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nicht gewählt hätte, und unterläßt dann die Ausführung des Versprechens, so steht doch dem Volke nicht die Bestrafung desselben zu. Ja, selbst wenn er schwört, daß er wolle Gerechtigkeit üben nach den Gesetzen des Reichs und daß, wenn er es nicht thue, die Unterthanen ihres Eides der Treue entbunden sein sollten und er selbst ipso facto aufhöre ihr König zu sein, selbst in dem Fall, daß er diesen Eid bricht, ist es Gott und nicht der Mensch, der ihn zur Rechenschaft ziehen darf." Für diesen Satz empfiehlt Milton den Verfasser den Höfen als „Meineidverwalter", zu welchem Amte er auch noch in spätern Stellen große Befähigung entwickele. Als in jenen aufgeregten Zeiten, die dem Dreißigjährigen Kriege vorangingen, Ferdinand II. den österreichischen Thron bestieg, machten die Jesuiten den Grundsaß geltend : Novus rex, nova lex! Diesen nämlichen Grundsatz spricht auch Salmafius aus: „Wenn ein König, gezwungen durch die Factionen der Großen oder durch einen Aufstand des Volks, etwas von seinem Rechte vergeben hat, so kann das seinen Nachfolger nicht binden, sondern der hat die Freiheit, es wieder zurückzunehmen.“ „Dieser Grundsatz“, bemerkt Milton, „gleicht einem zweischneidigen Schwerte, das sich ebenso gut zu Gunsten der Völker als der Könige gebrauchen läßt. Es kommt dann immer auf den bekannten Erfahrungssaß hinaus, daß nur das Recht Anerkennung und Geltung findet, dem zugleich die Gewalt beiwohnt."

In den fünf leßten Capiteln (8-12) weist Milton aus der frühern englischen Gesetzgebung und Geschichte nach, daß zufolge der einheimischen Verfassung die Könige vom Volke eingesetzt worden seien nach abgelegter eidlicher Versicherung, die Landesgeseße und die nationalen Einrichtungen aufrecht zu halten, und daß es nicht an Beispielen fehle, daß treulose Könige für die Uebertretung dieses Eides blutig gestraft worden. Da Salmasius über die Verfassung und das Königsrecht Englands von flüchtigen Royalisten einseitige Belehrungen erhalten hatte, so mußte hier Milton bei der Widerlegung um so gründlicher und ausführlicher zu Werke gehen. Er beruft sich auf die Worte, die bei der Krönung von dem Erzbischof an das Volk gerichtet würden: „Willigt

ihr ein, daß dieser Mann euer König sei?" er zeigt, wie die eigentliche Macht und der Schwerpunkt des Staats stets im Parlament geruht habe. Er findet die Einrichtung der Parlamente schon bei Cicero ge= priesen: „Da alle Macht, Autorität und Staatsverwaltung von dem Gesammtvolke ausgehen soll, so müssen auch die obrigkeitlichen Personen, die für die allgemeine Wohlfahrt und den Nußen Aller eingesetzt werden, durch Wahl und Abstimmung des ganzen Volkes in ihre Stelle gelangen." Nach Anführung und Erklärung der alten Statuten kommt er zu folgendem Schluß: „Nach unserm alten Gesetzbuch, der „Spiegel" genannt, hat der König seine Peers, die im Parlament über das Unrecht erkennen, das der König an irgend einem der Unterthanen begangen haben mag; und da es allgemein bekannt ist, daß der geringste Mann im Königreich selbst bei niedern Gerichtshöfen im Fall eines erlittenen Unrechts oder Beleidigung die Wohlthat des Gesetzes gegen den König selbst genießt, wie viel gerechter, wie viel nothwendiger ist es, daß für den Fall, daß der König sein ganzes Volk unterdrückt, Richter aufgestellt sind, welche die Befugniß haben, nicht blos denselben einzuschränken und innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu halten, sondern ihn auch zu richten und zu bestrafen! Denn die Verfassung wäre sehr übel und lächerlich beschaffen, wo bei kleinen Kränkungen, die ein Fürst Privatpersonen zufügt, für Abhülfe gesorgt ist, für die Wohlfahrt und Sicherheit des Ganzen aber keine Vorsorge getroffen ist, sodaß der König ohne Gesetz alle seine Unterthanen zu Grunde richten könnte, während er zugleich nach dem Gesetze keinen einzigen derselben kränken dürfte. Und da es, wie ich gezeigt habe, weder Sitte ist noch rathsam, daß die Lords des Königs Richter seien, so folgt, daß die Macht der Gesetzgebung in diesem Falle ausschließlich und mit gutem Recht den Gemeinen zusteht."

