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erlangen könnten. Die Bischöfe seien der Gegensatz von Salomo; denn wie dieser nicht Schäße und Reichthümer, sondern Weisheit von Gott erfleht habe, so kümmerten sie sich nur um diese zeitlichen Güter und sehr wenig um Weisheit; barum habe aber auch jener Wohlgefallen gefunden bei Gott, während sie zu leicht befunden und verworfen worden.

4. Ueber Regierungsgewalt in kirchlichen Dingen,

eine Abhandlung, worin gezeigt wird, daß es keiner Macht auf Erden zustehe, in Sachen der Religion Zwang zu üben.

In dieser an das Parlament von England gerichteten Schrift, deren Inhalt und Zweck aus dem Titel erhellt, spricht Milton der unbedingten Religionsfreiheit innerhalb der protestantischen Kirche das Wort. Diese noch im Jahre 1659 an den höchsten Nationalrath gerichtete Adresse ist ein merkwürdiges Document sowohl von der unwandelbaren Consequenz und Geistesstärke des Verfassers, als von dem unversöhnlichen Haß der puritanischen Anschauungsweise gegen die römischkatholische Kirchenform. Denn während Milton mit Wärme und überzeugender Beredsamkeit das edle Gut der Glaubens- und Cultusfreiheit versicht, und für jede Ueberzeugung Raum und Duldung fordert, findet er es ganz in der Ordnung, daß man der päpstlichen Kirche jede Toleranz versage. Sie gilt ihm nicht als eine Religion, sondern als eine politische Faction, deren Glieder den Papst als ihr Oberhaupt ansehen, ohne Rücksicht auf die ihrer natürlichen und gesetzmäßigen Obrigkeit schuldige Treue und Unterthänigkeit. Eine Religion, die jede andere Anschauungsweise als kezerisch verdamme, die, wo sie die Herrschaft habe, keine Toleranz übe, noch zulasse, die kraft des Grundsatzes, daß man Häretikern keine Treue schuldig sei, jedes sittliche und rechtliche Nebeneinanderleben unmöglich mache und alle Verträge breche, mit einer solchen Religionspartei ist nach Milton kein Bund zu flechten. Ihre Anhänger erscheinen ihm als Feinde der Menschheit und eben so unerträglich als Gottesleugner oder Atheisten.

Wie inconsequent übrigens und wie unvereinbar mit den Grund

fäßen der Religionsfreiheit diese Ansicht auf den ersten Blick erscheinen mag, so natürlich und nothwendig erscheint sie, wenn man mit Milton die Frage a priori betrachtet. Die Partei der Independenten stellte die Lehre von der Parität und Gleichberechtigung aller christlichen Religionsmeinungen als obersten Grundsatz, als Axiom und Fundament alles christlichen Gemeindelebens auf; diese Parität wäre aber von vornherein verlegt worden, wenn die Independenten aus christlicher Liebe und Duldung einer Religionspartei die Rechte gewährt hätten, welche diese ihnen standhaft versagte. Nur wenn Milton der katholischen Kirche zumuthete, die Protestanten zu dulden, seinen Religionsgenossen aber nicht dieselbe Verpflichtung auferlegte, könnte man ihn einer engherzigen Intoleranz und eines beschränkten Sektengeistes bezichtigen; allein einer solchen Verkehrtheit der Begriffe wird man in seinen Schriften nirgends begegnen. Nur dem Katholicismus, der

keine Parität mit andern Confeffionen zuläßt, der alle Andersdenkende als Häretiker zurückstößt und nur dann einen Bund mit ihnen schließt, wenn sie als Reuige zurückkehren, nur dem Katholicismus, der kraft des Grundsages der Irrthumslosigkeit jede Verschiedenheit der Bekenntnisse verwirft, versagt Milton ganz folgerichtig jede Toleranz. Die Duldung des Katholicismus involvirte die Verwerfung seines Axioms

der Religionsfreiheit. Einem Katholicismus, der von dem Grundsaß der Exclusivität und Unfehlbarkeit abgegangen wäre, hätte Milton nimmermehr die Toleranz versagt.

