauerschen Buchh.: Handbuch der Kirchengeschichte. Von Heinr. Ernst Ferd. Guerike, Theol. Dr. Zweite sebr. verm. u. verbesserte, zum Theil umgearbeitete Auflage. Erster Band, welcher die Einleitung enthält und die ältere und mittlere Kirchengeschichte. 1837. XXX u. 702 Seiten. Zweiter Band, welcher die neuere Kirchengeschichte enthält, nebst Zeittafeln und Register, S. 703-1329. gr. 8. (4 Rthlr.)

Der

er Vf. des vorliegenden Handbuchs hatte seine wissenschaftliche Befähigung zu einer solchen Bearbeitung des ganzen Umfanges der Kirchengeschichte schon früher durch mehrere sehr fleifsig gearbeitete, wenn auch nicht immer durch und durch verarbeitete, kirchenhistorische Monographien, z. B. de schola Alexandrina, an den Tag gelegt, und der schnelle Absatz der ersten Auflage (von 1833), welcher in 4 Jahren eine zweite nöthig gemacht hat, giebt eine hinlängliche Gewähr dafür, dafs ein sehr bedeutendes Publicum dieses Buch für seine Zwecke brauchbar gefunden haben mufs. Und in der That verdient es diesen Beifall durch eine entschiedene Zweckmäfsigkeit in der Anordnung und Auswahl des zu Erzählenden und eine richtige Mittelstrafse zwischen dem Zuviel und Zuwenig, so dass wir wohl begreifen, weshalb mancher Studirende oder Candidat bei der Wahl zwischen dem gründlich, ruhig, aber wie aus Prinzip trocken referirenden Engelhardt'schen, dem mehr geistreich andeutenden als vollständig erzählenden Hase'schen Werke und diesem Handbuche, zu letzterem dem Umfange nach zwischen beiden in der Mitte stehenden griff, und die ihm eigenthümlichen schwachen Seiten, die auch dem blödesten Auge nicht entgehen können, zu übersehen oder dem Vf. zu Gute zu halten sich entschlofs: wiewohl es auf der andern Seite auch nicht an einigen Lesern gefehlt haben wird, welche sich gerade von diesen Eigenschaften des Buches angezogen gefühlt haben.

Soweit diese Eigenthümlichkeiten des Werkes die Materie selbst betreffen, hängen sie auf das Engste damit zusammen, dafs der Vf. bekanntlich nach Lehre und Leben der kirchlichen Partei der so gen. strengen Lutheraner angehört, welche nur in den Bekenntnifsschriften der lutherischen Kirche die Auslegung der reinen Schriftlehre zu finden glaubt, sich deshalb der im Preufs. Staate vollzogenen Union mit der reformirten Kirche,, als einer rationalistischen

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und rationalisirenden" bis zum Märtyrerthum widersetzt hat, und überhaupt an den Lehrformen dieser Kirche mit so starrer Ausschliefslichkeit festhält, dafs ihr jede Abweichung von derselben als Häresie erscheint, am meisten, wenn sie auf einer mehr rationellen als altkirchlichen Schriftauslegung beruht. Daher also theils des Vfs. lebhaftes Parteinehmen gegen die reformirte Kirche und deren Unterscheidungslehren, besonders im Abendmahl, die sich nicht blos in der Reformationsgeschichte und später, sondern auch schon in Bearbeitung der ältesten Kirche zeigt und auf seine Darstellung einen wesentlichen Einfluls geübt hat; theils der heftige Hafs desselben gegen jede rationelle Richtung der neueren Zeit, der ihn S. 1087 zu einer karrikaturähnlichen Zeichnung derselben begeistert hat, die man nicht ohne Lächeln lesen kann. Eine andere Eigenschaft des Buches, die einige Nachsicht in Anspruch nimmt, betrifft die Form, welche besonders da, wo der Vf. möglichst viel in eine Periode zu drängen gesucht hat, verfehlt ist. Wir glauben in solchen Fällen das Manuscript vor uns zu sehen, in welches nach der ersten Ausarbeitung eine Einschaltung nach der andern gemacht worden, bis sich manche Periode kaum mehr erträglich hintereinander lesen liefs, und wundern uns nur, dafs der Vf. solche Uebelstände nicht wenigstens in der zweiten Ausgabe abgestellt hat.

