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nåhere, daß man nur durch Liebe mit Jemand zusammenfließen könne. Sehnsucht nach Gottesvereinigung, die schon näher bringt, indem sie inniger wird, Gefühl der langsamen Annäherung an die Gottheit, Hören seiner Stimme im Innern, innere, von dem Menschen unabhängige, dem Menschen allein unmögliche Belebung seines Wesens ist eine Gottesgabe, die Niemand kennt, als der sie empfångt. Sie ist gleich dem Winde und dem Geiste, dessen Daseyn man blos durch seine Wirkungen erkennt, dessen Sausen man hört, aber nicht weiß, woher er kommt, und wohin er fährt. *) ,,Beobachtung des Stufengangs dieses innern Lebens in und durch Liebe zu Gott und dem. Herrn, Glaube an seine Liebe und Gefühl dieser Liebe ist Mystik. Darstellung dieses Stufengangs, so weit er sich darstellen låßt, meist in Bildern, weil man das Geistigste nicht anders darstellen kann, ist mystische Theologie und heißt mit Recht mystisch, (geheimnißvoll) weil man sie Niemand erklären kann, der nicht wenigstens Etwas von diesem Stu= fengange in sich selbst beobachtet hat. Ist dies ja auch der Fall bei dem Höchsten und Tiefsten in der Schöpfung und in dem Menschenherzen! Wie

*) Joh. 3, 8.

wollte man so etwas Andern begreiflich machen, was selbst der, der es erfährt, nur erzählen aber nicht begreifen kann? Wie wollte man es Menschen begreiflich machen, die nie Etwas von der Sehnsucht nach Gottesvereinigung in sich empfanden, nie angezogen wurden von dem Göttlichen in der Natur und in dem Menschenherzen? Eher würden Sie dem Blindgebornen die Herrlichkeit ei= nes Sonnenaufgangs auf der See, eher dem Huronen die Schönheiten Homers oder Ossians be= greiflich machen, als dem trockenen Dogmatiker das innere Leben eines Gott fuchenden Gemüths, das er für nichts Anders als für baare, blanke Schwärmerei halten muß, und auch dafür erklären wird, wenn er nicht den großen Ausspruch Shakspears ehrt: " Es gibt im Himmel und auf Erden gar viele Dinge, von denen unsere Philosophie nichts weiß."

Das tiefe Gefühl des Abfalls von Gott wird am auffallendsten entwickelt durch die Erfahrung von dem ungöttlichen Wesen und von dem trockenen, todten und tödtenden Speculatismus, Philosophismus, Theologismus rings um uns her, bei welchem der Mensch doch oft fühlt, daß er noch etwas Fleisch habe von solchem Fleisch. Gerade in solcher Zeit müssen Mystiker auftreten, Licht und

Salz ihrer Generation seyn, damit nicht Alles in Finsterniß versinke und in Fäulniß gerathe. So bereitet also das Verderben die Arzenei dagegen durch sich selbst, wie die Fülle schädlicher Dünste das Gewitter entwickelt, wodurch die Luft gereinigt wird. Gleicher Proceß in der physischen und sittlichen Welt!

Fünfter Brief.

A n denselben.

Ich habe Ihnen bisher blos im Allgemeinen meine Ansicht über Entstehung der wahren Mystik mitge= theilt, um Sie vorerst auf den rechten Gesichtspunct zu stellen, von dem sie betrachtet werden muß, wenn man sie nicht verkennen will, was so häufig geschieht. Darum habe ich aber diese Mystik nicht geseht; nicht etwa eine Theorie gegeben, wie sie wohl entstanden seyn könnte, sondern ich habe das, was ich sagte, aus der Geschichte von dem innern Zustande der christlichen Kirche abstrahirt. Dies will ich Ihnen jest aus der Geschichte nachweisen.

Sie wissen, in welchem traurigen Zustande die jüdische Kirche war um die Zeit, als Jesus auf der Erde erschien, dies „Einzelwesen auf der Erde,” wie Jean Paul sagt, das blos mit sittlicher

Almacht frembe Seiten bezwang und eine eigene Ewigkeit gründete, das sanft - blühend und folgsam wie eine Sonnenblume brennend und ziehend, wie eine Sonne selber, dennoch mit seiner milden Ge= stalt sich und Völker und Jahrhunderte nach der All- und Ursonne bewegte und richtete; der stille Geist, den wir Jesus Christus nennen." Getheilt, hingegeben in die Gewalt unter die Leitung oder vielmehr Verleitung blinder Führer, die dem armen nach Licht und Kraft dürstenden Volke schwere unerträgliche Bürden banden und sie den Menschen auf den Hals legten, sie selbst aber nicht mit einem Finger berührten *), oder verstoßen unter die hohlen, selbstischen Sadducåer, denen jeder Arme, Leidende ein verruchter Mensch war, den man verschmachten Lassen mußte, um nicht zu handeln gegen Gottes Sinn. Sie wissen, wie tief versunken das Heidenthum war, das uns Paulus in einem gråßlichen, feurigen Gemålde darstellt *), was auch die Schriftsteller jener Zeit nur zu sehr bestätigen. Jest trat der größte Mystiker auf, den die Erde je trug. Er war's, weil er mehr wie Einer auch als Mensch nach der innigsten Gemeinschaft mit der

*) Matth. 23, 4.

**) Rdm. 1.

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