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andersgesinnten Bürger drangen und alle welche sich keiner zweiten Taufe unterwarfen, nicht dem „christlichen Verbund" beitreten wollten, hülflos und ohne Erbarmen aus den Thoren trieben. Ihre fahrende Habe wurde auf Befehl des Propheten nach dem Rathhaus geschafft und als Gemeingut der Heiligen von sieben Diaconen verwaltet. Die geistlichen Gebäude wurden den verschiedenen Landsmannschaften angewiesen, was von kirchlichen Gegenständen noch vorhanden war, Bilder, Orgeln, Schnißwerk zerstört, alle Bücher mit Ausnahme der Bibeln vernichtet oder verunreinigt. Wie manche herrliche Bilder, wie manche werthvolle alte Drucke und Handschriften, die einst Rudolf von Langen, der größte Förderer humanistischer Bildung in Westfalen gesammelt, wurden damals auf dem Marktplaße zu Münster feierlich verbrannt ! Selbst die Werkzeuge der Tonkunst, Flöten, Eithern, Geigen und zeitverkürzender Spiele wurden vernichtet. Auf den Trümmern aller Künste und Wissenschaften, aller Dinge, die das Leben erheitern und verschönern, sollte das neue Jerusalem errichtet werden. Die Bürger des Himmlischen Reiches sollten alle ihre Gedanken auf Erbauung ihrer Seelen lenten.

So hatten die Wiedertäufer eine gemeinsame Wohnstätte errungen und konnten sich anschicken, ihre Träume von einem Gottesstaat, von einer Gemeinschaft der Heiligen, worin Alle gleich, Alles gemein sei, zu verwirklichen. Aber die Häupter seßten ihr Vertrauen nicht allein auf die himmlischen Herrschaaren, die das heilige Zion beschüßen würden; sie mußten sich auch nach irdischen Hülfsmitteln und Kräften umsehen. Denn die „Heiden und Gottlosen“ hatten die Waffen ergriffen, um die christliche Republik in Münster zu stürzen und ihr Eigenthum und ihre früheren Rechte wieder zu erringen. Der Bischof, die Ritterschaft, die katholischen Verbannten machten Rüstungen, die Kleinodien der Kirchen wurden zu kriegerischen Zwecken verwendet.

Sie wären indessen wohl schwerlich zum Ziel gekommen, hätten nicht die benachbarten Fürsten, der Erzbischof von Köln, der Herzog von Cleve, der Landgraf von Heffen, beschlossen, ihnen Hülfe zu leisten, damit nicht das verführerische Wesen wuchernd um sich greife. Denn

weit und breit waren die Wiedertäufer in Bewegung. Rottmann und Matthys hatten das Gebot, wornach die Brüder ein waffenloses friedfertiges Leben führen sollten, verworfen und zum Kampfe aufgefordert: „Wir ermahnen die Brüder," schrieben sie, „daß sie nicht säumen, an dem Bund des Herrn sich theilhaftig zu machen. Der Herr will das Banner seiner göttlichen Gerechtigkeit, zur Rache über die Babylonische Tyrannei und zur Herrlichkeit all seiner Heiligen fliegen lassen, wer getreu will geachtet sein, stelle sich darunter, lasse unbesorgt die apostolischen Waffen liegen und nehme den Harnisch Davids zur Hand, denn der Herr, wie er durch seine Propheten und Apostel verheißen hat, den Stuhl Davids dem zukünftigen wahren friedensreichen Salomon zu bereiten, hat das Reich bei uns aufgerichtet.“ „Gott wird den Gottlosen erschrecken und ihm die Macht benehmen. David wird er die Hand stärken, seine Finger zum Streit lehren; er wird seinem Volke eherne Klauen machen und eiserne Hörner; Pflugeisen und Hacken sollen sie zn Schwertern und Spießen machen. Einen Hauptmann werden sie aufwerfen, das Fähnlein fliegen lassen und in die Posaune stoßen. Ein wildes unbarmherziges Volk werde sie über Babylon reizen und doppelt vergelten, was es vorher gethan hat.“ „Seid unverzagt, Gut, Weib, Kind und Leben in die Schanze zu schlagen; denn so ihr freien Muthes und willig verlasset, werdet ihr nichts verlieren; aber wollt ihr halten und nicht wagen, so müßt ihr doch verlassen und verlieren. Aller Weisheit Anschläge, Klugheit und Manier müßt ihr euch wohl bedienen, den gottlosen Feinden Gottes Abbruch zu thun und das Banner Gottes zu stärken. Gedenket, alles was sie euch gethan haben, könnt ihr ihnen wiederum thun; ja mit demselben Maß, damit sie gemessen haben, soll ihnen wieder gemessen werden. Habt Acht darauf, und macht euch keine Sünde, wo keine Sünde ist. Seid auch nicht weiser als Gott in seinem Worte selber ist."

