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ein Ziel, das nur in republikanischen Staaten angestrebt und erreicht werden könne. „Monarchen werden dies nie gestatten; das Einzige, wornach diese vielleicht streben, ist zu bewirken, daß das Volk wohl. habend werde und in der Wolle size, damit sie es scheeren und sich zu ihrer königlichen Pracht und Ueppigkeit die Mittel verschaffen können; im übrigen suchen sie das Volk weichlich, niederträchtig, lasterhaft und servil zu machen, weil es sich so am leichtesten unterdrücken läßt. Es soll nicht blos mit Wolle versehen sein, es soll auch einen schafartigen Geist befizen. Die monarchische Staatsform knüpft alle Zweige ter Rechtspflege an den Thron, um die Gerechtigkeit als eine königliche Gnate erscheinen zu lassen; da doch nichts wesentlicher für die Freiheit eines Volks ist, als die Verwaltung des Gerichtswesens und die Mittel rer öffentlichen Cultur in seiner eigenen Wahl und in seinem Bereich zu haben, damit Niemand gezwungen sei, an entfernte Orte zu reisen, um sein Recht oder seine Bildung zu holen.“ Aus den Provinzialräthen sollten dann die geeignetsten Mitglieder in den Nationalrath gewählt werden.

„Auf diese Weise“, fährt Milton fort, „würden wir die Vereinigten Staaten von Holland an innerer Festigkeit und gleichartigem Organismus übertreffen.“ „Und wenn wir unsere See- und Landmacht, bestehend in einer treuen Armee oder in einer gutorganisirten Miliz, in unsern eigenen Händen haben, die Staatskasse unter, unserer eignen Aufsicht steht, Gesetzgebung und Besteuerung von unserer eignen Abstimmung abhängig ist, die heimische Rechtspflege, Amtsführung und Bildungsanstalten unserer eignen Anordnung übergeben sind, aller Unterschied zwischen Edelmann und gemeinem Mann, wodurch das Staatsinteresse getrennt und geschwächt wird, wegfällt, was bleibt dann einem ständigen Rath noch übrig zur Corruption, zur Anmaßung, zu Uebergriffen?”

„Für jezt habe ich sonst nichts zu sagen“, so schließt Milton diese merkwürdige Schrift; „wenige gut überlegte Worte, wenige rechtzeitige Handlungen können uns noch retten. Aber wenn das Volk so entartet ist, daß es Religion und Freiheit preisgibt um des salschen und leeren Wahns willen, daß nichts als das Königthum Handel und Gewerbe

zurückzuführen vermöge; wenn es die Leiden und Plagen, mit denen uns Gott früher heimgesucht und die wir seitdem nicht mehr empfunden, vergißt, wenn es nicht einsieht, daß Handel und Betriebsamkeit nie mehr in Blüthe gewesen als in den republikanischen Gemeinwesen von Italien, Deutschland und den Niederlanden; ja, wenn dieser Handel und diese Gewerbthätigkeit ob der kostspieligen Lebensweise der Gewerbsleute so laut und ungestüm um Abhülfe schreien, daß nichts zu retten vermag, als die luxuriösen Ausgaben für Ueberfluß und Kleinigkeiten, sodaß wenn sich das ganze Volk nun der Mäßigkeit ergebe, es als eine gefährliche Sache erschiene und die Handelsleute über Mangel an Absatz Aufruhr machen würden, daß wir folglich Religion, Freiheit, Ehre, Wohlfahrt und alle menschlichen und göttlichen Dinge preisgeben müssen, um nur Handel und Betriebsamkeit zu erhalten; wenn endlich einst die Israeliten sich wieder nach den Fleischtöpfen Aegyptenlands zurücksehnten, so wir uns wieder unter das königliche Joch beugen, um in größerer Fülle und Glückseligkeit zu leben : dann ist unser Zustand nicht gesund, sondern faul, sowohl in Religion als in politischem Verstand, und der Weg, den wir wandeln, wird uns bald in das mit dem Luxus unvermeidliche Uebel, fremde und heimische Knechtschaft, führen." „Ich habe das gefährliche Wagstück unternommen, meine Meinung zur rechten Zeit auszusprechen und meine Mitbürger zu warnen. Es mag viele weise Männer unter uns geben, aber Früchte der Weisheit sind nicht viele zu bemerken und Solcher, die ihren Sinn auf das Große und Ganze richten, sind sehr wenige. Ich weiß wohl, daß die Sprache „der guter alten Sache" nur noch als eine Stimme in der Wüste gilt, daß ich nur zu Bäumen und Steinen spreche und gleich dem Propheten blos die Erde als Zuhörer habe aber mag auch diese Schrift der lezte Hauch der sterbenden Freiheit sein, vielleicht wird Gott einst aus diesen Steinen und dieser Erde Männer erwecken, welche die Freiheit wiederbeleben und der Rückkehr nach Aegyptenland Einhalt thun."23)

