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len gar nicht realisirbar, weil der Execut mit Mord drohte, die Nationalgarde viel zu vornehm und freiheitsliebend war, um dem Geseße Achtung zu verschaffen, und die Behörden es hiebei bewenden ließen.

So war die Permanenz der Revolution und die Anarchie, ehe man sich dessen versah, eine vollendete Thatsache. Die sich drängenden Verbrüderungsschaften, Deputationen aus allen Theilen der Monarchie, Fahnenweihen, eine sich überstürzende Bildung von Vereinen, ehe das Associationsrecht geregelt und festgestellt worden, alles dies trug bei, um den Umsturz durchzuführen. Kein Militär durfte in die von Militär entblößte Residenz einmarschiren, die nach Italien bestimmten Truppen mußten angezeigt werden, und Truppen überhaupt durften nur auf Verlangen der Nationalgarde, welche mit Ausnahme der MilitärGebäude den Dienst der ganzen Stadt versehen mußte, verwendet werden. Die Nationalgarde, größtentheils aus gewerbtreibenden Bewohnern bestehend, war durch die Webernahme obiger Verpflichtung in Kriegszustand verseßt, der nicht ohne den nachtheiligsten Einfluß auf die übrigen bürgl. Verhältnisse blieb. Man machte nicht blos - man lebte gleichsam Politik, und war das bewegte willenlose und ohnmächtige Werkzeug in Händen von bewegenden, böswilligen aber energischen Umstürzlingen. Die beständige Aufregung, das wüste, dem einer lagernden Truppe abgeborgte Leben, Zerwürfnisse im häuslichen Kreise, erzeugt durch Verschiedenheit der politischen Ansichten, der viele Dienst, den man sich freiwillig aufgebürdet, -Alles dieß zusammen genommen, bewirkte eine Demoralisation, die man kurzweg als Ringen nach der heiligen Freiheit, als constitutionelles Streben, eine neue rein demokratische Verfassung auf der breitesten Basis zu erhalten, bezeichnete. Der angestrengte Dienst hatte die Gewerbtreibenden, welche sich im Soldatenspielen behaglicher fühlten, entweder zu arbeiten entwöhnt, oder aber zu arbeiten unmöglich gemacht. *)

An dieser Unterwühlung der rechtlichen Ordnung trugen auch die allgemeine Noth und die Presse Schuld. Der Adel flüchtete aus der Residenz, die Gehalte der Beamten wurden reducirt, die Staatspapiere und Actien sanken immer tiefer, das baare Geld wanderte in die Koffer, Jeder schränkte sich möglichst ein; durch dieß Alles erlahmte der Erwerb und Verkehr, Noth und Elend nahmen überhand. Die verblendete Masse klagte dieses traurigen Zustandes wegen die Regierung an, und wurde so für die Umtriebe der Heßer desto empfänglicher. Zu einem mehren Fluche wurde jedoch die Presse. Das herrlichste Geschenk Ferdinand des Gütigen, die Preßfreiheit, ward durch freche Buben ohne Gesinnung und Vaterland eine Calamität. Ein Theil derselben, der „Ra

*) Vergl. Böhringers G. 76.

