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Erstes Hauptstück.

Lage und Zustände des Reichs bei dem Tode Kaiser Maximilians I. und dem Regierungsantritt Karls V.

Inhalt: Der Reichstag von Augsburg im Jahre 1518. Kaiser und Reich. Der schwäbische Bund. Ritterschaft und Söldnerei. Herzog Ulrich von Würtemberg. Die neue Kaiserwahl. Die Hildesheimer Stiftsfehde und Herzog Heinrich H. von Braun. schweig. Deutsche Fürstenhäuser. Luther in Augsburg.

Es war im Spätsommer des Jahres 1518, daß Kaiser Maximilian zum letzten Male die Fürsten und Stände auf dem Reichstag von Augsburg um sich versammelte. Alles beeilte sich, der Einladung Folge zu leisten, theils um dem alten Herrn, der seit einem Vierteljahrhundert des Reichs gewaltet und in ganz Europa sich ein so bedeutendes Ansehen erworben hatte, ein Zeugniß der Ehrfurcht und Hingebung abzulegen, theils weil wichtige Anliegen ihrer Erledigung harrten und noch wichtigere in Aussicht standen. Nicht allein in Deutschland waren die Geister in tiefer Bewegung, in allen Ländern gab sich das Wehen einer neuen Zeit kund, traten Anzeichen zu Tage, daß die jüngeren Geschlechter die morschgewordenen Lebensformen und Einrichtungen der mittelalterigen Welt niederzuwerfen trachteten, um auf ihren Trümmern einen neuen Auferstehungsmorgen zu feiern.

Kaiser Maximilian war freilich nicht der rechte Mann, diese gährende Uebergangszeit zur fröhlichen Entwickelung zu führen; er hat

die Geisterstimme, die durch die Weltgeschichte ging, nicht verstanden, nicht zu würdigen vermocht. Er wird der letzte Ritter" genannt, und keine Bezeichnung könnte zutreffender für seinen Charakter sein. Er stand mit seiner ganzen Gedanken- und Empfindungswelt noch im Mittelalter. Neben den praktischen und realistischen Zwecken, die er mit dem gesammten Habsburger Geschlecht gemein hatte, geht ein romantischer Zug durch sein Leben. Seine glückliche Brautwerbung um die schöne Burgunderin, die den Grund zu der welthistorischen Größe des Hauses legte und die er selbst als ritterlicher Dichter und Minnesänger im „Theuerdank“ verherrlicht hat; seine Kämpfe und Kriegsfahrten in Italien, in Burgundien, auf deutscher und wälscher Erde, wo ihm an Tapferkeit und Muth, an Stärke und Gewandtheit Keiner voranstand; seine Unternehmungslust, die weit über seine Mittel und Kräfte ging und oft zu abenteuerlichen Wagnissen führte; das Gefallen an Jagd, an Turnieren, an rauschenden Festlichkeiten; die lebhafte Phantasie, die ohne Rücksicht auf Schwierigkeiten und Hindernisse ihn fernliegende Ziele verfolgen ließ, ihn zu einer planlosen Vielgeschäftigkeit trieb: Dies und Anderes weist auf die Sitten und Lebensgewohnheiten, auf die Gedanken- und Empfindungsweise des fahrenden Ritterthums vergangener Tage hin. Wie vielen Stoff zu romantischen Geschichten hat er als verwegener Waidmann auf den kühnen Bären- und Eberjagden in Tirol, in Desterreich, im Ardennerwald gegeben! Mit welcher Theilnahme und Bewunderung erzählte man sich in den Kreisen der Landsknechte, wie er mitten im Kampfgewühl als tapferer Kriegsmann es mit mehreren Gegnern zugleich aufnahm, wie er in Noth und Gefahr stets ein treuer Waffengefährte war; und so oft auch die Soldknechte über das Ausbleiben der Löhnung murren mochten, sie folgten doch immer wieder dem Rufe des freundlichen leutseligen Herrn und freuten sich über sein ritterliches Wesen, über seine Kraft und Gewandtheit im Turnier wie in der Feldschlacht. Auch die Bürger der Reichsstädte, an deren Schüßenfesten und Freudengelagen Maximilian so gerne Theil nahm, waren dem leutseligen Herrn von stattlicher Gestalt und gesundem kräftigen

