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nächst behufs des geselligen Zusammenlebens beider Geschlechter in Liebe und Eintracht, zur Erleichterung und Erheiterung des Daseins und zur Erfüllung des Lebenszwecks eingesetzt sei und daß folglich auch eine Scheidung nicht blos wegen fleischlichen Ehebruchs, sondern auch wegen Ungleichheit der Naturen, wegen geistiger und gemüthlicher Unverträglichkeit gestattet sein müsse. Eine Schrift, worin die kanonischen Ehegeseße als unchristlich verworfen, die Ehescheidungsgründe vermehrt, ja die Scheidung selbst dem Gewissen des Ehemanns anheimgegeben wird, mag auf den ersten Anblick Bedenken erregen bei einem Manne, der zur Zeit der Abfassung selbst in unglücklicher Ehe gelebt, indem seine Gattin wegen politischer Meinungsverschiedenheit ihn auf längere Zeit verlassen hatte. Allein man mag über die in der Schrift ausgesprochenen Ansichten urtheilen wie man will, man mag seine Grundsätze, die allerdings ihre schwachen Seiten haben, billigen oder verwerfen, der erhabenen Auffassung des ehelichen Verhältnisses wird Niemand seine Bewunderung versagen können. Er entwirft von der Ehe, wie sie nach seiner Ansicht aus den Einseßungsworten der Genesis hervorgeht, das reinste ideale Bild, gegründet in erster Linie auf echte Liebe und harmonisches Ineinanderleben zweier Naturen zu einem einzigen Wesen, und erst in zweiter Linie auf die fleischliche Gemeinschaft. Iene geistige Verbindung gilt ihm als unabweisliche Bedingung und als einziger fester Grund der Ehe, und wo daher die eine Ehehälfte, d. h. zunächst die Frau durch ungesellige Eigenschaften, durch Lieblosigkeit, durch moroses Wesen, durch Mangel an Geistesbildung, durch die Unfähigkeit, mittels passender Unterhaltung dem Manne eine Gefährtin und Gehülfin zu sein, die Unmöglichkeit eines solchen geistigen Bundes in Liebe und harmonischem Zusammenleben kund gibt, da soll eine Trennung der Ehe mit gerechter und billiger Auseinandersetzung der äußerlichen Verhältnisse und eine andere Verheirathung gestattet sein. Diese in das bürgerliche Leben tief eingreifenden Vorschläge stießen schon zu seiner Zeit auf vielfachen großen Widerspruch und nöthigten ihn durch mehrere nachfolgende Schriften die Nachweisungen zu liefern, daß seine Ansichten ganz und gar mit den Worten der heiligen Schrift in Einklang ständen.

Daß er die Bande der Moral und Sittlichkeit nicht lockern, sondern vielmehr stärken, dem Leichtsinn und der Frivolität nicht Vorschub leisten, sondern einen Damm entgegenseßen wollte, brauchte er nicht erst zu versichern; man bemerkte die Reinheit der Absicht aus der ganzen Haltung des Buchs, aus dem platonischen Geiste, den es athmet.

Die zweite Schrift dieser Gruppe ist eine kurze Auseinanderseßung über Erziehung in einem an einen Freund gerichteten Schreiben. Er tadelt mit guten Gründen die Fehlerhaftigkeit des damaligen Unterrichtswesens in England und macht Vorschläge zu einer Reorganisation desselben mittels großer und zahlreicher Schulanstalten, die in dem ganzen Lande an passenden Stellen errichtet werden und worin die Jünglinge von dem 13. bis 21. Jahre ihre geistige und physische Ausbildung ohne Universitätsstudien empfangen sollten. In dieser merkwürdigen Schrift find fast alle pädagogischen Systeme der spätern Zeit im Keime enthalten und namentlich findet der realistische Unterricht im Gegensatz zu dem herrschenden Formalismus der Sprachstudien einen warmen Fürsprecher in Milton. Aber der Ernst der Zeit und seine eigene ener gische und thätige Natur bewahrte ihn vor den Verirrungen der spätern Philanthropen. Er will die Jugend nicht erschlaffen durch Erleichterung und Beschränkung des Unterrichts, sondern er will durch größere geistige Bethätigung, durch weise Führung und durch praktische Anleitung den jugendlichen Geist bereichern, stärken und zum eigenen Forschen befähigen, er will durch Erweckung eines größern Interesses für höhere Studien und eines edlern Sinnes Begeisterung für Wissenschaft und Tugend erzeugen; er will durch körperliche Uebungen, genußreiche Erholung, durch Belebung der Geselligkeit und Freundschaft die Jugend an reinere und edlere Freuden gewöhnen und dadurch den Grund zu ihrem künftigen Lebensglück legen. Es ist nicht zu verkennen, daß Milton bei dem Entwurf dieser idealen Einrichtungen die genossenschaftlichen Vereine der alten Griechen und namentlich das Bundesleben der Pythagoräer vor Augen gehabt und daß ihm einige Ideen aus Plato's Staat vor der Seele geschwebt haben.

