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Einleitung,

Vergebens sucht der Deutsche die gute alte Zeit. Auch ein frommer Eiferer, der Hegel und Humboldt als die großen Atheisten verdammt, auch der conservative Grundherr, welcher für die Vorrechte seines Standes mit den Mächten der Gegenwart hadert, sie würden, in eins der früheren Jahrhunderte zurückverseßt, zuerst ein maßloses Staunen, zuleßt einen Schauder vor ihrer Umgebung empfinden. Was sie am meisten begehren, das würde ihre Seele elend machen, und was sie jetzt gedankenlos oder grollend von unserer Bildung empfangen, es würde ihnen so fehlen, daß sie über dem Mangel verzweifelten.

Man versuche, sich in die Gefühle eines deutschen Gutsherrn zu denken, den ein Ahn seines Hauses mit starker Geisterhand in das Jahr 1560 zurückzieht. Statt des Hauses, das er sich jetzt in altdeutschem Stil, unter englischen Anlagen aufgeführt hat, würde ihn der alte Bau selbst umschließen, düster, geflickt, unwohnlich, entweder auf wasserarmer Höhe in scharfen Zug des Windes gesezt, oder rings von übelriechendem Grabenschlamm umgeben. Zwar hat schon die dritte Generation vor jener Zeit trübe Scheiben in die kleinen Fenster gefügt,*) und

*) Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert werden Glasscheiben, wenigstens in den Städten, allgemein, erst seit dieser Zeit kommt das Behagen der Stube und die Freude am wohnlichen Raum in das Volt. Noch 1546 hielt man es der Erwähnung werth, daß die Schlafkammer in Luther's gräflicher Gastwohnung zu Eisleben durch eingefügte Fenster wohl_ver= wahrt war.

Freytag, Werte. XVII.

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große Kachelöfen, die mit Holzkloben aus dem nahen Walde genährt werden, halten die Winterkälte von dem Wohnzimmer ab. Aber der Raum ist enge, denn noch gilt es, ihn bei Gelegenheit gegen einen gewaltsamen Ueberfall zu vertheidigen, wenn nicht in einer Fehde mit den Bürgern der Nachbarstadt oder einem feindlichen Junker, doch gegen eine streifende Bande von Mordbrennern oder gegen zuchtloses Kriegsvolk, das auf Nache denkt, weil es vom nächsten Landesherrn um einen Theil des Soldes betrogen wurde. Unwohnlich und unsauber ist das Haus, denn es beherbergt außer der Familie des Grundherrn noch viele andere Bewohner, jüngere Brüder oder Vettern mit Weib und Kind, zahlreiche Knechte, darunter manch unheimlichen Gesellen mit finstrer Vergangenheit, und als erprobte Kriegsmänner auch einzelne narbige Landsknechte, um 1560 schon ruchlose Lohnsoldaten. Von dem Düngerhausen des kleinen Burghofes tönt das Geschrei zankender Knaben, und um den Herd der großen Küche nicht weniger mißtönend das Hadern der Frauen. Die Kinder des Hauses schießen auf zwischen Pferden, Hunden und dem Gesinde, spärlichen Unterricht finden sie in der Dorfschule, dann hüten wohl die Knaben die Gänse und das Kleinvich der Mutter,*) oder sie ziehen mit den Dorfleuten nach dem Wald, Holzbirnen und Pilze zu sammeln, welche zur Winterkost gedörrt werden. Die Schloßfrau selbst ist die Schaffnerin, die erste Köchin und der Arzt des Haushaltes, längst gewöhnt mit wilden und zuchtlosen Männern zu verkehren, wohl auch den Mißhandlungen des trunkenen Gatten zu widerstehen. Sie ist treu, wirthschaftlich, stolz auf Wappen, Goldkette und Goldbrocat des Hauses, sie sieht argwöhnisch auf Gewand und Schmuck der Rathsfrauen in der Stadt, welche Marder und Zobel, sammetne Kleider, Perlen im Haar und Edelsteine im Halsband nicht tragen dürfen. Sicher verklärt

*) Der kleine Hans von Schweinichen wurde 1560 als Gänsehirt abgesetzt, weil er die Schnäbel aller Gänse durch Hölzchen auseinander gespannt hatte, um sie zur Ordnung zu bringen.

auch ihr Liebe und weiche Empfindung in vielen Stunden Antlitz und Geberde; aber was damals in den Häusern der Edlen, ja an Fürstenhöfen noch als züchtig und dem ehrbaren Weibe erlaubt galt in Rede und vertraulichem Scherz mit dem eigenen Mann, das müßte jezt an der Frau des einfachen Handwerkers nicht selten als unanständig verurtheilt werden.

Das Tagesleben des Grundherrn ist ein Wechsel von Müßiggang und wilder Aufregung. Zwar die Jagd ist nicht schlecht. Wo der regellose Axtschlag nicht den Forst verwüstet hat, wachsen die alten Stämme des Waldes noch zum Urwald ineinander, selten in regelmäßige Schonungen und Schläge getheilt; noch hört man das Geheul des Wolfes in der Mitternacht; mit Spieß und Armbrust ziehen die Jäger aus gegen Raubthier, Hirsch, Reh und Schwein, zu Roß mit den Hunden werden die Hasen im Garne erlegt, und sorglich wird auf jeden rohen Waidmannsbrauch gehalten. Aber wer in den eigenen Wald zur Jagd zieht, der mag sich noch gegen andere Feinde waffnen, als gegen Isegrim oder gegen den alten Gebieter des deutschen Laubwaldes, den zottigen Bär. Denn wenig Jagdgründe gibt es, um welche nicht alter Hader mit dem Nachbar oder dem Lehnsherrn hängt, Streit über die Grenzen und über das Recht der hohen Jagd. Und außer dem Nachbargrafen, der den Anspruch erhebt, mit Meute und Jagdzeug die Hirsche bis an den Fuß der Schloßmauer zu verfolgen, trozt dem Junker auch der Bauer aus den nahen Dörfern, er, ein Todfeind der Hirsche und Schweine, die seine Saaten verwüsten, und nicht weniger Feind des Schloßherrn, der ihn schlug, in hartes Gefängniß setzte und verstümmelte, weil er auf der Wildbahn umherschlich. Nicht selten schwirrt im Waldesdunkel ein tickischer Bolzen, der nicht auf ein Wild angelegt war, oder ein gewappneter Haufe bricht in die Lichtung, dann beginnt unter den Menschen selbst die Jagd um Freiheit und Leben.*)