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Was nun die ersten, die Materie betreffenden, Punkte betrifft, so spricht der Vf. zwar in dieser zweiten Ausgabe noch häufiger als in der ersten von der Obiectivität der historischen Wahrheit, aber dessenungeachtet ist unverkennbar, dafs er eben seiner oben bezeichneten Subjectivität in der neuen Ausgabe noch mehr als früher zu huldigen beflissen war. Ueber die Art, wie der Verf. die Objectivität und Unparteilichkeit mit Subjectivität verbunden habe, spricht er sich S. VII der Vorrede zur ersten Auflage folgendergestalt aus: ,, Soweit die Darstellung der Geschichte der christlichen Kirche mit christlichem Glauben und Erkennen zusammenhängt - und dieser Zusammenhang ist der innigste habe ich hier auch allenthalben (treue Objectivität mit lebendiger Subjectivität stets zu verschmelzen beflissen) meiner wohlbegründeten Ueberzeugung, der erkannten Wahrheit, gemäfs geredet; auch da, wo vielleicht etwas von Furcht vor Menschen deshalb mich anwandeln wollte. Hat ja doch mich gerade in meinem Leben die Barmherzigkeit Gottes also geführt, dafs ich nicht anders kann und darf! Für die christliche Kirche überhaupt, und für die jederzeit reinsto

unter den christlichen Gemeinden insbesondere, liebevoll Partei genommen habe ich nun freilich; sonst machte ich ja aber auch auf eines Christen, eines evangelischen, eines lutherisch evangelischen Christen Namen ganz mit Unrecht Anspruch, und nur dann hätte ich es anders gedurft, gälte in meinem Herzen mir Glaube und Unglaube, Wahrheit und Irrthum, Leben und Tod, gleich, oder wähnte ich, das etwa sey kein Parteinehmen, im Voraus stets nur mit der Partei stimmen, die gegen jede Partei protestirt, das etwa sey kein belebendes und leitendes Interesse, im Voraus alle historisch vorhandenen Interessen indifferentistisch nivelliren." Und nun nach einem Zwischensatze:,, Parteisch aber hoffe ich nirgends gewesen zu seyn." Aber das sind nichts als, obendrein schlecht harmonirende, Worte: denn die Schilderung aller rationalen Richtungen im Christenthum, von den Unitariern der 3 ersten Jahrb. bis auf Zwingli und Kant herab, tragen den Character eines Parteigeistes, der nicht blos die Seinen zu lieben, sondern auch Andersdenkende zu hassen versteht, in einem Maafse an sich, auf welches die persönlichen Erfahrungen, die der Vf. gemacht, vielleicht nicht ohne einigen Einflufs geblieben sind.

