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Hildburg, die wir im Greifennest schon fanden, zusammenfügt, dies alles ist so deutsch bürgerlich, dass wir dem Dichter nicht einen besonders schöpferischen, den Stoff grossartig beherrschenden Geist zutrauen können." Diese Vereinfachung lassen wir uns viel eher gefallen als jene Umbildung der Idee, wodurch das Heidnische, welches in diesen Gedichten nur spurweise hervorschimmert und in seinem geheimnissvollen Wesen nicht ohne Reiz für uns ist, zu seinem Nachtheile ans Licht gezogen werden soll. Die Darstellung jedoch, wenn es z. B. von Hartmut heisst

Nicht lässt der freie Geist sich zwingen;

Dem Trug hab ich vertraut.

Sollt Danmarks Kind ich nicht erringen.

Sei Danmark meine Braut.

Ihr will ich Dienst und Hulde schwören

Und diesen Schwur wird Gott erhören.

verbreitet einen so fremden, modernen Geist, dass wir bei solcher Alternative doch noch lieber zu den beiden andern Heirathen im Tone des alten Gedichtes greifen. Diese moderne Färbung zeigt sich übrigens auch noch an andern Orten, obgleich der Vf. nach seiner Versicherung (Vorr. S. V. VI) seine Arbeit möglichst davor zu bewahren suchte.

Wie wenig nun aber auch dieser Versuch das Original ersetze, so kann doch nicht geleugnet werden, dass er immer einen hohen Begriff von dem Werth und der Bedeutung desselben zu geben vermöge und denjenigen besonders, welche ältere deutsche Dialekte nicht verstehen, sehr willkommen seyn müsse, zumal da Sprache und meist auch Ausdruck dem interessanten Inhalte sich nahe anschliessen. Den Schluss des Buches bildet die Abhandlung, welche in mehrere Abschnitte zerfällt, als über die Zeit der Dichtung, über die Zeugnisse für die Sage, über Geographisches, Nationelles u. s. w. gewahren wir ernste Forschung, gesunde Kritik und umfassende Kenntnisse. Was bisher Schätzbares für diese Sage geleistet ist, hat der Vf. cinsichtsvoll benutzt und mit eigenen wichtigen Beiträgen vermehrt. Em Theil der Leser möchte dieser Partie des Buches den unbedingten Vorzug geben und dafür Hn. Sch. zu grossem Danke sich verpflichtet fühlen. Wir scheiden in vollem Vertrauen, dass das angekündigte Buch über Wolfram's Leben und Dichten zu vollkommener Zufriedenheit ausfallen werde.

Ueberall

K.H.

SPRACHKUNDE.

ZÜRICH, b. Schulthess: Französische Chrestomathie. Erster, prosaischer Theil. Herausgegeben von Conrad v. Orelli, Prof. am Gymnasium zu Zürich. 1836. 1r Bd. 8. (18 gGr.)

Zweiter, prosaischer Theil u. s. w. 1837. Französische Chrestomathie poëtischen Inhalts u. s. w. 1836. (18 gGr.)

Unter der sehr grossen Zahl von französischen Lesebüchern und Chrestomathien, welche die neueste Zeit uns gebracht hat, wird das vorliegende Werk eine der ersten Stellen einnehmen, weil es nach einem wohl durchdachten zweckmässigen Plane entworfen und mit Fleiss und Einsicht ausgeführt worden ist. H.C.v. Orelli schon sonst, und vorzüglich durch seine altfranzösische Grammatik, rühmlich bekannt, hat sich zu dieser Chrestomathie mit zwei anderen Lehrern in Zürich, Hn. Hansheer und Hn. Schulthess verbuuden, und sie haben die Arbeit so unter sich vertheilt, dass Hr. II. die Auswahl der Stücke für den ersten, Hr. Sch. die für den zweiten und Hr. O. die für den

