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cio's.

2. Aufschwung der Nationalliteratur am mediceischen Hof.,

Nachwir Wir haben früher (Bd. VII, S. 857 ff.) gesehen, wie während der ersten Hälfte fungen Dandes 14. Jahrhunderts die italienische Nationalliteratur unter dem fruchtbaren Segen te's, Petrar ca's, Boccac- des Dreigestirns Dante, Petrarca, Boccaccio begründet worden ist. Einen neuen Aufschwung nahm dieselbe im 16. Jahrhundert. Die Zwischenzeit bietet für eine allgemeinere Betrachtung wenig Interesse, oder es wird leßteres vielmehr verschlungen von jener, auf dieselben drei großen Geister zurückreichenden Bewegung, welche der wiedererstehenden Sprache und Cultur des klassischen Alterthums galt (Bd. IX, S. 885 ff.). Unter den drei Genannten war es weniger Dante, an welchen sich die nationale Dichtung anlehnte, als Petrarca und vor Allen Boccaccio. Dante, den legten Zeiten der Kraft angehörend, war den späteren Geschlechtern entfremdet, mehr ein Gegenstand der Bewunderung, als ein Quell productiver Anregung. Als ein Nachklang seiner Matteo Pocfie mag höchstens Matteo Palmieri's „Stadt des Lebens“ (Città di vita) genannt Palmieri, +1473 werden, deren Druck später von der Inquisition verhindert wurde. Aber auch die schöne und durchsichtige Klarheit Petrarca's fand eigentlich erst im 16. Jahrhundert Wür digung und Nachahmung. Fluthen von Sonetten sind freilich schon vorher nach seinem Beispiel allenthalben gedichtet, und ist darin die lyrische Kunst zur leeren Form und Harmonie des Sprachklanges herabgedrückt worden. Zunächst aber war es Boccaccio, der die Folgezeit beherrschte. In seiner Nachfolge fanden vor Allem die Novellen und volksthümlichen Satiren eifrige Bearbeitung und großen Anklang. Freilich hatte schon er seine Natur und die Nahrung für seine ganze Thätigkeit aus der Zeit der Schwäche und des inneren Verfalls des Vaterlandes gezogen. Dieser Verfall machte seither mit jedem Jahrhundert Fortschritte. Es waren äußere und innere Uebel, die ihn herbeiführten die durch die Hierarchie genährte Eifersucht der einzelnen Städte gegeneinander, die dadurch entzündeten niedern Leidenschaften, die angefachten Bürgerkriege, der Untergang der Republiken, die stufenweise fortschreitende politische Schwächung des Bürgerstandes, die Entstehung von Aristokratien und Despotien, welche leßtere die traurige Gattung der Hofdichter hervorriefen. Aber erst mit dem im Verlaufe des 16. Jahrhunderts auftretenden Untergang der politischen Freiheit verschwindet auch der freie schöpferische Geist, so daß Blüthezeit und Verfall hier hart neben einander stehen. Das hauptsächlichste, bis unmittelbar in das Reformationsjahrhundert hineinwirkende innere Uebel aber war die Unwahrheit und Unfittlichkeit in der Kirche, wodurch die moralische Kraft und Religion unterging und sich der Hauptzug in dem Charakter der Poesie, die Frivolität, die Ironie und der Spott, mächtig entwickelte. Geistiger und politischer Drud kam dazu, und so wurden nur diejenigen Dichtarten ganz national, welche das satirische, frivole und burleske Element in sich aufnahmen. Viel Frische und Kühnheit besaß immerhin diese dichterische Richtung, welche ihren Namen (die burleske) einem FloDomenico rentiner Barbier, Burchiello, verdankt, der eine Menge ebenso launiger wie frecher Burchiello, Sonette verfaßt hat. Von solchem Stoff nährten sich die zahlreichen Bänkelsänger, denen schon damals die Italiener mit Leidenschaft Gehör schenkten, um sich an den schmußigen Spottgedichten oder boshaften persönlichen Angriffen zu ergößen. Dagegen brachte es die neben der nationalen gepflegte gelehrte oder klassische Satire nicht weiter, als Novellisten. zur frostigen Nachahmung des Horaz oder Juvenal. Was die Novellen betrifft, als deren Meister in dieser Zwischenperiode Sacchetti und Ser Giovanni im 14., Massuccio im 15. Jahrhundert auftreten, so waren freilich die meisten nicht ursprünglich italienisch, sondern stammten aus dem Orient und waren in verschiedenen Formen über Sicilien, Spanien und Frankreich eingewandert. Aber gerade das Schlüpfrige und Leichtfertige darin begünstigte ihre Einbürgerung, und man brauchte nur Personen- und