Die Darstellungsweise des Vfs. ist in bedeutenden Partieen ganz einfach und fliefsend. Einen Beleg zu dem oben über die theilweise schwülstig überladene Darstellung Gesagten giebt aber sogleich der erste §., welchen wir, auch als Beispiel der Auffassungsweise, hersetzen wollen: „§. 1. Kirche. Nachdem das ursprüngliche lebendige Gottesbewulstseyn, von Gott selbst der menschlichen Natur eingepflanzt, durch die Sünde der Menschen war getrübt worden, und nun, statt sich allein auf den wahren Gott zu richten, Gott und Natur, Schöpfer und Welt mit einander vermischt, und so den Polytheismus und Pantheismus in seinen mannichfachen Gestaltungen und mit seinen mannichfachen Greueln hervorgebracht hatte: war nur noch Ein Volk übrig, unter dem, nach einem besondern Rathschlusse Gottes und durch wundervolle göttliche Veranstaltungen von jeher, der Glaube an den Einen wahren Gott und sein Dienst sich erhalten, welchem Gott, damit es die menschliche Sünde und Schuld tief erkenne und fühle, durch Moses, seinen Knecht, ein heiliges Gesetz gegeben, und unter welchem er durch seine Propheten, je länger, je lauter und klarer, die frobe Botschaft verkündigt hatte den Trost der gefallenen Menschheit von Anbeginn (1 Mos. 3, 15), dafs aus ihm der Erlöser hervorgehen solle, das Licht der Welt, der die Sünde und Schuld durch sein heiliges Leben und versöhnendes Leiden von der ganzen gefallenen bufsfertigen Menschheit hinwegnähme, und allen aus allerlei Volk, Juden zunächst und dann Heiden, die, im lebendigen Glauben Ihm sich anschliefsend, soin Eigenthum würden, durch seine Verherrlichung eine neue göttliche Lebenskraft zur Heiligung und Seligkeit mittheilte. Dieser Jesus Christus erschien nun auch zur bestimmten Zeit, vollbrachte durch den Tod und besiegelte durch die Auf

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erstehung sein Erlösungswerk, und segnete es nach seiner Rückkehr zum Vater durch die Ausgiefsung des heiligen Geistes, durch welche die christliche Kirche auf Erden ins Daseyn trat. Der Verein nehmlich aller aus der sündigen Welt zum Eigenthum des Herrn (xvorazór, Kirche) berufenen (¿xx2ŋoíu), durch Taufe und den gemeinsamen Glauben an den Erlöser Christus im heiligen Geiste verbundenen Menschen

bestimmt, diesen Glauben gegenseitig zu bekennen, sich darin zu stärken und zu fördern, und zur Verbreitung desselben zur Erleuchtung, Heiligung und Beseligung der Menschheit, zur immer weiteren Offenbarung des Reichs Gottes in derselben, hinzuwirken, von Anfang an im steten Kampfe nach aufsen und nach innen mit allem Un- und Widergöttlichen der Welt, einstens aber noch hienieden und viel herrlicher ewig triumphirend- das ist die christliche Kirche; ein Verein, seinem Wesen nach unsichtbar zusammengehalten und durch das unsichtbare Band des heiligen Geistes, aber, in seiner Erscheinung, auch zugleich sichtbar bestehend in einem, solchem beseelenden heiligen Geiste möglichst entsprechenden, sichtbaren heiligen Leibe.' In ähnlicher Weise wird im folgenden §. die Aufgabe der Kirchengeschichte dargestellt. Die Aufgabe derselben soll nämlich seyn, darzustellen:,, wo und wie sich die christliche Kirche im Kampfe mit dem Ungöttlichen in der Welt verbreitet, wie ihr sichtbarer Leib bei der menschlichen Gebrechlichkeit zu allen Zeiten sich zu dem unsichtbaren, sie beseelenden Geiste verhalten, und welche Form er stets angenommen, und endlich was sie zu allen Zeiten in jenem Kampfe mit dem Wahne und dem Bösen an ihren Gliedern und in der ganzen Menschheit gewirkt, wie ihre Bestimmung erfüllt habe." Andere Beispiele finden sich öfter, hesonders in den eine Uebersicht gebenden Einleitungen, z. B. S. 344 über Muhammed, und wenn der Vf. in theologischen Eifer geräth, wie unter anderen bei der oben erwähnten Schilderung des rationalistischen Zeitgeistes.