Um den Independenten gerecht zu sein, muß man sich mit ihnen auf den philosophischen Standpunkt stellen und von dem Bestehenden möglichst absehen. Bei einem solchen Verfahren gibt es aber nur zwei ganz consequente Anschauungsweisen, den unwandelbaren Positivismus der katholischen Kirche und das unbedingte Freiwilligkeitsprincip der Independenten. Was zwischen diesen beiden Richtungen in der Mitte liegt, sei es mehr nach der katholischen Seite, wie die anglicanische Episcopalkirche, sei es mehr nach der Richtung der religiösen Selbstbestimmung des Einzelnen, wie die presbyterianische, leidet an Widerspruch und Halbheit. Dies hat Milton klar erkannt; deshalb bekämpft

er zuerst mit den Presbyterianern die Episcopalkirche, und als diese den Schlägen erlag, und nun die Presbyterianer ihrer eigenen Kirchenform die ausschließliche Geltung erzwingen wollten, richtete er seine Angriffe mit derselben Entschiedenheit auch gegen diese, um sie zu nöthigen, ihren beschränkten Horizont zu verlassen und sich in das offene Feld der Freiheit zu wagen. Er konnte nicht hoffen die Bekenner der römisch-katholischen Kirche für die Idee der Religionsfreiheit zu begeistern, noch die anglicanischen Bischöfe zum Aufgeben ihres dem hierarchischen Hochmuthe so sehr zusagenden Systems zu bewegen; deshalb bekämpfte er beide ohne Rücksicht und Schonung und wird, um der Toleranz willen, intolerant und verfolgungssüchtig, die Presbyterianer dagegen, die nach seiner Ansicht auf einem unhaltbaren Mittelweg wandelten, konnte er möglicherweise durch Vernunftgründe dahin bringen, seine Grundsäge zu adoptiren. Darum führt er ihnen nachdrücklich zu Gemüthe, daß sie durch ihr Verfahren gegen die Independenten die früher von den Bischöfen über sie selbst verhängten Zwangsmaßregeln rechtfertigten, daß sie den von der römisch-katholischen Kirche geübten Religionsdruck, gegen den sie doch stets so sehr geeifert hätten, nun ihrerseits ebenfalls ausübten; er hebt mit Recht hervor, daß ein Gewissenszwang, der von ihnen ausginge, um so verlegender sein müsse, als sie nicht wie ihre frühern Widersacher auf einer kirchlichen Autorität und Tradition fußten, sondern ihre Ansichten aus der heiligen Schrift geschöpft hätten, bei deren Erforschung und Erklärung sie ebenso von einer individuellen Auffassung, von einem Privaturtheil ausgegangen wären, wie die Independenten und andere Religionsgesellschaften, denen fie die Duldung versagten.

Aus der Adresse selbst läßt sich nicht erkennen, ob ein bestimmter Fall, ein neues beschränkendes Religionsgesetz Milton zur Abfassung der Schrift bewogen habe; die Beweisführung ist ganz allgemein ge= halten und stüßt sich lediglich auf die heilige Schrift, auf die Vernunft und auf die ewigen Rechte der Menschheit. Doch läßt sich aus der Zeit der Erscheinung (1659) vermuthen, daß die Presbyterianer die kurze Herrschaft, die sie durch die Wiedereinberufung des „langen Par

laments" in den Tagen der Verwirrung nach Cromwell's Tod wieder erlangten, zur festern Begründung und ausschließlichen Geltendmachung ihrer Synodalverfassung benutzt haben mögen.

Milton erkennt nur die heilige Schrift und die durch den göttlichen Geist im Menschen bewirkte Inspiration bei deren Erklärung als Urquelle der christlichen Religion an. Diese Inspiration ist ihm eine unmittelbare, durch keine Tradition und durch keine kirchliche Autorität getragene oder fortgepflanzte. Von dieser göttlichen Eingebung werde der wahre Christ bei Erforschung der Schrift geleitet; und er sei hinsichtlich der Resultate nur seinem Gewissen und Gott selbst Rechenschaft schuldig. Da nun Niemand als gewiß annehmen könne, daß diese Inspiration zu allen oder zu gewissen Zeiten in ihm wohne, und ebenso wenig, daß sie einem Andern nicht innewohne, so folge daraus, daß weder ein Einzelner, noch eine Corporation stets als unfehlbarer Richter in Religionsmeinungen auftreten, daß vielmehr jeder nur für sich selbst und sein eigenes Gewissen entscheiden könne.