Bis daher bleibt Milton auf dem Boden der altenglischen Geseßgebung und des Herkommens. Um aber sodann die Ausschließung der Peers und das eigenmächtige Verfahren des Unterhauses bei Verurtheilung des Königs zu rechtfertigen, kommt er zu bedenklichen Säßen. Salmafius fragte, ob es das Volk war, das einen Theil des Unter

hauses abschnitt und Einige mit Gewalt wegtrieb, worauf Milton antwortet: „Ja, es war das Volk. Denn was der bessere und gesundere Theil des Senats, in welchem die wahre Macht des Volkes liegt, thut, warum sollte das nicht angesehen werden, als habe es das Volk selbst gethan? Wie wenn der größere Theil des Senats beschließen würde, Sklaven zu sein oder die Regierungsgewalt zum Kauf auszubieten, sollte da nicht die kleinere Zahl sich widerseßen und darnach trachten, ihre Freiheit zu bewahren, wenn es in ihrer Macht steht?" Dieser Sat rechtfertigt also die Minoritätsbeschlüsse, die so oft von reactionären Regierungen als zu Recht bestehende Resultate der Volksabstimmung ausgegeben werden. Die Aufhebung des Oberhauses aber vertheidigt er damit, daß die Lords nicht Repräsentanten eines Theils des Volkes seien, sondern sich selbst und ihre eigene Standesinteressen verträten; daß ihnen folglich über das Volk, dessen Rechte und Freiheiten sie häufig bekämpft hätten, kein Recht zustände. Hier stellt sich also Milton ganz auf den Standpunkt der demokratischen Theoretiker, die, auf dem Princip der politischen Gleichheit fußend, den Herrenstand und die Kirche nicht als Factor der Nationalgesetzgebung gelten lassen.

Allein ungeachtet dieser einzelnen Verirrungen, die in dem polemischen Geiste der Schrift ihre Quelle haben, verleugnet auch hier Milton keineswegs sein warmes Rechtsgefühl und seinen sittlichen Ernst. Troz aller Härte und Starrheit des puritanischen Charakters, troß der unnachsichtigen und lieblosen Strenge, mit der er, wie alle seine Gesinnungsgenossen, sein Ziel unverrückt verfolgt, fühlt man sich doch beim Lesen seiner Rechtfertigungsschrift moralisch gehoben und zur Hochachtung hingerissen, während die servilen Doctrinen, die lügenhafte Auslegungskunst, die laxe Moral, die frivole Sophistik seines Gegners uns mit Unwillen und sittlicher Entrüstung erfüllt. Die ewigen Gesetze und Ordnungen, wodurch die menschliche Gesellschaft zusammengehalten wird, die ganze christliche Ethik müßte erschüttert werden, wenn die Grundsäge eines Salmafius und seiner Gleichgesinnten zur Geltung kämen: „daß der Eid, wodurch Könige zur Aufrechterhaltung gewisser Geseze sich verpflichten, keine bindende Kraft habe, weil die Königs

macht durch keine Geseze beschränkt werden könne"; oder „daß die Sitte, bei der Huldigung dem König einen Eid abzunehmen, nur eine nichtssagende Ceremonie sei.“ Solche Ansichten sind geeignet, jeden ehrbaren, auf Recht und Treue haltenden und der Knechtschaft noch nicht verfallenen Mann in das Lager Derer zu führen, welche, wie Milton Freiheit und Volkssouveränetät bis zur äußersten Grenze wahren und verfechten; welche nur „Landes- und Volksverrath" als „Hochverrath“ erklären, „dem somit auch Könige verfallen können“, welche „die Wohlfahrt des Staats und der guten Bürger als den einzig wahren und höchsten Zweck jeder Verfassung und Regierungsform“ aufstellen und die den Unterthaneneic so ansehen, „als gelte die gelobte Treue nicht nur dem König, sondern auch dem ganzen Reiche und den Gesezen des Landes, zu deren Aufrechthaltung jener berufen und eingeseßt ist“.

