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Neunzehnter Brief.

2n denselben.

Sie haben noch einige Vorwürfe auf dem Herz zen, sagen Sie mir, die man den Mystikern macht, und einige Einwendungen, die Sie gelesen oder gehört haben. Sie wollen sie mir offen mittheilen.

Ich frage nicht, wo Sie Etwas davon gelesen haben, oder wer die Vorwürfe in Ihr Herz gepflanzt hat. Ich habe es nicht mit den Personen, sondern nur mit den Sachen zu thun.

Man wirft den Mystikern vor, daß sie allen eigenen, freien Willen, alle Selbstthätigkeit verwerfen, davor warnen, kurz, daß sie sich blos als Maschinen Gottes betrachten. Mein Lieber! Aber wenn man das sagt, so hat man die Schriften der Mystiker nicht gelesen oder nicht verstanden. Ich will Ihnen nur einige Stellen anführen,

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die Ihnen gerade das Gegentheil sagen. Sie bestehen darauf, daß man Jesu nachfolgen müsse. ,,Es möchte Jemand sagen," sagt Rußbroch,,,sollen wir nicht dem Herrn Christo folgen, da er die allerhöchste Lebensart erwiesen hat? Ja freilich; denn er hat uns ein Erempel hinterlassen, daß wir seinen Fußstapfen folgen. Und je ähnlicher wir ihm sind, je heiliger sind wir." (Und Jesus war doch wohl nicht unthätig?),,Gott fordert Gehorsam von uns nach seinem Evangelio, und wenn wir darin treu sind, so will Gott auch das Ge= deihen dazu geben. Brauche du nur die Gnade, die in dir ist, und hüte dich vor dem, was den Bau hindern kann. Darum ackere und pflüge nicht allein, sondern rotte auch die Dornen aus. Wirst du aber låssig seyn, so wird dein Acker verwildern zc.",,Wenn wir tråge sind, so sind wir selbst schuld an unserer Verwüstung;" so ermahnt ein alter, berühmter Mystiker, (Ephrem der Syrer.),,An Räubern des Himmelreichs hat Gott seine Lust, wenn es der Gläubige den Ungläubigen gleichsam vor dem Munde wegnimmt", sagt ein Dritter, (Hilarius). ,,Gleichwie Paulus lief, daß er es ergriff, nicht mit langsamen Schritten oder müßigem Lauf, sondern daß er Gewalt anlegte und recht eilte." — ,,Die Liebe kann nicht müßig seyn," sagt noch ein.

Anderer, (Rußbroch),,,sondern des Herrn Geist bewegt durch und durch das Herz“ u. s. w. `,,Die neue Creatur," bezeugt ein alter Mystiker, (Profper),,,hat durch Enade die Eigenschaft, daß die, welche Gottes Geschöpfe durch die himmlische Geburt in Christo geschaffen sind, nicht faul und müßig bleiben, sondern in der Kraft wachsen, auf dem Wege guter Werke wandeln. Sintemal eben dieses geschaffen werden heißt, daß man aus der alten Creatur eine neue werde," u. f. w. ,,Wenn wir aus dem himmlischen Vater wollen geboren seyn," sagt der treffliche Makorius, „so müssen wir etwas Besseres thun als die übrigen Menschen; nåmlich mit allem Fleiß, Mühe, Eifer, Liebe und gutem Wandel in Glauben und Furcht leben. Und wenn der Herr also diesen guten Vorsah und die Geduld merket, so erzeigt er seine Erbarmung und reinigt uns mit seinem himmlischen Wort, erwecket und machet lebendig die erstorbenen und verweseten Gemüther durch den guten Wandel und Lehre der Apostel." So könnte ich Ihnen noch unzählige Stellen anführen. Noch mehr beweiset gegen den Vorwurf das Leben der bekanntesten Mystiker selbst, was nicht bei allen Antimystikern der Fall seyn möchte. Was haben Mystiker gethan, geduldet, aufgeopfert! Denken Sie nur an Bonaventura, dér schon im 35, Jahre

General der Minoriten, und an Gerson, der schon im 40. Jahre Kanzler der Universität Paris, Rathgeber in allen verwickelten Lagen seines Vaterlandes, dabei so wenig Fanatiker war, daß er eine besondere Schrift verfaßte, wie man wahre Erscheinungen von falschen unterscheiden könne, eine andere, über Prüfung der Geister, gegen den Aberglauben, und gegen das kopfhångerische Wesen einen Tractat. Dabei war er aber doch ein großer Kenner des innern Menschen, wie seine Schriften, sein Gespräch zwischen den fünf Sinnen und dem Gewissen, sein Alphabet der göttlichen Liebe und sein Hochzeitlied auf die Vermählung eines Theologi mit der Theologia zeigen. Was haben Fenelon, die Guyon, Arnold, Arndt, Bonaventura geschrieben! Was hat Fenelon und Arndt ge= wirkt! Daß sie Alles der Gnade zuschrieben, war dies nicht das sicherste Verwahrungsmittel, ihr Gutes nicht durch Stolz, durch Einbildung auf sich selbst zu vergiften? Mußte es sie nicht in der Demuth erhalten, dieser Tugend, ohne die es keine Tugend und überhaupt nichts Gutes gibt? Und hatten sie nicht recht? Sind Naturanlagen, ist Erziehung, Umgang mit guten Menschen, Gelegenheit Gutes zu sehen, davon ergriffen zu werden, es auszuüben, nicht auch Gnade? Alle Natur ist Gnade, alle Gnade ist Natur;

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Natur ist

nur frühere Gnade, Gnade spätere Natur," sagt ein frommer Mann mit Recht. Sie thaten darum nicht weniger Gutes, dienten darum nicht weniger cifrig ihren Brüdern, duldeten nicht weniger ge= duldig die Leiden, die ihnen aufgelegt wurden, die Verfolgung, die sie erfahren mußten. Diese stille Willenlosigkeit, um zu empfangen, dies innere Hören und nichts als Hören, An- und Aus hören, diese Passivität, von der in ihren Schriften so oft geredet wird, scheint doch allerdings vorerst nöthig zu seyn, um zu der rechten Activität zu kommen. Jesus selbst wartete dreißig Jahre in innerer Passivität, bis er einen Wink bekam, außer sich zu wirken, ohnerachtet der großen Kräfte, die er in sich fühlte, und des hohen Berufs, den er kannte. Man muß sich dem Eindrucke einer großen Natur, der Einwirkung eines erhabenen Menschen oder Gegenstandes anfangs kindlich und ohne eigene Ein- oder Zwischenwirkung überlassen, wenn man die volle Kraft der Einwirkung empfinden will. So muß man sich auch der höhern Einwirkung willenlos hingeben, wenn man zu einer Thåtigkeit, Aufopferung, Selbstverleugnung fähig werden soll, wie sie das Christenthum fordert. Chriftus und das Christenthum fordert nicht erst und gibt hernach; es gibt erst und fordert hernach. ,Geliebt wardst du zuerst, damit du würdig wür

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