Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

in seinem Alter besuchte, der ein Gefangener der Inquisition gewesen, weil er es wagte in der Astronomie anders zu denken als die zu seinen Censoren aufgestellten Dominicaner und Franciscaner, da nahm ich es als eine Vorbedeutung der künftigen Glückseligkeit meines Vaterlandes (obschon ich wußte, daß es damals am stärksten unter dem Prälatenjoch seufzte), daß andere Völker eine so hohe Meinung von dessen Freiheit hatten. Und doch hatte ich noch keine Ahnung davon, daß bereits solche Ehrenmänner die Luft der Heimath athmeten, die mit der Fahne der Befreiung vorangehen würden." Aber gerade darum, fügt Milton hinzu, halte er es für seine Pflicht, sie bei Zeiten vor der verderblichen Bahn zu warnen und sie mit der öffentlichen Meinung vertraut zu machen. Diese aber ergehe sich in Murren über das neue geistliche Joch, über die zweite Thrannei; und äußere sich unwillig, daß die Leute, die noch vor kurzem unter der bischöflichen Zwingherrschaft gelitten hätten und kaum zu einer Dorfkanzel zugelassen worden seien, nun denselben Geistesdruck übten, nun die freie Rede und Schrift eben so zügeln und beschränken wollten, wie ihre Vorgänger. „Wer gleich so in Furcht geräth vor einem uncensirten Pamphlet, der wird nach einiger Zeit vor jedem Conventikel erzittern, und wieder nach einiger Zeit jede christliche Versammlung als Conventikel bezeichnen.“

Nachdem Milton auf solche Art die Schädlichkeit der Parlamentsverordnung nachgewiesen, richtet er noch einige ernste Reden voll trefflicher Bemerkungen an die Vertreter der Nation, worin er die Nachtheile der religiösen und geistigen Trägheit schildert, die Vorzüge eines lebendigen, in steter Thätigkeit gehaltenen Glaubens hervorhebt, die Verschiedenheit der Religionsbekenntnisse als nüglich darstellt und die Tugend der Toleranz preist. Auch in diesem Abschnitte sind viele goldene Lehren enthalten und die Perlen echter Humanität leuchten allenthalben hervor.

„Uebung und Bewegung hält ebenso den Glauben und die Erkenntniß wie die Glieder und den Körper in Gesundheit. Die Wahrheit wird in der heiligen Schrift einem fließenden Brunnen verglichen; wenn sein Wasser nicht in beständigem regelmäßigen Laufe dahinfließt, so verwandelt

es sich in einen schmußigen Sumpf von Einförmigkeit und Tradition. Wenn Jemand nur darum Dies und Jenes glaubt, weil sein Pastor es sagt oder die Synode so beschlossen hat, ohne anderweitige Gründe, so ist sein Glaube, auch wenn er wahr ist, doch in Beziehung auf die echte Wahrheit eine Häresie. Es gibt keine Last, die der Mensch lieber einem Andern aufbürdet als die Sorge und Pflege seiner Religion." Daß dieser Ausspruch nicht nur bei Katholiken, sondern auch bei Protestanten seine volle Geltung finde, weist dann Milton in einzelnen Beispielen nach. Von solchen Leuten, die ihre ganze Lebenszeit nur zwischen Geschäften und Vergnügungen theilen, halten sich die Einen einen Gewissensrath als Hausfreund, dem sie ihren Glauben und ihre religiösen Pflichten in ähnlicher Weise anvertrauen wie einem zuverlässigen Gehülfen einen Zweig des Geschäfts; die Andern halten sich an die vorgeschriebenen Formen und Kirchensagungen mit derselben Pünktlichkeit wie an die Steuer- und Zollverordnungen; Beide ohne alle eigene Anstrengung, Nachdenken und Mühe. Ebenso geistesträge sei auch der größte Theil der Geistlichkeit aller Confessionen, indem sie ihre gottesdienstlichen Functionen, ihre Liturgie und ihre Predigten in vorgeschriebener Ordnung, in herkömmlichem Schlendrian und nach gedruckten Hülfsmitteln abhielten. Das sei nicht das Forschen nach Wahrheit, das dem Christen obliege, wie aus folgender Parabel hervorgehe: „Die Wahrheit kam einst in die Welt mit ihrem göttlichen Meister und war eine vollkommene Gestalt von herrlichem Anblick; aber als der Meister gen Himmel fuhr und seine Apostel eingeschlafen waren, da stand auf eine gottlose Rotte von Betrügern, die, wie der ägyptische Typhon und seine Verschworenen den guten Osiris, die jungfräuliche Wahrheit gefangen nahmen, ihre liebliche Gestalt in tausend Stücke zerhackten und diese nach allen vier Winden zerstreuten. Von der Zeit an wanderten die Freunde der Wahrheit, so viele sich zeigen durften, allenthalben umher, um gleich der Isis, die den zerstückelten Leichnam des Osiris suchte, die einzelnen, zerstreuten Glieder zu sammeln. Wir haben sie noch nicht alle gefunden, meine Lords und Gemeinen! und wir werden sie auch nicht vor des Meisters zweiter An