„Nicht aus Haß gegen Königthum," so schließt Milton seine erste Schußrede für das englische Volk, „sondern aus Haß gegen die Tyrannei habe ich die Rechtfertigung der Thaten meiner Landsleute gegen die Wuth und den Neid eines verwirrten Sophisten übernommen und die gemeinsamen Rechte des Volkes gegen die ungerechte Herrschaft der Könige vertheidigt. Jest bleibt nur noch Eins zu thun übrig, aber das Wichtigste von Allem, daß ihr, meine Landsleute, selbst suchet diesen euern Widersacher zu widerlegen und zwar durch das eifrige Bestreben, die schlimmen Nachreden der Leute durch eure guten Thaten Lüge zu strafen. Als ihr zu leiden hattet unter mannichfacher Bedrückung, da nahmt ihr eure Zuflucht zu Gott und er hat euer ernstes Bitten und Flehen gnädig erhört. Er hat euch, die erste der Nationen, ruhmvoll erlöst von den zwei größten der Tugend verderblichsten Uebeln dieses Lebens, von der Thrannei und dem Aberglauben. Nach einer so glorreichen That, wie ihr vollbracht habt, dürft ihr nichts Niedriges und Kleines vornehmen, dürft ihr nichts denken oder thun, als was groß und erhaben ist. Wie ihr euere Feinde im Felde besiegt habt, so zeigt nun auch, daß ihr im Stande seid, Ehrgeiz, Habsucht und böse Begierden zu überwinden, und die Entartung zu vermeiden, die das Glück gewöhnlich herbeiführt und welche die Völker meistens unterjocht; nun

zeigt ebenso große Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und Mäßigung bei der Behauptung eurer Freiheit, als ihr Muth_gezeigt habt bei Abschüttelung der Sklaverei. Verlaßt ihr den Pfad der Tugend, der Gerechtigkeit, der Vaterlandsliebe, so wird sich Gottes sichtbare Gnade von euch wenden und sein Zorn wird euch euern Feinden überantworten!"

5. Zweite Schußrede für das englische Volk.

Milton's Streitschrift gegen Salmasius erregte das größte Aufsehen und machte den Namen des Verfassers in ganz Europa bekannt. Milton war von dem an der gefeierte Held des Tages, der Vorfechter der freisinnigen Partei in allen Ländern, der muthige Bekenner und Herold der freien demokratischen Grundsäge, die Viele theilten, aber nur Wenige zu äußern wagten. Hier“, sagt er im Eingang, „sehe ich die starke und männliche Tapferkeit der Deutschen, welche die Knechtschaft verachten; dort den hochherzigen und lebhaften Ungestüm der Franzosen; hier ten ruhigen und stolzen Muth der Spanier, dort den besonnenen kriegerischen Heldensinn des Italieners. Alle edeln und einsichtsvollen Freunde der Freiheit und Tugend, wo sie sich auch finden, bezeigen mir bald insgeheim, bald öffentlich ihren Beifall und ihre Gunst, und selbst Solche, die bisher anderer Ansicht gewesen, geben sich endlich gefangen unter die Kraft der Wahrheit. In der Mitte des versammelten Volkes bedünkt es mich, als erblickte ich alle Nationen des Erdbodens von den Säulen des Hercules bis an den indischen Ocean jene Freiheit wieder erlangen, die sie so lange verloren; es be= dünkt mich, als ob die Bewohner dieser Insel andern Ländern eine Pflanze zugeführt von weit wohlthätigern Eigenschaften und edlerem Wachsthum als jene, welche einst Triptolemus von Land zu Land getragen, nämlich die Segnungen der Civilisation und Freiheit unter Städten, Reichen und Völkern."

Die kräftige Vertheidigungsschrift, deren Ausarbeitung ihm das köstliche Gut, das Licht seiner Augen geraubt, wurde nichtsdestoweniger für ihn die Quelle vieler Freuden und Ehren. Bei seinen Meinungsgenossen in England stieg sein Ansehen so sehr, daß nach seiner eigenen

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