Weber, Reformationszeit.

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Anmerkungen.

1) Wenn Schiller in der Maria Stuart die Elisabeth sagen läßt:

Mein Volk mag wählen,

Ich geb' ihm seine Majestät zurück;

so spricht sie ganz in Miltons Geift.

2) Am 9. Dec. 1608.

3) Alle diese Schriften werden weiter unten ihrem Inhalt und ihrem Zusammenhange nach besprochen.

4) Milton's erste Frau war bald nach der Hochzeit in das älterliche Haus zurückgekehrt und trotz der wiederholten Mahnungen ihres Gatten ein ganzes Jahr dort geblieben. Sie und ihre Familie waren royalistisch gesinnt. Als er schon mit dem Gedanken an eine Scheidung umging, trat eine Sinnesänderung bei ihr ein. Als sich Milton eines Tages mit einem Verwandten in St-MartinsLane, den er oft besuchte, unterhielt, wurde auf einmal die Thüre eines anstoßenden Zimmers geöffnet; er sah seine renevolle Gattin, die sich ihm zu Füßen warf und ihn um Vergebung anflehte. Er vergab ihr und nahm sie wieder auf. Diese Scene hat vermuthlich den Dichter zu jener Schilderung im „Verlorenen Paradies“ geführt (Gesang X), wo Eva den Adam um Friede und Vergebung bittet.

5) Die weiter unten angeführte Schrift: „Ueber die Stellung der Könige und Obrigkeiten".

6) Zu den bedeutenden Männern, deren Achtung und Freundschaft sich Milton durch seine Vertheidigungsschrift erworben, gehörte auch der Athener Leonhard Philaras, der sich als Gesandter des Herzogs von Parma am französischen Hof befand. Er schickte dem Dichter sein Bildniß nebst einem verbindlichen Brief, worin er den Wunsch aussprach, mit ihm in freundschaftliche Verhältnisse zu kommen. Milton's Antwort ist so sein und zierlich abgefaßt, daß man an die italienischen Humanisten des 16. Jahrhunderts dabei erinnert wird. Da der Brief auch noch ein anderes als blos formales Interesse hat, so wollen wir einen Theil deffelben hier beifügen. Nachdem er ihm für sein werthvolles Geschenk gedankt und ihm die Versicherung gegeben, daß er den Beifall eines durch Geburt, Stellung und Eigenschaften so hervorragenden Mannes vor Allen andern schäße, fährt er fort: „Wenn Alexander der Große mitten unter seinen kriegerischen Unternehmungen gestand, daß er sich allen diesen Beschwerden ausseße, nur um das Lob der Athenienser zu er werben, so kann ich mich in der That glücklich schäßen und es für die höchste Ehre halten, von einem Manne so gelobt zu werden, in welchem das Genie und die