So lautete der Ruf der „Rache", die Losung zum Krieg. Achtundzwanzig Apostel trugen die Schriftstücke zu Tausenden nach allen Himmelsgegenden. Die Stillen im Lande sollten „die demüthigen Waffen der Apostel zum Leiten" vertauschen mit dem „herrlichen Harnisch Da

vibs zum Rächen“. Und wirklich sah man aus allen Städten des Niederrheins, Ostfrieslands und Hollands Männer mit Waffen ausziehen; „ein groß Volk“ zu Wasser und zu Land erhob sich, um sich zu den Brüdern nach Münster zu begeben.

So lange blos die bischöflichen Streiter die Stadt in weiten Kreisen umstellt hielten, gelang es Vielen sich durchzuschleichen und die Schaaren der Heiligen zu mehren; als aber die fürstlichen Hülfsmannschaften die Einschließung vervollständigten und alle Wege und Zugänge abschnitten, wurden die Züge von Außen verhindert, einzelne Haufen überwältigt, niedergemacht, zersprengt. Die Gemeinde der Heiligen somit an sich selbst gewiesen. Aber sie verloren den Muth nicht. Sie errichteten ein religiös-kriegerisches Gemeinwesen, worin nach Art eines socialistischen Phalanstere's, alles Besißthum für Gemeingut erklärt, alle Aemter und Geschäfte unter die Gemeindeglieder vertheilt, die Mahlzeiten gemeinschaftlich hergerichtet und genossen wurden. Nach Geschlechtern getrennt nahmen die Brüder und Schwestern Speise und Trank schweigend ein, während ein Capitel aus der Bibel verlesen ward.

Das wichtigste Anliegen war zunächst der Krieg, denn die Stadt wurde immer mehr bedrängt. Alles mußte Hand anlegen, selbst die Knaben übten sich im Bogenschießen. Matthys war der Feldhauptmann, er vereinigte mit dem Amte eines Propheten die Gewalt eines königlichen Kriegsobersten im Geiste der Makkabäer. Aber schon nach wenigen Wochen fiel er im Kampfe, als er mit dem schwärmerischen Muthe eines Gottesstreiters einen kühnen Ausfall anordnete und leitete. (Ostern 1534.) An seine Stelle trat Jan Bockelsohn, der durch den Eindruck seiner stattlichen wohlgefälligen Persönlichkeit, wie durch seine feurige Beredsamkeit und seinen hochfliegenden phantastischen Geist bei der Gemeinde großes Ansehen erlangt hatte. Er rühmte sich göttlicher Offenbarungen und alle seine Gebote, Handlungen und Unternehmungen führte er auf diese heilige Urquelle aller Wahrheit zurück. Eine Stimme von Oben, behauptete er, habe ihm den Tod des Propheten im Voraus verkündet und ihn zum Nachfolger bestimmt. Die Sicher.

heit seines Auftretens, der imponirende Eindruck, den jede religiöse Schwärmerei erzeugt, vielleicht auch die eigene Ueberzeugungstreue und der Glaube an sich seblst mehrte und stärkte seinen Anhang.

Als Prophet anerkannt führte nun Johann von Leyden den theokratischen Staatsbau, wie er in seiner lebhaften Einbildungskraft denselben aus Stellen und Aussprüchen der heil. Schrift sich ausgesonnen, seiner weiteren Vollendung entgegen, wobei religiöser Fanatismus und alttestamentliche Vorstellungen mit Leidenschaften und sinnlichen Begierden zusammenwirkten. Auf dem dunkeln Hintergrunde des Wahnglaubens und der Schwärmerei tummelten sich menschliche Triebe, sündhafte Regungen, vielleicht sogar bewußte Heuchelei. Zuerst suchte er dem Gottesreich eine organisch gegliederte Gestaltung zu geben. Nachdem er einige Tage geschwiegen, „weil Gott seinen Mund verschlossen“, erklärte er, daß wie das alte Israel in zwölf Stämme getheilt gewesen, so sollte das neue Israel von zwölf Aeltesten regiert werden, welche nach Innen „Gottes Recht“ und die christlichen Sittengebote in Anwendung bringen, nach Außen die Feinde abwehren sollten.