+ 1448.

Ortsnamen zu verändern, so waren die Geschichten ganz italienisch. Nur zuweilen macht das große Hauptthema, der leichtfertige Spott über die Geistlichkeit, deren fittenloses Leben oft in sehr derben Bildern geschildert wird, sowie über eheliche und bürgerliche Verhältnisse einer ernsten Schilderung von großherzigen Thaten und Gesinnungen oder einer redlich gemeinten frommen Legende Plas.

der Komórie.

In einem seltsamen Gegensage hierzu stand die dramatische Poesie, wo sie sich Ausbildung dauernd an die Mysterien des Glaubens, an die Feierlichkeiten der Kirche anlehnte. Schon im Jahre 1264 finden wir zu Rom die Gesellschaft des Gonfalone, welche die Leidensgeschichte Christi aufführte. Andere scenische Darstellungen wurden von Pilgern und Klosterbrüdern gegeben (vangelii, istorie spirituali). Bald aber zweigte sich eine weltliche Richtung ab und tauchte die Farce als Hauptelement des italienischen Bolkstheaters auf, welches nun durch die Gestaltung der Masken ein ganz eigenthümliches Gepräge gewann. Dieselben, Sanni genannt, stellten nämlich in der Nachfolge des altrömischen Mimus gewisse stehende Charaktere dar, welche zugleich die Verschiedenheit der italienischen Volksarten in Tracht, Sprechart und komischen Manieren abbildeten und zur Ausführung jener beliebten Neckereien dienten, wie sie sich in Italien Provinz gegen Provinz, Stadt gegen Stadt erlaubte. Die älteste Maske war der Dottore, auch Gratiano genannt, von Bologna, die Personification eines pedantischen und lang= weiligen Wortmachers. Venetianischen Ursprungs dagegen war der Pantalone, eigentlich Kaufmann, von Charakter ein bis zur Einfalt gutmüthiges, aber zuweilen auch noch zu jugendlichen Streichen aufgelegtes Familienhaupt. Bei beiden spielten der Arlechino von Bergamo mit seiner Geliebten Colombina und der Scapin die Rolle der liftigen und drolligen Bedienten. Der Pulcinello war der geschmeidige, possenreißerische Schmarozer, der luftige Bruder aus Apulien, Spaviento der spanisch-neapolitanische Renommist, Gelsomino der römische Stußer, der Kuppler Brighella von Carrara der verschlagene trosige Mann aus dem Volk. Dazu treten der mailändische Querkopf Beltrame, der durch sein Stottern und Stammeln ergößende Tartaglia und zwei calabrefische Lümmel mit Namen Giangurgulo und Coriello. Diese Masken improvifirten ihre Stücke und bereiteten sich dazu höchstens durch eine Skizze des Planes vor. Die lustige phantastische Ausführung blieb der Eingebung des Augenblics überlassen. Den Gegensaß zu diesem aus dem Stegreif sich entwickelnden Volksschauspiel (commedia dell' arte) bildete das gelehrte Schauspiel (commedia erudita), wie es erst seit 1470 aufkam, als die römische Akademie der Gelehrten und Dichter unternahm, einige Lustspiele des Plautus lateinisch aufzuführen. Solche Darstellungen, später in italienische Sprache umgeseßt, wurden bald zu Festen der gebildeten Welt, und bei der oft fast kindischen Freude, die man ob der Nachahmung des Alterthums empfand, übersah man gänzlich das Leere der Handlung, überhörte man das hohle Pathos des Ausdrucks. Weil aber keine Stadt der anderen in der Manier dieser Aufführungen einen entschiedenen Vorrang abgewinnen konnte, so vermochte sich auch kein so allgemein herrschendes System der dramatischen Kunst wie in Frankreich zu gestalten, und so blieb der Gegensaß der älteren volksthümlichen Posse und des antiken Vorbildern nachstrebenden Drama's bestehen. Dieser Absonderung der nur für das vornehme Publikum arbeitenden gebildeten Dichter ist es vorzugsweise zuzuschreiben, daß die Italiener sich nic zur Höhe der echten Tragödie erheben konnten, während fie in der Komödie dem Geschmack der niedern Volksklassen huldigten.