Gehen wir nun etwas näher auf den Inhalt des Buches ein, so gebührt dem Vf., wie schon bemerkt, im Allgemeinen das Lob, das gehörige Maals in der Auswahl des geschichtlichen Stoffes getroffen, denselben gut geordnet, und in dieser Hinsicht ein Handbuch geliefert zu haben, das seiner Bestimmung, ,, Theologie Studirenden, eigentlichen und Solchen, die es in der Kirchengeschichte wieder einmal seyn wollen, überhaupt, vielleicht auch demnächst jedem wissenschaftlich gebildeten Freunde der Theologie dargeboten zu werden," Genüge leistet. Der Verfasser zerlegt die Kirchengeschichte in drei Haupttheile: der erste behandelt die ältere K. G. bis zu Gregor dem Gr. in zwei Perioden, nämlich erste Periode von der Gründung der christlichen Kirche bis zum Ende ihrer Bedrückungen im römischen Reiche zur Zeit Constantins des Gr. im J. 311; zweite P. von da bis auf Gregor d. Gr. 590. Der zweite Haupttheil oder die mittlere K. G. geht bis zur Reformation, und enthält die dritte bis sechste Periode, nim

lich dritte P. von Gregor dem Gr. bis zum Tode Carls des Gr., 590-814; vierte P. von da bis auf Gregor VII- 1073; fünfte P. von Gregor VII bis Bonifacias VIII-1294, und sechste P. von da bis zur Reformation. Der dritte Haupttheil endlich, die neuere Kirchengeschichte seit der Reformation, erzählt die se Geschichte von 1517 bis zur Gegenwart in einer einzigen, der siebenten Periode; der durch das Ganze fortlaufenden §§. waren in der ersten Auflage 204, in der zweiten sind deren 224. Aufser dieser Eintheilung zeichnet sich die Durchführung noch dadurch recht vortheilhaft vor der in anderen neueren Lehr- und Handbüchern der Kirchengeschichte aus, dafs das Einzelne nicht durch eine Masse von Abschnitten und Paragraphen zerrissen, sondern in passender Reihenfolge dargestellt wird. So lassen in dem ersten Bande die Abschnitte über die Ausbreitung des Christenthums und die Kirchenverfassung wenig zu wünschen übrig; dasselbe gilt von der Geschichte des Papstthums und der katholischen Theologie und Glaubenslehre in beiden Theilen, im zweiten noch besonders, abgesehen von den dogmatischen Seitenblicken, von der Geschichte der reformirten Kirche und ihrer Parteiungen, dann der Herrnhuter (S. 1093 fg.), der Antitrinitarier, Socinianer (S. 1163 fg.), Swedenborgianer (S. 1194 fg.) u. s. w. Ueberall ist eine ausgewählte Literatur beigefügt und sind die neuesten Nachrichten benutzt, die Noten mit kurzen, aber charakterisirenden Quellenauszügen ausgestattet, und ist dadurch eine so zweck mälsige Vollständigkeit erreicht, als sie für ein Handbuch möglich ist.

Aber gleich in den ersten Zeiträumen hindert den Vf. sein altkirchlicher Dogmatismus, einen freien Blick auf die Entwickelung der christlichen Kirche zu werfen. Schon die Art und Weise, wie er Th. I. S. 28 fg. die Grundzüge des neutestamentlichen Bildes von Christo und seinem Werke entwirft, verräth seinen allzu einseitigen dogmatischen Standpunkt; und diese Schilderung enthält Züge, die mit dem Bilde, das die neutestamentlichen Schriftsteller von dem Stifter ihres und unseres Glaubens hatten und geben wollten, geradehin contrastiren. Diese stellen uns Jesum von Nazareth dar als den Christus und Sohn Gottes, der in die Welt kam, um als Mensch die Menschen nach göttlichem Rathschlusse von Sünde und Irrthum durch Lehre und Leben zu befreien, nicht aber, um in unerklärlicher Vereinigung der Gottheit und Menschheit in ihm die Schuld der Erbsünde für die verworfenen Adamskinder zu büfsen, und so die Welt zu erlösen. In der zweiten Auflage durfte schon hier die altlutherische Lehre vom Abendmahle nicht übergangen werden, und ist daher S. 33 ein Satz von den ,,die Gläubigen göttlich nährenden und allmächtig vereinenden heiligen Leibe Jesu" eingeschaltet. Es ist ja hier nicht der Ort, jene augustinisch - pietistische Auffassung des Urchristenthums zu widerlegen, aber es war nothwendig, von diesem Punkte auszugehen, indem biernach die Geschichte der Entwickelung der christlichen