kunft finden; er erst wird jedes Glied und Theilchen zusammenbringen und sie zu einer unsterblichen Gestalt von Lieblichkeit und Vollkommenheit formen. Gestattet nicht, daß diese Prohibitivgesete sich an jedem günstigen Orte aufstellen, um Diejenigen zu stören und zu hemmen, die ohne Aufhören suchen wollen, die nicht ermüden dem zerrissenen Leibe unserer heiligen Märtyrerin die lezte Ehre zu erweisen.“

Diese Theile der zerstückelten Wahrheit müssen auf verschiedenen Wegen gesucht werden, und Diejenigen, die blos ihren Weg als den rechten vorschreiben, sind die eigentlichen Sektenstifter und Schismatiker. „Immer Dasjenige suchen, was wir noch nicht wissen, mit Hülfe Dessen, was wir bereits kennen, immer Wahrheit an Wahrheit reihen, wie wir sie finden (denn ihr ganzer Leib ist gleichartig und proportionirt), das ist die goldene Regel in der Theologie, wie in der Mathematik und bringt die beste Harmonie in der Kirche hervor; nicht die gezwungene äußere Union kalter, gleichgültiger und zerrissener Gemüther." „Wie beim äußern Tempelbau verschiedene Werkleute erforderlich sind, die Einen um Steine zu brechen, die Andern um den Marmor zu schleifen, die Andern um die Cedern zu fällen, so müssen auch beim innern Tempelbau verschiedene Parteien, Sekten und Genossenschaften bestehen, und wie dort durch die kunstvolle Verbindung und Zusammenfügung verschiedenartiger Materialien ein symmetrischer Bau emporsteigt, so kann auch hier die Vereinigung verschiedener Meinungen und brüderlicher Unähnlichkeiten, sofern sie nicht allzu weit auseinander gehen, nur dazu beitragen, das geistige Tempelgebäude schöner und mannichfaltiger und doch harmonisch zu machen." „Laßt uns jezt, wo die Reform der Reformation bewerkstelligt werden soll, besonnene Bauleute sein in dem geistigen Tempelbau. Denn jezt scheint die Zeit zu nahen, wo Moses, der große Prophet freudig vom Himmel herab jenen seinen denkwürdigen und glorreichen Wunsch erfüllt sehen mag, daß nicht nur unsere siebenzig Aeltesten, sondern daß das ganze Volk des Herrn Propheten geworden sind. Mögen auch immerhin einige Männer, und vielleicht sogar gute Männer, aber, wie Josua damals, noch neu in der Güte, darüber bestürzt werden und sie um