dritten Bánd besorgt hat: dann aber hat noch eine gemeinschaftliche Revision und Besprechung darüber statt gefunden, wodurch für die Consequenz und Gleichförmigkeit der Bearbeitung aufs beste gesorgt worden ist. Das Ganze bildet einen Stufengang des Unterrichts vom leichteren, für jüngere Kinder, besonders Mädchen, geeignet, zum schwereren, und zwar so, dass sowohl der erste Band, in welchem ausser den prosaischen Stücken noch ein poetischer Anhang gegeben worden ist, ein eignes Ganzes, etwa für Mädchenschulen berechnet, bildet, als auch der 3te blos poetische Theil, wieder als ein eigenthümliches Werk betrachtet werden kann; das 2te und 3te aber ein für sich bestehendes vollständiges, prosaisches und poetisches Lesebuch für mittlere und allenfalls höhere Schulen darbietet. Unter dem Texte befinden sich deutsche Anmerkungen, welche theils ungewöhnliche Wörter und Redensarten, doch nur die wirklich seltenen, und Schwierigkeit darbietenden, erläutern, theils auf die, natürlich in der Schweiz mehr noch als bei uns verbreitete und mit Recht geachtete Hirzelsche Grammatik verweisen. Auch dies aber ist auf eine systematische Weise geschehen, so dass im Anfange des ersten Bandes die Bemerkungen sich vorzugsweise auf die Lehre von den Zeiten und den Gebrauch des Conjunctivs, später auf die übrigen Redetheile, Participium, Infinitiv, die Negationen be

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ziehen, zuletzt aber besonders die Synonymik berücksichtigen. Dieselbe Ordnung ist auch im zweiten Bande, doch weniger auffallend beobachtet; sie verschwindet aber noch mehr im 3ten, wo überhaupt, wie es in der Sache lag, die Noten seltener sind und sich mehr auf historische und litterärische Erläuterungen beschränken. Alles dies können wir nur höchst zweckmässig finden und bedauern nur, dass namentlich im ersten Bande sich manche Schweizeridiotismen eingeschlichen haben, wie:,, wo es ein Hospital hat ,, wo es ein Hospital hat (il y a);",, sich gegen eine Person oder eine Sache verstossen;" eine Krankheit die lange wird;",,aufs Protokoll setzen" u. dgl.; wie denn überhaupt auch bei den Erklärungen schwieriger Stellen nicht immer der glücklichste deutsche Ausdruck getroffen ist, und die grammatische Erklärung sich meist ganz auf der Oberfläche hält. Vermuthlich wollten die Herausgeber einem geschickten Lehrer nicht allzuviel vorgreifen und ihm die tiefere und eindringendere Erläuterung überlassen. Nur ein fast komisches Missverständniss ist uns im dritten Bande aufgestossen, wo in einer Chanson von Désaugiers, zu den Worten: Aurocher de Cancale Tu fis mainte chanson, die Note steht: ,,im nordwestlichen Frankreich, im Departement des Canals" (sollte heissen: Ille de Vilaine), während doch augenscheinlich hier das in Paris berühmte Speisehaus Aurocher de Cancale gemeint ist, wo man die besten Austern bekommt. Die Auswahl der Lesestücke ist eine sehr wohl gerathene zu nennen. Der erste, mehr für Kinder und besonders für Mädchen bestimmte Theil enthält an 40 Fables et Paraboles in Prosa, worunter nur einige, von Fénélon, mit dem Namen des ehrwürdigen Verfs. bezeichnet sind; woher die übrigen, wissen wir nicht; viele darunter sind bekannte Fabeln, welche hier im Gewande der Prosa erschei

nen.