Glaubenslehre und selbst der kirchlichen Verfassung in einer ganz anderen Gestalt sich darstellet. Das Christenthum, als die Religion des Geistes, gestiftet von Jesus dem Christus, anfangs mündlich, dann mündlich (durch Tradition) und durch heilige Schrift verbreitet, verlangte nie unbedingten Glauben, blieb also auch der freien Auffassung des Menschengeistes überlassen; diese freie Auffassung desselben, wie sie allein seinem Geiste angemessen, wurde aber bald, schon nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts, durch die Gewalt der Hierarchie beschränkt, obschon nicht gänzlich unterdrückt, und nunmehr hat der unbefangene Historiker, ohne Partei zu nehmen, pragmatisch nachzuweisen, wie die verschiedenartige Auffassung des Christenthums theils in der sogenannten rechtgläubigen bischöflichen, oder richtiger hierarchischen Kirche, theils von Seiten solcher, die ihre Freiheit behaupten wollten, zu den mannichfaltigen Lehransichten Veranlassung werden musste. Gehet er aber von dem dogmatischen Standpunkte aus, wie unser Vf., so wird ihm Alles als Häresis und Secte erscheinen, worin der Unbefangene nur das natürliche Bestreben sieht, die wichtigsten Aufgaben des Menschenlebens nach Anleitung des Christenthums, wie man es damals kannte, mit Hülfe dieser oder jener Philosopheme zu lösen, worin wir Tiefe und Scharfsinn noch mehr würden bewundern müssen, wenn uns vollständigere weniger entstellte Nachrichten darüber zugekommen wären. Dagegen begann frühzeitig in der hierarchischen Kirche eine bestimmte Auffassung des Christenthums als die angeblich rechtgläubige geltend und stehend zu werden, begründet auf die Inspiration der Bischöfe, vertheidigt durch die Tradition und erhalten durch Bann und Absetzung. Diese Kirche bildete, unter fortwährenden Streitigkeiten (denn der Geist konnte doch nicht gänzlich gefesselt werden), ihren dogmatischen Lehrbegriff durch, und allgemeine Concilien, unterstützt durch weltlichen Arm, vertraten, als die Organe des heiligen Geistes, die gesammte rechtgläubige Kirche. Wenn das einfache apostolische Christenthum, wie es noch in den echten Schriften der apostolischen Väter nachhallet, sich anfangs durch mündlichen Unterricht, der sich später erst näher an die apostolischen Schriften anschlofs, erhielt und verbreitete, so dürfen wir nicht glauben, dafs in dieser Periode schon eine allgemeine Kirchenlehre - an ihrer Spitze die Dogmen von dem Gottmenschen und der Erlösung von der Erbschuld-bestanden habe, wie der Vf. vorauszusetzen scheint, z. B. S. 127, wo wir lesen, die Nazarlier wären in keinem wesentlichen Punkte von der Lehre der allgemeinen Kirche abgewichen, S. 132, wo von den Gnostikern behauptet wird, die , erschienene" Gottheit (ein Ausdruck, den kein Gnostiker gebraucht haben würde von seinem dópatos 9ós, der ewig iv oy) hätten sie willig in dem Erlöser anerkannt, eine wahre Vereinigung der Gottheit und Menschheit aber sey ihnen als Unsinn erschienen, und S. 162, wo von den „rationalisirenden Monarchianern gesagt wird,, sie hätten alle mit be

