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Leichenhügel aufgeschüttet, und die Edlen umritten mit Klagegesang die Trauerstätte. War aber der Verstorbene Häuptling eines seefahrenden Volkes, dann wurde der Leichnam in die Höhlung des Schiffes zum Maste gelegt, um ihn Schätze, Kriegswaffen und Kampfgewand, an den Mast über seinem Haupt wurde sein Banner geschlagen, das Strandseil gelöst und der Tote mit günstigem Fahrwind in die hohe Sce gesandt, damit die Götter ihn empfingen.

Dieser Stellung zu kriegerischen Hausgenossen verdankte der Häuptling einen guten Theil seiner Macht; sein Stolz war, so viel Mannen als möglich zu führen, und die Nothwendigkeit, diese Menschenmenge zu ernähren und sich bei ihr in Ansehen zu erhalten, zwang ihn wieder zu einer kriegerischen Politik, welche oft dem Vortheil seiner Landesgenossen wenig entsprach. Wir dürfen annehmen, daß die feurigen Wünsche, welche bei dem Methkrug in seiner Halle aufloderten, Krieg und Auswanderung der Völker sehr gefördert haben. Aber gerade dies älteste Gefolgewesen wurde in der großen Wanderzeit schnell umgeformt, denn den Haushalt eines Mächtigen füllten in fremdem Lande statt der Verwandten und Nachbarkinder nützliche, in den Künsten der Fremde erfahrene Unfreie; unter der wilden Begehrlichkeit, welche dieses Zeitalter in den Seelen großzog, wurde auch die Treue geringer, der Vornehme durfte seinen Verwandten am wenigsten vertrauen. Und wo es galt, sich den Besitz eines fremden Landes zu sichern, konnte der Häuptling seine Treuesten nicht mehr im Hause halten, sein Vortheil war, sie unter den Fremden als seine Beamten und Landbesizer zu vertheilen. Was der spätere Dienstmann in eigenem Haushalt, als waltender Gebieter über verliehenes Land, seinem Herrn bewahrte, war eine andere Art von Treue. Denn an die Stelle des häuslichen Verhältnisses war ein politisches getreten.

Dieselbe hohe Auffassung der Pflicht, welche freiwillig auf das Leben genommen wird, hat den Germanen auch die

Ehe geweiht. Kein anderes Volk hat aus innerem Herzensbedürfniß das älteste Verhältniß, welches zwei Menschen an einander schließt, so edel gefaßt. Das Verlöbniß war ein Vertrag, durch welchen Mann und Weib sich zu einem Haushalt und Gründung einer Familie für das ganze Leben verbanden, um einander lieb zu sein über Alles auf Erden, Wunsch, Willen und Besißthum gemeinschaftlich zu haben. Selbst mit dem Tode hörte die Pflicht der überlebenden Gattin nicht auf. Bei einigen Germanenvölkern war es der Frau nur einmal gestattet, in den Ring der Zeugen zu treten, vor welchen sie das Gelöbniß ablegte; und es sind Spuren erhalten von noch älterer strenger Volkssitte, nach welcher die Frau den Gatten so wenig überleben durfte, wie der Gefolgemann seinen Wirth, wenn dieser in der Schlacht fiel. Das Weib des Germanen war nicht nur die Halsgebettete, welche auf gemeinsamem Lager den Hals des Gatten umschlang, und nicht nur Herrin des Hauses und Erzieherin der Kinder, wie bei den Römern, sie war auch seine Vertraute und Genossin bei der männlichsten Arbeit. Die Geschenke, welche der Mann ihr zu dem Gelöbniß gab, ein Joch Rinder, Speer und Roß waren sinnbildliches Zeichen, daß sie mit ihm über den Herden walten würde und als seine Begleiterin an der Feldarbeit theilnehmen, ja daß sie ihm auf dem Kriegspfade folgen sollte, in der Schlacht seinen Eifer zu stählen, seine Wunden zu rühmen, nach seinem Tode ihn zu bestatten und vielleicht zu rächen. In diesem Sinne haben die Germanen, und sie allein, den Frauen mit Vorliebe Namen gegeben, welche auf Kampf und Schlacht deuten. Von den Blumennamen der Inder und den klangvollen Schmucknamen der Hellenen, welche Glanz und Schönheit des Weibes bezeichnen, ist unter den Deutschen wenig zu finden. Speerlieb, Kampfwalterin, Wolfstraut klingen die Namen ihrer Frauen. Zu den göttlichen Abbildern weiblicher Kraft, welche die Phantasie der Germanen fand, gehörten die Schlachtjungfrauen ihres höch

sten Gottes, welche über den Kämpfen der Männer schwebten, Runenworte raunend, um das Schicksal zu lenken, und welche die Seelen ihrer gefallenen Trauten aus dem Kampfgewühl heraufholten in die große Halle des Himmels, wo sie den seligen Helden den Trinkkrug füllten. Aber die Frau folgte dem Manne nicht nur in die Volksschlacht, sie war auch zuweilen Friedestifterin zwischen entzweiten Völkern, dann zog sie von dem Sänger begleitet zu den Feinden und warb Versöhnung. Denn in dem hochsinnigen Weibe lebte etwas Geheimes, dem sich die Männer scheu unterordneten, ihr waren die Götter hold, die Weisheit der Runen, die geheime Kunde der Zukunft wurde am liebsten ihr offenbart. Vollends das Weib, welches sich jungfräulich einer Gottheit band, galt dem Volke für begnadet von den Himmlischen und wurde als Seherin geehrt.