Hierauf folgen 22 Contes, von Mallet du Pan, Raynal, St. Lambert, Fénélon, Jouy, Berquin, Barthélémy, Voltaire und Mad. Guizot; dann 4 Biographien, ohne Namen des Verfs., worunter auch die des würdigen Pfarrers Oberlin; dann 5 Pièces dramatiques, worunter 2 von Berquin, in dessen wohlbekannter, uns eben nicht zusagender Manier: indess wenn man bedenkt, wie selten auch bei uns gute Kinderschriften sind, so wird man sich nicht wundern, wenn in der französischen Litteratur nicht bessere zu finden waren. Als Anhang, vermuthlich um diesen ersten Band zu einem einigermaassen vollständigen Handbuch für

Mädchenschulen zu machen, sind eine Anzahl Poésies, meist Fabeln von Lafontaine und Florian, hinzugefügt worden. Der zweite Theil, prosaischen Inhalts, giebt zuerst 28 zum Theil grössere historische und biographische Stücke, welche sich über alte, mittlere und neuere Geschichte verbreiten und aus den besten Schriftstellern, wie Barthélémy, Thierry, Michaud, Barante, Mignet, Ségur, Mad. de Staël, Chateaubriand und einigen andern gewählt sind. Dass darin die Schweizer- und die franz. Geschichte vorzüglich berücksichtigt sind, bedarf wohl keiner Entschuldigung. Hierauf folgen 25 Descriptions et voyages aus den Werken von Humbold, St. Pierre, Marmontel, Chateaubriand, Buffon, Saussure, Ampère u. a. gewählt. Den Beschluss macht: La mort de César von Voltaire. Die Herausg. hätten, wie sie sagen, gern ein Drama in Prosa gegeben, wenn sie ein passendes hätten finden können; die Wahl des Jules César aber scheint uns die einzige nicht eben glückliche. Der dritte ganz poetische Theil enthält die Rubriken: Poésie didactique, worin viele der besten Fabeln von Lafontaine und mehrere von Florian, Dorat u. a. enthalten sind: Poésie narrative, worunter auch mehrere der gewöhnlich in Schulen zu Deklamirübungen benutzten längeren Erzählungen aus Tragödien von Corneille, Racine und Voltaire sich befinden, Bruchstücke der Henriade und sonst manche sehr hübsche Sachen von Andrieux, Florian, Delille, Thomas, Chènedollé, Legouvé, Joug, Raynouard, De la Vigne, Victor Hugo u. a. brik: Poésie lyrique ist sehr reich ausgestattet und entDie Ruhält vieles von den schon vorhin genannten Dichtern, namentlich Victor Hugo, und ausserdem die besten, Sachen von Béranger, Chénier, Lamartine, Ste Beuhang: Chansons gaies ist nicht bedeutend; es sind einiJ. B. Rousseau, Emile Deschamps u. a. Der Ange wenige Sachen von Béranger, Désaugiers, Barbier und Imbert. Die heitersten Gedichte dieser Männer, vorzüglich Béranger's, sind es eben nicht; was Stücke dieser Dichter nicht frei sind entweder von seinen Grund wohl darin hat, dass gerade die besten Schlüpfrigkeiten oder von politischem Sauerteige. Den Beschluss macht die Athalie von Racine.

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Im Ganzen ist die Correctheit des Textes zu loben, doch sind uns einige im Druckfehler - Register nicht angezeigte Fehler aufgefallen. Der Druck fällt recht angenehm in die Augen.

4.

ER GANZUNGSBLATTER

ZUR

ALLGEMEINEN LITERATUR-ZEITUNG

PHILOSOPHIE.

Mai 1840.

ERLANGEN, b. Enke: Die sokratische Schule, oder Philosophie für das neunzehnte Jahrhundert, von Ph. W. van Heusde. Zwei Theile.