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schränktem und blödem menschlichem Verstande das in der Schrift geoffenbarte und von der Kirche über lieferte göttliche Geheimnifs meistern wollen, wobei freilich mehr oder weniger diese christliche Grundlehre selbst verloren gegangen sey." Eine allgemeine Kirchenlehre konnte es anerkannt nicht eber geben, als bis sich eine äufsere allgemeine Kirche gebildet hatte, und dies geschah erst seit dem Schlusse des zweiten Jahrhunderts. Von diesem Zeitpunkte an entwickelte sich die Idee des Episcopats, als durch welchen nach göttlichem Rechte die allgemeine Kirche repräsentirt werde, und mit dieser Idee, die sich im römischen Papstthume vollendete, war die Innerlichkeit der Kirche vernichtet, Glaubens- und Gewissensfreiheit im Wesentlichen aufgehoben, und unter das Joch der Hierarchie gebeugt. Bei dem über die Monarchianer Gesagten sollte man in der That glauben, dafs ein alter Ketzerrichter, ein Epiphanius, Augustin oder Theodoret die Feder geführt habe, und dennoch lassen selbst diese dem Verstande eines Theodotus, Artemon, Sabellius und Paul von Samosata volle Gerechtigkeit widerfahren. Der Vf. scheint die Quellen weder verglichen, noch kritisch geprüft zu haben; in seiner Befangenheit hält er die auf den ersten ökumenischen Synoden von den Hierarchen ausgeprägten Dogmen von der Dreieinigkeit, den beiden Naturen in Christo u. s. w. deshalb für das in der Schrift geoffenbarte und von der Kirche überlieferte göttliche Geheimnifs, weil die Verfasser der symbolischen Bücher, die an eine pragmatische kritische Behandlung der ältesten Kirchengeschichte noch nicht denken konnten, derselben Meinung waren. Er urtheilt daher über jene angeblichen Secten der alten Kirche gerade so, wie noch heute strenge Katholiken über die Geschichte und Secte der Lutheraner. Hätte Hr. G. sich solcher Vorurtheile entschlagen und auch hier die Resultate neuer Forschungen (namentlich die nirgends angeführten von L. Lange) benutzt, er würde sich überzeugt haben, dafs jene Monarchianer eigentlich die Rechtgläubigen waren, indem sie sich allein auf die heiligen Schriften stützten, diese Schriften, soweit wir aus ihren Fragmenten urtheilen können, richtiger erklärten als ihre Gegner, und eben so die echte Ueber lieferung, die Lehren der apostolischen Väter und des Symbolum apostolicum fiir sich anführen konnten. Wenn das hierarchische Uebergewicht ihrer Gegner sie als Ketzer gebrandmarkt hat, so hat das so wenig zu bedeuten, als die Verketzerung des Lutherischen Lehrbegriffs auf der Trienter Synode. Zwar wird S. 163 Not. 83 auf Ullmann's uns wohl bekannte Abhandlung de Beryllo Bostreno_verwiesen, aber dennoch werden Beryllus sowohl, als Praxeas und

Noetus, als Patripassianer bezeichnet. Hat wohl der Vf. die gehässige Streitschrift des leidenschaftlichen Tertullian gegen den Praxeas gelesen? Er würde gefunden haben, dafs derselbe Tertullian, der aus Sectenhafs seinem Gegner den Patripassianismus andichtet, uns berichtet, Praxeas habe gelehrt, der Vater könne nicht leiden und habe nicht gelitten. Eben so wird in der oben erwähnten Note der kurze Quellenbericht des Eusebius (hist. eccl. VI, 33) über die Lehre Berylls wörtlich angeführt; wo steht in ihm ein Wort, dafs Beryll Patripassianer, dafs nach seinem Patripassianismus die Gottheit Christi die Gottheit des Vaters gewesen, welche letzte in eine menschliche Natur ausgeströmt sey? Gerade das Gegentheil erhellet aus den philologisch richtig erklärten Worten, z. B. dem εμπολιτεύεσθαι.