*) Lebensbeschreibung Sebastian Schärtlin's zum Jahre 1560.

Ist aber das Wild eingebracht und in dem Schloßhof zerlegt, so folgt das Gelage, endloses Zutrinken, wüstes Geschrei, selten eine Nacht, wo die Gesellschaft ohne Rausch auseinander geht. Das Trinken ist gerade zu dieser Zeit ein nationales Leiden geworden, es verdirbt Fürsten und GutsHerren, Bürgern und Landleuten die Manneskraft. Die Gäste bei Jagd und Trunk sind Standesgenossen des Gutsherrn, theils ältere Stegreifjunker, welche hinter dem Becher den Fürsten unendlich fluchen und von Reiterstücken erzählen, die sie im grünen Wald gegen das Krämervolk der Städte verübt, theils jüngeres Geschlecht, das sich gewöhnt hat den Nacken vor großen Lehnsherrn zu beugen, hochmüthig tragen diese das Barett mit vergoldeter Tresse, welches der fürstliche Hof bei einem feierlichen Aufzuge seinen Dienern schenkt.

So geht es durch die Woche; am Sonntag aber ist es Pflicht, in der Dorfkirche den Prediger zu hören, vielleicht eine endlose Predigt aus der Schule des Flacius, voll Haß gegen die Calvinisten, die Päpstlichen, den Rottengeist Schwenkfeld oder selbst gegen den „Mamelucken" Melanchthon, ein fanatisches Drohen mit Hölle und Teufel, eine hoffnungsvolle Prophezeiung vom Herannahen des jüngsten Tages, oder wohl gar ein troßiger Angriff auf den Gutsherrn selbst, seinen Hochmuth, seine Völlerei und seine Kargheit gegen den Diener Gottes. Dürftig und unregelmäßig ist der Verkehr mit der Fremde, neugierig kauft der Gutsherr vom wandernden Händler, was damals neue Zeitung hieß, wenige Quartblätter, welche bei besonderer Veranlassung in den Städten gedruckt werden und ungenaue Kunde geben von einer grausamen Schlacht, welche die Söhne des türkischen Kaisers einander lieferten, von einem besessenen Mädchen, oder wie der König von Frankreich durch einen vom Adel in den Helm gestochen worden. Zuweilen hört der Junker auf das Lied eines Bänkelsängers, der im alten Volkston ähnliche Neuigkeiten absingt, darunter das willkommenste, ein Spottgedicht

auf einen benachbarten Herrn, wofür der Sänger von der Gegenpartei bezahlt und ins Land geschickt wurde. Und was im Hause am liebsten gelesen wird, das ist der astrologische Unsinn einer Prophezeiung des alten Wilhelm Friese, des Gottfried Phyller und Hebenstreit, eine Beschreibung der Augsburger Totenfeier Kaiser Karl's V., oder vom gottseligen Ende des frommen Christian, Königs zu Dänemark. Außerdem dringen noch einzelne Streitschriften auf das Schloß, die theologischen Confutationes des unglücklichen Johann Friedrich des Mittleren von Sachsen, oder eine der zahlreichen Grumbach'schen Invectiven, und auch der Gutsherr streitet beim Trunk eifrig für Major oder Flacius und über den Mord des Bischofs von Würzburg.

Solches Leben, eintönig und arm trok zahlreicher Aufregung, wird zuweilen unterbrochen, wenn ein getöteter Mann in der Flur gefunden ist, oder wenn die vom Schlosse ein altes Mütterlein des Dorfes bezichtigen, Hererei getrieben zu haben. Dann beginnt ein Rechtsverfahren, im ersten Fall saumselig und gleichgiltig, im andern leidenschaftlich, grausam, voll Blutdurst. Und ein Aerger fehlt dem Gutsherrn jener Zeit selten, Proceffe und Geldverlegenheiten. Sein Vater hatte noch im Krebs und Steigbügel auf der Landstraße das Geld zur Zahlung seiner Schulden gesucht und in der Fehde Rache genommen für sein gekränktes Recht; jezt erhebt sich widerwärtig über die Willkür und Selbsthilfe des Einzelnen das Recht der neuen Zeit, ein unsicheres, langsames, verkröpftes Recht, das den Mächtigen scheut, den Wohlhabenden nur zu oft begünstigt. Aber schon ist der Proceß um Mein und Dein ein aufregendes Spiel geworden, welches viel Zeit und Geld kostet und den Gutsherrn zum stillen Diener des Juristen der Stadt oder eines reichen Wucherers macht. Noch reitet der Junker im Harnisch mit Lanze und Faustrohr auf schwerem Ritterpferde, aber er ist nicht mehr übereifrig, in großem Kriege Ruhm und Beute zu suchen. Der bürgerliche

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