Auch unter dem Titel:

Die Encyclopädie; Probe philosophischer Nachforschungen über des Menschen Seelenvermögen und deren Harmonic zur Beantwortung der Frage: welches ist die Verwandtschaft, welches die wechselseitige Verbindung aller Künste und Wissenschaften? Erstes und zweites Stück, übersetzt von Dr. J. Leut becher. 1838. (1 Rthl. 20 gGr.)

rer Begeisterung ist, und zugleich mit der gefälligsten Klarheit des Ausdrucks die Grundzüge des Platonismus darstellte. Freilich konnte dies Werk bei uns Deutschen, bei denen schon längst die wetteifernden Bemühungen der wackersten Männer, verbunden mit der reichsten und tiefsten Entwickelung einer wahrhaft volksthümlichen Philosophie, ein tieferes Verständniss des Platon vorbereitet und zum Theil begründet hatten, nur wenig für diesen Zweck wirken, um so weniger, da in demselben fast nur die anmuthige Oberfläche der platonischen Lehre dargestellt war, ein tieferes Eindringen aber in ihre Geheimnisse, in die schwierigeren und entlegneren Gebiete der Ideenlehre, der Naturphilosophie, der alles durchdringenden Dia

Nicht immer erscheint uns, namentlich in unserer ih- lektik, wie sie in ihrer höchsten Vollendung im Par

rer Vielseitigkeit sich rühmenden Zeit, das wissenschaftliche Leben eines Gelehrten so ganz aus einem Gusse hervorgegangen, so beharrlich nach einem Ziele strebend und so völlig von einer einzigen Idec durchdrungen, als das des jüngst verstorbenen van Heusde; denu mit immer gleicher Liebe und Begeisterung hat dieser würdige Schüler Wyttenbachs im Sinn und Geist scines Meisters alle seine Kräfte den platonischen Studien gewidmet, für Platon hat er mit ungetheiltem Eifer gewirkt und gelebt, und es ist stets sein höchstes Streben geblieben, nicht bloss der gelehrten Welt das Verständniss der platonischen Schriften durch Kritik und tief cindringende Erklärung zu erleichtern, sondern auch die platonische Philosophie dem Bewusstseyn seiner Zeitgenossen und vorzüglich seines Volkes näher zu bringen, ja, sie zur herrschenden Philosophic unsers Jahrhunderts zu machen, und so das, wie er meinte, auf vielfache Abwege verirrte Denken auf den geraden Weg der Wahrheit zurückzuführen. Diesen, man möchte sagen mehr ascetischen als rein wissenschaftlichen Zweck hatten schon seine initia philosophiae Platonicae, in welchen er mit einer wahrhaft begeisterten Hingebung an den grossen Gegenstand seiner Forschungen, mit jener wohlthuenden und hinreissenden Wärme, die immer die Frucht wah

menides und Philebos erscheint, überall vermisst wurde. Besonders aber war es die jetzt anzuzeigende populäre Schrift, in welcher van Heusde die durch vieljährige Vorstudien gereiften Früchte seines wissenschaftlichen Lebens und seiner Liebe zu Platon zum Gemeingut zu machen sich vorsetzte, in der Hoffnung, dass es ihm gelingen würde, den ursprünglichen Platonismus in seiner Reinheit wiederherzustellen, ihn als lebendig fortwirkende Philosophie in das Leben wieder einzuführen und ihn zum Ausgangsund Mittelpunkt alles ferneren speculativen Denkens zu machen. Daher gab er dem Buche den Titel: die sokratische Schule, oder Philosophic für das neunzehnte Jahrhundert; daher wählte er für dasselbe die Form einer Encyclopädie, worin er, auf die Harmonie der menschlichen Seelenvermögen nach sokratisch-platonischen Gedanken zurückgehend, das weite Gebiet der Künste und Wissenschaften durchmustert, um die Genesis der einzelnen im Geiste nachzuweisen und so zuletzt das Vielen verborgene geistige Band aufzufinden, das alle unter einander harmonisch verbindet. Nicht ohne Rührung können wir in der so herzlich und traulich geschriebenen Einleitung lesen, wie der Verf. schon früh ein Streben nach allseitiger Erkenntniss der tieferen Bezüge, welche die verschie

