Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

doch der Mittelpunct des Christenthums das tiefste, heiligste Geheimniß und zugleich die Feder ist, die den ganzen innern Menschen auf die natürlichste Art in Bewegung feht, und allein so in Bewegung sehen kann, durch Glauben an Liebe und durch Liebe. Niemand soll sich indeß entschuldigen, daß er zu diesem mystischen Leben nicht tauge, weil sein Herz nun einmal unrein sey.,,Das Blut Jesus Christus," der Glaube an die aufopfernde Liebe Jesus reinigt; ein reines Herz wird dann geschaffen. Auch ist es keine Entschuldigung, daß ein Mensch zu sehr in Geschäfte verwickelt fey, um so in sich zu kehren, wie es das innere Leben in Christus erfordert. Ist er einmal nur auf dem rechten Wege dazu, so wird ihn der Geist mitten unter seinen Geschäften erinnern, antreiben, warnen, leiten, wenn er sein Inneres nur offen erhålt für diese Stimme. Gelehrte, wissenschaft= lich Gebildete sind freilich in der Regel weniger empfänglich für wahre Mystik, weil sie zu wenig kindlichen Sinn haben, weil es ihnen schwerer wird, der Wahrheit recht zu geben gegen sich selbst, weil sie nicht so leicht wahrhaft demüthig sind, und weil sich in ihr Wissen sehr leicht manchmal unvermerkt der Zweck, etwas in der Welt zu gelten, einmischt. Schon das ist Hinderniß, daß sie einseitig zu viel Werth auf das Wissen sehen, und

Mystik ist kein eigentliches Wissen, keine Theorie, keine Vernunftspeculation. Alles muß bei dem echten Mystiker Erfahrung seyn, Erfahrung von Glaube und Liebe. Ueberall redet die Liebe," sagt der heilige Bernard, *),,und wenn Jemand von dem, was geredet wird, Kenntniß haben will, so liebe er, sonst versteht er Nichts." Und gilt dies nicht von aller Liebe?,,Diese Weisheit," sagt Bonaventura, **) ist darin von allen andern Wissenschaften verschieden, daß man in ihr erst den Gebrauch in sich kennen muß, ehe man die Worte versteht. Die Praxis geht vor der Theorie her.". ,,Um menschliche Dinge zu lieben, muß man sie erst kennen", sagt Pascal;,, aber um göttliche Dinge kennen zu lernen, muß man sie erst lieben." Und wie wahr ist es, so sonderbar es auch lauten mag! Nur Liebe öffnet den feinen Sinn, durch den das eigentlich Göttliche in einem Wesen, in der Natur, in dem Menschen und in Gott erkannt wird. Mit welch anderem Auge sieht der Mensch die Natur und die Menschen an, wenn er liebt! Alle Romane sind ja voll von den Veränderungen des Blicks, die die Liebe schafft.

Nur das Ge

*) In der 79. Predigt über das Hohelied.

**) In der Vorrede zu seiner mystischen Theologie.

meine, Zergliederbare erkennt der Verstand. Das Höhere, Göttliche wird nur durch das Gemüth erfaßt, und es hat seine wahre Genialität, wenn der Mensch liebt. Es geht nicht an, daß man durch den Verstand empfinde, aber man kann denken durch das Herz. Alle darum, die nicht von Erfahrung ausgehen und lehren wollen, was sie nicht erfahren haben, zeigen, daß ihnen Gott eigentlich fremd ist, daß sie ihn eigentlich in seiner Göttlichkeit noch nicht erkannt haben. Nur der, der lieb hat, ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht lieb hat, kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. *) Wer dies Wort Johannes versteht, dem brauche ich Nichts weiter zu sagen. Es enthält die tieffte Mystik, die je in Worten ausgedrückt ward. Was ich indeß sagte, daß Gelehrte in der Regel weniger zu wahrer Mystik fähig seyen, leidet Ausnahmen; auch sagte ich nicht: ganz unfähig, sondern nur: weniger fähig. Daß Jesus seine Schú Ier nicht unter den jüdischen Gelehrten wählte, sondern unter der geringern Menschenclasse, das hatte seine Ursache offenbar darin, daß er in dieser mehr kindlichen Sinn fand als in der gelehrten Classe. Pries er ja darum seinen Vater, daß der Geist

*) I. Joh. 4, 7.-8.

feiner Lehre den Weisen und Klugen verborgen und nur den Unmündigen, den Kinderseelen offen= bart worden sey. *) Und doch gab es Ausnahmen zu allen Zeiten. Unter den Fischern und Zöllnern gab es auch einen pharisäisch gelehrten Paulus, und in der Folge gab es Gerson's, Hugo's, Arnold's, Fenelon's, die ihre Gelehrsamkeit brauchten zu dem heiligen Zweck.

,,Aber kann man denn mehr seyn als ein Christ?" fragte mich neulich ein Freund, der aller Mystik abhold ist und sie für blanke Schwärmerei hält. ,,Nein," antwortete ich ihm; aber es gibt Grade im Christenthum." Man kann auch nicht mehr seyn als ein Mensch; aber es gibt Eskimaur und Newton's, Antonine und Nero's, Mazarins und Bernstorfs, und Alle find Menschen. Freilich gibt es redliche Christen, die keinen Sinn für Mystik haben. Ueberhaupt scheinen Anfänger im Christenthume noch nicht dazu zu taugen; aber doch ist der Keim dazu in ihnen, wenn sie nicht wie Thomas vom Schauen zum Glauben, sondern vom Glauben zum Schauen übergehen wollen. Doch, über den Glauben nächstens Mehr!

*) Matth. 11, 25.

Sieben und zwanzigster Brief.

An denselben.

Eigentlich hätte ich Sie schon in meinem vorigen Briefe erinnern sollen, ihn gemeinschaftlich mit Ihrer trefflichen Gattin zu lesen, weil solche Weiber Manches durch ihr Herz verstehen, was uns troß allem Verstande nicht gewiß werden kann, weil es dem Verstande nicht klar ist. - Wie? gåbe es für den feinsten Blumenduft eine Beschreibung, eine Zergliederung, ein Wort? Er kann nur eingesaugt, genossen, aber nicht beschrieben werden. — Indeß gehören Sie nicht zu den Männern, die blos Verstand sind; sonst hätte ich keinen Brief über Mystik an Sie gerichtet. Aber Ihre Gattin kann doch vielleicht manche Taste in Ihnen berühren, die ohne

[ocr errors]
« ZurückWeiter »