Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

nigen Bunde mit der Weltweisheit, frei und muthig kämpfend gegen Bibel und kirchliches Dogmensystem, mit kühner Hand die evangelische Kirche zu demjenigen Ziele hinleitend, welches ihre berühmten Repräsentanten im fleißigen Gebrauch ihrer Lehrfreiheit bereits aufgesteckt haben., Sie wird nun fortfahren, die Offenbarungs- und Inspirationslehre, das Glaubensgeheimniß der Dreieinigkeit, die übernatürliche Heilsordnung, das Versöhnungswerk Jesus, die geistliche Wiedergeburt des Menschen durch die Gnade, die Auferstehung der Todten 2c. noch eine Weile nach den Ansichten der Weltweisheit aufzuklären, und sich sodann ganz in die Arme derselben werfen müssen, um wenigstens in der Form einer reinen Moralschule fortzudauern. Was demnach aus der immer nachkommenden Anzahl ihrer Unmündigen werden soll, die ihr neues Licht nicht ertragen, ihre Riesenschritte nicht mithalten können; wo diejenigen Befriedigung finden werden, welche weniger einer gepredigten Pflichtenlehre für ihren ohnehin selbstthätigen Verstand als einer heilsamen Nahrung für ihre lebendige Phantasie und ihr gefühlvolles Herz bedürfen," (und welcher Mensch, der nicht blos über Pflichten raisonniren, sondern wirklich Pflichten erfüllen will, bedarf nicht hauptsächlich Etwas, was ihm Lust und Kraft gibt, sie zu erfüllen?)

,,wohin die Glücklichen sich wenden sollen, welche anfangen, im frommen Gemüth zu ahnen, daß es außer der Weltweisheit und Pflichtenlehre wohl noch Etwas geben müsse, durch dessen Macht Speculation und Moral in Verbindung gebracht" (oder vielmehr aus dem Innern des Gemüths entwickelt) werden können; dies Alles durchschaut nur der Geist des Universums, und er wird auch Rath_schaffen.“ Sicher wird er das, und hat es zum Theil schon gethan. Jede Verirrung muß erst ihren höchsten Grad erreicht haben; man mußte zu der Behauptung kommen, zur Religion sey ein Gott nicht erforderlich; man mußte Wunder erst auf eine Art natürlich erklären, die noch größere Wunder vorausseßt, ehe sich die Religion von den Fesseln einer hyperspe= culativen Philosophie losriß und sich einfältig an die Bibel als Gottesoffenbarung hielt.

Allerdings ist auch das Christenthum in einem gewissen Sinn perfectibel. Aber die Perfectibilitåt geht nicht im Aeußeren vor, daß wir etwa Mehr als unsere Offenbarung, oder gar eine andere håtten und gutmüthig lächelnd auf die Bibeloffenbarungen wie auf Kinderfabeln hinsehen könnten. Sie geht im Innern und bei einzelnen Menschen vor. Die echten, weitgekommenen Mystiker und Christen beweisen die hohe Perfectibilitåt des Christenthums; subjective Erkenntniß des

Christenthums und die objective Erfahrung selbst sind sehr verschieden; die Erstere ist sehr perfectibel, aber die Lehtere nicht; es verhält sich mit ihr gerade wie mit der Natur; sie bleibt, was sie ist; aber ihre Erkenntniß hat keine Grenzen, wenigstens bis jeht nicht gefunden; denn wir entdecken mit jedem Jahre noch Neues in ihr; je mehr sie der Mensch studirt, desto Mehr findet er in ihr und hat er an ihr. Der einfachste, ungebildetste Mensch kann sie nuken, sich ihrer freuen, erkennt Manches von ihrem Gang und ihrer Natur; fie gibt aber auch dem tiefsten Forscher Ges genstände zum Nachdenken; er entdeckt immer mehr Dinge, Verhältnisse, Liefen, die er nicht geahnet hatte, und auch sie behålt für ihn Geheimnisse, die er nicht durchschauen kann. Wenn Sie in Ihren Naturbeobachtungen fortfahren, so werden Sie es ficherer finden, als ich es Ihnen darlegen kann. Herzlich freue ich mich, daß Ihnen Treviranus Biologie zugeschickt worden ist. Neben allem Klaren, Entwickelten, was sie hat, zeigt sie uns doch die Mystik der sichtbaren Natur, die eine Mystik der unsichtbaren wahrscheinlich macht. Ihnen mehr darüber sagen zu können. es sich übrigens bei der Lecture des Buchs wohl seyn.

Ich hoffe Lassen Sie lehrreichen

Zwei und dreißigster Brief.

An denselben.

Sie fragen mich, ob denn die Mystiker Nichts

über das höchste Gut bestimmen, was sie dafür halten, und ob es mit dem höchsten Gut der Griechen übereinstimme, oder worin es davon verschieden sey. Sie meinen, das Idealisiren eines höchsten Guts liege so ganz in dem Bezirk der Mystik, daß es von ihren Verehrern wohl nicht übergangen werden könne. Ob es denn nicht idealischer als das griechische sey? Viele Fragen auf einmal, auf die verschieden geantwortet werden muß.

Sie wissen vielleicht aus Ihren früheren philologischen Uebungen, daß die Alten gar verschiedene Meinungen über das höchste Gut hatten. Sie wissen auch, daß in späteren Zeiten darüber gespottet wurde, wenn man nur von einem höchsten

Gute redete. „Le souverain bien n'existe pas plus, que le souverain carré, ou le souverain cramoisi," sagt Voltaire, unter dessen Feder Ales, was sich dem Religiösen nahete, Gegenstand des Spottes ward. Aristipp erklärte Lust in Bewegung, freies Ueberlassen seinen Lüsten, Epikur bleibende, ruhige, mit Besonnenheit und Mäßigung ausgeübte Lust, jede Art von Genuß umfassende Wollust, die Stoiker Weisheit und Tugend, und in Beiden den höchsten, allein des Menschen würdigen Genuß für das höchste Gut. Die Lehteren sprechen in gar erhabenen Ausdrücken von sich und ihrer Lehre. Der Weise (das ist der Stoiker) ist ihnen ein Gott, über das Schicksal und über Alles erhaben. Er kann durch Nichts beunruhigt werden, weil Weisheit und Tugend ganz und allein von ihm abhångt, und weil diese die einzigen Güter sind, die diesen Namen verdienen. Daß Aristipp und Epikur die Menschheit erniedrigen, indem der Erstere sie zu Thieren, der Andere zu besonnenen, aber ganz egoistischen, blos Genuß berechnenden Roués macht, sehen Sie leicht. Wie brauchte ich Ihnen das zu beweisen? Aber daß auch die Stoiker, trok ihrer übererhabenen Sprache, das höchste Gut nicht gefunden haben, ist leicht zu zeigen. Ich will Ihnen die Worte Boost's abschreiben, der eine treffliche kleine Schrift über das, höchste Gut geschrieben

[ocr errors]
« ZurückWeiter »