Die dritte und stärkste Gruppe der Milton'schen Prosawerke um

faßt die Staatsschriften, unter denen die ursprünglich lateinisch abgefaßte Schußrede für das englische Volk gegen Salmasius“ am bekanntesten, aber keineswegs am bedeutendsten ist. Der »Iconoclast« oder die zermalmende Gegenschrift wider das bekannte, angeblich von König Karl I. selbst herrührende, Werk »Eikon basilike« ist ein Muster kräftiger und edler Polemik und das goldene Schriftchen „Areopagitica" versicht mit poetischem Schwung und mit hinreißender Beredsamkeit die edelsten Güter des Menschen Denk-, Lehr- und Preßfreiheit und zwar gegen das presbyterianische Parlament, das seinen jüngst errungenen Sieg nunmehr zu Zwangsmaßregeln mißbrauchen wollte. Während der republikanischen Zeit war Milton, damals schon erblindet, als Secretär des Staatsraths für die auswärtigen Angelegenheiten in Cromwell's Cabinet thätig und die diplomatischen Actenstücke und Regierungsschreiben der Zeit tragen so sehr das Gepräge des Milton'schen Geistes, daß St. John sie in die erwähnte Sammlung der Prosaschriften aufzunehmen für gut fand. Aus diesen Urkunden geht auch hervor, daß Milton's Verhältniß zu Cromwell bis zum Tode des Protectors keine Erschütterung erfuhr, und daß er auch noch unter Richard Cromwell sein wichtiges Amt verwaltete. Und mit welcher Charakterfestigkeit er seinen Grundsäßen treu blieb, ersieht man noch aus einer turz vor der Restauration verfaßten Schrift an Monk, worin er diesen zu bestimmen fuchte, durch das neu einzuberufende Parlament der Nation eine ähnliche republikanische Verfassung geben zu lassen, wie sie in den Niederlanden bestände. Das war zu einer Zeit, wo dieser Heuchler schon mit König Karl II. sich verständigt hatte und das rohalistisch-gesinnte Parlament die Restauration der Monarchie in unvorsichtiger Uebereilung bewerkstelligte. Durch längere Verborgenheit und den Schuß eines einflußreichen Freundes, dem er früher einige. Dienste geleistet, entging Milton der reactionären Wuth der royalischen „Cavaliers", die nicht blos an den lebenden Widersachern blutige Rache nahmen, sondern sogar die Leichen von Cromwell und Bradshaw schändeten. Wie Milton der Verfolgung und den Schergenhänden entging, ist immer noch räthselhaft; denn daß eine gewisse heilige Scheu vor

dem blinden Sänger, oder die Ehrfurcht vor seinem hohen Genius auf die Junker“ der Reaction einen Einfluß geübt habe, ist nicht anzunehmen. Ein solches menschliches Rühren“ galt von jeher bei Leuten dieses Schlags für Schwäche und sentimentale Anwandlung, unwürdig des ritterlichen und adligen Blutes in ihren Adern.