Körper gewogen. Aber mit diesen persönlichen Vorzügen und Eigenschaften standen seine fürstlichen Talente nicht auf gleicher Höhe; als Feldherr, als Staatsmann und Regent glänzte er nicht in demselben Grade wie als Ritter: für die treibenden Ideen in Staat und Kirche, die um ihn sich regten, für die Interessen und Ziele des modernen Gesellschaftslebens, das sich unter seinen Augen zu entwickeln und zu gestalten begann, fehlte ihm das Verständniß.

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Allerdings hatte das deutsche Reich während Maximilians Waltung bedeutende Ansätze zu einem staatlichen und gesellschaftlichen Organismus gemacht, so daß die anarchischen Zustände, die bei seinem Antritt in erschreckender Weise zu Tage getreten, bei seinem Hingang wenn auch nicht gänzlich gehoben, doch im Verschwinden waren. Allein diese Institutionen waren mehr das Werk patriotischer Männer, unter denen Berthold von Henneberg, Erzbischof von Mainz, vor Allen hervorragte, als des Kaisers selbst, der nur zögernd und mit innerem Widerstreben auf die von der Nation so laut geforderten Reformen einging und nie seine Abneigung dagegen verwinden konnte. Es war ihm wohl recht, daß dem unerträglichen Faust- und Fehdeleben nachdrücklich entgegengetreten wurde, daß in Süddeutschland Fürsten und Bischöfe, Ritter und Reichsstädte zu dem Schwäbischen Bund" z1sammentraten, um durch gemeinsame Anstrengungen den Landfrieden in ihren Territorien zu erhalten, und daß nach dem Vorbilde dieses schwäbischen Bundes die Aufrichtung des Landfriedens durch ein Reichsgesez für das gesammte Deutschland geboten und allem Faustrecht, aller bewaffneten Selbsthülfe Einzelner, allem Fehdewesen durch ernste Strasbestimmungen gewehrt ward; dagegen waren die übrigen Reformen, die auf eine Stärkung der Reichsgewalt neben dem Kaiser hinzielten, ihm sehr zuwider: erst nach zehnjährigen parlamentarischen Kämpfen am Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurde eine Form gefunden, wonach bei der Handhabung des öffentlichen Lebens die organische Verbindung des monarchischen Hauptes und der in gesetzlichen Rechtssphären sich bewegenden Einzelglieder zu einem gemeinsamen Staatskörper und ein geordnetes Zusammen

wirken aller Kräfte gesichert und gewahrt werden möchte. Dem von den sieben Kurfürsten gewählten römischen Kaiser deutscher Nation trat ein „Reichsregiment“, ein Collegium von zwanzig Räthen, als permanenter Ausschuß des Reichstages zur Seite, in, welchem der Kaiser selbst oder ein von ihm ernannter Stellvertreter den Vorsiz führen und stets einer der Kurfürsten persönlich zugegen sein sollte. War schon dieser Reichsrath eine große Schranke des kaiserlichen Herrscheramtes, da dessen Zustimmung und Mitwirkung bei allen Regierungshandlungen gefordert ward; so erfuhr die oberrichterliche Gewalt des Kaisers eine nicht minder tiefgreifende Beschränkung durch die Aufstellung eines selbständigen gerichtlichen Tribunals, des „Reichskammergerichts“, worin neben einem vom Kaiser ernannten Kammerrichter sechzehn von den Reichsständen bestellte Beisitzer, zur Hälfte ritterbürtiger Abkunft, zur Hälfte Doctoren des Rechts, die oberste Justiz handhaben sollten. Aus Verdruß über die Verkürzung seiner richterlichen Autorität entzog Maximilian die österreichischen Erblande der Competenz des neuen Reichsgerichtshofes, der seinen Sitz zuerst in Frankfurt, dann in Speier und endlich in Wezlar aufschlug, und unterwarf sie der Gerichtsbarkeit des Reichshofraths in Wien, eine unglückliche Einrichtung, da bei der unsicheren Grenzlinie beider Geschäftskreise dadurch die Pforte zu einer schädlichen Doppeljustiz geöffnet ward.