Der Innigkeit germanischer Ehe schadete nicht, daß sie schon in der Urzeit oft ein Familienvertrag war, der im Interesse zweier Geschlechter geschlossen wurde. Auch damals erschien die Leidenschaft, welche Weib und Mann aneinander fesselte, der Poesie des Volkes am liebsten wie ein Feuer, welches alle Hindernisse niederbrannte. Die nordische Brunhild, welche auf den Scheiterhaufen des geliebten Helden fährt, die deutsche Kriemhild, welche den getöteten Liebling durch gehäuften Tod ihrer eigenen Verwandten rächt, sind Gestalten der Volksphantasie, welche die dämonische Gewalt solcher Leidenschaft darstellten; Thusnelda aber ist milderes Beispiel aus der Wirklichkeit. Bezeichnend ist, daß der starke Schmerz dieser Frauen immer ihrem Hauswirth, dem geliebten Jugendgemahl gilt.

Wer sich aber nur aus den Zügen, welche Geschichte und Heldenlied überliefern, die Bilder unserer ältesten Vorfahren zusammensetzen wollte, der würde ihnen ein falsches Antlig leihen. Nur das Ungewöhnliche melden uns alte Berichte, gerade das Alltägliche, für uns das Wichtigste, wird

selten, wie zufällig durch die Schrift bewahrt. Keine Hand hat aufgezeichnet, wie die Germanen in glücklichen Stunden des Lebens, im Frieden des Hauses, im Genuß des bescheidenen Wohlstandes bei Frau und Kindern dachten und sprachen; und doch ahnen wir, daß ein reichlicher Quell von Freude, von inniger Empfindung und Behagen durch ihre Tage floß. Denn vor Allem und immer waren Mann und Frau Landbauer. Die realen Interessen, welche jede Woche füllten, ihre Tagesarbeit, ihre Ruhe, ihre Jahresfeste und die Spiele ihrer Kinder kamen regelmäßig von Halmfrucht und Herde. Unzähligen verrann ihr Leben in dieser stillen Thätigkeit zwischen den Marken des Feldes und der Trift. Nicht in jedem Menschenalter und nicht in jedem Gau töteten die Frauen nach verlorener Schlacht ihre Kinder und sich selbst auf der Wagenburg; es war auch dem Manne nur verhältnißmäßig seltenes Thun, mit gesträubtem Haare brimmend wie ein Bär in die Feinde zu springen. Aber alljährlich streute er Samen in die Ackerfurche und alljährlich band die Frau fröhlich ihre Kälber an, denen sie schon damals unterscheidende Namen zutheilte, und jeden Tag schaffte sie emsig in der Wirthschaft um Rinderstall und Keller, weil der Würde ihres Hauswirths die Sorge um das Kleine gar nicht ziemte.

Landwirthe waren Mann und Frau in den Gedanken und Gefühlen des Werkeltages, auch in ihrem Glauben. Zahlreich und charakteristisch waren ihre Göttergestalten: Schlachtengötter, Segen- und Todesspender. Aber am tiefsten im Herzen des Volkes hafteten -man soll sich darüber nicht täuschen. -die großen Götter der Natur, welche über dem Leben des Landmanns walten. Neben dem höchsten gewaltigen Gott und Hausherrn des irdischen Lebens, Wodan, stand seine Hauswirthin, die allsorgende Erdmutter, welche bei den Deutschen verschiedene Namen trug. Beide lenkten das Menschenleben als die Gebieter des Volkes, und sie regierten das Leben der Natur, jedoch nicht ebenso übermächtig wie die Schicksale der

Menschen. Als Naturgötter hatten sie für ihr Volk vom Anbeginn der Welt bis zum Weltende einen unaufhörlichen Kampf gegen feindliche Dämonen, zerstörungslustige Ungeheuer zu bestehen. Denn das Leben des deutschen Landwirths unter rauhem nordischem Himmel wurde durch Sommer und Winter zweitheilig. Alljährlich sah er im Frühjahr die Lebenskraft erwachen, alljährlich im Herbst dahinschwinden. Wenn der Saft der Bäume aus der Tiefe heraufstieg, begann der Kampf, der Sieg, die Sommerherrschaft der Menschengötter. Wenn im Herbst die Blätter zur Erde sanken, der Acker kahl wurde. und die Weite der Rinder spärlich, dann wichen die Götter vor den andringenden Riesengewalten des Reises und Schnees in die Tiefen der Haine, in das Innere der heiligen Berge zurück, dort hausten und warteten sie, bis ihre Zeit wiederkam, gerade wie der Landwirth den Thauwind des Frühlings und die schwellenden Knospen am dürren Baum erwartete. Allerdings war Wodan auch der gewaltige Schlachtengott; wenn er auf Kampf seines Volkes dachte, dann ritt er als riesige Greisengestalt in dunklem Mantel mit herabhängendem Hut auf weißem Rosse, hinter ihm sein kriegerisches Gefolge, die Seelen gefallener Helden; dann brauste der Geisterzug durch die Lüfte, Noth und Gefahr, Krieg und Schlachten verkündend, dann flogen die Raben des Gottes um sein Haupt, seine Kriegshunde heulten, die Rosse schnoben Feuer, die Wipfel der Bäume bogen sich; dann warf sich der Wanderer auf das Antlitz, und der Hauswirth verdeckte sorglich die Fensteröffnung, damit nicht ein geisterhaftes Pferdehaupt aus dem Gefolge des Stürmenden in seinen Saal hineinschaue.

Doch vertraulicher waren dem Volke die Himmlischen, wenn sie alljährlich die Dörfer, Höfe und Fluren durchzogen, um die Arbeit der Menschen zu segnen. Hier war es die weibliche Göttin, welche mütterlich bei ihrem Volke zum Rechten sah, Lohn und Strafe vertheilend. Am feierlichsten war ihr Zug in den heiligen zwölf Nächten des Winters, der größten

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