Dagegen war es für die lyrische Poesie ein günstiger und verheißungsreicher Um- Lyrik. stand, daß sie ihre Pflege an demselben Hofe zu Florenz und vielfach auch von denselben Händen finden sollte, welche sich um das Wiederaufleben der alten Culturwelt so große Lorenzo de' Medici, Verdienste erworben hatten. Lorenzo de' Medici war zu vielseitig gebildet und zu 71492. Weber, Weltgeschichte. X.

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realistisch in seinem ganzen Wesen, als daß ihm mit steifer Nachahmung der Antike gedient gewesen wäre. Vielmehr steht er zugleich an der Spiße der neu anbrechenden klassischen Beit nationaler Dichtung. Schon oben (Bd. IX, S. 761 f.) lernten wir ihn als Vertreter einer mehr im Volk wurzelnden Dichtungsart kennen. Leichtere lyrische Waare, namentlich auch Liebesgedichte, hat er in großer Anzahl hervorgebracht. In seinen Sonetten und Canzonen, die er zur Verherrlichung der Lucrezia dei Donati und anderer Damen verfaßte, schloß er sich an Petrarca an. Hat er auch die rhythmische Harmonie und glanzvolle Sprache seines Meisters nicht erreicht, so ist er ihm doch viel näher gekommen, als das phantastische Pathos, die fast sinnlose Phraseologie, worin Antonio die bisherigen Petrarchisten sich gefallen hatten. Unter diesen sind besonders Tebaldeo Tebaldeo, aus Ferrara, nicht minder auch Serafino Aquilano aus dem Neapolitanischen

+ 1537.

1454-94.

