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Auf diese Weise deutet er in großen Zügen an, wie bei zunehmender Reise die Jünglinge an der Hand der alten Classiker stufenweise in alle Wissenschaften eingeführt werden könnten, sodaß sie nicht nur die antiken und einige der modernen Sprachen, namentlich die italienische, erlernen, sondern auch mit Naturwissenschaften, Mathematik, Philosophie, Politik u. s. w. bekannt gemacht und zugleich ihr Geist durch die Kenntniß des Schönen in Kunst und Poesie geziert werden würde. Mit dem Lesen der Schriften von Cato, Columella, Varro u. a. könnte man zugleich einen praktischen Unterricht über Ackerbau und Bodencultur verbinden; aus Vitruvius, Mela, Celsus, Plinius, Solinus u. a. könnten die Elemente der Naturwissenschaft, der Naturphilosphie, der Astronomie, der Geographie, der Bau- und Befestigungskunst und mehrere Zweige der mathematischen Wissenschaft erlernt und durch die Entdeckungen und Erfahrungen der Neuern weiter geführt werden. Dabei sollte die Jugend in Verkehr treten mit Jägern und Fischern, mit Hirten und Gärtnern, mit Apothekern und Seeleuten, mit Architekten und Ingenieuren, um sich von ihnen auf praktische und empirische Weise in Allem, was in das Bereich ihres Wissens oder ihrer Kunst gehört, belehren zu lassen. Aus Plato und Xenophon, aus Cicero und Plutarch, aus den biblischen Schriften und dem Evangelium könnten die Lehren der menschlichen und christlichen Ethik geschöpft, die ewigen Geseze des Rechts und der Tugend zur Erkenntniß gebracht und dabei aufs neue Liebe zum Guten und Haß zum Bösen, eingeprägt werden. Die Ueberreste aus den Gesetzgebungen des Alterthums würden dazu noch manchen lehrreichen Beitrag liefern, und könnten als Uebergang zu der Staatskunde und zum Studium des Aristoteles dienen. Dabei müßte man der Jugend insbesondere Ursprung, Zweck und Ursachen des Staatsverbandes klar machen, „damit sie bei gefahrvollen Lagen des Gemeinwesens sich nicht gleich einem schwachen, schwankenden Rohr hin und her bewegen lassen und ein so unsicheres Gewissen zeigen, wie so manche große Räthe unserer Zeit, sondern daß sie als feste Säulen des Staats dastehen“. An Sonntagen und in den Abendstunden sollten fortwährend die hohen Fragen

der Theologie, sowie die Kirchengeschichte durchgenommen und die Schriften des alten und neuen Testaments im Urtext gelesen werden. Die großen Dichter des griechischen und römischen Alterthums könnten als die edelsten Muster und Vorbilder zur Bildung des poetischen Sinnes, des ästhetischen Gefühls und der Kunst- und Geschmackslehre dienen; die attischen und römischen Redner lieferten nicht nur die Geseze und Regeln der Rhetorik, sondern auch zugleich so edle Beispiele einer schönen und vollendeten Beredsamkeit, daß ganze Reden oder doch einzelne Theile und Stellen derselben auswendig gelernt werden sollten, damit sich die künftigen Parlamentsglieder daran bilden möchten; endlich sollte die Logik, als die höchste Gattung der Philosophie, aus Plato, Aristoteles und andern Weltweisen gründlich gelehrt werden, damit in Schrift und Rede sich der helle Geist der neuen Bildung in seiner ganzen geordneten Schönheit zeige.