Als Rottmann dem Vorschlage zustimmte, wurden zwölf Männer zu Vorstehern und Richtern gewählt, welche alle Uebertreter göttlicher Gebote, alle Sünder und Missethäter auf Grund einer neuen aus biblischen Vorschriften zusammengestellten „Gefeßestafel“ bestrafen sollten. Ihre Aussprüche sollte der Prophet der Gemeinde verkündigen; ihre Todesurtheile Knipperdolling mit dem Schwerte vollziehen. Zugleich ging ein Manifest aus, worin alle Völker, „welche Münster, die christliche Stadt des höchsten Gottes belagern“, ermahnt werden von ihrem bösen Vorhaben abzulassen, da sie nichts anders suchten als das Reich Christi.

Bald jedoch trat eine neue Richtung hervor, was im Geist geboren war, wurde im Fleisch vollendet. Der neue Prophet trug nicht nur Verlangen nach dem Amte, sondern auch nach der schönen Wittwe des Vorgängers; und da er bereits verheirathet war, gab ihm der Geist Gottes ein, daß wie im alten, so auch im neuen Jerusalem jedem Manne gestattet sein sollte, „zur Erzeugung eines heiligen Samens"

mehrere Frauen zu nehmen. Die große Zahl weiblicher Gläubigen, weit stärker als die der Männer, erwarb dem Vorschlag viele Gönner. Auch Rottmann und andere Prädicanten gaben nach einigen Bedenklichkeiten ihre Zustimmung und predigten drei Tage nach einander auf dem Domplate, daß die neue Lehre von der Ehe die rechte sei.

Aber noch befand sich ein Rest von Bürgern in der Stadt, welche, gemäßigter in ihren Ansichten, an dieser Verhöhnung christlicher Sitte Aergerniß nahmen. Sie verabredeten den Plan, die schwärmerischen Prediger sammt dem Propheten gefangen zu nehmen, die evangelische Lehre wieder herzustellen, die Ausgewanderten zurückzurufen. Anfangs schien das Unternehmen zu gelingen; zweihundert Bürger sammelten sich um einen Schmied, Namens Mollenhök, und schritten in der Nacht zur Ausführung ihres Anschlags. Allein die Zahl der fanatischen Wiedertäufer, zum großen Theil Fremde, war überwiegend; am Morgen wurden die Gegner der Vielweiberei zurückgedrängt. Sie flüchteten sich in das Rathhaus; als man aber Kanonen wider dasselbe richtete, reichten sie die Hüte zu den Fenstern heraus und ergaben sich. Sie fielen in die Hände der schlimmsten Fanatiker, die nach Rache dürsteten. Einige wurden an Bäume gebunden und mit Hakenbüchsen erschossen, wobei man den Propheten ausrufen hörte: „Wer den ersten Schuß thut, erweist Gott einen Dienst.“ Andre wurden von Knipperdolling enthauptet; noch andere dienten Bogenschüßen zur Zielscheibe.

Durch solche Gräuelscenen wurde die Vielweiberei eingeführt, die nun in Münster zur Anwendung kam. Jeder Widerspruch war mit Ausrottung aus dem Volke Gottes bedroht. Von vier Trabanten begleitet durchzog Knipperdolling die Straßen, das bloße Schwert in der Hand, um alle Uebertreter des göttlichen Wortes sofort wegzuräumen.

Aber die theokratische Idee blieb unvollständig, so lange nicht ein monarchisches Haupt als Stellvertreter Gottes an der Spite stand. Es genügte dem Propheten nicht, der Vorsteher der zwölf Aeltesten zu sein, er wollte allein herrschen, als priesterlicher König einen geheiligten Charakter tragen. Seinen Wünschen kam ein anderer Prophet, Johann Dusentschuer, ehedem Goldschmied aus Warendorf, zu Hülfe.

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