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Burgen und Edelsitzen eine zahlreiche Ritterschaft, theils unmittelbar unter kaiserlicher Reichshoheit, theils als Vasallen weltlicher und geistlicher Landesfürsten, welche sich nur mit Widerstreben an ein friedfertiges Leben gewöhnte und stets bereit war, die Schranken gesetzlicher Ordnung mit den Waffen zu durchbrechen, die Selbsthülfe an die Stelle des Staatsschußes zu stellen. In früheren Jahrhunderten, da es noch wenige Städte gab, trug das ritterliche Burgenleben einen gehobeneren Charakter an sich, wurden noch ideale Güter gepflegt, herrschte noch mitunter auf den grundherrlichen Schlössern eine feinere Geselligkeit, eine edlere Unterhaltung und Beschäftigung; seitdem aber die Reichs- und größeren Landstädte eine höhere Bedeutung gewonnen hatten, durch Handel und Gewerbthätigkeit zu Wohlstand und Reichthum gelangt waren, zog sich das geistige Leben mehr in die bürgerlichen Kreise, wurden die städtischen Gemeinwesen die Size der Kunst, der Wissenschaft, edlerer Genüsse und Gesellschaftsformen. Gar manche vom Adel schlugen ihre Wohnsize in den Städten auf, erwarben das Bürgerrecht und nahmen in den Reihen der „Patriziergeschlechter“ Theil an dem Regimente und an den Ehrenämtern. Andere traten in fürstliche Hofdienste. Aber die Mehrzahl sette das ungebundene Burgleben fort, das jedoch außer der Freiheit wenig Reize darbot. Ohne allen Zwang und Selbstbeherrschung sich den rauhen Sitten und Gewohnheiten der Vorfahren hingebend, verbrachten die Herren der Ritterschaft ihr Leben mit Waffen- und Streithändeln, mit Jagden und Gelagen, mit Reiten, Fechten und Schüßenfesten und wurden dadurch den Interessen der Zeit, den Fragen des öffentlichen Lebens, den Fortschritten der Cultur und geistigen Thätigkeit mehr und mehr entrückt. Während die Güter und Schäße des Auslandes in die Städte einwanderten, bürgerliche Wohnhäuser gleich Palästen aufgeführt und mit Gegenständen der Kunst und des Luxus geschmückt wurden, während das gesellige Dasein sich immer eleganter und genußreicher gestaltete; verflossen auf den Burgen und abgelegenen Waldschlössern die Tage in langweiliger Einförmigkeit und nicht selten unter dem Druck der Dürftigkeit. Wohl gab es Gelegenheiten genug zu ehren

vollem Waffendienst: an der Ostgrenze des Reichs tobte der Türk in grausamer Wuth und drohte der Christenheit Tod und Verderben; nicht blos in Siebenbürgen, in Ungarn, in den Ländern der unteren Donau hatte er mit dem Schwerte seine Herrschaft begründet, bis in die österreichischen Alpenländer streiften die raschen Janitscharen und bald nach Maximilians Hingang erblickte man den Halbmond unter den Mauern von Wien. Auch in der apenninischen Halbinsel war ein reiches Feld für tapfere Kriegsmänner. Nun soll nicht gesagt werden, daß nicht die deutschen Burgherren und Burgmannen diese Gelegenheiten zu kühnen Waffenthaten im ehrlichen Kampfe rechtschaffen benutt hätten; wie oft ertönte in den ungarischen Blachfeldern die Luft von deutschem Geschüß, von Rossegestampf und Schwerterklang; und die zahlreichen Schlachten in der lombardischen Ebene wurden großentheils von deutschen Landsknechten unter adeligen Feldhauptleuten entschieden; auch in Frankreichs Heerschaaren erblickte man häufig deutsche Fähnlein und Bannerherren. Denn das Nationalitätsgefühl war damals noch wenig entwickelt; ja es traf sich nicht selten, daß deutsche Landsleute in verschiedenen Heerlagern einander feindselig gegenüberstanden und blutig für eine fremde Sache stritten. Deutsche Landsknechte und schweizerische Hellebardiere waren in damaligen Kriegen unentbehrlich; die Werbetrommel übte auf die Alpensöhne und auf die kampslustige deutsche Jugend einen unwiderstehlichen Reiz. Unter den Eidgenossen war die Söldnerei, das „Reislaufen" in fremde Kriegsdienste ein einträgliches Gewerbe und gar mancher Stammherr, Dorfmagnat und Geschlechtshaupt empfing Jahrgelder, damit er den Werbungen Vorschub leiste. Bezog doch selbst Zwingli, der als Feldprediger die Soldknechte aus Glarus mehrmals über die Alpen begleitete, viele Jahre lang von dem Papst solche Jahrgelder, selbst als er schon im Großmünster zu Zürich als Reformator aufgetreten war. So fest und systematisch wie in der Schweiz war in Deutschland das Söldnerwesen nicht organisirt; doch fehlte es auch hier nicht an Gliedern des hohen und niedern Adels und der Ritterschaft, welche gegen namhafte Summen bald diesem, bald jenem Potentaten Mannschaften zuführten und be