Ueber der Bildung des Geistes soll aber keineswegs der Körper eine Vernachlässigung erfahren. Eine oder anderthalb Stunden täglich müssen Waffenübungen aller Art stattfinden und die Glieder durch Ringen, Laufen und andere gymnastische Künste gestärkt und gewandt gemacht werden. Dabei sollen die Jünglinge zugleich an den Beispielen der Geschichte zur Tapferkeit, zum Muth und zur Mannhaftigkeit angefeuert werden, sodaß ein heroischer Sinn in ihnen entstehe, der jede Art von Feigheit hasse und verachte, und der sie antreibe, stets mit Muth und Entschlossenheit auf ihrem Posten zu stehen. Ihre militärischen Uebungen, zu denen sie durch ein plößliches Sturmzeichen oder Losungswort aufgerufen würden, müßten sich über alle Theile der Kriegskunst, über alle Waffengattungen und über das ganze Feld- und Lagerleben ausdehnen, damit sie, wenn das Vaterland ihrer bedürfte, den Landestruppen als Führer dienen könnten. Bei günstiger Jahreszeit sollten größere Touren in die freie Natur oder auch kleine Fahrten und Ruderübungen auf Flüssen und zur See stattfinden, dabei aber immer das Hauptziel, geistige Ausbildung und körperliche Stärkung mittels praktischer Uebung und Erfahrung, in den Vordergrund treten.

Die Zeit unmittelbar vor und nach der Mahlzeit möge dem Hören

oder Lernen der feierlichen und göttlichen Harmonien der Musik und des Gesanges" gewidmet sein. Während dieser Zeit soll sich der Geist erholen und ergößen an den Productionen der heitern und edeln Tonkunst, sei es, daß ein geschickter Organist seine ernsten und tiefsinnigen Töne in schwungvollen Fugen hören läßt, oder daß eine ganze Symphonie mit kunstvollen und zarten Strichen ein ausgewähltes, gut eingeübtes Musikstück aufführt, oder daß die Flöte oder ein sanftes Piano seine Gesänge, religiösen, kriegerischen oder geselligen Inhalts begleite; denn Musik und Gesang üben, nach der Meinung aller Weisen und Propheten, eine große Gewalt auf Charakter und Sitten, indem sie rohen Sinn und leidenschaftliches Wesen umwandeln, besänftigen und veredeln. Durch eine solche Erziehungsweise könnten wir die viel bewunderten Tugenden des Alterthums wieder zurückführen, die, verbunden mit der jezt herrschenden reinen Religion, das ganze Volk auf eine hohe Stufe der Vollkommenheit führen würden. Dann bedürfen wir keiner Pariser Hofmeister, die durch elegante Dressur unsere Jünglinge zu Stußern und Zieraffen heranbildeten.

6. Politische Schriften.

1. Areopagitica.

Diese kleine Staatsschrift gilt für Milton's Meisterstück in dieser Gattung. Es ist eine schon im Jahre 1644 an das Parlament ge= richtete Staatsrede, worin die Presbyterianer, die damals das Uebergewicht hatten und die Intoleranz ihrer bischöflichen Widersacher nun auch ihrerseits gegen alle Andersdenkende nachzuahmen anfingen, aufs feierlichste ermahnt werden, die Freiheit der Presse nicht zu beschränken und den religiösen Ueberzeugungen keine Gewalt anzuthun. Der Parlamentsbeschluß, „daß fortan kein Buch, kein Pamphlet oder Blatt gedruckt werden dürfe, ohne vorher von der Censur-Commission geprüft und mit der erforderlichen „Licenz“ versehen worden zu sein“, war die Veranlassung zu dieser, durch Schönheit der Form wie durch Trefflichkeit und Gediegenheit des Inhalts ausgezeichneten Schrift, bei deren

Abfassung Milton offenbar die altgriechischen Staatsreden eines Isokrates und Anderer vor Augen gehabt, daher auch hier mehr als in den übrigen Schrifen rhetorische Färbung und attische Feinheit vorwaltet. Während Milton in seinen spätern Staatsschriften seine Widersacher und ihre Ansichten und Handlungen oft mit rücksichtsloser Strenge züchtigt, herrscht in dieser eine edle Urbanität, die um so angemessener erscheint, als zugleich die ganze Schrift durch den freisinnigen Standpunkt des Verfassers und die hochsinnige Tendenz den ergreifendsten Eindruck macht. Alles, was zum Nachtheil der Censur, des Preßzwangs und des Religionsdrucks, Alles, was zu Gunsten der Denkund Glaubensfreiheit, der Rede- und Lehrfreiheit gesagt werden kann, findet man hier ausgesprochen oder angedeutet. Die edle, feurige Beredsamkeit, die hier und da einen wahrhaft dichterischen Schwung, ja eine pathetische Kraft annimmt, ergreift das Herz des Lesers und reißt ihn mächtig fort, weil sie aus einer freitheitbegeisterten Seele quillt und das edelste Gut der Menschheit verficht. Wenn irgendwo der alte Ausspruch pectus est quod disertum facit, seine Anwendung findet, so ist es in dieser warmen Apologie der Geistesfreiheit.