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und Bernardo Accolti aus Arezzo zu nennen. Lorenzo aber versuchte sich auch in anderen Gattungen neben dem beliebten Sonett. So besingt sein Gedicht Ambra in Ottaven die anmuthigen Gärten, die er auf einer Insel im Ambrone angepflanzt hatte; die Nemia di Barberino preist in der naiven Sprache des toscanischen Dialekts die Schönheit eines Landmädchens; in den Altercazione dagegen, einem Lehrgedicht, vertritt er den Platonismus; die „Trinker“ (i beoni) sind eine geistreiche Satire gegen die Trunkenheit, zugleich der Form nach eine Travestie der göttlichen Comödie. Am volksthümlichsten aber sind seine Carnevalsgedichte gehalten (canti carnascialschi), Couplets voll fröhlichen Scherzes, welche die prächtigen Umzüge und andere Lustbarkeiten beglei teten, die er dem Volke gab und mit ihm theilte. Endlich hat er Rondo's, die er selbst bei den Tänzen auf öffentlichem Markte sang, und geistliche Hymnen hins terlassen. Aber der fürstliche Dichter war auch wieder Freund und Beförderer von Dichtern. Angelo Wir haben in seinem Hause bereits jenen gelehrten und geistreichen Angelo kennen ge= Poliziano, lernt (Bd. IX, S. 762, 898), der auf dem Schlosse Monte Pulciano (daher Boliziano) geboren, in lateinischen und italienischen Versen gleich hervorragte. Seine „Stanzen“ (auch Giostra) bilden den Eingang zu einem unvollendeten Rittergedichte, das den Giuliano de' Medici und seine Liebe zur schönen Simonetta feiert. Die Sprache ist bilderreich und der Bau der gereimten Achtzeilen (Ottave rime) in diesem Gedicht gilt geradezu als klassisch. Er hat zuerst gezeigt, welcher Anmuth diese Form fähig sei. Ein Gelegenheitsgedicht, wie diese zur Feier eines Turniers 1468 geschriebenen Stanzen, war auch der Orpheus (Favola d'Orfeo), innerhalb von zwei Tagen verfertigt und 1483 zu Mantua zur Feier der Rückkehr des Cardinals Gonzaga mit großem Aufwand von Decorationen und Musik aufgeführt: ein fünfactiges Drama mit Chören, der Form nach von den hergebrachten geistlichen Mysterien nicht so sehr verschieden, aber mit einem der altgriechischen Mythologie entnommenen Inhalt. Man hat darin auch schon eine Oper sehen wollen, aber nur die Chöre wurden gesungen und von Musik begleitet. Ein kurzer Dialog sezt nämlich die von einem Act zum andern vorgefallenen Ereignisse auseinander und führt so eine Ode, einen Gesang oder eine Klage herbei. Abwechselnde Sylbenmaaße, die Terza rima, die Ottave, selbst die kunstreichen Strophen der Canzone dienen zum Dialog, und die lyrischen Stücke sind fast immer durch einen Refrain gehoben. Bei dieser Gelegenheit mag, als für das italienische Theater von Bedeutung, auch noch eine 1486 in Ferrara zur Aufführung gekommene Uebersesung der Menächmen des Plautus Erwähnung finden.

Weitaus am erfolgreichsten wirkte aber unter den Dichtern am Hofe Lorenzo's Luigi Pulci. Er lenkte zuerst entschieden ein auf die Wege, welche dann die italienischen Dichter auf Akademien und an Höfen während des ganzen 16. Jahrhunderts mit unglaublicher Regsamkeit verfolgten, indem er eine den epischen Gedichten des Mittel

alters nachgebildete Nationaldichtung anstrebte. Schon seit Jahrhunderten war nämlich die französisch-bretonische Karlssage (Bd. VII, S. 446 ff.) in Italien bekannt. Verschiedene Volksbücher, wie I reali di Francia, und Gedichte (Buovo d'Antona und la Spagna an der Spiße) hatten diese Stoffe eingebürgert; eine ganze Reihe alter, volksthümlicher Romanzisten ging den eigentlichen Kunstdichtern voran. So z. B. Durante da Gualto in seiner Leandra und Francesco Cieco von Ferrara in seiner Mambriana. Aber sie alle verdunkelte ein Werk, welches die glänzende Reihe der romantischen Rittergedichte Italiens eröffnete, indem darin das Historische der Karlssage schon ganz zurücktritt hinter der Willkür der Phantasie und des Hohnes.

1431-87.

giore.