die Gabe beneiden. Ihre Schwäche erfüllt sie mit der Angst, daß diese Spaltungen und Trennungen uns verderben möchten. Wenn sie sich verzweigt haben werden, sagt er, in Parteien und Fractionen, dann wird unsere Zeit kommen. Der Thor! Er sieht nicht die feste Wurzel, aus welcher alle emporwachsen, wenn auch in verschiedenen Zweigen, und er wird es nicht eher gewahr werden, bis er sieht, wie unsere wenig getrennten Fähnlein seine schlecht vereinigte und zuchtlose Heerschaar in allen Richtungen durchbrechen.“ Und daß dies sicher geschehen wird, dafür bürgt ihm der Geist des Volks. „Mir däucht, ich sehe im Geiste eine edle und mächtige Nation sich gleich einem starken Manne aus dem Schlafe erheben und ihr unüberwindliches Haupt schütteln: mir däucht, ich sehe sie gleich einem Adler ihre mächtige Jugend zum Flug gewöhnen und die geblendeten Augen stärken an den Strahlen der vollen Mittagssonne, reinigend und läuternd ihr lange mißbrauchtes Gesicht an dem Brunnen der himmlischen Klarheit, während der ganze Schwarm furchtsam gescharter Vögel und Dämmerungsgeschöpfe umherflattert, erstaunt über die ungewohnte Erscheinung, und mit Neid erfülltem Geschrei ein Jahr voll Sekten und Spaltungen weissagt." Ja, das Parlament selbst, obschon es jezt in einer unglücklichen Stunde die Censurverordnung erlassen, ist ihm Bürge, daß die Freiheit, die es der Nation erkämpft und erworben, und die es als seine eigene Mutter ehren und beschüßen müsse, nicht gefährdet werde. „Wir haben die Freiheit und die darauf beruhende Wißbegierde und Forschungstrieb durch Euere Thatkraft erhalten; ihr könnt uns nicht wieder zu der alten Finsterniß und Knechtschaft zurückführen, wenn ihr nicht zuvor selbst wieder so despotisch, willkürlich und tyrannisch werdet, wie Diejenigen waren, von denen ihr uns erlöset habt." Und um das Ehrgefühl der Presbyterianer noch mehr anzuregen, führt er ihnen die Worte des geachteten Lord Brooke zu Gemüthe, worin er sie ermahnt, „Geduld und Toleranz zu üben gegen alle jene Christen, die einen reinen Wandel führen und Gott nach den Vorschriften ihres Gewissens verehren, wenn auch ihre Ansichten in etwas verschieden sind."

Diese Toleranz ist Alles, was er zur Förderung der Wahrheit verlangt. Die Stärke der Wahrheit grenzt an Allmacht, sie bedarf zu ihrem Siege keiner künstlichen Mittel; man gebe ihr nur Raum, und binde sie nicht im Schlaf, denn dann spricht sie nicht wahr (im Gegensatz zum alten Proteus, der nur gefangen und gebunden Orakel ertheilte), sondern nimmt alle mögliche Gestalten, mit Ausnahme der eigenen an, oder richtet ihre Sprache nach der Zeit, wie Micha that vor Ahab.“ — „Wie viele Dinge könnten ruhig ertragen werden“, heißt es weiter unten, „und dem Gewissen anheimgegeben, hätten wir nur Liebe untereinander und wäre nicht das gegenseitige Richten das stärkste Bollwerk unserer Heuchelei. Ich fürchte, jenes eiserne Joch äußerer Conformität hat unsern Nacken das Brandmal der Sklaverei aufgedrückt; das Gespenst eines farbigen Chorrocks verfolgt uns noch." Mit Recht sieht Milton in diesem Festhalten an bestimmten Formen und Formeln eine Rückkehr zu der alten starren Conformität, zu dem todten und eisigen Zustand einer zusammengefrorenen Masse von „Holz, Heu und Stoppeln“.

Zeigt sich Milton in den obigen Sägen als unbedingten Verfechter der Religionsfreiheit, selbst wenn sie unvermeidliche Uebelstände in ihrem Gefolge habe, so müssen wir billig erstaunen, daß ein so freier und vorurtheilsloser Geist doch hinsichtlich der römisch-katholischen Kirche das Kind seiner Zeit war. Während er den schönen Gedanken ausspricht: da man nicht erwarten dürfe, daß in einer Kirche Alles Gold, Silber und Edelgestein“ sei, und man nicht immer den Weizen vom Unkraut sondern könne, so sei es besser, daß gegen Viele Toleranz als gegen Alle Zwang geübt werde, will er doch nichts von einer Duldung des Papstthums und des offenen Aberglaubens" wissen, sondern hält es für Recht, daß, „da sie alle Religionen und Obrigkeiten vernichte, auch ihrerseits vernichtet werde, vorausgesetzt jedoch, caß zuvor alle Mittel der Liebe und Barmherzigkeit versucht worden, um die Schwachen und Verführten zu bekehren und zu gewinnen!"

"

Ist diese kurze Bemerkung Milton's wahre Ansicht, so bildet sie einen Flecken in dem edeln Charakter dieses hochsinnigen Mannes und einen häßlichen Strich in dem schönen Kunstwerk, das wir bisher

« ZurückWeiter »