Wollten wir die Stärke und Klarheit der Beweisführung und die echte Humanität und Großmuth der Gesinnung, die sich in der Schrift kundgibt, in ihrer ganzen Fülle anschaulich machen, so müßten wir dieselbe ihrem vollen Inhalte nach übersehen; ein Unternehmen, das zwar keine vergeudete Mühe wäre, aber durch die uns gebotene Raumbegrenzung unausführbar ist. 12) Wir müssen uns daher mit der Andeutung des Gedankenganges und mit wenigen bezeichnenden Stellen begnügen.

Nachdem Milton, ohne jedoch zu schmeicheln, die Verdienste und Einsicht des aus vaterländischen Männern bestehenden Parlaments gepriesen und die richtige Bemerkung gemacht, daß ein freies Staatswesen nie daran zu erkennen sei, daß keine Klagen sich erheben,

ein solcher Zustand könne bei der unvollkommenen Lage irdischer Dinge nicht eintreten sondern darin, daß alle Beschwerden willig angehört, gründlich erwogen und schleunig abgestellt werden“, geht er auf

die erwähnte Censurverordnung über und sucht durch Nachweisung ihrer Schädlichkeit deren Zurücknahme zu bewirken. Zu dem Ende bemüht er sich zuerst die Beschränkung und Ueberwachung der Presse durch Censurbehörden, Drucklicenzen (Imprimatur), Bücherverbote u. dgl. m. daburch in ihrer ganzen Gehässigkeit darzustellen, daß er nachweist, wie die päpstliche Hierarchie dieselbe erfunden und die englische sie nachgeahmt habe.

„Ich leugne nicht, daß es in Kirche und Staat von der größten Wichtigkeit ist, ein wachsames Auge über die Bücher wie über die Menschen zu haben und sie, gleich Uebelthätern, zu beschränken, einzukerkern und hart zu bestrafen; denn Bücher sind nicht absolut todte Dinge, sondern enthalten Lebenskraft in sich so wirksam wie die Seele, aus der sie entsprossen sind, ja sie bewahren wie in einer Phiole die reinste Kraft und Wesenheit jenes lebendigen Geistes, der sie erzeugte. Ich weiß, daß sie von so mächtiger Lebens- und Productionskraft sind wie jene fabelhaften Drachenzähne, aus deren Saat bewaffnete Männer entstanden. Auf der andern Seite weiß ich aber auch, daß das unvorsichtige Tödten eines Buchs gleichkommt dem Todtschlage eines Menschen: wer einen Menschen todtschlägt, der tödtet ein vernünftiges Geschöpf, Gottes Ebenbild; aber wer ein gutes Buch zerstört, der tödtet die Vernunft selbst, der tödtet Gottes Ebenbild gleichsam im Auge. Wir müssen also bei der Verfolgung dieses kostbarsten Theils des Menschenlebens mit Vorsicht zu Werke gehen, um nicht einen Todtschlag zu begehen, oder ein Märtyrerthum zu schaffen, oder gar eine Schlacht zu liefern, die nicht das zeitliche Leben enden, nein, die die geistige Quintessenz des Daseins, die den Hauch der Vernunft selbst zerstören, die mehr die Unsterblichkeit als das Leben vernichten würde.“ Mit diesen Worten leitet Milton den ersten Angriffspunkt gegen die Parlamentsverordnung ein. Er weist darin nach, daß in den alten Culturstaaten die Erzeugnisse des Geistes stets mit vieler Liberalität behandelt worden, daß in Athen nur zwei Gattungen von Schriften, solche, die gotteslästerlichen oder atheistischen Inhalts gewesen, und solche, die persönliche Schmähungen und Verleumdungen enthalten hätten,

Weber, Reformationszeit.

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