durchzudringen strebte, und auf diesem Wege zu manchem Resultate gelangte, was ihm gewiss, wenn er dem rauheren Wege der Speculation gefolgt wäre, mit noch grösserer Klarheit würde entgegengetreten seyn. Das Werk ist, wie schon erwähnt, zunächst der studirenden Jugend bestimmt, und hat daher auch durchweg die gemüthliche Form einer väterlichen Ansprache an Geist und Herz der höher gebildeten Jünglinge, so dass es als eine Art von Paränese in der Mitte zwischen Rede und Abhandlung steht. Gewiss wird es auch seinen Zweck nicht verfehlen, es wird namentlich in dem Vaterlande des Vfs., wo zur Zeit ein tieferes philosophisches Streben bei Jung und Alt noch nicht erwacht ist, vielfach anregend und befruchtend wirken und den Blicken der studirenden Jugend, indem es sie in eine Fülle der schönsten und reichsten Gedanken Platons einführt, zugleich einen weiteren und freieren Gesichtskreis eröffnen. Nun hat Hr. Dr. Leutbecher das Werk aus dem Holländischen übersetzt, in der löblichen Absicht, in ähnlicher Weise durch dasselbe auch auf die Jugend unserer Universitäten und Gymnasien einzuwirken; denn, wie er in der Vorrede sagt, er ist überzeugt, dass diese Encyclopädie vor allen anderen, auch noch so gehaltreichen ähnlichen Werken unserer Literatur anregende Belehrung biete, und dass auch ein jeder Lehrer an Hochschulen und Gymnasien unsers Vaterlandes, nach näherer Würdigung des Werkes, diese Absicht mit ihm theilen werde. Einige Bemerkungen über Plan und Ausführung der Schrift mögen nachweisen, ob der ehrenwerthe Uebersetzer wirklich hoffen dürfe, diesen Zweck zu

denen Seiten menschlichen Wissens und Könnens mit einander verbinden, zu Forschungen veranlasste, wie sie unter den Gelehrten seines Vaterlandes damals nicht eben häufig vorkamen, und wie er dabei zwischen den Extremen französischer Oberflächlichkeit und der starren, fast zunftmässig geschlossenen Einseitigkeit der damaligen Fachgelehrten hin und her getrieben wurde, ohne die rechte Mitte finden zu können; die blendenden Irrthümer Rousseau's, welcher alle Kunst und Wissenschaft aus dem Principe der Selbstsucht und der schlechtesten Leidenschaften des Menschen ableitete und somit schon ihren Ursprung für vergiftet erklärte, konnten seinen geraden Sinn nicht täuschen, aber auch die formale Gliederung der Wissenschaften in Baco's organon befriedigte ihn nicht, bis er endlich durch Wyttenbach auf Xenophon und Platon zurückgeführt wurde, und in deren Schriften fand, was er suchte, die lebendigen Keime und Anfänge aller wahren Wissenschaft, die ewigen Prinzipien der Aesthetik, Logik und Ethik. Hiebei ist es gewiss ein eigenes Schicksal, dass der nach Wahrheit ringende Verf. nicht auf das Studium der deutschen Philosophie hingewiesen wurde, wie denn überhaupt seine grosse Unbekanntschaft mit deutscher Geistesbildung uns aufs Neue bestätigt hat, wie wenig doch der uns so nahe verwandte holländische Volksstamm von dem lebendigen Geiste deutscher Wissenschaft, wie er seit länger als einem halben Jahrhundert unter uns weht und waltet, sich hat berühren lassen; denn gewiss würde der Verf., wenn er der Entwickelung unserer Philosophie zu folgen nicht verschmäht hätte, nicht den Versuch gewagt haben, unsere heutige Wissenschaft auf den platonischen Standpunkt zurückzuführen, er würde seiner Encyclopädie eine festere Grundlage gegeben und den inneren Bau derselben weit reicher und grossartiger ausgeführt haben, ja, vielleicht würde er vor dem Gedanken zurückgeschreckt seyn, schon jetzt, wo noch so viele schwierige Vorfragen über Zweck, Umfang und Gehalt der einzelnen Wissenschaften unerledigt sind, wo noch alles im gewaltigen Schwunge des Werdens sich bewegt, die Grundzüge der einzelnen Gebiete des Wissens als ein festes, sicheres Resultat der studirenden Jugend zu überliefern. Aber auch so haben wir den gesunden, geraden Sinn des Vfs. anzuerkennen, der, wenn auch unbekannt mit den Bewegungen der neueren Philosophie, doch an der Hand seines grossen Lehrers Platon überall vom Schein zum Seyn, von dem todten Formalismus und der rohen Empirie zu den im Geiste sprudelnden Lebensquellen der Wissenschaft und zu den ewigen Ideen des Wahren, Guten und Schönen und anregenden Einfluss der platonischen Philosophie