fehligten namentlich standen viele Grafen und Reichsritter des südlichen und westlichen Deutschland in nahen Beziehungen zu dem französischen Hof; war doch selbst Franz von Sickingen mehrmals FeldHauptmann in Frankreichs Heeren.

Wie viele Herren vom deutschen Adel indessen auch im Feld und Kriegslager einen Theil ihrer Zeit verbringen mochten, gar manche zogen es vor, auf ihren Burgen die Tage zu „verliegen“ und in weniger mühevollen und beschwerdereichen Beschäftigungen ihr Leben zu verbringen; und selbst manche Kriegshauptleute lagen zur Zeit des Friedens müßig zu Hause oder trieben sich ziellos und zwecklos in der Nähe umher, denn die Feldzüge, zu denen sie sich verpflichtet hatten, pflegten damals nur von kurzer Dauer zu sein. So gab es denn in den deutschen Gauen eine Menge starter, thatenluftiger Männer, wie sie Goethe schildert:

Sieh diese Senne war so stark,

Dies Herz so fest und wild,

Die Knochen voll von Nittermark,

Der Becher angefüllt :

Mein halbes Leben stürmt' ich fort,
Verdehnt' die Hälft in Ruh,

Und du, du Menschenschifflein dort,
Fahr immer, immer zu!

Diese stürmische Kraft wollte sich austoben; die trogigen Burgherren verachteten die Gebote des Landfriedens, die ihren verwegenen Muth, ihre Streitlust, ihren ruhelosen, mitunter ruchlosen Sinn in die Schranken der Ordnung und des Gesetzes zu bannen suchten. Handfeste Kriegsleute waren leicht zu erlangen: Lebten doch in allen Dörfern und Gemarkungen tausende von verabschiedeten Landsknechten, welche einst über die Alpen und den Rhein gezogen waren und nun die mühsamen Arbeiten eines Bauern und Tagelöhners mit Unlust betrieben ihnen war das ungebundene Soldatenleben, das neben den Anstrengungen und Strapazen auch manche Genüsse und leichten Gewinn brachte, eine Lust und Freude und sie waren allzeit bereit, unter die Fahne eines adeligen Führers zu treten und ihm mit Treue und Ergebenheit zu dienen, wozu er sie gebrauchen wollte. Nur mußte er

ihnen den Sold richtig bezahlen und bei gefahrvollen Unternehmungen, bei Schlachten und Sturmangriffen für gutes Verhalten den herkömmlichen Lohn entrichten. Darum war Geld das erste Erforderniß bei allen kriegerischen Unternehmungen; darum die Geldgier und Habsucht das Laster der Zeit, der mächtigste Trieb des Handelns. Wie viele Unternehmungen und Pläne wurden vereitelt, wie viele Feldzüge und Kriegsoperationen ihrer Früchte beraubt, weil die Soldzahlungen ausblieben!