Was der Vf. im zweiten Abschnitte S. 89 fg. über die älteste Kirchenverfassung sagt, enthält im Allgemeinen eine sehr gut gelungene Schilderung; allein gewifs würde derselbe über die Entstehung der sogenannten allgemeinen Kirchenlehre, über das wahre Verhältnifs angeblicher Häresieen und Schismen zu dieser Kirche richtiger geurtheilt haben, wenn er die Bedeutung der Hierarchie nicht blos im Aeufseren, sondern auch in Beziehung auf die Entstehung des Dogma, erkannt hätte. Als Cyprian, jener in dieser Hinsicht so consequente hierarchische Politiker, in der Mitte des dritten Jahrhunderts seinen Grundsatz aussprach: Episcopus in ecclesia — ecclesia in episcopo -Christianus non est, qui in ecclesia non est stellte er im Wesentlichen nichts Neues auf, sondern fafste nur zusammen, was schon seit fast hundert Jahren in der Idee des Episcopats, gegründet auf das Recht der successio apostolica, erstrebt wurde. Ganz konnte das dem Vf. nicht entgehen. S. 98 sagt er, nachdem von der Entstehung der Einen katholischen Kirche die Rede gewesen: Freilich lag der Kirche die Gefahr nun nahe, das Aeufsere, das Festhalten an einer bestimmten äusseren Verfassung, auf Kosten der Gemeinschaft des Geistes im Glauben und in der Liebe, zu überschätzen, und der Grundsatz Cyprians, dafs nur, wer äufserlich (aber nicht etwa blos aufserlich) mit der Kirche zusammenhange, welche durch die Reihenfolge der Bischöfe von den Aposteln her fortgepflanzt sey, dafs nur, wer in Verbindung mit der allgemeinen Kirche sich befinde, dafs nur der mit dem Reiche Gottes in Verbindung stehe, und dafs aufserhalb der Verbindung mit der äufseren Kirche (aber nicht etwa blos äufseren) kein Weg zum Heil sey dieser Grundsatz kann jetzt, nach der Erfahrung neuerer Jahrhunderte, kaum anders als wenigstens schroff erscheinen."

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(Der Beschlufs folgt.)

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

KIRCHENGESCHICHTE.

Februar 1838.

HALLE, in d. Gebauerschen Buchh.: Handbuch der Kirchengeschichte. Von Heinr. Ernst Ferd. Guerike, Theol. Dr. u. s. w.

Das

(Beschlufs von Nr. 20.)

as Schroffe dieses Grundsatzes, so nothwendig derselbe in jener Zeit war, um das Christenthum, diese zarte Pflanze des Himmels, unter dem Schirme einer immer gewaltiger werdenden Hierarchie zu erhalten, wird uns aber jetzt, nach der Erfahrung neuerer Jahrhunderte, nicht blos in Beziehung auf Verfassung einleuchtend, sondern noch weit mehr in Beziehung auf Feststellung und Entwickelung des Lehrbegriffs der allgemeinen, d. h. durch die Einheit des Episcopats (denn, sagt Cyprian Br. 55: cum sit a Christo una ecclesia per totum mundum in multa membra divisa, item Episcopatus unus, Episcoporum multorum concordi numerositate diffusus) repräsentirten Kirche. Nunmehr erst, nachdem es eine solche allgemeine Kirche gab, kann von der Lehre der allgemeinen oder bischöflichen Kirche die Rede seyn; der evangelische Historiker darf aber, weil sich die Bildung dieser Lebre auf das Ansehen der Hierarchie gründet, so wenig dieselbe an sich für rechtgläubig, d. i. übereinstimmend mit dem Evangelium, halten, als er die Hierarchie für nicht evangelisch ansieht; er darf aus demselben Grunde keine Lehre, welche von der Hierarchie verworfen und für eine Häresis erklärt wurde, als solche unbedingt auffassen und darstellen. Vielmehr ist es nur seine Pflicht, practisch nachzuweisen, wie die verschiedenen Lehransichten entstanden, fortgebildet und unterdrückt wurden.