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erreichen.

Ob es möglich sey, die platonische Philosophie wieder zu der Philosophie unsers Jahrhunderts zu machen, die Frage wird doch heutzutage in Deutschland niemand im Ernst aufwerfen; denn so erfrischend, stärkend, erhebend diese Lehre zu allen Zeiten gewirkt hat und für alle Zeiten wirken wird, so sind es doch ganz andere Probleme, welche unser heutigos Deuken bestimmen und bewegen, und auch die Methode Platons, die schon durch Aristoteles so bedeutend umgebildet und vervollkommnet wurde, wird niemals ganz wieder die unsrige werden können. Noch weniger aber dürfte es Beifall bei uns finden, eine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste aus platonischen Gesichtspunkten zu entwerfen, als wären die zwischenliegenden Jahrtausende gar nicht gewesen, als wäre das Christenthum mit seinem alles umgestaltenden Einfluss nicht in die Welt gekommen. Denn wenn auch van Heusde nur von einem vorbereitenden

spricht, so sehen wir ihn doch überall, wo nicht das positive christliche Dogma ihn nöthigte, einen anderen Standpunkt zu nehmen, in Kunst und Wissenschaft nach platonischen Prinzipien eintheilen und erklären, billigen und verwerfen. Weiter aber mag dann gefragt werden, ob und inwiefern überhaupt eine Encyclopadie in der vom Verf. beabsichtigten Weise für die Jugend möglich und räthlich sey? für den Schulunterricht wenigstens gewiss nicht, denn der Schüler muss erst durch die strengste und sauerste Arbeit in den einzelnen Wissenschaften sich würdig und fähig machen, allmälig zu jenem freieren und weiteren Ueberblick über das Gesammtgebiet der Kunst und Wissenschaft sich zu erheben, die Schule vermag ihm diesen Standpunkt noch nicht zu gewähren; den Studirenden der Universitäten aber müsste doch eine ganz andere Grundlage gegeben werden, die Betrachtung müsste eine tiefere, die Ausführung eine weitere seyn, das Eigenthümliche der einzelnen Künste und Wissenschaften mit schärferen Umrissen gezeichnet werden. Gewiss bildet Hegel's Encyclopädie der Philosophie, welche ja nicht bloss die strengeren philosophischen Disciplinen umfasst, sondern die Prinzipien aller Wissenschaften wenigstens andeutend in sich enthält, ein rechtes Gegenstück zu dem holländischen Werke, woran wir sehen mögen, dass wir nicht erst Jahrtausende zurückzugehen brauchen, um das wahrhafte geistige Band und die höchsten Ideen alles Wissens, Wollens und Könnens aufzufinden. Sehen wir nun, wie der Verf, seinen Plan auszuführen gesucht hat. Alle richtigere Erkenntniss der Wahrheit führt er zurück auf die tiefere Ergründung der Seelenvermögen, in denen das Leben des Geistes sich darstellt; daher findet er die Entstehung aller Kunst und Wissenschaft in den drei herkömmlich angenommenen Grundvermögen des Geistes, dem Gefühlsvermögen, Erkenut nissvermögen, Willensvermögen, indem er aus dem Gefühlsvermögen die schönen Künste, aus dem erkennenden Vermögen die allgemeinen, mehr vorbereitenden Wissenschaften, aus dem wollenden Vermögen die sogenannten höheren oder Fachwissenschaften ableitet; die Prinzipien aber dieser dreifachen Reihe findet er, nach platonischen Andeutungen, in den Ideen des Schönen, Wahren und Guten, die zunächst die Liebe und das Verlangen nach dem Höheren im Geiste erwecken und so alles Streben nach Entwickelung und Vervollkommnung des Geistes hervorrufen; an die Spitze einer jeden Reihe tritt nun eine höhere, allgemeinere, die einzelnen untergeordneten Disciplinen in sich fassende Wissenschaft, so dass also die Acsthetik als die Wissenschaft des Gefühlsvermögens