Doch hatte die Reichsreform im Wendepunkt der beiden Jahrhunderte auch günstige Seiten für den Kaiser. Wurden seine Hoheitsrechte in Beziehung auf Regiment und Gerichtsbarkeit eingeschränkt, so erlangte er dagegen durch eine neue Kriegs- und Steuerordnung eine festere Basis für seine Macht und kriegsherrliche Autorität. Durch den gemeinen Pfennig“, zu dem sich die Stände nach langem Sträuben verstanden, wurde eine sichere Reichssteuer und ein festes Einkommen für Reichszwecke begründet und durch die Einführung einer Reichswehr mittelst Matricularanschlag eine Militärmacht geschaffen, welche rasch aufgeboten und zu kriegerischen Actionen verwendet werden fonnte.

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Mit größerem Wohlgefallen als auf die Reichsreformen blickte Kaiser Maximilian auf den schwäbischen Bund. Nicht nur, daß derselbe durch eigene Mittel und Kräfte den Landfrieden in einem großen Theil des Reichs energisch handhabte; er diente auch vielfach den Habsburgischen Zwecken und Interessen. Im 3. 1488 zu Eßlingen gegründet, von Zeit zu Zeit verlängert und durch neue Mitglieder verstärkt, bildete die föderative Einung ein staatliches Ganze mit eigener Bundesverfassung und Bundesrath, eigenem Gerichtswesen, eigener Heerorganisation unter einem obersten Feldhauptmann, eigenen Vollziehungsbeamten. Mittelpunkt und Sit seiner politischen und gerichtlichen Thätigkeit war dasselbe Augsburg, wo gerade jetzt der Reichstag versammelt war. Wenn auch vielfach gespalten und durch Sonderzwecke gelähmt, hat der schwäbische Bund, der über dreißig Glieder aus dem Fürsten- und Prälatenstand, aus der Ritterschaft und den Reichsstädten zählte, fast ein halbes Jahrhundert lang mächtig in die Geschicke des deutschen Reichs eingegriffen, Gesetz und Recht gegen alle Störer der Ordnung kräftig behauptet und in manchen Fällen das schwache Reichsregiment unterstüßt oder ersetzt. Mit der Zeit machte sich freilich eine Eifersucht unter einzelnen Gliedern bemerkbar, indem die fürstlichen Häupter es widerwillig ertrugen, daß im Bundesrathe ihre Stimmen nicht mehr gelten sollten, als die der Reichsstädte; aber in den Tagen der Noth, der Rechtsunsicherheit, des Friedensbruches standen die Theilnehmer fest zusammen zur Abwehr aller feindlichen Angriffe und alles gesetzwidrigen Gebahrens.

Es war hohe Zeit, daß man Anstalten traf, dem Wegelagern und Fehdeleben mit Ernst Einhalt zu thun; denn was halfen alle Gefeße und Friedensgebote, wenn ihnen nicht eine starke Executivgewalt Nachdruck verlieh? Die Unfitte des deutschen Adels, alle wirklichen oder vermeintlichen Beleidigungen mit den Waffen zu rächen, der wilden Leidenschaft durch rohe Gewaltthat Luft zu machen, die Ueberfülle der physischen Kraft in der ungezügelten Kampfluft zu befriedigen, trat in der Uebergangsperiode zur Neuzeit noch häufig und verleßend genug zu Tage. Ueber das ganze weite Reich zerstreut lebte auf befestigten

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