Der Florentiner Luigi Pulci verfaßte auf Verlangen der Lucrezia Tornabuona, Luigi Bulei, Lorenzo's Mutter, das Epos von den Abenteuern des von Roland bekehrten Riesen Morgante (Morgante maggiore), ganz im Geschmack und Sinn der nihilistischen, Der Mors gante Magfleptischen und frivolen Richtung des damaligen vornehmen und gebildeten Florenz. In Stanzen geschrieben, erschien es zuerst in Venedig 1481 (23, später 28 Gefänge um= faffend). Es sind die bekannten Gestalten, die Verhältnisse Karls und feiner Paladine, die Feindschaften der edeln Häuser, die Beziehungen des Kaisers zum Volk und zu seinen Vasallen, vorzüglich aber das Christenthum mit seinen Glaubenslehren und Heilsmitteln, welche für die echt italienische, ebenso empfängliche wie bewegliche Phantasie des Dichters, in deren Zauberspiegel sich der tiefste Ernst unversehens zum Mittel des derbsten Spottes umseßt, die Puppen und Decorationen abgeben müssen, mit deren Hülfe er die tollsten Karrikaturen schafft, die wunderlichsten Schauspiele aufführt. Hier hat die ältere Manier der Romanzisten, welche die fremden Sagen im Sinne der Kirchenherrlichkeit gläubig nachahmte, fast ganz dem italienischen Geschmack an Burleske und Satire Plaß machen müssen. Die Sprache der Helden, Priester und Prinzessinnen ist durchweg mit Redensarten des niedrigsten Florentiner Pöbels verseßt. Der Kaiser und seine Paladine zanken sich wie Hökerweiber des Marktes; bei den Kämpfen giebt es mehr Schimpfreden als Schläge und Todte. Lactanz, Alcuin, Turpin werden citirt, um die Wahrheit der Sage zu verspotten, und die Anrufungen der Trinität, der heiligen Jungfrau und anderer göttlichen Mächte im Anfang der Gesänge ist nur der Triumph des religionsspötterischen, durchaus gegen Kirche und Geistlichkeit gerichteten Humors, der dem Ganzen seine volle Abrundung giebt. Pulci gehörte zu den zahlreichen Personen am florentinischen Hofe, welche, während die andern für die neuplatonische Mystik schwärmten oder ihre ganze Kraft in wüthenden Zänkereien um die neuerworbenen Güter des Alterthums einseßten, nur Auge für die negative Seite am Treiben dieser Welt, das auf Dummheit oder Schlechtigkeit zurückzuführende Niedrige in derselben hatten. Religion, Staat und Familie erschienen auf diesem ironischen Standpunkte nur als eitle und leere Uebereinkunftsformen, die ihr Dasein halb der Berechnung, halb der Beschränktheit verdankten. Selbst der im Ganzen ernsthaft gehaltene biedere Charakter des Morgante ist kein Hinderniß, daß seine Reden zuweilen in's Komische, seine Thaten in's Ungeschlachte überspringen. Das Gedicht hat seines Gleichen mehr in der Zukunft als in der Vergangenheit. Es ficht aus wie eine zum Voraus unternommene Parodie der Rolande Bojardo's und Ariosto's, zuweilen erinnert es sogar an Don Quixote, ja selbst z. B. in der skandalösen Episode von Olivier und Meridiana an La Pucelle. Nur ist Alles mit fester Hand und plastischer Lebendigkeit geschildert; Pulci bleibt der originellste unter den italienischen Epikern.

3. Bojardo und Ariost.

Matteo Maria Bojardo stammte aus einem alten, fast stets in den Reihen Matteo Maria Bojarde der Anhängerschaft des Hauses Este erscheinenden Geschlechte, welchem seit 1423 al8 1434-1494.

Der verliebte

Este'sches Lehen die Grafschaft Scandiano am Fuße des Apennin verliehen worden war. Der junge Graf machte seine Studien in Ferrara, wo er namentlich eine gründliche Kenntniß beider klassischen Sprachen, außerdem auch die philosophische und juristische Doctorwürde erlangte. Hochgeehrt von den ersten Herzogen von Ferrara (vgl. Bd. IX, S. 859) vermählte er sich mit einer Tochter aus dem Hause Gonzaga. Seit 1478 bekleidete er mit geringer Unterbrechung bis zu seinem Tode die Statthalterschaft von Reggio in der Lombardei, von den Juristen seiner Zeit der übergroßen Milde und Gutmüthigkeit gezichen: z. B. er habe sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen, sei geschickter gewesen Verse zu machen, als Verbrechen zu bestrafen. Außer seinem großen Epos hat er eine beträchtliche Anzahl kleinerer Gedichte in italienischer Sprache hinterlassen, Sonette und Canzonen, in welchen er eine gewisse Antonia Capraca feiert, ferner ein fünfactiges Lustspiel Timon, dem bekannten Dialoge Lucians nachgebildet, wie er denn überhaupt einen guten Theil seiner Muße auf Uebersehung klassischer Schriftsteller, des Herodot, Xenophon, Apulejus u. a. verwendet hat,

