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Zur Geschichte

des

Reformations-Beitalters.

Umrisse und Ausführungen

von

Dr. Georg Weber.

Leipzig.

Verlag von Wilhelm Engelmann.

1874.

Das Uebersetzungsrecht behalten sich Verfasser und Verleger vor.

FEB 25 1930

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Vorrede.

Als ls ich bei der Ausarbeitung des zehnten und elften Bandes meiner „Allgemeinen Weltgeschichte für die gebildeten Stände“ meine Collectaneen durchmusterte, die ich vor Jahren über die Reformationszeit angelegt, kamen mir einige Auffäge in die Hand, welche ich während der Studien zu meiner „Geschichte der Reformation in Großbritannien" Leipzig 1845 und 1853 als Vorarbeiten zu diesem Werke in verschiedenen periodischen Schriften veröffentlicht hatte. Obwohl seitdem drei Jahrzehnte dahingegangen sind, fand ich doch, daß sie geeignet seien auch noch heut zu Tage, und vielleicht in höherem Grade als damals, einiges Interesse zu erregen, zumal da sie, aus der Fülle des einheimischen Quellenmaterials und persönlicher unmittelbaren Eindrücke herausgewachsen, den Charakter einer gewissen Ursprünglichkeit an sich tragen. Sie handeln von Charakteren und Zeitideen, die niemals veralten, die, wenn auch verändert in äußerer Gestalt und Erscheinung immer wieder lebendig in die Menschenwelt, in die Welt der Gegenfäße, des Ringens und Haders von Neuem einkehren. Das Reformationszeitalter theilt mit dem Alterthume die Eigenschaft und den Vorzug, daß sie auch den späteren Geschlechtern stets jugendlich und interessant erscheinen; denn wie dort die Geseße der Kunst erschaffen wurden und das Reich erschlossen, wo die schönen Formen wohnen"; so suchte man vor drei Jahrhunderten das Problem zu lösen, auf welchem Wege die

Menschheit zu der Welt der Wahrheit und der himmlischen Seligkeit gelangen möge. In beiden Zeitaltern war das Trachten und Streben vorzugsweise den idealen Gütern zugekehrt, und diese bleiben immer gleich neu und nur in so weit näher oder ferner gerückt, als das irdische Streben mehr diesen ewigen Ideen oder mehr der Zeitlichkeit zugewendet ist. Alle die hohen Fragen, welche heute unser Leben durchdringen und bewegen, die Gemüther erregen und spalten, finden im Reformationsjahrhundert ihren Widerschein, ihre verwandten Anklänge.

Wenn die älteren Auffäße, welche wir in der zweiten Abtheilung zum Wiederabdruck bringen, in fremdländischem Boden wurzeln, obschon von gleichartiger Natur und Beschaffenheit; so führt die erste Abtheilung uns in die heimische Vergangenheit, zu bekannteren Gestalten, in die große ereignißvolle Periode unserer eigenen vaterländischen Geschichte. Nach Beendigung des zehnten Bandes der „Allgemeinen Weltgeschichte“ erwachte in mir der Wunsch, einzelne Parthien, die dort nach dem Charakter des Buches zerstreut und mit Unterbrechungen, theilweise auch nur in Umrissen dargestellt werden konnten, in einem andern Zusammenhang, von andern Seiten, in größerer Ausführung zu behandeln. Für denselben Leserkreis, die gebildeten Stände, wie das größere Werk bestimmt, wurden auch hier mehr der allgemeine geschichtliche Gang und die Ergebnisse und Errungenschaften der Arbeiten und Anstrengungen ins Auge gefaßt, als das Detail des geschichtlichen Lebens. Es sollte klar gemacht werden, wie viele gährende Elemente, wie viele Kräfte der Action und des Widerstreites in Wirksamkeit gesezt wurden und überwunden oder ausgeglichen werden mußten, che für die deutsche Nation eine Lebensgemeinschaft gefunden, die Grundlagen des modernen Culturstaats gelegt werden konnten. Zwar haben auch in der Folge noch dieselben Elemente und Kräfte fortgewirkt, und noch oft genug ist der Versuch gemacht worden, das mühsam und schwer Errungene wieder umzustürzen, durch schonungslose Reactionen zu den alten Formen, Institutionen und Vorstellungskreisen zurückzukehren,

aber schließlich scheiterten doch alle retrograden Bemühungen, alle die dunkeln Gewalten des Rückschritts an den Realitäten des Lebens, an der siegenden Macht der Vernunft und des Lichts, an der Nothwendigkeit der Verständigung und Verträglichkeit auf dem gemeinsamen Boden gegenseitiger Rechte und Pflichten. In dem geschichtlichen Zeitraum, den die folgenden Blätter in den wichtigsten Momenten vorführen, ist unter Kämpfen und Wehen der Rechtsstaat geboren worden, dessen Ausbau seitdem das Ziel alles Ringens und Mühens der europäischen Menschheit geworden ist; und wenn auch jedes Geschlecht das Erbtheil der Väter immer wieder von Neuem erringen muß: die Arena, auf welcher die geistigen Kämpfe ausgefochten werden müssen, ist in der Reformationszeit abgesteckt worden, ein anderes Schlachtfeld kann nicht mehr gewählt werden. Es ist oft gezweifelt worden, ob die Geschichte der Vergangenheit den Nachgebornen zur Lehrmeisterin dienen könne, da jedes Zeitalter seine eigene Aufgabe zu lösen habe, im Reiche des Geistigen und Idealen kein Erbrecht bestehe; allein so wahr es bleibt, daß jede Generation nur das als ihr Eigenthum betrachten darf, was sie mit eigener Arbeit und Anstrengung erworben hat, so wenig sinkt der gewonnene Schah wieder in unsichtbare Tiefen hinab. Er muß nur immer wieder von Neuem gehöben, vermehrt, durch Läuterung werthvoller gemacht werden.

Die geschichtlichen Erscheinungen, welche die folgenden Blätter in Umrissen und Ausführungen darbieten, stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit einander; nicht allein, daß sie in zwei Hauptgruppen zerfallen; die Arbeiten über die englische und schottische Reformationszeit umfassen einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren; aber eben so wenig dürfen sie als einzelne lose Bausteine betrachtet werden, die erst durch die Hand eines Künstlers zusammengefügt werden müßten. Sie sind vielmehr anzusehen wie die farbigen Steine eines Mosaik, wovon jedes Theilchen ein Ganzes für sich bildet, wenn gleich der Hauptwerth aller Glieder erst in der Gesammtform hervortritt. Alle dienen einem und demselben Zweck:

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