Tugend der alten Athenienser, nach einem so langen Zwischenraum, wieder aufzuleben und aufs neue zu blühen scheinen. Da Ihre Stadt viele der beredtesten Männer hervorgebracht hat, so gestehe ich es sehr gern, daß ich alle meine Fortschritte in den Wissenschaften hauptsächlich dem langen und unermüdeten Studium ihrer Werke verdanke. Hätte ich von ihnen eine so kraftvolle Beredsamkeit gelernt, die mich in den Stand seßte, unsere Flotten und Armeen zu bewegen, daß sie Griechenland, den ursprünglichen Siß der Beredsamkeit, von der türkischen Tyrannei befreiten (eine glänzende Unternehmung, für welche Sie beinahe unsere Hülfe anzuflehen schienen), so würde ich gewiß thun, was alsdann der erste Gegenstand meiner Wünsche wäre; denn was sahen die tapfersten und beredtesten Männer des Alterthums für rühmlicher und ihrer selbst würdiger an, als durch hinreißende Beredsamkeit und kühne Thaten die Griechen frei und zu ihren eigenen Gesetzgebern zu machen?" Er schließt seinen Brief mit der richtigen Bemerkung, es sei „zuerst nöthig, in den Gemüthern der neuern Griechen den Geist und die Tugenden ihrer Vorfahren zu erwecken", und setzt auf eine verbindliche Weise hinzu, „wenn dieses durch irgend Jemand geschehen könne, so dürfe man es vorzüglich von dem patriotischen Enthusiasmus und der Erfahrung seines vortrefflichen Freundes in Kriegsund Staatsangelegenheiten erwarten“. Dieser Brief ist vom Brachmonat 1652 datirt. Schon zwei Jahre vorher hatte Milton in dem „Iconoclast" denselben Wunsch ausgesprochen in der pikanten Bemerkung: „das Parlament habe dem König Karl gleich nach seiner Thronbesteigung mehr Geld bewilligt als zur Befreiung Morea's vom Joche der Türken erforderlich gewesen“. Milton wurde bald nachher durch einen Besuch dieses edeln Atheniensers erfreut, welcher einen so zärtlichen Antheil an der Blindheit seines Freundes nahm, daß er bei seiner Rückkehr nach Paris über diesen Gegenstand an ihn schrieb. Die folgende Antwort Milton's enthält die besondern Umstände seiner Augenkrankheit und zeigt zugleich, mit wie großem und heiterem Muth er dieselbe ertrug.

An Leonhard Philaras.

"

Da ich von meiner Kindheit an (wenn je irgend ein Sterblicher) besondere Achtung und Liebe für den griechischen Namen und vorzüglich für Ihre Vaterstadt Athen empfand, so war ich immer überzeugt, daß mir einst diese Stadt mein Wohlwollen gegen fie auf eine ausgezeichnete Weise vergelten würde; und der alte Genius Ihres edeln Vaterlandes hat nicht unterlassen, meine Ahnung zu erfüllen; er gab mir an Ihnen einen atheniensischen, mir auf das zärtlichste ergebenen Bruder. Obschon ich Ihnen nur aus meinen Schriften bekannt, und obschon Ihr Aufenthalt weit von dem meinigen entfernt war, so schrieben Sie mir doch zuerst in den verbindlichsten Ausdrücken und kamen nachher unerwartet nach London, besuchten einen Fremden, der Sie nicht sehen konnte, und setzten in einer Lage, die mich bei Niemand beliebter, vielleicht bei Vielen verachteter machen kann, Ihre Freundschaft gegen mich fort.

„Da Sie nun wollen, ich solle noch nicht alle Hoffnung, mein Gesicht wiederzuerlangen, aufgeben, indem Sie an dem Arzt Thevenot in Paris einen vertrauten Freund hätten, der in Heilung von Augenkrankheiten vorzüglich geschickt wäre, und den Sie meiner Augen wegen zu Rathe zu ziehen wünschten, wenn ich Ihnen nur einen Bericht ertheilen wollte, der ihn in den Stand setzte, die Quelle und Symptome meiner Krankheit einzusehen, so will ich Ihrer gütigen Aufforderung folgen,

daß es nicht scheine, als wollte ich eine Hülfe, die mir vielleicht von der Vorsehung zugeschickt wurde, von der Hand weisen.