Alle gedruckten Werke des bescheidenen Mannes find erst nach seinem Tode erschieRoland. nen, mit einziger Ausnahme der beiden ersten Bücher des „Verliebten Roland“ (Orlando innamorato), welche 1481 vollendet, 1486 in Venedig an's Licht traten; auch sie wahrscheinlich ohne des Verfassers Wissen und Willen. Nach seinem Tode erschien, von seinem Sohn Camillo besorgt, das ganze Gedicht, soweit es fertig geworden war. Das erste Buch besingt in 29 Gesängen die Ursachen von Rolands Liebe zur Fürstin Angelica, die Belagerung ihrer Stadt Albracca und die Abenteuer der vertheidigenden und angreifenden Helden, das zweite in 31 Gesängen die Unternehmung der afrikanischen Mächte gegen Karl den Großen und die Auffindung Ruggiero's, des Stammvaters des Hauses Este. Vom dritten Buche sind blos 9 Gesänge zur Vollendung gediehen; auch sie sind nur langsam (1484—94) entstanden, und schließlich wurde der Verfasser durch die, im legten Vers des Ganzen erwähnte französische Invasion gestört, der sein Tod am 21. December 1494 auf dem Fuße folgte. Verhängnißvoller Weise hat Bojardo dieses große Gedicht, darauf sein Nachruhm fast ganz bes ruhen sollte, nicht in der rein toscanischen Sprache geschrieben, wie sie durch die drei großen Florentiner schon im 14. Jahrhundert zur allgemeinen Schriftsprache Italiens erhoben worden war. Seine kleineren Gedichte beweisen zwar, daß er derselben vollständig mächtig war. Gleichwohl wimmelt der „verliebte Roland“ von veralteten und provinziellen, namentlich lombardischen Ausdrücken, so daß man vermuthet hat, das Ganze liege überhaupt nur im ersten schriftstellerischen Entwurfe vor. In Wahrheit hat sich der Dichter nur der zu seiner Zeit am Hofe zu Ferrara herrschenden Sprache bedient, daher aber auch spätere Beiten mannigfache Versuche aufzuweisen haben, das Wert sprachrichtig umzuarbeiten und dadurch lesbarer zu machen.

Wie sämmtliche italienische Romanzisten, so ist auch Bojardo von älteren Quellen abhängig. Namentlich folgt er seinen Vorgängern in der Berufung auf den fabelhaften Erzbischof Turpin, dessen angebliches Werk „über die Thaten Karls des Großen und Rolands" schon Papst Calixt II. 1122 für echt erklärt hatte. Bojardo selbst wird schwerlich an die Echtheit geglaubt haben, da er, ähnlich wie nachher Ariost, diesen Augenzeugen meist bei solchen Dingen anruft, von welchen er nichts sagt und nichts sagen kann, nicht selten ihn aber auch geradezu ironisch behandelt, wie wenn er ihn für die Geschichte Alexanders des Großen als Autorität citirt. Im Uebrigen nahm Bojardo die Erzählungen dieses Sagenkreises so wie er sie fand zur Grundlage feines Gedichtes. Es fällt ihm nicht ein, sie zu veredeln. Kaiser Karl ist auch hier wie bei allen andern Bearbeitern dieses Stoffes stets ein hochbejahrter Herr, polternd, jähzornig, seine Paladine bald schimpfend, bald, wenn er ihrer bedarf, fie umwerbend. Einmal, da

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