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Ein und zwanzigster Brief.

2 n denselben.

Erlauben Sie mir, daß ich Sie heute mit einer Mystikerin bekannt mache, die der treffliche Fene Ion, so lange er sie kannte, seiner Freundschaft gewürdigt hat, und die ihrer auch würdig war. Sie können aus ihr den Geist der wahren Mystik sehen, besser als ich ihn darstellen könnte. Zugleich haben Sie den Vortheil, daß Sie mit eigenen Augen sehen, mit eigenem Kopfe prüfen kön nen. Ein Stück aus ihrer Lebensgeschichte kann Ihnen zugleich zeigen, wie sich ihr Sinn und Glaube in Thaten gezeigt hat.

Jeanne Marie Bouviére, vermählte de la Motte Guyon, war sehr reich geboren, sehr jung verheirathet und im acht und zwanzigsten Jahre Wittwe. Sie zeichnete sich nun vor andern Damen ihres Standes durch ihre Eingezogenheit, ihre

Religiosität und ihre Talente aus. Nach einigen kleinen Reisen, die sie gemacht, und einem kurzen Aufenthalte in Genf kam sie nach Paris und brachte dort durch ihre Beredtsamkeit und ihr Beispiel mehrere Damen und Herren vom ersten Range dahin, daß sie den Bållen und öffentlichen Lustbarkeiten entsagten und mehr ihren häuslichen Pflichten lebten. Den Geschmack an Puk und die Liebe zu Schauspielen verwechselten sie mit Frommigkeit und ernstem Nachdenken über ihre Pflich

In einer so verdorbenen Stadt mußte eine folche Einwirkung auf Andere natürlich Haß und Verfolgung wirken. Man schrie über Fanatismus, wie immer, erklärte fie für eine Keherin (Moliniftin), wie immer, und der Erzbischof von Paris ließ sie in ein Kloster sperren, wie es mehrmals geschehen ist. Fenelon sah indeß ihr Wirken und Leben anders an, machte Bekanntschaft mit ihr, wurde ihr Freund, was zu Beider geistigem Vortheil gereichte, wie die großentheils herrlichen Briefe zeigen, die er mit ihr wechselte. Als die Guyon hörte, daß ihre Briefe und Schriften Aergerniß gaben, so übergab sie alle einem sehr_frommen Prälaten, der sie las und bezeugte, daß er darin eine Salbung und ein Licht finde, das er überall vergebens gesucht habe, daß er sich unter dem Lesen derselben in der Gegenwart Gottes ge=

fühlt habe. Er hatte eine weitläufige Unterredung mit ihr und versicherte nachher den Herzog von Chevreuse, daß sie den wahren Glauben nicht ver lehe, und er bereit sey, ihr ein Zeugniß von ech: tem Katholicismus zu geben. Jeht ging die Guyon wieder in ihr Kloster und betete täglich zu Gott, daß er doch dies Ungewitter stillen möge, das nur Aergerniß und Unordnung veranlasse. Aber die Verfolgung hörte darum nicht auf. (Freiz lich hatte sie auch sehr viel Uebles gestiftet, da durch ihre Einwirkung so manche große Familien mehr in ihren Häusern und weniger auf Bållen lebten!) Man suchte insonderheit die Freundschaft zwischen Fenelon und Bossuet zu zerreißen. „Man fuchte," wie der Verfasser der Lebensgeschichte Fenelons sagte,,,zwei Menschen zu trennen, die das zu gemacht waren, sich einander aufzuklären, zu unterrichten, sich zu lieben und zu ehren." Maz dame Guyon, empört über die Ungerechtigkeiten, die man gegen ihre Freunde, besonders gegen Fe= nelon beging, verließ ihre Einsamkeit und bat um eine Commission zur Untersuchung ihrer Behauptungen und ihres ganzen Lebens. Zugleich erbot sie sich, in ein Gefängniß zu gehen, um dort die Strafe abzuwarten, die man ihr auflegen würde, wenn man sie schuldig finden könnte. Sie schrieb an die bekannte Frau von Maintenon und

bat sie den König um diese

Gerechtigkeit zu bitten. Der Bischof von Chartres sollte die Commission leiten. Aber der Herr Beichtvater lehnte den Auftrag ab. Nun wurde der Cardinal von Noailles, Bossuet, Fenelon und Tronchon, Superior des Seminars von Saint Sulpice beauftragt, die Schriften der Madame Guyon zu untersuchen. Das Resultat der Untersuchung war, daß die in ihren Schriften enthaltene Lehre den åltesten Traditionen gemäß sey, daß, wenn man auch manche Ausdrücke nicht ganz nach dem Buchstaben nehs men müsse, doch immer die Hauptwahrheit bleibe, ,,daß man Gott lieben müsse als wohlthätig, aber noch mehr, als höchst vollkommen, daß man ihn lieben müsse um sein selbst willen, und Alles um feinetwillen, und unser Wesen als sein Bild; daß wir uns wohlwollen sollen, weil wir Gott ange= hören, also veredlen unsere Hoffnung durch die Liebe und uns sehnen nach ewiger Glückseligkeit als einem Zustand, der erhöhet, reinigt und vollendet unsere Liebe." - Wirklich, eine gefährliche, verführerische Schwärmerin! Nicht wahr, sie hätte wohl auch uns zu solchen Schwärmereien verführen können? - Indeß siegte doch die Hofcabale und die Hofheuchlerin Frau von Maintenon. Drei Bischöfe gaben Hirtenbriefe gegen den Quietismus heraus und verdammten darin die Schriften

der Madame Guyon. Diese hatte sich in ein Kloster, in der Nähe des Bischofs von Meaur zurückgezogen, um dort alle seine Fragen zu beantworten und ihr Endurtheil zu erwarten. Er muthete ihr zu, die Irrthümer zu widerrufen, deren man sie in dem Hirtenbriefe beschuldigt hatte. Natürlich weigerte sie sich, weil ihr kein Gedanke an diese Irrthümer gekommen war. Ich kann mich geirrt haben in der Wahl meiner Ausdrücke," fagte fie,,,aber, ohne mein Gewissen zu verlegen, kann ich mich nicht zu den abscheulichen Irrthümern bekennen, die Sie mir vorwerfen. Bossuet konnte der Wahrheit nicht widerstehen. Außerdem drangen die Nonnen des Klosters, in dem sich die Guyon aufhielt, so stark in ihn, erhoben die Frömmigkeit der Frau so sehr, daß er in einem ihr gegebenen Zeugniß erklärte, er sey zufrieden mit ihrer Aufführung, er verweigere ihr auch in Zukunft die Sacramente nicht, er finde sie durchaus nicht verwickelt in die abscheulichen Lehren des Molinus oder anderer Irrlehrer, auch habe er sie nicht ge= meint in seinem Hirtenbrief, da er von diesen Abscheulichkeiten geredet habe. Frau von Mainte non indeß fürchtend, die Guyon möchte durch ihre stille Frömmigkeit mehr Aufschen machen als fie mit ihrer prunkenden Frömmelei, suchte Bossuet zur Zurücknahme seines Zeugnisses zu bewegen:

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