oder des Schönen, die Logik als die Wissenschaft des Erkennens oder des Wahren, die Ethik als die Wissenschaft des Wollens oder des Guten bestimmt wird. Ueber alle diese mehr den einzelnen Vermögen angehörigen Zweige der Wissenschaft aber stellt er als die universalsten Wissenschaften die Philosophie und die Geschichte, und findet dann das alle umschliessende, einende Band in der Vernunft, die er eben selbst nicht als besonderes Seelenvermögen, sondern als die höhere Einheit der einzelnen Vermögen beschreibt. In der Begründung und weiteren Durchführung dieser Gedanken finden wir manchen richtigen Blick, manche Anfänge innerer und tieferer Erkenntniss, wodurch sich der Vf. weit über den geistlosen Formalismus einer bei uns doch mehr und mehr aussterbenden pedantischen Buchstabengelehrsamkeit erhebt; auch könnte man, indem er alles Wissen auf die Erkenntniss der geistigen Vermögen gründet, einigen Einfluss der Kantischen Lehre annehmen, mit welcher der Vf. wenigstens oberflächlich bekannt war; dennoch aber tritt dann in der Entwickelung dieser Einfluss gar nicht weiter hervor, denn nicht einmal die Thatsachen der Erfahrungsscelenlehre sehen wir gehörig angewendet, viel weniger werden, im Sinne Kant's, den Kräften des Geistes ihre Grenzen scharf und bestimmt vorgezeichnet, um durch sie auch Grenze und Umfang des menschlichen Wissens auf jedem Felde klar erkennen zu können. Dann aber schmeckt doch auch jene ganze Eintheilung noch sehr nach jener alten Weise der Eintheilung der Wissenschaften in Fächer nach äusserlichen, zufälligen Prinzipien; denn indem er den vorbereitenden Wissenschaften die Fach- und Berufswissenschaften, den disciplinae die doctrinae als die höheren entgegensetzt, entschwindet ihm ja sogleich wieder die in der Vernunft begründete Einheit des Wissens, nach welcher er sucht; die wahrhafte Bedeutung der Wissenschaft, die nie Mittel zum Zweck seyn kann, stets Selbstzweck seyn muss, wird verkannt, und ein Verhältniss der Unterordnung und Ueberordnung wird auf einem Gebiete angenommen, wo es der Natur der Sache nach gar nicht stattfinden kann. Gewiss bestimmte wol den Verf. zu dieser Trennung der vorbereitenden von den Berufswissenschaften die faktisch auf unsern Universitäten bestehende Trennung der philosophischen Facultät von den übrigen, mehr auf die Praxis hinwirkenden Facultäten, wie er ja auch einmal den verschiedenen Alterstufen des Menschenlebens einer jeden eine jener drei Sphären anweist, der ersten Jugend die Kunst und das Schöne, der reiferen Jugend die propädeutischen Wissenschaften und das Wahre, dem Mannesalter die höheren

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