Zwar hat der Vf. vor der Schilderung der Häresieen und Secten in der zweiten Auflage einen ganz neuen Paragraphen (S. 40) eingeschaltet, um, wie es scheint, im Voraus für die Rechtglänbigkeit des Lehrbegriffes der sogenannten,,ganzen ,,ganzen" oder allgemeinen Kirche zu gewinnen. Es wird die Behauptung vorausgeschickt, dafs schon in dieser Periode der Lebrinhalt des Christenthums in allen seinen wesentlichen Theilen eine kirchlich feste Gestalt auf Grund der heil. Schriften A. und N. T. gewonnen habe; die neutestamentliche Lehre habe man aus dem neutestamentlichen Kanon erkannt; die Grundzüge der mündlichen apostolischen Ueberlieferung babe das apostelische Symbolum bewahrt, und so habe die Treue gegen jenen Kanon sowohl, als gegen das apostolische Symbolum, nothwendig einen kirchlichen Lehrbegriff aufstellen lassen, dem nichts Wesentliches fehl

te.

Wäre diese Behauptung völlig begründet, so würde sie allerdings ein sicheres Zeugnifs geben (S. 123) sowohl für den Umfang, als die Tüchtigkeit dessen, was als christlicher Lehrbegriff der allgemeinen Kirche schon dieser Periode entschieden gegolten habe. Allein sogern wir zugestehen, dafs sich die meisten Kirchenlehrer jener Periode an den Kanon und die durch das Symbolum apostolicum verbürgte apostolische Ueberlieferung zu halten möglichst bemühten, so unleugbar ist es auch, dafs sie nicht befähiget waren, den Inhalt der heiligen Schriften richtig zu verstehen, und dafs sie dabei von willkürlichen Annahmen, philosophischen Lehren u. s. W. sich leiten liefsen. Der Vf. mufs uns als guter Lutheraner zugeben, dafs man schon damals die ganze, auch zu dem Glauben gehörige Lehre von der Hierarchie und dem christlichen Priesterstande auf falsch verstandene Stellen des A. und N. T. gründete, und dafs man Philosopheme zur Erläuterung und Vertheidigung der Grundbegriffe des christlichen Glaubens, auch mit Rücksicht auf das apostolische Symbolum, benutzt habe, beweist unwiderlegbar die aus der eklektischen Philosophie entlehnte Lehre vom 2óyos zoopoeirós und videos. Und schon diefs λόγος προφορικός ἐνδιάθετος. mufs uns bedenklich machen gegen den Umfang und die Tüchtigkeit dessen, was man schon in dieser Periode als christlichen Lehrbegriff der allgemeinen Kirche aufstellte; es berechtigt uns, auch in den sogenannten Haeresieen, die sich so gut wie ihre Gegner auf Schrift und das apostolische Symbolum beriefen, christliche Wahrheit zu suchen,

Was nämlich diese angeblichen Häresicen betrifft, so blieb nach dem Vf. S. 123 ihre Erleuchtung, in manchen Hauptpunkten wenigstens, eine blofs menschliche, das Princip ibres Lebens, wenigstens theilweise, ein selbstisches. Sie meinten, fährt er fort, in Erkenntnifs der göttlichen Wahrheiten ihre christlichen Zeitgenossen zu überragen; die Systeme, die sie selbstgefällig aufbaueten, waren Verfälschung der christlichen Lehre, und die höheren Gemeinschaften, in denen sie von der gemeinen Kirche sich schieden, häretische Secten," Und doch pafst diese Schilderung auf keine einzige der nachfolgend dargestellten Parteien. Die judaisirenden Secten hatten, auf ihrem Standpunkte, Gründe genug, bei ihrer Ansicht zu verharren: denn wenn sie den Universalismus des Evangeliums, wie ihn später Panlus und Johannes insbesondere aufser Palästina geltend machten, nicht annahmen, so batten sie für sieh die Lehre aller Apostel in den ersten Jahren ihrer Wirksamkeit und das Beispiel der von diesen gestifteten ältesten und grofsen Gemeinde zu Jerusalem.

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