„Es mögen ungefähr zehn Jahre sein, seitdem ich eine Abnahme und Verdunkelung meines Gesichts bemerkte, indem ich zu gleicher Zeit Blähungen und Druck in den Eingeweiden empfand. Selbst des Morgens, wenn ich, wie gewöhnlich, zu lesen anfing, fühlte ich sogleich Schmerzen in den Augen, und es schien, als ob ihnen das Lesen zuwider wäre, nach einer mäßigen Leibesbewegung aber erholten sie sich wieder; wenn ich auf ein Licht hinsah, so erblickte ich eine Art von Regenbogen um dasselbe. Nicht lange nachher entstand auf der linken Seite meines linken Auges (denn dieses fing einige Jahre früher als das andere an dunkel zu werden) eine Verfinsterung, welche mir Alles, was auf dieser Seite war, verbarg; wenn ich zufälligerweise mein rechtes Auge schloß, so kamen mir auch die Gegenstände, welche vor mir lagen, kleiner vor. In den letzten drei Jahren nahm das andere Auge nach und nach ebenfalls ab, und einige Monate, ehe ich das Gesicht völlig verlor, schien mir Alles, was ich sah, bald rechts, bald links herumzuschwimmen, obschon ich mich selbst nicht bewegte. Hartnäckige Dünste scheinen sich um mein Vorderhaupt und meine Schläfe festgesetzt zu haben und belästigen meine Augen, besonders nach dem Essen bis gegen Abend mit einer schläferigen Schwere, sodaß ich mich oft an den Zustand des Wahrsagers Phineus erinnere: „Schwarze Dunkelheit umgibt ihn, und in Todesschlaf versunken scheint die Erde unter seinen Füßen hinwegzurollen."

„Aber ich darf nicht vergessen zu sagen, daß, ehe ich ganz meines Gesichtes beraubt war, sobald ich zu Bette ging und mich auf die eine oder die andere Seite kehrte, ein starkes Licht aus meinen verschlossenen Augen strahlte. Als hierauf mein Gesicht täglich schwächer wurde, so schienen dunklere Farben mit Heftigkeit und einer Art von innerem Geräusch hervorzubrechen. Jetzt aber, als ob alles Lichtartige ausgelöscht wäre, ergießt sich gewöhnlich eine völlige oder mit Aschgrau gleichsam durchflochtene Schwärze auf meine Augen; doch scheint die Dunkelheit, welche sie beständig umschwebt, sich sowohl bei Tag als bei Nacht immer eher dem Weißzen als dem Schwarzen zu nähern und läßt, je nachdem das Auge sich bewegt, wie durch eine Spalte ein Bischen Licht zu.

„Wenn mir auch ebenso von Seite Ihres Arztes ein wenig Hoffnung übrig bleibt, so suche ich doch mein Gemüth als gegen ein unheilbares Uebel gefaßt zu machen und zu beruhigen, indem ich oft bedenke, daß, da der Tage Finsterniß, wie der weise Mann erinnert, viele uns Menschen zugezählt sind, meine Finsterniß bisher durch besondere Gnade Gottes, unter Arbeit und Muße in dem Umgang meiner Freunde weit erträglicher war, als die tödtliche Finsterniß, auf die er zielt. Deun wenn der Mensch, wie geschrieben steht, nicht vom Brot allein lebt, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes geht, warum soll sich Einer nicht auch mit dem Gedanken beruhigen, daß das Licht der Augen für ihn nicht das einzige sei, sondern daß er durch die Leitung oder Vorsehung Gottes genugsam erleuchtet werde?

„So lange er selbst also für mich in die Zukunft hinaussieht, so lange er selbst für mich sorget, wie er es thut, und mich vor- und rückwärts bei der Hand führt, wie mein ganzes Leben hindurch geschah, soll ich nicht mit Freuden meine Augen Sabbath halten lassen, weil es so sein Wille zu sein scheint? Was aber

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