dikale," die „Constitution,“ der „Freimüthige,“ gefiel sich darin, durch Lügen und Verdächtigungen die Regierung und einzelne Individuen herabzuwürdigen, die Opposition nicht zum Mittel, sondern zum Zwecke zu machen; statt durch practische Vorschläge zu nüßen, lieber durch Gassenbubenschimpf der Gemeinheit zu huldigen, und endlich mehr oder minder deutlich zu brutalen Gewaltthaten aufzufordern. Ein anderer Theil der Presse, wie der „Demokrat," die „Nationalzeitung," verfiel zwar nicht so ins Extreme, zog es aber ebenfalls vor, zu schmähen und albernes Zeug zu plaudern, statt zu begründen und zu belehren. Der österr. Courier der Theaterzeitung lieferte ausgezeichnete Artikel über die Zustände Wiens, voll Schärfe und Wahrheit, wurde vielseitig von den radicalen Blättern angefeindet, war aber zu kostspielig, um dem Volke zugänglich zu seyn. Ueber Saphirs Blatt läßt sich weil man seine bekannte Manier in öffentlicher Verfolgungssucht fürchten muß — nichts sagen, außer, daß der Humorist nie politisch war. Die allgemeine österr. Zeitung beleidigte durch fortgeseßte National-Gehässigkeiten den Kern österr. Macht, und war in jeder Hinsicht viel zu theuer. Andere Blätter, wie die „Presse“ und „Wiener Zeitung," beobachteten zwar den literarischen Anstand, waren jedoch zu vornehm, zu weitläufig, zu einseitig und zu wenig anziehend, leztere zu kostspielig um in die Massen der untern Schichten zu dringen. Die Wiener Zeitung war jedoch unter allen Blättern die consequenteste, und deren leitende Artikel, so wie auch der Presse, größtentheils gediegene Arbeiten. Beide waren die einzigen guten Blätter. Die Geißel" *) und der „Zuschauer" endlich waren in ihrer Darstellung ebenso pöbelhaft und geistig dem Volke unerquicklich wie die radikale Presse. Erstere verfolgte mit Consequenz die Uebergriffe der Ultra und gewann den Beifall vieler Gutgesinnten; ihr Streben war gut. Leßterer gefiel sich darin, Dehl ins Feuer zu gießen, statt es löschen zu helfen, und schadete mehr der dynastisch-constitutionellen Sache, als er ihr zu nüßen vermochte. Die Maße anderer Blätter war eine Mistgrube. So fehlte dem Volke eine gesunde Nahrung, ihm wurde nur das Gift der Verläumdung, der Verdächtigung, der oberflächlichen Schmähsucht gereicht, daher der innere Gedärmbrand, oder die Revolution.

Der N. G. Verwaltungs-Rath sah sich in Folge der in der Nationalgarde eingerissenen Spaltung, Uneinigkeit und Mangel an Disciplin bemüssigt, eine Petition an den Reichstag zu stellen, entweder das von dem Verwaltungsrathe dem Ministerium überreichte Geseß provisorisch anzunehmen, oder ein anderes Geseß für die Nationalgarde zu erlassen. Der Inhalt dieser Petition lautete wortgetreu wie folgt:

*) Ihr Redakteur war am 6. October an seinem Leben bedroht, und nur die Ent, schlossenheit eines Akademikers rettete ihn.

Hoher Reichstag!

Es war am 14. März d. I., wo die Bevölkerung Wiens mit begeistertem Jubel nach dem Zeughause eilte, um Waffen zu erlangen, so daß schon im Pa= tente vom 15. März d. I. gesagt werden konnte: die Nationalgarde Wiens leistet bereits ersprießliche Dienste.

Die Anzahl der Theilnehmenden wuchs auf viele Tausende und mit ihr die Nothwendigkeit der Organisirung.

Der Ministerial-Erlaß vom 10. April d. I. feßte einige der nothwendigsten Bestimmungen provisorisch fest, und die Verhältnisse der Garde wurden durch einzelne Ministerial-Verfügungen, so wie die Dienstleistungen durch einzelne Tags= befehle geregelt. Diese Verfügungen betrafen einzelne concrete Fälle, hervorgerufen durch ephemere Nothwendigkeit; zeigten aber mit jedem Tage das Bedürfniß nach einer durchgreifenden Norm, welche die Errichtung der Nationalgarde nicht nur für Wien, sondern für das ganze Land organisiren soll.

Bei dem Mangel einer Cynosur war es unvermeidlich, daß Conflicte theils in der Garde, theils in ihrem Wirken nach Außen entstanden. Nur durch ein Gesetz über die Garde in ihren verschiedenen Gestaltungen wird es möglich, die erlangten Freiheiten zu schüßen, und durch diesen Schuß die öffentliche Ordnung aufrecht zu halten.