Was die politischen Ansichten Milton's betrifft, so wurzeln sie zunächst in einer unwandelbaren Liebe zur Freiheit, in einem glühenden Patriotismus und in der festen Ueberzeugung, daß die monarchische Verfassung nur ein auf dem Grundsaß der Nationalsouveränetät beruhender Gesellschaftsvertrag zwischen König und Volk sei1); daß dieser Vertrag nur so lange in Gültigkeit bestehe, als die beschworenen Bedingungen mit gewissenhafter Treue von beiden Seiten eingehalten würden, daß aber dieselben Geseze, die dem König zur Bestrafung der Uebelthäter zu Gebote ständen, auch auf ihn ihre Anwendung finden müßten, wenn er sich einer Uebertretung schuldig mache. Nach diesen Grundsäßen ist demnach die revolutionäre Erhebung einer Nation gegen einen treubrüchigen König gerecht und gesetzlich, und wenn sie dann die bisherige Verfassung, die ihr keine genügende Bürgschaft gegen Tyrannei geboten, umändert und mit einer andern Staatsform vertauscht, so bedient sie sich nur ihres angeborenen Rechts. Auf dieser Argumentation beruht Milton's ganze politische Anschauung. Er hält zwar die republikanische Verfassung für die Gott wohlgefälligste und der Menschenwürde am meisten entsprechende Staatsordnung und sucht an verschiedenen Orten den Beweis zu führen, daß diese Staatsform im Alten und Neuen Testament vor jeder andern bevorzugt und gepriesen werte; doch verwirft er auch eine monarchische Verfassung keineswegs, sofern ein gerechter König die Geseze gewissenhaft hält und handhabt und die Garantien der Volksfreiheit nicht gefährdet werden. Wie er bei den kirchlichen Fragen genau unterscheidet zwischen der innern Lehre und der äußern Form und bei strengem Festhalten an der erstern eine weite Mannichfaltigkeit in der leztern zuläßt, so will er auch bei den politischen und staatsrechtlichen nur die Fundamentallehren der Volkssouveränetät und der Heilighaltung der zwischen Volk und Obrigkeit

vereinbarten Geseze gewahrt wissen, wogegen er in der äußern Gestaltung eine Mannichfaltigkeit der Formen und Einrichtungen und eine freie Wahl und Prüfung gestattet. Er hängt nicht mit doctrinärer Systemsucht an einem festen Princip, von dessen Einführung allein alles Heil und Segen einer Nation bedingt sei. Die Wohlfahrt des Staats ist ihm der höchste Zweck; die Begründung dieser Wohlfahrt darf aber nicht in die Macht eines von Schmeichlern und Sophisten umgebenen Königs gelegt sein, sondern muß von einem durch Volkswahl berufenen hohen Rath oder Nationalsenat ausgehen. Ein solcher Senat wird aber in einer Republik seiner Aufgabe besser und ungehemmter genügen können als in einer Monarchie, wo der Einfluß des Hofes auf die gesetzgebende Versammlung nie ganz zu vermeiden sein wird.

Fassen wir nun diese verschiedenen Seiten und Richtungen in einem Gesammtbilde zusammen, so werden wir Milton als freiheitbegeisterten Idealisten charakterisiren müssen, der die Dinge dieser Welt und die darin handelnde Menschheit mit dichterischer Phantasie betrachtete und sie nach seiner poetischen Auffassung beurtheilte. Die dichterische Natur Milton's gibt sich überall kund; alle seine Schriften, sie mögen ihrem Inhalte und ihrer Tendenz nach noch so sehr die praktischen Verhältnisse des wirklichen Lebens berühren, tragen ein poetisches Gepräge und enthalten hier und da echt dichterische Stellen, schwungvolle Bilder, treffende Gleichnisse und Allegorien. Selbst die Sprache und Darstellung hält sich meistens auf dichterischer oder oratorischer Höhe, und selten versäumt er eine Gelegenheit zu einem poetischen Excurs, zu einer schwungreichen Steigerung. Eine durchaus innerliche, contemplative Natur, war Milton weniger zum praktischen Handeln als zur Erweckung eines begeisterungsfähigen, empfänglichen Volkes in einer aufgeregten Zeit geeignet. Seine Worte kamen von Herzen und gingen zu Herzen; die enthusiastische Freiheitsliebe, die aus seiner dichterischen Seele mächtig ausströmte, riß die Leser fort und füllte ihre Brust mit ähnlichen Gefühlen. Darum waren auch seine Schriften besonders während der in den vierziger Jahren herrschenden und bis zum Tode des Königs stets wachsenden Aufregung von großer Wirkung.

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