„Mit Recht", sagt er, stimmen alle protestantischen Schriftsteller von gesundem Urtheil darin überein, daß weder Traditionen, noch Concilien, noch die kanonischen Geseze irgend einer sichtbaren Kirche, viel weniger aber die Edicte irgend einer Obrigkeit oder eines weltlichen Collegiums die höchsten Richter oder Leiter in Sachen der Religion sein können, sondern einzig und allein die heilige Schrift nach dem eigenen Gewissen eines jeden Christen.“ Dieses Zurückgehen von den Sagungen der Kirche auf die heilige Schrift und deren freie Erforschung sei das wesentliche Kriterion des Protestantismus; wer hierin einen Zwang anwende, der verlasse den protestantischen Boden und bekenne sich zu den Grundsäßen der katholischen Kirche. Eine protestantische Obrigkeit, die die Religionsfreiheit beschränke, handle demnach im Widerspruch mit den Grundlehren ihrer Confession und mache sich viel verhaßter als eine katholische Behörde, welche die Sazung der Kirche als unbedingte Richtschnur des Glaubens hinstelle und jede Abweichung bestrafe.

„Wie soll man aber ohne ein höchstes allgemeines Kirchenregiment

den Blasphemien, Schismen und Häresien entgegentreten?" Dieser Einwendung sucht Milton zuerst durch eine genaue Erklärung des eigentlichen und ursprünglichen Sinnes dieser griechischen Worte, die gerade wegen ihrer Unverständlichkeit dem Volke als Schreckbilder dienten, zu begegnen, um zu beweisen, daß bei völliger Religionsfreiheit die mit diesen Benennungen bezeichneten Vergehen und Sünden entweder nicht mehr bestehen oder falls sie sich in einer Aergerniß erregenden Weise zeigten, der weltlichen Obrigkeit zur Bestrafung anheimfielen. Denn Blasphemie bedeute im Allgemeinen Verleumdung, Schmähung, üble Nachrede, die jeder echte Christ schon darum vermeiden werde, weil sie in der heiligen Schrift verdammt sei, die aber, falls sie doch vorkäme, wie jede andere Ehrenkränkung vor das Forum des weltlichen Richters und Gesetzgebers gehöre; Häresie bedeute Wahl, und Schisma Trennung oder Spaltung; beide Wörter seien an und für sich ohne schlimme Nebenbedeutung, ja es könnten Fälle eintreten, wo beide zur Tugend würden: wenn man sich vom Bösen trenne und das Gute wähle, handle man edler, als wenn man bei dem schlimmen Allgemeinen verharre. In den Zeiten der Apostel," folgert er, „ehe die heilige Schrift verfaßt war, verstand man unter Häresie eine der apostolischen Lehre entgegengesette Doctrin, was nach unserm Sinn nichts Anderes bedeuten kann als eine Doctrin, die dem in der heiligen Schrift enthaltenen Lichte feindselig ist. Da nun nach protestantischen Grundsägen kein Mensch, keine Synode, keine Versammlung, auch wenn sie sich die Kirche nenne, in letzter Entscheidung den Sinn der Schrift für eines Andern Gewissen aufstellen darf, so folgt daraus, daß Derjenige, der solche Religionsmeinungen sich aneignet, wie sie nach seinem Gewissen mit der größten Klarheit oder Wahrscheinlichkeit in der heiligen Schrift enthalten sind, keineswegs für einen Häretiker gehalten werden dürfe, auch wenn seine Ansichten als irrthümlich erscheinen sollten.“ „Nicht Derjenige, der nach bestem Wissen und Gewissen der Schrift folgt, ist ein Häretiker, sondern Derjenige, welcher der Kirche folgt gegen seine auf die Schrift gegründete Ueberzeugung.“ „Da nun nach protestantischen Grundsägen Jeder berechtigt ist, die

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