Die Dienstleistung des Einzelnen, wie ganzer Abtheilungen, kann jeßt nicht durch Dienst-Reglements, deren Zweck das harmonische Zusammenwirken ist, abgegränzt werden; weil der Zweck und die Art der Dienstleistung noch durch keine allgemeine Norm, durch kein Geseß ausgesprochen ist; ja der Zweck selbst ist, wenn auch im Principe anerkannt, nur ein halber, ein vager, weil die Abmarkung nicht gezogen, durch kein Gesez festgestellt ist, wie sich die Nationalgarde von anderen bewaffneten Körperschaften, welche gleichfalls im Interesse des Geseßes wirken, scheidet.

Ein zweckmäßiges, thatkräftiges Wirken der Garde ist nicht möglich, wenn die Berechtigung, so wie die Verpflichtung zur Dienstleistung nicht zweifellos ausgesprochen ist; weil der Bürger als Garde von vielen anderen Rücksichten und Berufspflichten in Anspruch genommen wird.

Wo aber weder das Recht, noch die Pflicht einer corporativen Wirksamteit festgestellt wurde, da ist der Zustand ein gesegloser, und die Wirksamkeit des Institutes hängt nur von dem Belieben des Einzelnen ab, mag dessen individuelle Ansicht nun über oder vor das Ziel, oder in dasselbe treffen.

Die traurigen Folgen dieses Zustandes und der Mangel einer Sanction haben sich leider bei der Nationalgarde Wiens schon gezeigt. Sociale und politi= sche Mißverständnisse, Conflicte zwischen dem Rechte des Waffentragens und der Pflicht des bewaffneten Schußes, haben bereits zu Spaltungen in der Garde,

haben bereits dahin geführt, daß Bürger den Bürgern bewaffnet gegenüber standen.

Der Mangel gefeßlicher Verfügung kettet den Einzelnen an keine Dienstpflicht und hat zur Folge, daß gerade da, wo die Garde als solche ihre Pflicht üben sollte, dieselbe in vielen Fällen sich gar nicht zeigt.

Die Nationalgarde Wiens, welche im Mai und Juni d. I. bei 40,000 Köpfen zählte, ist nun auf einen Stand von 18,000 Dienstleistenden zurückgeführt. Disciplin ist nur Sache des guten Willens, kurz die Nationalgarde Wiens liefe Gefahr, ihrer Auflösung entgegen zu gehen, wenn nicht sogleich dem Uebel ein Damm gesezt würde.

Man wagt es nicht den hohen Reichstag mit Aufzählung einzelner Fälle, welche die Belege für das Gesagte bilden, zu ermüden, indem selbst der hohen Versammlung die Dringlichkeit des Geseßes bekannt seyn dürfte.

Jeder Tag Aufschub in dieser Sache bringt das Institut der Garde näher seinem Falle, und es wäre ein bedauernswerthes Unmündigkeits-Zeugniß für Oesterreichs Völker; wenn das Institut der Nationalgarde, dieser Wächter der Freiheit und gesetzlichen Ordnung, nach einem halbjährigen Leben absterben sollte. Diesem kann nur durch schleunige Erlassung eines Geseßes gesteuert werden. Schon ist der Entwurf eines solchen Organisirungs-Geseßes vollendet, und der gefertigte Verwaltungsrath, als das administrative Organ der gesammten Nationalgarde Wiens, stellt das dringende Ansuchen:

Der hohe Reichstag wolle den Entwurf des Organisirungs-Gesezes für die Nationalgarde sogleich in Berathung nehmen, oder, wenn dieß die Geschäftsbehandlung nicht gestattet, das hohe Ministerium ermächtigen, das erwähnte Gesetz als ein provisorisches kund zu machen.

Im Namen des Verwaltungsrathes der
Wiener Nationalgarde.
Klucky, Präsident.