Die Ritterzeiten waren wohl auch in alten Tagen nicht so schön, wie die Romantik der jüngeren Geschlechter sie darzustellen liebte; aber im Uebergang vom Mittelalter zu dem modernen Staatswesen war jeder poetische Hauch zerronnen. Wenn in Frankreich das regere Nationalgefühl den eingebornen Herrenstand zum festen Anschluß an Hof und Königthum antrieb, die gelockerten Feudalbande durch das Princip der Loyalität ersetzte und die chevaleresken Impulse zu Stüßen und Trägern der legitimen geheiligten Monarchie zu verwenden strebte; so gingen in Deutschland die einzelnen Reichsglieder immer weiter aus einander, so wurde die Idee der nationalen Einheit immer mehr verdunkelt, die verblaßte Lehnstreue durch keinen neuen ethischen Begriff erseßt. Nur zu häufig wurzelten die Motive der Handlungen und Entschlüsse in den gemeinen Trieben der Menschennatur, in der Selbst= liebe, in der Habgier, in der Eigenwilligkeit, in Neid und Eifersucht. Die fittlichen Mächte, die in früheren Jahren noch mitunter der Leidenschaft und Gewaltthätigkeit Einhalt geboten, waren aus den Herzen verschwunden und die modernen Vorstellungen und Gedanken von Staat und Recht, von Ordnung und geseßlichem Zusammenleben noch nicht zum klaren Bewußtsein gekommen, noch nicht in ihrer Nothwendigkeit frei und willig erfaßt worden. Die Elemente waren noch in der gährenden Bewegung begriffen, die jeder Schöpfung vorangeht, die Geister sträubten sich noch, sich in die zwingenden Formen und Ordnungen zu fügen, ohne welche kein harmonisches Gebilde geschaffen werden kann. Bor Allem war es die Burgritterschaft, welche durch gewaltsames Eingreifen die Gestaltungen und Ordnungen des im Werden begriffenen

modernen Staats- und Gesellschaftslebens zu stören trachtete. Sie haßte die gerichtlichen Institutionen, welche ihrer Willkür Einhalt thun, ihrem eigenwilligen gewaltthätigen Gebahren, ihrer Rachsucht und Selbsthülfe Schranken setzen wollten; sie widerstrebte der Unterordnung unter die größeren Fürstenthümer und staatlichen Organismen, die sich allmählich aus den vielgestaltigen Gliedern und Theilen des Reichskörpers herausgebildet hatten und sich zu consolidiren suchten; sie blickten vor Allem mit Ingrimm und Scheelsucht auf die wachsende Macht und Bedeutung der Städte, auf den Reichthum, die Eleganz, die Bildung der Bürgerschaften. Auf ihren abgelegenen, einsamen Burgen herrschte oft Armuth und Dürftigkeit, war oft Schmalhans Küchenmeister, während die Kaufleute von Nürnberg, Augsburg, Frankfurt nicht selten einen fürstlichen Aufwand machten. Wie verdroß es die Bewohner der Edelsize, wenn sie die Frauen und Töchter der Stadtbürger in Sammt und Seide, in pelzverbrämten Mänteln einhergehen, die Rathsherren mit schweren goldenen Ketten prangen sahen! Und wie stachen die palastartigen Wohnhäuser im zierlichen Renaissancestil gegen ihre alten baufälligen Schlösser und Erkerstuben ab! Von den Genüssen der Kunst und Wissenschaft, welche dem städtischen Leben Schmuck und geistige Erhebung verliehen, fielen für sie nur dürftige Brosamen ab. Wo es die adeligen Herrschaften versuchten, in Luxus und Aufwand, in Kleidung und Mahlzeiten es den städtischen Patriziern gleich zu thun, hatten die Bauern und gutshörigen Leute dafür zu leiden. Kein Wunder, wenn unter dem Landadel und der Burgritterschaft ein tiefer Groll gegen die städtischen „Pfeffersäcke“ Wurzel schlug, und sie ihren Gefühlen und Leidenschaften durch die einzigen Waffen die ihnen zu Gebote standen, physische Kraft und kriegerische Uebung und Erfahrung, Luft zu machen suchten.

Goethe hat in dem dramatischen Gemälde „Göz von Berlichingen“ das wilde Treiben dieses Ritterthums gezeichnet, welches die aufstrebende Fürstengewalt und die durch Handel, Verkehr und Geldgeschäfte zu Reichthum und Macht sich emporschwingenden Bürgerschaften der Reichsstädte haßte, jeder stattlichen und gerichtlichen Ordnung widerstrebte

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