Diese Petition hatte, leider! feine Folgen gehabt. Die immer mehr und mehr hervortretenden Anfeindungen gegen die Schwarzgelben trugen ebenfalls bei, Spaltungen in der Nationalgarde und unter der Gesammt-Bevölkerung herbeizuführen. Die Schwarzgelben *) waren die kaiserlich Treugesinnten, die die Integrität der österreichischen Monarchie gewahrt wissen wollten, somit die österreichisch - dynastisch-konstitutionell Gesinnten, als Gegensag zu derjenigen Partei, die den österreichischen Staat zertrümmert, die dem deutschen Bunde angehörenden Provinzen zu einem einigen Deutschland geschlagen, solches — dann Italien, Ungarn und Polen als Republiken unabhängig haben wollten. Diese

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*) Unter den Schwarzgelben wurden auch jene verstanden, die — so unglaublich es àuch erscheint den alten Despotismus zurückwünschten.

waren die Umsturzpartei, und vergaßen die der Dynastie getreue slawische Bevölkerung von 20 Millionen Seelen, die treubewährten Schaaren der Kroaten, Slawonier, Slowenen, Rufinen, Czechen, Mährer, Slowaken, Serben, Krainer und Morlachen, und die aus denselben hervorgegangenen Heerführer, Offiziere und Staatsmänner, die den Kern des österreichischen Heeres und Rathes bilden.

Nach diesem ist dem Leser ein getreues Bild der Begebenheiten in gedrängter Kürze vorausgeschickt worden, welche auf die Katastrophe, die zu beschreiben unsere Aufgabe ist, so wie auf den Geist und die Haltung der Wiener Nationalgarde Einfluß genommen haben. Es dürfte daher die Angabe Begründung finden, daß es am 5. Oktober 1848 Abends, als dem Vorabend des erreignißvollen Tages, weder eine Legion, weder eine Nationalgarde, noch ein Bürger-Korps gab, sondern nur eine in sich zerfallene und sich gegenseitig mißtrauende bewaffnete Volksmasse in Compagnien und Bezirke eingetheilt, bestanden hat, die ohne Gefeß, ohne politische Grundsäße, und ohne Disciplin, die aus den Fugen gegangene Staatsmaschine auf ihren Schultern zu tragen berufen war. Um aber auch einen Blick auf die oberste Staatsautorität und die Regierungs-Organe werfen zu können, scheint es uns nicht minder nöthig auch in dieser Beziehung Einiges zu erwähnen.

Vor Allem erscheint es als wünschenswerth, über die Stellung der Deputirten im Reichstage, Dr. Brauner's ausgezeichnete Darstellung anzuführen. Dieser geniale Reichstags-Abgeordnete sagt: „Die alte Regierung Desterreichs brachte durch ihre unheilvolle Starrigkeit im Prinzipe und tödtende Consequenz in der Wahl ihrer Mittel bei den Völkern dieses Staates einen solchen Grad von Theilnahmslosigkeit an den gemeinsamen Staatsinteressen und eine Entfremdung unter den verschiedenen Nationen hervor, daß es ihnen unmöglich wurde, schnell genug den wahren Vereinigungspunkt für ihre Interessen zu finden, als im Monate März 1848 das morsche Regierungssystem unter dem gewaltigen Andrange der Weltereignisse von Außen, und fast einem instinktartigen Zuthun der Völker von Innen, plöglich zusammenstürzte, und mit der allgemeinen westeuropäischen zugleich eine neue Aera für Oesterreich hereinbrach.

Jede Nation, jedes Land sprach mehr oder weniger bestimmt seine langgehegten Wünsche aus, jedes trachtete das möglichst größte Maß günstiger Concessionen für sich zu erringen, und während das gewaltige Desterreich von Süden her mit dem Verluste eines seiner größten und schönsten Länder bedroht ward, schien eine verhängnißvolle Excentricität dasselbe auch nach Osten und Westen hin auseinander reißen zu wollen. Kossuths schlaue und perfide Politik benüßte den gleichzeitig von Prag und Wien auf die lockere Centralgewalt anstürmenden Drang, um Ungarn von Desterreich loszureiffen, und die deutschen Stammlande sprachen ihre Hinneigung zu einem vielversprechenden, neuen, einigen Deutschland entschieden und unverhohlen aus. Nur die von Slawen bewohnten Länder, insbe

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